Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 111. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.
Heute Vormittag hätten wir gerne den 80. Geburtstag des früheren Landtagsvizepräsidenten Volkmar Gabert gefeiert. Doch Volkmar Gabert ist am 19. Februar nach langer, schwerer Krankheit verstorben. Wir haben diese Nachricht mit tiefer Trauer aufgenommen.
Volkmar Gabert gehörte dem Bayerischen Landtag von 1950 bis 1978 an. Bei seinem Eintritt in den Landtag war er damals mit 27 Jahren der jüngste Parlamentarier Bayerns. Er vertrat den Wahlkreis Oberbayern. Von der 5. bis zur 8. Legislaturperiode stand er als Vorsitzender an der Spitze der Fraktion der SPD und war Mitglied des Ältestenrates. Von 1976 bis 1978 hatte er das Amt des Vizepräsidenten des Bayerischen Landtags inne. Er übte es mit der ihm eigenen Souveränität und Gelassenheit aus.
Als gebürtiger Sudetendeutscher und als Gegner der Nationalsozialisten musste er in seiner Jugend die Heimat verlassen und durfte dann als Deutscher nicht mehr dorthin zurückkehren. Das befreite Deutschland gab Volkmar Gabert jedoch die Chance, vom Opfer der Politik zu ihrem Mitgestalter zu werden. Er war nach dem Kriege eine der prägenden politischen Persönlichkeiten Bayerns. Aufgrund seiner Lebensgeschichte engagierte er sich zunächst im damaligen Ausschuss für Angelegenheiten der Heimatvertriebenen und Kriegsfolgegeschädigten, aber auch im Ausschuss für den Staatshaushalt und Finanzfragen, dessen stellvertretender Vorsitzender er viele Jahre war. In der 5. Wahlperiode gehörte er als stellvertretender Vorsitzender dem Ausschuss zur Information über Bundesangelegenheiten an. Darüber hinaus war er Mitglied des Rundfunkrates.
Nach seinem Abschied aus dem Bayerischen Landtag übernahm er ein Mandat im Europäischen Parlament. Die europäische Dimension verlieh seinem politischen Denke und Handeln neue kräftige Impulse. In allen seinen Ämtern zeichnete er sich stets durch persönliche Integrität, durch seine Bereitschaft zum Ausgleich und durch sein entschiedenes Eintreten für die parlamentarische Demokratie aus. Dabei war die verbale Schärfe seine Sache nicht. Er bevorzugte das ruhige, sachliche Abwägen, um seine politischen Ziele zu erreichen.
Bis zuletzt blieben ihm die Anliegen der Sudetendeutschen und die Aussöhnung zwischen Deutschen und Tschechen besonders wichtig. Mit Dankbarkeit denke ich dabei besonders an unsere gemeinsame Tätigkeit im Verwaltungsrat für den deutsch-tschechischen Zukunftsfonds. Wir werden Volkmar Gabert und seine Stimme im
deutsch-tschechischen Dialog vermissen. Er hat Gräben überwunden, er hat Brücken geschlagen in Bayern, in Deutschland und in Europa. Er hat sich um den Bayerischen Landtag und um den Freistaat Bayern bleibende Verdienste erworben. Der Bayerische Landtag wird dem Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren. – Sie haben sich zu Ehren des Toten von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich noch einige nachträgliche Glückwünsche aussprechen. Am 15. Februar feierte Herr Kollege Dr. Martin Runge einen halbrunden Geburtstag. Jeweils einen runden Geburtstag feierten am 28. Februar Herr Kollege Konrad Kobler und am 9. März Herr Kollege Wolfgang Hoderlein. Ich spreche den genannten Kollegen im Namen des Hohen Hauses und ganz persönlich meine herzliche Gratulation aus und wünsche ihnen alles Gute, besonders Gesundheit und die nötige Energie für ihre Aufgaben im Parlament.
Für die heutige Sitzung ist die Fraktion der SPD vorschlagsberechtigt. Sie hat eine Aktuelle Stunde zum Thema „Was ist los im öffentlichen Dienst in Bayern; die Hausaufgaben nicht erledigt?“ beantragt. In die Beratung beziehe ich die zum Plenum eingereichten Dringlichkeitsanträge ein:
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Christine Stahl, Dr. Dürr, Sprinkart und Fraktion (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Wegfall der Beihilfezahlungen für privat versicherte Angestellte im öffentlichen Dienst rückgängig machen (Drucksache 14/11820)
In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner – wie Sie wissen – grundsätzlich nicht länger als 5 Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion erhält eines ihrer Mitglieder 10 Minuten Redezeit. Dies wird auf die Gesamtredezeit der jeweiligen Fraktion angerechnet.
Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als 10 Minuten, erhält eine Fraktion auf Antrag für eines ihrer Mitglieder zusätzlich 5 Minuten Redezeit. Ich
bitte Sie, jeweils auf mein Signal zu achten. Die erste Rednerin ist Frau Kollegin Naaß. Sie hat einen 10-Minuten-Beitrag signalisiert.
Deshalb haben wir für heute auch diese Aktuelle Stunde beantragt, um auf die Situation der Beschäftigten im öffentlichen Dienst Bayerns, aber auch auf die strukturellen Probleme in einzelnen Bereichen hinzuweisen.
Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst des Freistaats Bayern werden auf der einen Seite immer mehr als Sparbüchse der Nation herangezogen, während gleichzeitig auf der anderen Seite die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung in vielen Bereichen nicht mehr voll gegeben ist. Deshalb schicke ich einen Dank an die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die Arbeiterinnen und Arbeiter, die Angestellten und Beamtinnen und Beamten voraus, die trotz der für sie unberechenbaren Politik der Staatsregierung engagiert und unter zum Teil schwierigsten Umständen arbeiten.
Was ist los im öffentlichen Dienst in Bayern? Wurden die Hausaufgaben von Seiten der Staatsregierung nicht gemacht? – Der Freistaat Bayern ist der größte Arbeitgeber mit rund 350000 Beschäftigten, und zugleich ist er der größte Arbeitsplatzvernichter. Bis zum Jahre 2007 sollen 12710 Planstellen abgebaut werden, obwohl bekannt ist, dass die Funktionsfähigkeit der bayerischen Verwaltung in vielen Bereichen nicht mehr vorhanden ist und obwohl bekannt ist, dass derzeit ca. 8000 Planstellen fehlen.
In der Justiz wird ein dramatischer Personalmangel sowohl bei den Gerichtsvollziehern als auch bei den Bewährungshelfern im Strafvollzug beklagt. Es besteht Mangelverwaltung aufgrund fehlender Staatsanwälte und Richter. Bei den Amtsgerichten fehlen bis zu 20% Staatsanwälte und Richter, und in den anderen Gerichtszweigen schaut es nicht viel besser aus.
Die 3500 Beschäftigten im Strafvollzug schieben derzeit über 740000 Überstunden vor sich her. Das bedeutet, dass jeder Beschäftigte im Schnitt 200 Überstunden angesammelt hat, die er seit Jahren vor sich herschiebt und für deren Abbau es keine Chance gibt.
Bei der Polizei sieht es nicht wesentlich besser aus. Dort klaffen die Soll- und Istzahlen um rund 20% auseinander. Herr Beckstein – er ist leider nicht anwesend – schließt bei den Polizeidienststellen nachts die Dienststellen, weil er zu wenig Personal hat, um Polizisten auf die Straße zu schicken. Das ist innere Sicherheit à la Günther Beckstein.
Halt, da sitzt er als Abgeordneter. Ich habe ihn eben als Abgeordneten erkannt. Er geht meist herunter, damit er dann als Abgeordneter sprechen kann. Das war zumindest in der Vergangenheit der Fall.
In der Finanzverwaltung fehlen über 1500 Planstellen. Die Bertelsmann-Stiftung spricht davon, dass Steuergerechtigkeit in Bayern nicht mehr vorherrscht. Bayern ist das Schlusslicht bei der Erledigung der Einkommensteuererklärungen, Schlusslicht wie auch in vielen anderen Bereichen. Obwohl die Situation bekannt ist, obwohl die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung in vielen Bereichen nicht mehr gewährleistet ist, geht der Stellenabbau weiter. Noch schlimmer: Der Freistaat Bayern saniert seinen Haushalt, indem er seine Beschäftigten immer mehr schröpft. Seine Beschäftigten – die Sparbüchse der Nation.
Ich verweise auf die so genannte Giftliste im Rahmen der Haushaltsberatungen, die Ihnen allen bekannt ist. Beamtengesetze werden immer häufiger im Rahmen von Haushaltsgesetzen geregelt, immer mehr auf die Schnelle durchgezogen, damit das Parlament und auch die Verbände nicht mehr ausreichend beteiligt werden können. Das Haushaltsgesetz wurde vom Finanzministerium mit heißer Nadel gestrickt nach dem Motto, das bisher eigentlich nur für die Staatskanzlei galt – das Finanzministerium hat es sich dort anscheinend abgeschaut –: Entscheiden, Durchsetzen, und dann fängt man irgendwann zum Nachdenken an.
Sie können von mir lernen, Herr Finanzminister. Hören Sie richtig zu, dann können Sie einiges lernen. Das Nachdenken hätte vielleicht dann stattgefunden, wenn die Staatsregierung das in Artikel 104 des Bayerischen Beamtengesetzes vorgeschriebene Beteiligungsverfahren eingehalten hätte. Man hat die Berufsverbände nicht beteiligt – das ist nicht das erste Mal. Der Freistaat Bayern hält also seine eigenen Gesetze nicht ein, nämlich das, was in Artikel 104 des Beamtengesetzes geregelt