Protocol of the Session on May 8, 2002

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Das Wort hat Herr Kienscherf.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der 1. Mai stellte in diesem Jahr nicht nur den Tag der Arbeit dar, sondern er war vielmehr für viele Menschen in unserem Land ein ganz besonderer Tag, denn an diesem Tag – Frau Freudenberg hat es eben schon erwähnt – sind weite Teile des Bundesgleichstellungsgesetzes in Kraft getreten, ein Gesetz, das rund sieben Millionen Menschen in unserem Land betrifft, und ein Gesetz, das zu mehr Gleichstellung in diesem Land für Menschen mit Behinderung sorgen soll. Damit soll auch der grundgesetzliche Gleichstellungsgedanke von 1994 endlich Wirkung erhalten.

Es ist nun an der Reihe, dass wir diesen neu geschaffenen bundesgesetzlichen Rahmen auf Landesebene mit Leben erfüllen. Mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, Selbstbestimmung statt Fürsorge, mehr Chancengleichheit statt Benachteiligung, dieses müssen auch die Leitlinien einer gesellschaftspolitisch verantwortlichen Politik hier in Hamburg sein.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Denn, meine Damen und Herren, in Hamburg sind rund 15 Prozent der Menschen betroffen. Rund 260 000 Menschen leben in dieser Stadt, die einen Behinderungsgrad von über 30 Prozent haben. Diesen Menschen müssen wir zeigen, dass wir etwas für sie tun wollen. Deswegen haben wir Sozialdemokraten der Bürgerschaft entsprechende Eckpunkte vorgelegt, die wir mit Ihnen gemeinsam im Ausschuss beraten wollen. Es geht darum, den behinderten Menschen in dieser Stadt zu zeigen, dass wir ernsthaft gewillt sind, die Situation zu verändern.

(Beifall bei der SPD)

Sicherlich haben wir in den letzten vier Jahrzehnten in unserer Stadt vieles erreicht. Jedoch sollten wir auch selbstkritisch erkennen, dass vieles im Argen liegt, auch hier im Haus. Es reicht eben nicht, wenn man einmal im Jahr eine Veranstaltung mit Gebärdendolmetschern durchführt, denn das heißt auf der anderen Seite, dass an den restlichen 364 Tagen Gehörlose ausgeschlossen sind. Es ist auch so, dass so manch einer über unsere Schriftgrößen der Drucksachen nachdenken sollte. Die sehen zwar ganz nett aus und machen auch aus jedem inhaltsleeren Antrag ein einigermaßen layoutetes Schriftstück, doch für Sehbehinderte sind sie schlichtweg grausam.

(Krista Sager GAL: Auch für ältere Menschen!)

Behinderte Menschen brauchen keine solche Alibiveranstaltung. Sie brauchen kein Mitleid. Was sie brauchen, ist unsere Unterstützung, unsere Anerkennung, ist unser Wille, endlich einmal etwas ändern zu wollen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wir Sozialdemokraten sind bereit, mit Ihnen, Frau Senatorin, und den Regierungsfraktionen gemeinsam ein Landesgleichstellungsgesetz zu erarbeiten.

(Christian Maaß GAL: Nach unserem Entwurf!)

(Dr. Dorothee Freudenberg GAL)

Wir Sozialdemokraten haben neben der GAL eigene Eckpunkte eingebracht. Wir freuen uns außerordentlich, dass Teile der Regierungsfraktionen schon am letzten Freitag verkündet haben, diese Ausschussarbeit unterstützen zu wollen. Ich denke, bei diesem Thema sollten wir Einigkeit beweisen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Ich möchte kurz die Kernelemente unserer Eckpunkte skizzieren. Zum einen geht es darum, wirkliche Barrierefreiheit zu schaffen, das heißt im Bau-, Verkehrs-, aber insbesondere auch im Kommunikations- und Informationsbereich.

Als zweites wollen wir einen Senatsbeauftragten oder einen Senatskoordinator fest im Gesetz verankern. Wie immer man den auch nennt, das ist eigentlich relativ egal, die Hauptsache ist, dass er seinen entsprechenden Arbeitsstab behält.

Daneben gilt es, auch in Hamburg ein entsprechendes Verbandsklagerecht einzuführen. Des Weiteren müssen wir einen Landesbehindertenbeirat einsetzen, der aber auf keinen Fall die wertvolle Arbeit der Landesarbeitsgemeinschaft beeinträchtigen soll. Diese Landesarbeitsgemeinschaft muss in dieser Form weiterbestehen. Dafür kämpfen wir Sozialdemokraten.

(Beifall bei der SPD)

Sie wissen auch, dass der Bundesgesetzgeber das neue Instrument der Zielvereinbarung eingeführt hat, ein sicherlich flexibles und zum Teil auch sehr sinnvolles Instrument. Aber wir sagen auch ganz deutlich, dass der Staat aufgrund dieser neuen Zielvereinbarung, dieser neuen Möglichkeit, nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden darf.

(Beifall bei der SPD)

Trotz des Angebotes zur Zusammenarbeit können wir aber nicht all das, was in den letzten Monaten in dieser Stadt geschehen beziehungsweise nicht geschehen ist, kritiklos stehen lassen. Da meine ich insbesondere, dass der Bürgerschaft nicht vor der entscheidenden Bundesratsabstimmung mitgeteilt worden ist, wie sich Hamburg verhalten wird. Das kann nicht angehen. Hier muss der Bürgerschaft zukünftig offen Auskunft gegeben werden.

(Beifall bei der SPD – Jürgen Klimke CDU: Wie in der Vergangenheit!)

Ja, wie in der Vergangenheit.

Politisch völlig inakzeptabel ist allerdings die Tatsache, dass Hamburg dem Bundesgleichstellungsgesetz nicht zugestimmt hat, denn Hamburg ist der Abstimmung ferngeblieben.

(Michael Neumann und Petra Brinkmann, beide SPD: Unglaublich!)

Sie haben, Frau Senatorin, die Chance verpasst, den Menschen in dieser Stadt ganz deutlich zu sagen: Ja, wir in Hamburg sind für mehr Selbstbestimmung, ja, wir in Hamburg sind für Chancengleichheit. Das ist völlig inakzeptabel.

(Beifall bei der SPD)

Es reicht nicht aus, dass Sie ankündigen, letztendlich die Behindertenpolitik zu einem Schwerpunkt machen zu wollen. Ankündigungen alleine ersetzen kein politisches Handeln.

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Da kennen Sie sich ja aus!)

Sie ersetzen nicht die fehlende Beteiligung von Sehbehinderten und Blinden bei der Einführung des grünen Pfeils und sie ersetzen auch nicht fehlende Finanzmittel für die LAG, die monatelang um ihren Fortbestand bangen musste und erst jetzt, wenige Tage vor dem drohenden Aus, von Ihnen eine mündliche Zusage erhalten hat. Sie ersetzen auch nicht die mittlerweile verschlechterten Bildungschancen der Schüler der Berufsvorbereitungsschule Uferstraße. Hier muss sich etwas ändern und ich hoffe, dazu sind Sie bereit.

Trotz dieser Kritik stehen wir Sozialdemokraten, sehr geehrte Frau Senatorin und liebe Regierungsfraktionen, bereit, um mit Ihnen gemeinsam an einem Landesgleichstellungsgesetz zu arbeiten. Es sollte unser aller Bestreben sein, analog dem Bundestag einen breiten, fraktionsübergreifenden Konsens in dieser Angelegenheit zu erzielen, für mehr Teilhabe, für mehr Selbstbestimmung, für mehr Chancen für Menschen mit Behinderung. Wir Sozialdemokraten stehen dafür bereit.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Herr Schira.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kienscherf, gerade in diesen wichtigen Fragen, was behinderte Mitmenschen in Hamburg angeht – das haben wir auch in all den Jahren in der Bürgerschaft bewiesen –, werden wir sicherlich zu tragfähigen Kompromissen im Hause kommen. Auf das bisschen Wahlkampfpolemik möchte ich jetzt nicht eingehen. Wichtig ist, dass vor wenigen Tagen der Bundestag mit übergroßer Mehrheit das Gleichstellungsgesetz für behinderte Menschen verabschiedet hat, das zum 1. Mai in Kraft getreten ist. Sie und die GAL haben für die heutige Sitzung einen Gesetzentwurf respektive ein Eckpunktepapier vorgelegt. Wir sollten sowohl Ihre als auch die von uns kommenden Vorschläge sowie die Gesetzesinitiative des Senates in einem Paket verhandeln und sorgfältig im zuständigen Fachausschuss diskutieren. Die Hamburger Initiativen, die dann kommen, stehen ja im unmittelbaren Zusammenhang mit dem neuen Bundesgesetz. Deshalb möchte ich einiges zu diesem neuen Bundesgesetz sagen.

Ich glaube, in erster Linie – da denke ich, sind wir uns auch einig – erfolgt die Bewährung des Gleichstellungsgesetzes dann in der Praxis.

Zu den Themen Barrierefreiheit, Gebärdendolmetscher im Verwaltungsverfahren, Wahlschablonen für Sehbehinderte möchte ich daran erinnern, dass insbesondere die CDU durch meine Vorgängerin Antje Blumenthal im Sozialausschuss massiv dafür gekämpft hat. Es gab da auch großen Konsens bei allen Fraktionen.

Interessant fand ich, dass die Bundesregierung in ihrer finanzpolitischen Begründung für dieses Gesetz geschrieben hat:

„Die dem Bund durch die Regelung des Gesetzes entstandenen Mehrausgaben werden unter Berücksichtigung der finanzpolitischen Leitlinien der Bundesregierung innerhalb der betroffenen Einzelpläne erwirtschaftet.“

Mir fiel dann der angedrohte blaue Brief aus Brüssel an Herrn Eichel ein und da schwant mir eigentlich nichts

(Dirk Kienscherf SPD)

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Gutes, was das Finanzielle angeht. Wenn man will, dass Länder, Städte und Gemeinden mehr in Barrierefreiheit investieren, dann muss man in allererster Linie in Berlin, also auf Bundesebene, den finanziellen Rahmen dafür schaffen. Ich finde, das ist der rotgrünen Bundesregierung trotz Ankündigung wahrlich nicht gelungen in den letzten Jahren.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Ich möchte einen weiteren Nachteil des Bundesgesetzes aufzählen. Ich finde, dass diese Art Regelung eine Art Teilgesetz ist. Wichtige Aspekte der Gleichstellung, wie Fragen der Geschäftsfähigkeit, Diskriminierung im Miet- und Arbeitsrecht, wurden von vornherein ausgeklammert. Diese Sachverhalte sollen jetzt in einem eigenen Antidiskriminierungsgesetz gesondert geregelt werden. Ich bin der Meinung, dass es besser gewesen wäre, beide Gesetze zusammen zu beraten.