Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 35. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde, Ihre Zustimmung vorausgesetzt, erteilt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich eine Reihe von Glückwünschen aussprechen. Ich sehe zwar die zu Beglückwünschenden alle nicht, aber einer guten Gepflogenheit folgend gratuliere ich zunächst Frau Kollegin Karin Radermacher, die am 10. Februar einen halbrunden Geburtstag gefeiert hat, Herrn Kollegen Johannes Straßer und Frau Kollegin Naaß, die am 12.02. feiern durften. Kollege Ludwig Ritter konnte einen runden Geburtstag feiern. Ich gratuliere den Genannten im Namen des Hohen Hauses und persönlich sehr herzlich und wünsche ihnen für das neue Lebensjahr alles Gute, vor allem Gesundheit und viel Erfolg bei der Erfüllung ihrer parlamentarischen Aufgaben.
Ehe wir in die Tagesordnung eintreten, gebe ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung aus der 34. Plenarsitzung am 2. Februar 2000 bekannt zum
54 Abgeordnete haben mit Ja gestimmt, 99 mit Nein. Ein Mitglied des Hohen Hauses hat sich der Stimme enthalten. Der Dringlichkeitsantrag ist damit abgelehnt worden.
Für die heutige Sitzung ist die Fraktion der CSU vorschlagsberechtigt. Sie hat eine Aktuelle Stunde zum vorgenannten Thema beantragt. In die Beratung beziehe ich im Einverständnis mit den Fraktionen ein:
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Paulig, Elisabeth Köhler, Gote, Münzel und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die einzelnen Redner dürfen grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion kann einer ihrer Redner zehn Minuten sprechen; dies wird auf die Gesamtredezeit der jeweiligen Fraktion angerechnet. Wenn ein Mitglied der Staatsregierung kraft seines Amtes das Wort nimmt, wird die Zeit seiner Rede nicht mitgerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Zeit der Dauer der Aussprache zu sprechen. Ich bitte Sie, jeweils auf mein Signal zu achten. – Erster Redner ist Herr Abgeordneter Glück.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich eine Vorbemerkung machen. Mir ist bei diesem Thema wieder sehr bewusst geworden, dass wir in unserer Geschäftsordnung eigentlich kein geeignetes Instrument für solche Debatten haben. Die Aktuelle Stunde mit dem Zwang, zunächst zehn Minuten und dann nur fünf Minuten zu sprechen, fördert eine differenzierte Auseinandersetzung nicht. Es gäbe nur die Hilfskonstruktion eines Dringlichkeitsantrags, was im Prinzip auch nicht der richtige Weg sein kann. Ich bitte unsere Geschäftsordnungsexperten, sich einmal damit auseinander zu setzen, ob wir hier flexibler werden können. Außerdem wäre es bei solchen Debatten hilfreich, wenn man hier eine Uhr hätte, um sich besser orientieren zu können.
Die Reaktionen auf die Regierungsbildung in Österreich bedürfen einer politischen Aufarbeitung, und zwar sowohl hinsichtlich der europäischen Politik als auch der Innenpolitik. Warum?
Erstens. Mit dieser Art der Reaktion wurde ein neues Kapitel der Europapolitik eröffnet, ein Kapitel der Einmischung in die innenpolitische Meinungsbildung. Diese Entwicklung halten wir für die weitere Entwicklung in Europa und für die Akzeptanz Europas für lebensgefährlich.
Zweitens. Diese Art der Reaktionen ist letztlich nichts anderes als ein Förderprogramm für Haider und Co., und dies nicht nur in Österreich.
Drittens. Man muss den Eindruck gewinnen, dass diese Reaktionen und diese Kampagne in hohem Maße parteipolitisch motiviert sind.
einmal über die Innenarchitektur der Europäischen Union für morgen, gerade im Hinblick auf die Äußerungen von Kommissionspräsident Prodi in Riga, aber auch im Hinblick auf die generelle Auseinandersetzung über solche Themen.
Zur europäischen Dimension: Die Reaktionen der Europäischen Union, wobei die Kommission vorsichtiger und zurückhaltender war, ist letztlich ein Rechtsbruch. Es gibt keine Grundlagen für Sanktionen dieser Art. Das ist eine eklatante Missachtung des Selbstbestimmungsrechts der Völker; das ist eine nicht hinnehmbare Einmischung in die politische Willensbildung nach Wahlentscheidungen.
Es ist eine Sache, vor Entwicklungen zu warnen, die man für gefährlich hält, aber es hat eine völlig andere Qualität, schon im Prozess der innenpolitischen Meinungsbildung zu drohen, Sanktionen zu beschließen und sich damit massiv in die innenpolitische Willensbildung in einem Land einzumischen.
Das ist ein unglaubliches Verhalten gegenüber einem Mitglied der Europäischen Union, das keinen Zweifel daran lässt, dass es eine gefestigte Demokratie und ein stabiler Rechtsstaat ist.
Das ist auch ein unglaubliches Verhalten gegenüber der Österreichischen Volkspartei. Das ist die Partei in Österreich, die das Land in die Europäische Union geführt hat. Schüssel und seine Mitstreiter waren die Wegbereiter für den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, nicht die SPÖ. Solche Reaktionen fördern letztlich antieuropäische Entwicklungen in den Völkern Europas, was man in einigen Ländern schon studieren kann.
Welche weitere Entwicklung könnten solche Reaktionen haben? Was wäre denn geschehen, wenn es in Österreich Neuwahlen gegeben hätte und Haiders Partei womöglich die mit Abstand stärkste Partei geworden wäre? Wäre die nächste Stufe, dass das Ergebnis von Wahlen dann nicht mehr anerkannt wird, wenn es nicht in die eigene Dimension passt?
Was geschieht, wenn in Polen, wo die Regierung leider von Krise zu Krise stolpert, bei den nächsten Wahlen die Neokommunisten wieder die Mehrheit haben? Ist dies dann ein Grund dafür, um die Beitrittsverhandlungen zu stoppen, oder gibt es eine unterschiedliche Betrachtung, je nachdem, ob es sich um eine linke oder eine rechte Partei handelt?
Zu meiner zweiten Bemerkung, diese Reaktionen seien ein Förderprogramm für Haider und Co.: In Österreich führt das zu einer Solidarisierung.
Es zeichnet sich gegenwärtig in Dänemark ab, dass aufgrund der Reaktionen der Europäischen Union eine rechtspopulistische Partei einen Aufstieg erlebt, die Regierung gelähmt ist und die anti-europäischen Stimmungen wegen der europäischen Reaktionen gewaltig wachsen.
Meine Damen und Herren, wir haben auch allen Anlass, uns ernsthaft damit auseinander zu setzen, wie die Art der Diskussion in Deutschland ist. Es ist gefährlich für die weitere Entwicklung in diesem Bereich, dass es keine ernsthafte Auseinandersetzung über die Ursachen dieses Wahlerfolgs gibt. Es müsste allen zu denken geben, dass die FPÖ heute den höchsten Anteil von Arbeitern in der Wählerschaft hat. Diejenigen, die früher SPÖ gewählt haben und jetzt zur FPÖ gewechselt sind, sind doch deswegen nicht Rechtsradikale. Wenn man aber diese Menschen diskriminiert, indem man ihre Wahlentscheidung diskriminiert, kann man nur erreichen, dass sie sich erst recht solidarisieren.
Wenn wir uns nicht mit den Ursachen befassen, gibt es in dieser Auseinandersetzung keinen Erfolg. Ich halte es für ein besonderes Trauerspiel, was sich in diesem Zusammenhang in den deutschen Medien, insbesondere in den elektronischen Medien, abgespielt hat. Für mich ist das ein Trauerspiel in drei Akten. Erster Akt: Transport der Empörung und Ausgrenzung. Zweiter Akt: Geschäft wahrnehmen und Einschaltquoten hinterherjagen, weil man vorher jemanden extrem interessant gemacht hat. Dritter Akt: große Ernüchterung über das, was man bewirkt hat. Der vierte Akte findet leider nicht statt, nämlich endlich eine ernsthafte Auseinandersetzung auch in der Publizistik über die Hintergründe dieser Entwicklung. Man geht stattdessen zur Tagesordnung über und, um mit Konrad Adenauer zu sprechen, man treibt die nächste Sau durchs Dorf. Wir können aber nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, wenn wir nicht riskieren wollen, dass wir viel Empörung produzieren und gleichzeitig diese Entwicklungen weiter um sich greifen.
Eine weitere Bemerkung. Man muss leider den Eindruck gewinnen, dass die Reaktionen sowohl innenpolitisch wie auch auf europäischer Ebene weitgehend parteipolitisch motiviert sind. Das gilt, wie gesagt, auch auf europäischer Ebene. Leider muss man hier Parteien einbeziehen, die zu unserem Spektrum gehören wie die von Herrn Aznar, der aus Wahlkampfgründen und deswegen, weil eine Rechtspartei für ihn gefährlich ist, in seinem Land einen Kurs der Abgrenzung demonstrieren will. Das gilt auch für andere. Es entwertet aber die europäische Idee und das europäische Objekt, wenn in solchen Situationen Europapolitik nur aus innenpolitischem Wahlkampfkalkül gemacht wird.
Es werden unterschiedliche Maßstäbe angelegt, die wiederum darauf hindeuten, dass letztlich nur parteipolitisch und strategisch gedacht wird. Ich empfehle einen Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 15. Februar zu lesen, der im „Pressespiegel“ abgedruckt ist. Der Titel lautet: „Haiders Thesen sind in Dänemark Regierungspolitik“. In dem Artikel heißt es:
Mit Haider trifft es obendrein einen Politiker, der in Wien predigt, was man in Kopenhagen längst macht – unter sozialdemokratischer Regie. Die Dänen sollten künftig keine Angst mehr vor „Überfremdung“ haben, sollten sich nicht „wie Fremde im eigenen Land“ fühlen müssen und sollten sich keine Sorgen machen: Eine multiethnische Gesellschaft werde es in Dänemark nie geben – das waren die Worte Rasmussens in der Neujahrsansprache des Ministerpräsidenten.