Frau Präsidentin, hohes Haus! Zunächst bitte ich für die kurze Verspätung um Entschuldigung. Ich bin zwar Staus auf meinen täglichen Fahrten von Freising nach München gewöhnt, bei Garching und zum Teil auf dem Mittleren Ring, aber so wie es heute am Mittleren Ring zuging – ich weiß nicht, was los ist –, war es selten. Es war besonders krass. Deswegen habe ich mich um ein paar Minuten verspätet. Ich bitte um Verständnis.
Die Lage in der deutschen Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt wird von Woche zu Woche unerfreulicher. Die Bundesregierung steht wirtschafts- und beschäftigungspolitisch mittlerweile vor einem Scherbenhaufen. Die krampfhafte Schönfärberei kann darüber auch nicht mehr hinwegtäuschen.
Die Daten und Fakten sprechen eine andere Sprache. Die Wachstumskorrekturen nach unten kommen in immer kürzeren Abständen, und die Appelle, sich doch ein viertel Jahr mit neuen Prognosen Zeit zu lassen, verpuffen.
Die Institute kommen an den neuen Zahlen und den neuen Fakten nicht vorbei. Die Prognosen lagen im Herbst letzten Jahres noch bei 3%. Die Wirtschaftsforschungsinstitute rechnen mittlerweile nur noch mit Wachstumsraten von 1,2%, der Internationale Währungsfonds mit 1,25%, andere noch mit 1,7%. Das regierungsnahe DIW rechnet jetzt mit 1%. Dann muss die Lage tatsächlich ernst sein, wenn das DIW so weit heruntergeht.
Die lange verbreitete Illusion, dass es sich um eine Konjunkturdelle handelt, ist zerplatzt. Der massive Konjunkturrückgang ist auf grundlegende Wachstumsprobleme zurückzuführen. Sie sind die eigentliche Ursache, die auf eine Reihe von Fehlentscheidungen und Versäumnissen seit dem Herbst 1998 zurückgehen. Diese Versäumnisse wurden jetzt offen gelegt, und der Tag der Wahrheit rückt näher.
Die Bundesregierung starrt regelmäßig auf die Konjunktur wie auf eine Fata Morgana, die kommt oder geht. Die Frage, wie man Wachstumskräfte stärkt oder schwächt, wird in der wirtschaftspolitischen Diskussion zu wenig oder nicht behandelt. Man weist die Schuld dem Ausland zu. Das ist eine alte Übung bei der SPD. Das hat der frühere Bundeskanzler Schmidt in den Siebzigerjahren auch schon immer gemacht, wenn es nicht mehr gut lief.
Dabei läuft der Exportmotor noch relativ rund. Nach der neuesten Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages wird sich das Exportwachstum zwar von plus 17% im letzten Jahr auf rund 7% in diesem Jahr verlangsamen, aber es gibt nach wie vor Wachstum. Vom Export kommt der Konjunktureinbruch nicht, weil der Export weiter zulegt. Deswegen ist der Verweis auf das Ausland falsch. Zwar gehen die Auftragseingänge zurück, aber die jetzige Lage und Entwicklung haben damit noch nichts zu tun.
Der Konsumschub, den sich die Regierung von der Steuerreform versprochen hatte, hat sich wegen des Preisanstiegs in Luft aufgelöst. Dabei muss man wissen: Jeder Prozentpunkt Inflation bedeutet Kaufkraftverlust in Höhe von 30 Milliarden DM. Der Anstieg der Inflationsrate von 1,9 auf 3,1% im Juni 2001 hat die Entlastung der privaten Haushalte durch die Steuerreform, die mit 25 Milliarden DM angegeben war, überkompensiert. Die Kaufkraft ist durch die Inflationsentwicklung zurückgegangen, und die Reallöhne sind im ersten Quartal 2001 gegenüber dem Vorjahr ebenfalls gesunken. Die Rentenerhöhung von 1,8% liegt unter der Inflationsrate.
All das sind Entwicklungen, die sich nicht beschönigen lassen, die sich nicht wegdrücken lassen. Dabei muss man auch wissen, dass Phasen hoher Preisstabilität auch Phasen hohen Wachstums sind.
Es ist bedauerlich, dass diese Zusammenhänge von der Bundesregierung nicht gesehen werden. Eine Entwick
lung, welche über die Jahre hinweg statistisch erfasst wurde, zeigt aber auch, dass gerade solche Zusammenhänge bestehen. Die Bundesregierung trägt ihnen nur nicht Rechnung. Die Inflation in Deutschland bedeutet de facto auch gegenüber den anderen EU-Ländern im Euro-Währungsverbund eine Aufwertung. Sie verschlechtert also die Exportchancen gegenüber den europäischen Ländern und sie verschlechtert die Wettbewerbsfähigkeit. Nachdem von Bayern aus 50% des Exports und im Bundesdurchschnitt sogar über zwei Drittel des Exports in die europäischen Länder gehen, verschlechtern sich dadurch unsere Exportchancen.
Es ist kein Wunder, wenn die Steigerung der Einkommen bei den Rentnern, den Arbeitnehmern und sonstigen Einkommensbeziehern durch die Inflation mehr als aufgefressen wird, wenn auch der durch die Steuererleichterung vermutete Zuwachs aufgefressen wird, dass dann bei den Einzelhändlern die Umsätze einbrechen. Im Februar war es ein Minus von 4%. Im März und im April hatten wir zwar ein leichtes Plus von 1,1% bzw. 1,2%. Das Ganze aber ist schwunglos verlaufen.
Das Investitionsklima wird zunehmend kälter. Die Auftragseingänge für Investitionsgüter sind im April und im Mai um 4,1% gegenüber Februar und März und um 2,4% gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Jeder weiß, wenn die Auftragseingänge zurückgehen, gehen auch die Einstellungspläne nach unten. Auch die Lohnstückkosten haben sich negativ entwickelt und auch folgender Prozess ist interessant: Während in Frankreich die Lohnstückkosten zurückgegangen sind, sind sie bei uns deutlich angestiegen. Ich habe die Statistik hier. Hier ist eine Entwicklung interessant, welche von Rot-Grün abgetan worden ist. Als die Mineralölspreise gestiegen sind, hat Frankreich gesagt, man müsse gegensteuern. Deutschland hingegen hat gesagt, man müsse bei der Öko-Steuer noch zulegen. Damit hat man das Mineralöl verteuert und die Preisentwicklung, die Inflationsrate und die Lohnstückkosten erhöht, und jetzt wundert man sich über die Ergebnisse. Bei Ihnen werden volkswirtschaftliche Zusammenhänge schlichtweg negiert. Sie meinen, Sie könnten die Augen verschließen und über diese Zusammenhänge hinwegtäuschen.
Der Bau, welcher für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung regelmäßig ein Eckpfeiler ist, steckt in der schlimmsten Krise der Nachkriegszeit. Davon ist ganz massiv auch das Handwerk betroffen, weil 40% des Handwerks zum Bau- und Ausbauhandwerk gehören. Die Auftragseingänge gehen um 8% zurück, die Produktion um 14% und die Umsätze um 12,3%. Das ist ein massiver Rückschritt, und das ist nicht nur eine Erscheinung wie das Ungeheuer von Loch Ness, welches immer wieder zufällig erscheint. Diese Entwicklung ist politisch gemacht. Fast müsste ich soweit gehen und „gewollt“ sagen. 1998, nach der Bundestagswahl, bzw. Anfang1999 wurde noch unter Oskar Lafontaine die Spekulationsfrist beim Hausbau auf 10 Jahre erhöht. Die Verrechnung der Verluste aus dem Baubereich mit anderen Einkommensarten wurde wesentlich eingeschränkt. Deshalb ist im Mietwohnungsbau nichts mehr passiert. Jeder weiß aber, dass es beim Bau einer Mietwohnung
lange Zeit Abschreibungsnotwendigkeiten und lange Zeit Verluste gibt. Wenn die Verluste nicht mit anderen Einkommensarten verrechnet werden dürfen, wird nicht mehr investiert. Dann kommt es zum Stillstand.
Neben den Abschreibungsbedingungen wurden auch die Förderbedingungen verschlechtert. Dann wurde die Bezuschussung des Sozialen Wohnungsbaus vom Bund auf einen Mindeststand heruntergefahren. Dann wurde das Mietrecht zugunsten der Mieter verbessert, für die Vermieter wurde es aber nachhaltig verschlechtert. Es wurden also alle Bremsen angezogen, die man hatte. Dann aber wundert man sich, wenn der Karren stillsteht. Er ist zum Stillstand gebracht worden. So dumm kann doch niemand sein, dass er die Konsequenzen seines Handelns übersieht. Der Wagen steht. Am Bau ist nichts mehr los. Wo bleiben jetzt die Steuereinnahmen, die man sich aus den verschiedenen Maßnahmen erhofft hat? Ich glaube, dass sich allmählich auch bei der SPD und bei den Grünen die Erkenntnis durchsetzen muss, dass Steuereinnahmen nicht von der Höhe der Steuersätze, sondern von der Höhe der Umsätze abhängig sind.
Sie brauchen sich nicht zu wundern, dass die Stimmung der gewerblichen Wirtschaft nach dem Ifo-Konjunkturtest heute auf dem tiefsten Stand seit zwei Jahren angelangt ist. Die Tendenz ist weiterhin fallend. Das heißt, die Talsohle der Entwicklung ist noch nicht erreicht. Die Bundesregierung aber hat diese Realitäten hartnäckig ignoriert. Monatelang hat sie bestritten, dass die Erwartungen nach unten zu korrigieren sind. Es hat lange gedauert, bis sie die Eckprojektion von 2,75% auf 2,0% zurückgenommen hat. Auch jetzt betreibt die Bundesregierung Wirklichkeitsverweigerung. Niemand in Deutschland hält ein Wachstum von 2% noch für möglich außer dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Bundesfinanzminister. Sie sind die einzigen, die noch herumlaufen und 2% verkünden. Der Bundeswirtschaftsminister, der eigentlich zuständig wäre, hat Redeverbot. Er darf nichts mehr sagen. Eine seltsame Konstellation ist das, welche hier Platz greift. Wenn der Bundeskanzler verkündet, es müssen in diesem Jahr 2% Wachstum sein, dann erinnert mich das an planwirtschaftliche Staaten, welche beschlossen haben, wie hoch das Wachstum auszufallen hat, und danach hatte sich alles zu richten.
(Kaul (CSU): Das sind halt auch Sozialisten! Die SPD ist eben die Partei des demokratischen Sozialismus, so steht es in ihrem Grundsatzprogramm!)
Rot-Grün hat nur das Glück, wenn man so will, dass es einen dynamischen Süden gibt. Es sind die Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Der Bundeskanzler müsste eigentlich täglich zum lieben Gott beten, damit sich in diesen drei Ländern die politischen Verhältnisse nicht ändern und allmählich Wachstumszahlen Platz greifen, wie sie in SPD-regierten Ländern bereits vorherrschen. Wenn das Wachstum tatsächlich bundes
weit bei einem Prozent liegen wird, die Südländer aber ein höheres Wachstum haben werden, dann gibt es auch Bundesländer, die kein Wachstum mehr, sondern Stagnation, Inflation und Rezession haben. Diese Entwicklung verfolgen wir zur Zeit.
Wir müssen uns auch über den Ernst der Lage im klaren sein. Wir dürfen uns nicht mit Durchschnittszahlen trösten, wenn in beachtlichen Teilen Deutschlands Stagflation und Rezession herrschen. Nennenswerte Beschäftigungszuwächse waren in den letzten Jahren ohnehin nur mehr in fünf Bundesländern vorzuweisen.
Unser binnenwirtschaftliches Hauptproblem ist die Agonie der Bundesregierung. 1998 wollte der seinerzeitige Kanzlerkandidat Schröder behaupten, dass der sich abzeichnende Wirtschaftsaufschwung sein Aufschwung sei. Das war er nicht. Wenn es aber heute zum Abschwung kommt, kann sich der Bundeskanzler seiner Verantwortung nicht entziehen.
In den neuen wie in den alten Ländern hat sich die Bundesregierung zu lange an den positiven Konjunkturzahlen berauscht, wobei die Grundlagen dafür neben der guten Weltkonjunktur auch von der Vorgängerregierung gelegt worden sind.
Eine Reihe von strukturellen Reformen der Bundesregierung Helmut Kohl hat man seinerzeit verteufelt und als Umverteilung von unten nach oben bezeichnet. Man hat sie hinterher zurückgenommen. Jetzt hat man die Konsequenzen dieser Fehler zu tragen. Rot-grün hat für die notwendige Stärkung der Wachstumskräfte – auf die kommt es an – nichts getan, aber für deren Schwächung eine ganze Menge.
Das ist ein Grundmangel unserer wirtschaftspolitischen Diskussion. Man starrt zu sehr auf die Konjunktur und nicht auf die Faktoren, die der Konjunktur zugrunde liegen: Wachstumskräfte stärken und nicht Wachstumskräfte bremsen.
Man muss die gesetzgeberischen Maßnahmen, die man ergreift, und die Entscheidungen, die man trifft, auf dieses Ziel hin überprüfen. Das hat man nicht getan. Deshalb muss man sich jetzt herausreden, die Weltwirtschaft sei an der schwachen Konjunktur Schuld. Das ist sie aber nicht. Das Exportvolumen – ich sage es noch einmal – nimmt nach wie vor zu; das Tempo ist nicht das Gleiche wie im letzten Jahr. Die Binnenkonjunktur lahmt. Sie lahmt, weil die Bundesregierung Wachstum und Beschäftigung nicht fördert, sondern auf breiter Front bremst und behindert. Ich nenne nur ein paar Beispiele dafür: die Neuregelung der 630-DM-Beschäftigungsverhältnisse und die Änderung der Scheinselbstständigkeit – –
Die Zahl der Gewerbeanmeldungen ist in den Jahren 1998 bis 2000 bundesweit um über 47000 zurückgegangen. Rot-grün macht alles, um die Unternehmerlücke nicht zu schließen, sondern um sie zu vergrößern.
Neue Arbeitsplätze entstehen in Folge von Betriebsgründungen. Neue Betriebe gibt es über neue Selbstständige. Wenn man diesen Selbstständigen Prügel zwischen die Beine wirft, dann darf man sich über das Ergebnis nicht beklagen. Mir tut es leid, dass heute noch darüber gelacht wird.
Ein zweiter gravierender Fehler ist der, dass die Steuerreform eine schwere Schlagseite aufweist. Der Anteil der mittelständischen Personengesellschaften an den Betrieben beträgt in Deutschland über 85% – in Bayern sind es 87% –, an den Beschäftigten über 75%, an der Lehrlingsausbildung rund 85% und an der Steuerentlastung – man höre und staune – 10%.
Der Job-Motor Mittelstand wird vernachlässigt, wird insgesamt am geringsten entlastet. Die Entlastung in drei Stufen – 2001, 2003 und 2005 – kommt viel zu spät. Wegen der Ökosteuer und der Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen wird das alles aufgezehrt und über die kalte Progression am Ende vollends kompensiert.
Der steuerfreie Verkauf von Anteilen an Kapitalgesellschaften durch Kapitalgesellschaften lässt viele Umstrukturierungen zu, bringt aber in der Summe keine neuen Arbeitsplätze. Es bieten sich eher Rationalisierungspotenziale, die ausgeschöpft werden. Die Wirkung der Steuerreform verpufft wegen der Kompensation durch die Ökosteuer und wegen der negativen Effekte für den Mittelstand. Nach Abschluss der Reformen, meine Damen und Herren, werden die Personengesellschaften um 10% stärker belastet, als die Kapitalgesellschaften. Das ist der grundlegende Fehler dieser Steuerreform.
Es fehlt die Investitionskraft für den breiten Mittelstand. Arbeitsplätze entstehen durch Investitionen und Expansion von Betrieben, aber nicht dadurch, dass man deren Entwicklung bremst. Die Bundesregierung ölt den JobMotor Mittelstand nicht, sie wirft ihm Sand ins Getriebe.
Der dritte Punkt ist die Ökosteuerreform: Neben dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und dem Kraftwärmekopplungsgesetz ist sie für die hohe Inflationsrate mit verantwortlich. Obwohl die Ökosteuer Milliarden von Bundeszuschüssen zulasten der Verbraucher und Unternehmen einbringt, die in das Sozialversicherungssystem geschaufelt werden, ist die Bundesregierung de facto von ihrem Ziel abgerückt, die Lohnzusatzkosten unter 40% zu senken. Die lohnintensiven Betriebe werden nicht entlastet. Das Versprechen aus dem Jahr 1998
wird nicht eingehalten. Man flickt an der Gesundheitsreform, man bringt nur eine halb tragbare Rentenreform zusammen, man doktert an dem Thema Arbeitslosenversicherung herum. Die Ökosteuerlasten steigen auf über 30 Milliarden DM, und die Sozialversicherungsbeiträge steigen auch.
Vierter Punkt: Der Bundesfinanzminister lässt sich loben für die Konsolidierung des Haushalts, die im Übrigen nur sehr begrenzt ist. Die Mahnungen der Europäischen Union sagen etwas Anderes. Er kürzt zudem am falschen Ende. Er kürzt bei den Investitionen. Die gehen zurück von 12,5% im Jahr 1998 auf 10,4% im Jahr 2004. Das kann nicht gut gehen. Ein Rückgang der Investitionen bedeutet den Rückgang von Aufträgen und Abbau von Arbeitsplätzen.
Für mich ist es interessant, dass sich diese Erkenntnis mittlerweile auch in der SPD herumspricht. In der „Welt“ vom 4. Juli 2001 heißt es: „Bayerns SPD-Chef, – Wolfgang Hoderlein, verlangt eine Verstärkung der staatlichen Investitionen und schloss sich der Unionsforderung nach einem Vorziehen der letzten Steuerreform an“. Man höre und staune.