Protocol of the Session on December 13, 2001

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Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Tag fängt gut an. Ich grüße Sie, Herr Hofmann. Ich darf Sie alle recht herzlich zu dieser frühen Morgenstunde begrüßen.

Ich glaube, meine Kolleginnen und Kollegen von der CSU brauchen diesen Antrag, den wir heute vorgelegt haben, gar nicht zu lesen. Sie haben ihn verinnerlicht. Ist doch dieser Antrag Wort für Wort, abgesehen von der Jahreszahl, ein Antrag, der Ihrer Feder entsprungen ist, der vor drei Jahren – –

(Herrmann (CSU): Sie brauchen zwei Jahre, bis Sie merken, wie gut unsere Anträge sind! – Weitere Zurufe von der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Frau Paulig, Sie brauchen nicht auf jeden Zwischenruf zu antworten.

Es wäre schön, wenn Sie für Ruhe sorgen könnten. – Danke.

Ich habe jetzt viele nette Kommentare von Ihnen gehört. Dazu muss ich sagen: Was sind Ihre Zielsetzungen heute noch wert? Welche Halbwertszeit haben Ihre politischen Forderungen, die Sie im Landtag eingebracht haben und die wir zusammen mit Ihnen einstimmig verabschiedet haben?

Politik für lebendige Städte und mittelständische Strukturen im Handel war ein Ziel, das wir alle gemeinsam am 24.03.1998 unterstützt haben. Das war ein einstimmiger Beschluss des Landtags. Heute haben Sie bereits mit der Vorlage Ihres Dringlichkeitsantrags unter der Vorgabe, es seien neue Entwicklungen eingetreten, die Rückzugsgefechte eingeleitet. Ich frage Sie, welche neuen Entwicklungen wollen Sie heute ansprechen? Ich darf aus Ihrem Antrag zitieren:

Auch Erlebniseinkaufszentren und Factory Outlet Center auf der grünen Wiese werden nicht neue Kaufkraft schaffen, sondern anderswo abziehen.

Dieses bleibt bestehen. Es hat sich keine neue Entwicklung ergeben, sondern es wird genau das passieren, was wir prophezeit haben, nämlich das Abziehen von Kaufkraft aus den lebendigen Städten, die mit vielen öffentlichen Geldern in diese Form gebracht wurden. Denken Sie an den Denkmalschutz und an die Mittel der Städtebauförderung. Wir haben uns gemeinsam bemüht, lebendige Städte, die auch die sozialen Funktionen für die erfüllen, die in diesen Städten wohnen, entstehen zu lassen. Sie aber stellen mit dem Kabinettsbeschluss vom 20.11.2001 bzw. der Einleitung der Teilfortschreibung des Landesentwicklungsprogramms Zielsetzungen dieser Art in Frage. Ich darf weiter aus Ihrem Antrag zitieren, der Ihnen heute durch die GRÜNEN zur Abstimmung vorliegt:

Die Kommunen... müssen bedenken, dass damit

auch durchaus gesunde und leistungsfähige Strukturen zerstört,

viele sichere und meist wohnortnahe Arbeits- und Ausbildungsplätze im Handel vernichtet werden (der herkömmliche Einzelhandel hat bei gleichem Umsatz durchschnittlich 2,3mal mehr Beschäftigte als ein FOC),

wohnortnahe Einkaufsmöglichkeiten für mobilitätsbehinderte Menschen verloren gehen,

die Urbanität und die Lebensfähigkeit vieler Märkte, kleiner und mittlerer Städte in Gefahr gerät und

eine oft denkmalgeschützte Bausubstanz in den Innenstädten keiner sinnvollen wirtschaftlichen Nutzung mehr zugeführt werden kann.

So lautet der Beschluss, den wir im März 1998 gemeinsam einstimmig im Bayerischen Landtag verabschiedet haben.

Sie sind damals auch auf die ökologischen Nachteile der Einzelhandelsgroßprojekte und der FOCs auf der grünen Wiese eingegangen. Sie haben „Umweltbelastungen und Ressourcenverbrauch“ angesprochen, zum Beispiel „längere Anfahrtswege, kalkuliert bis zu 200 km“, „geringe Anbindung an den ÖPNV“, „den größeren Flächenverbrauch für Gebäude und Parkplätze und die zusätzliche Versiegelung und Zersiedelung der Landschaft“. Sie haben damals bereits auf eine Entwicklung aufmerksam gemacht, die heute einen Spitzenstand in Bayern erreicht hat. Bayern ist das Bundesland mit dem höchsten Flächenverbrauch. Dieser Flächenverbrauch beträgt 28,6 Hektar pro Tag, was 40 Fußballfeldern pro Tag entspricht. Diese Entwicklung ist seit 1993 eingeleitet und durch die jüngsten Kabinettsbeschlüsse weiter forciert worden.

Es ist enorm bedauerlich, dass ein Umweltminister, der sich das Wort Nachhaltigkeit auf die Fahne schreibt und in allen Verlautbarungen benutzt, sich auf Weisung von Stoiber dazu hergibt, den Flächenverbrauch weiter zu steigern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich darf weiter aus diesem Antrag zitieren:

Aus allen diesen Überlegungen lehnt der Landtag die Einrichtung solcher neuen „Mega-Einkaufsformen“ grundsätzlich ab. Anträge sind restriktiv und unter Beachtung der folgenden Vorschläge zu verbescheiden.

In den Lösungsvorschlägen heißt es: Konsequente Anwendung der geltenden rechtlichen Instrumentarien, Infrastrukturverbesserung für den Einzelhandel in den Innenstädten, Entwicklung ganzheitlicher Leitbilder und Konzepte der Kommune für den Handel als Voraussetzung für eine entsprechende Bauleitplanung und Genehmigung, interkommunale Abstimmung.

All dieses können Sie heute mit der Zustimmung zu diesem Antrag bestätigen. Ich denke, die Ziele, die hier vorgelegt werden, sind entscheidende Ziele, die es zu verfolgen gilt. Sie haben in Ihrem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 14/8310 den Rückzug eingeleitet.

„Gegenüber der Situation der Beschlussfassung vom 24.03.1998 haben sich Entwicklungen ergeben, die eine erneute Überprüfung der Rahmenbedingungen und der

ordnungspolitischen Entscheidungen notwendig machen.“ – So kann man es auch nennen. Ich darf Ihnen dazu einen Kommentar des Bayerischen Rundfunks zur Kenntnis geben. Rudolf Erhard hat im „Bayernmagazin“ zum Kabinettsbeschluss vom 20. November erklärt – ich zitiere –:

Geld regiert die Welt. Wenn die Wirtschaft Druck macht, hat sich die Politik zu beugen. Vergessen die markigen Worte von gestern, auch Bayern ist jetzt bei den einst so ungeliebten Fabrikverkaufszentren eingeknickt. Die Verantwortlichen in Staatskanzlei, Umwelt- und Wirtschaftsministerium ignorieren ihre früheren Warnungen und rollen den Großhandelsprojekten noch den roten Teppich aus.

Das Ganze nennt sich verharmlosend „Kaufkraftabschöpfung“, und damit meinen sie die Umsatzeinbußen des mittelständischen Handels in den städtischen Zentren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kaufkraftabschöpfung ist mit Umsatzeinbußen gleichzusetzen. Ich zitiere weiter:

Fragen Sie einmal einen Geschäftsmann im Zentrum von Straubing, Ingolstadt oder Vilshofen, wie lange er Umsatzeinbußen von 15% überlebt.

Ich füge hinzu: Nicht nur 15% sind in der Fortschreibung enthalten, sondern möglich sind sogar 20% bis 25%.

Weil aber die Macher der Fabrikverkaufszentren möglichst viel Reibach, sprich Kaufkraftabschöpfung, zulasten gewachsener Einzelhandelsgeschäfte forderten, bekamen sie per... Kabinettsbeschluss, was sie wollten... Jeder dort neu geschaffene Arbeitsplatz vernichtet bis zu vier in kleineren Geschäften des Einzelhandels.

Folgerichtig: Sie wollen all dies durchsetzen. Ministerpräsident Dr. Stoiber knickt vor amerikanischen Großhandelsketten ein.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Prinzipienlos!)

Das nennt sich prinzipienlos. Hier zitiere ich gern den Vorsitzenden meiner Fraktion. Wir brauchen uns nur anzusehen, wie der Entwurf des neuen Landesentwicklungsprogramms aussieht. Im alten Landesentwicklungsprogramm, das derzeit Gültigkeit hat, heißt es: „Die mittelständische Wirtschaftsstruktur soll erhalten und gestärkt werden.“ Genau diese Förderung des Mittelstands als Zielsetzung findet sich im Entwurf des neuen Landesentwicklungsprogramms nicht mehr. Dort heißt es: „Die Wirtschaftskraft des Landes und seiner Teilräume soll insbesondere im Hinblick auf den verschärften globalen Wettbewerb erhalten... werden.“ Das ist Ihre Zielsetzung: Aufgabe der Mittelstandsförderung und der Stärkung des Mittelstandes zugunsten globalisierter Wettbewerbsteilnehmer, die zumeist aus dem Ausland stammen. Unser Einzelhandel kann hier voraussichtlich

nicht mithalten. Das nennen Sie Wirtschaftspolitik für Bayern.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Scheinheilig!)

Die britisch-amerikanische Investorengruppe Value-Retail zum Beispiel plant in Baden-Württemberg das FOC Wertheim. Was aber hat Ministerpräsident Dr. Stoiber Besseres zu tun, als diese negative Entwicklung noch zu toppen mit der Teilfortschreibung des Landesentwicklungsprogramms? Sie wissen, dass sich der Landesverband des Bayerischen Einzelhandels vehement gegen diese Entwicklung wehrt, und das mit Recht, gilt es doch, Arbeits- und Ausbildungsplätze in Bayern zu erhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Erich Vorwohlt, der Präsident des LBE, sagt hierzu treffend: „Haben amerikanische Investoren in Bayern jetzt mehr Bedeutung als der Mittelstand? Beugt sich der Freistaat einzelnen Investoreninteressen?“ Präsident Vorwohlt sagt weiter: „Dem Einzelhandel in Bayern ist es absolut unverständlich, wie die Bayerische Staatsregierung zu dieser Kehrtwende in der Standortpolitik kommt. Nur um das FOC in Ingolstadt zuzulassen, stellt die Staatsregierung ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel.“ Die einhellige Kritik der bayerischen Wirtschaft und der kommunalen Spitzenverbände im bisherigen Anhörungsverfahren zum LEP hat das bayerische Kabinett mit seiner vorgezogenen Zustimmung zum FOC Ingolstadt einfach unter den Teppich gekehrt. Der Präsident des Bayerischen Städtetags Josef Deimer sagt dazu: „Wohin diese Entwicklung führen kann, ist in den neuen Bundesländern zu besichtigen. Während mitten in der freien Landschaft ein großflächiges Handelszentrum nach dem anderen gebaut wird, stehen immer mehr Läden in den Zentren mitteldeutscher Städte leer.“

Für die Mittelstands-Union der CSU zitiere ich Klaus Dieter Breitschwert: „Das ist das falsche Signal. Es gibt einen Vernichtungswettbewerb der brutalsten Art, und da kommen die kleinen und mittelständischen Unternehmen unter die Räder.“ Manfred Christ – ich begrüße ihn hier – hat erklärt: „Der Einzelhandel wird der Konkurrenz nicht standhalten. Die Innenstädte werden veröden, die Arbeitsplätze zurückgehen und vor allem die Lehrstellen. Unser Mittelstand bricht zusammen, wenn wir das genehmigen.“ Der Geschäftsführer der IHK Karl Kürzinger sagt: „Wir brauchen keines auf der grünen Wiese. Diese Entwicklung ist absolut negativ. Die FOCs sind große Einkaufszentren. Sie wollen das typische Leitsortiment der Innenstädte vor den Stadttoren verkaufen.“

Der bayerische Gemeindetag erklärt zu der Teilfortschreibung: „Selbst für Juristen sind die geplanten Formulierungen im Landesentwicklungsprogramm kaum verständlich.“ Man widerspricht sich teilweise in einzelnen Sätzen. Folgerichtig hat die Kenntnis dieser Entwicklung 1998 dazu geführt, die Städtebaufördermittel an die Entwicklung der Innenstädte zu koppeln. Genau dieses soll nun ebenfalls aufgegeben werden. Das Innenministerium hat beispielsweise Günzburg vor Verabschiedung der Teilfortschreibung bereits wieder die Städtebaufördermittel in Aussicht gestellt, um den FOCs

bzw. den Einzelhandelsgroßprojekten grünes Licht zu geben.

Sie sind heute gefordert, Ihre Zielsetzung zu überprüfen. Sie haben die Möglichkeit, dieser Zielsetzung zuzustimmen. Darum beantragt unsere Fraktion namentliche Abstimmung. Wir werden die nächsten Wochen intensiv die Debatte mit der bayerischen Wirtschaft und den bayerischen Umweltverbänden führen und auf diese katastrophale Entwicklung aufmerksam machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es kann doch wohl nicht sein, dass die CSU, die sich die Mittelstandspolitik auf die Fahnen geschrieben hat, die Mittelständler Bayerns dem globalen Wettbewerb opfert, zugunsten der Arbeitsplätze und zugunsten der Umwelt. – Auf Kosten der Arbeitsplätze und auf Kosten der Umwelt, so muss es richtig heißen.

(Dr. Bernhard (CSU): Freud lässt grüßen!)

Freud lässt grüßen. Ich bin auf die Ausführungen gespannt, die Sie heute zu diesem Thema machen. Wir beantragen namentliche Abstimmung. Sie können sich darauf gefasst machen, dass wir auch die Diskussion außerhalb des Parlaments intensiv führen werden. Wenn Sie heute einknicken und sich von Ihren Zielsetzungen verabschieden wollen, seien Sie an die Auseinandersetzungen erinnert, die wir zum Dosenpfand hatten. Auch hier hat die bayerische Wirtschaft nicht mehr verstanden, auf welcher Seite eigentlich die CSU steht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Frau Biedefeld.