Protocol of the Session on April 5, 2001

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Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 62. Vollsitzung des Bayerischen Landtags.

Presse, Funk und Fernsehen sowie Photographen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt. Das Bayerische Fernsehen überträgt die Regierungserklärung live im Internet.

Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, eines ehemaligen Kollegen zu gedenken.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am 19. März verstarb Herr Erich Sauer im Alter von 84 Jahren. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1961 bis 1982 an und vertrat für die CSU-Fraktion den Stimmkreis Kitzingen.

Erich Sauer war Mitglieder der Ausschüsse für Angelegenheiten der Heimatvertriebenen und Kriegsfolgegeschädigten, für Verfassungs-, Rechts- und Kommunalfragen, für kulturpolitische Fragen, für Eingaben und Beschwerden sowie für sozialpolitische Angelegenheiten. Darüber hinaus brachte er seine hohe Fachkompetenz, gepaart mit großem persönlichen Einsatz, in verschiedenen Gremien des öffentlichen Lebens ein. Sein langjähriger Einsatz für das öffentliche Wohl war vorbildlich. Der Bayerische Landtag wird dem Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren.

Sie haben sich zu Ehren des Toten erhoben. Ich danke Ihnen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf nun einige Glückwünsche aussprechen.

Einen halbrunden Geburtstag konnte am 23. März Herr Kollege Blasius Thätter feiern.

Heute feiern Herr Staatsminister Reinhold Bocklet sowie Herr Kollege Herbert Rubenbauer ihren Geburtstag.

Ich gratuliere den Genannten im Namen des Hohen Hauses und persönlich sehr herzlich und wünsche ihnen alles Gute, besonders Gesundheit und Erfolg, bei ihrer parlamentarischen Arbeit.

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe zur gemeinsamen Beratung auf:

Tagesordnungspunkt 1

Regierungserklärung des Staatsministers für Gesundheit, Ernährung und Verbraucherschutz

zum Thema „Politik für den Verbraucher“

Tagesordnungspunkt 2

Gesetzentwurf der Staatsregierung

zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2001/2002 (Nachtragshaushaltsgesetz 2001/2002) (Drucksache 14/6147)

Erste Lesung –

Tagesordnungspunkt 3

Gesetzentwurf der Staatsregierung

über Zuständigkeiten in der Gesundheit, in der Ernährung und im Verbraucherschutz (Drucksache 14/5948)

Zweite Lesung –

Das Wort hat zunächst der Herr Staatsminister für Gesundheit, Ernährung und Verbraucherschutz.

Staatsminister Sinner (Verbraucherschutzministe- rium) : Herr Präsident, meine Damen und Herren! Globale Märkte – globale Chancen – globale Risiken. Die Entwicklung der europäischen Gesellschaft ist geprägt von Freizügigkeit und Arbeitsteilung, von der Dynamik des wachsenden Binnenmarkts, vom Wegfall der Grenzen, von Internationalisierung und Globalisierung der Märkte. Die Zunahme der Waren- und Finanzströme zeigt, welche enormen Chancen damit verbunden sind. Gerade der Wegfall der Grenzen macht die Integration Europas für die Bürgerinnen und Bürger spürbar. Alle, auch wir, begrüßen diesen Abbau der Grenzen. Sobald aber unvorhersehbare Gefahren und Risiken wie BSE und MKS auftauchen, wird der Ruf nach dem Staat, nach Grenzkontrollen, nach Abschottung wieder laut. Über Nacht soll das Rad zurückgedreht werden. Mit diesem Widerspruch muss die Politik fertig werden.

Meine Damen und Herren, in Deutschland reagieren viele Verbraucher verunsichert. Die betriebs- und volkswirtschaftlichen Schäden von Seuchen in der Vieh- und Fleischwirtschaft sind beachtlich.

Die Folgekosten von BSE werden bisher allein in Deutschland auf rund vier Milliarden DM geschätzt. Im öffentlichen Bereich sind es zwei Milliarden DM, und die Landwirtschaft und die Fleischwirtschaft haben zwei Milliarden DM Verluste. Die Maul- und Klauenseuche soll in Großbritannien bisher rund 30 Milliarden DM gekostet haben. Allein der englische Tourismus hat einen Verlust von wöchentlich 100 Millionen Pfund; das sind 300 Millionen DM. Auch wenn die Maul- und Klauenseuche für den Menschen nicht gefährlich ist, wirkt sie sich katastrophal aus.

Wir fragen natürlich nach den Ursachen dieser Krisen: Wie war und ist es möglich, dass Lebensmittel und Futtermittel zu potentiellen Gefahrenquellen geworden sind? Wir suchen selbstverständlich Wege aus der Krise. Wie ist es möglich, die Sicherheit der Lebensmittel zu erhöhen und damit das Vertrauen des Verbrauchers wiederzugewinnen?

Diese Krise lehrt uns eine Reihe von Einsichten. Erstens. Es rächt sich, die Landwirtschaft zum Abfallverwerter zu machen, Wiederkäuer zu Kanibalen und das Schwein sozusagen zur Sau. Es rächt sich, Medikamente als Produktionsmittel zu missbrauchen. Wie wir die Natur und die Tiere behandeln, das fällt immer auch auf uns selbst zurück.

Zweitens. Die Landwirtschaft ist heute ohne Arbeitsteilung nicht mehr konkurrenzfähig. Aber dies hat seinen Preis. Durch die globale Verflechtung und den Wegfall von Handelsschranken beschränken sich die Seuchen heute nicht mehr auf regionale Räume. Sie haben weltweite Folgen. Die Ursache für den Ausbruch für MKS in England waren Speiseabfälle aus Ostasien. Die Ursache für die rasante Ausbreitung waren allein Tiertransporte über weite Strecken.

Drittens. Bisher reagieren wir immer nur auf neu auftretende Probleme, statt offensiv zu agieren. Die Diskussion um eine vorbeugende MKS-Impfung ist das neueste Beispiel für diesen Sachverhalt.

Viertens. Wir haben in Europa bisher primär auf die Mechanismen von Markt und Wettbewerb geachtet, ohne uns darum zu kümmern, dass sie Verbraucherinteressen nur begrenzt schützen. Offenbar hat ein gnadenloser Wettbewerbsdruck die Betroffenen zu immer härterer Kalkulation verleitet, zu einer Produktion, bei der zwangsläufig die Qualität leidet, und die zum Missbrauch von Arzneimitteln und zur Missachtung technischer Standards verführt.

Meine Damen und Herren, die eigentlichen Ursachen der momentanen Probleme von Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion sind international und global. Sie zwingen uns aber auch in Bayern zum Handeln. Die Globalisierung der Wirtschaft und den freien Welthandel können und wollen wir nicht infrage stellen. Sie sind Grundlage unseres Wohlstands. Aber wir müssen uns den Gefahren und Problemen stellen, die sich daraus ergeben. Die Verbraucher – und ich sage ausdrücklich auch die Bauern – haben ein Recht auf Schutz und Sicherheit.

(Beifall bei der CSU)

Nachdem sich global die Grenzen öffnen, brauchen wir zum Ausgleich ein Sicherheitsnetz im Inneren. Einen Virenschutz für das weltweite Web gibt es längst. Vergleichbares fehlt aber bisher gegen BSE und MKS und andere Risiken globaler Märkte. Das heißt, wenn wir im Cyberspace firewalls haben, dann müssen wir auch etwas Ähnliches für den Verbraucherschutz aufbauen, und was in diesem einen Bereich selbstverständlich ist, muss auch im Bereich der Lebensmittelsicherheit selbstverständlich werden.

Meine Damen und Herren, die Staatsregierung fasst den Schutz der Verbraucher als eine neue politische Priorität auf. Sie hat diesen Schutz der Verbraucher zu einem Schwerpunkt ihrer Regierungsarbeit gemacht. Der Bayerische Ministerpräsident hat am 15. Januar dieses Jahres angekündigt, ein Staatsministerium für Gesundheit, Ernährung und Verbraucherschutz zu errichten. Am

30. Januar hat der Bayerische Landtag dem zugestimmt. Die Staatsregierung greift damit die Sorgen der Menschen um Gesundheit und sichere Lebensmittel auf. Ich füge hinzu: Bayern ist damit im Gegensatz zu anderen Bundesländern wieder vorn. Wir knüpfen damit an eine Tradition an. Wir waren auch schon vorne, als in den Siebziger und Achtzigerjahren zum Zwecke einer zusammenfassenden Kompetenz die Landesuntersuchungsämter geschaffen wurden. Die anderen Bundesländer haben dies nachgemacht. Genauso wie beim Umweltministerium ist Bayern heute auch bei der Lebensmittelsicherheit und beim Verbraucherschutz wieder Vorreiter.

Meine Damen und Herren, bei der Organisation haben wir bewusst einen anderen Weg gewählt als der Bund. Während der Bund Landwirtschaft und Verbraucherschutz in einem Ressort vermischt und sozusagen den Verbraucherschutz zu einem Anhängsel der Agrarpolitik macht, haben wir mit einem eigenen Ministerium den gleichen Weg gewählt wie die Europäische Union. Mit gutem Grund hat die EU die beiden Aufgabenbereiche von Agrarkommissar Fischler und von Verbraucherschutzkommissar Byrne getrennt.

Und wenn der Herr Kollege Starzmann unlängst gefordert hat, die Kompetenzen für den Verbraucherschutz und die Landwirtschaft deutschlandweit – auch in den Ländern – in einem Haus zu bündeln, so glauben wir nicht, dass das funktioniert. Ich warte jetzt nur auf einen Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion, in Brüssel genauso vorzugehen, also die Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz von David Byrne aufzulösen und den Herrn Fischler zum Verbraucherschutzkommissar zu machen. Das wäre die Konsequenz Ihres Weges. Aber ich glaube nicht, dass damit der Verbraucherschutz auf EU-Ebene besser funktionieren würde.

(Beifall bei der CSU – Zuruf von der SPD: Das müs- sen Sie ausgerechnet in Bayern sagen!)

Ich weise Sie nur auf die Konsequenz Ihrer Forderungen hin. In Bayern soll der Schutz des Verbrauchers unabhängig sein.

(Wahnschaffe (SPD): Was heißt hier unabhängig?)

Wir trennen bewusst und konsequent die Ressortverantwortung für die Produktion und die Kontrolle. Es wird auch hier zu Konflikten kommen, aber diese Konflikte werden offen ausgetragen.

(Zuruf von der SPD: Von wem? Von der Landwirt- schaftslobby oder von Ihnen!)

Nicht zuletzt diese Transparenz wird das Vertrauen der Verbraucher stärken.

Meine Damen und Herren, konsequenter Verbraucherschutz kostet natürlich auch Geld. Der neue Weg der Verbraucherinitiative ergänzt die Gründung des Ministeriums. Und wofür die Bundesregierung für ganz Deutschland „bereinigt“ nur 100 Millionen DM aufbringt, dafür stellt Bayern heuer und im nächsten Jahr 600 Millionen DM bereit. Ich wiederhole es noch einmal, weil

sich das bei der SPD offenbar noch nicht herumgesprochen hat: 145 Millionen DM für sichere Lebensmittel, 210 Millionen DM für die Umstrukturierung der Landwirtschaft sowie 245 Millionen DM, um den von den BSEProblemen bedrohten Branchen zu helfen. Das ist ein finanzieller Kraftakt, der in Deutschland ohne Beispiel ist.

(Zuruf von der CSU: So ist es! – Beifall bei der CSU)

Meine Damen und Herren, der niedersächsische Ministerpräsident Gabriel hat dies unter dem dümmlichen Beifall der bayerischen SPD mit der Bemerkung kommentiert: „In Bayern müsse das schlechte Gewissen ja groß sein“. Wenn sich die SPD so äußert, fügt sie aber nicht der Staatsregierung Schaden zu, sondern der Landwirtschaft. Sie versucht, die eigene Handlungsunfähigkeit zu kaschieren und beweist damit nur, wie wenig sie von der notwendigen Neuausrichtung des Verbraucherschutzes verstanden hat.