Protocol of the Session on July 3, 2014

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Dann lasse ich nun über den FDP-Antrag aus der Drucksache 20/12195 in der Sache abstimmen.

Wer diesen annehmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist mit Mehrheit abgelehnt.

Wir kommen zum Punkt 54, Drucksache 20/12168, Antrag der Fraktion DIE LINKE: Tempo bei der Gleichstellung – Hamburg braucht ein unabhängiges Landesbüro für Geschlechterdemokratie.

(Schriftführerin Karin Timmermann SPD stürzt auf dem Präsidiumspodium.)

Ich unterbreche die Sitzung für einen Moment.

Unterbrechung: 17.00 Uhr

Wiederbeginn: 17.04 Uhr

Ich denke, Sie können Ihre Plätze wieder einnehmen. Ich fange noch einmal an.

Wir sind beim Punkt 54, Drucksache 20/12168, Antrag der Fraktion DIE LINKE: Tempo bei der Gleichstellung – Hamburg braucht ein unabhängiges Landesbüro für Geschlechterdemokratie.

[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Tempo bei der Gleichstellung – Hamburg braucht ein unabhängiges Landesbüro für Geschlechterdemokratie – Drs 20/12168 –]

Die Fraktion DIE LINKE möchte diese Drucksache an den Ausschuss für Justiz, Datenschutz und Gleichstellung überweisen.

Wird das Wort gewünscht? – Frau Artus von der Fraktion DIE LINKE hat es.

(Norbert Hackbusch)

Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen! Ich versuche einmal, die Rede trotz dieser Umstände zu halten.

Es wird Zeit, dass die Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter an Fahrt aufnimmt. Die Gesellschaft soll nicht noch hundert weitere Jahre warten, bis die verfassungsgemäßen Menschenrechte der Frauen auch im Alltag umgesetzt sind. Frauen haben ein Recht auf die Hälfte der Macht, die Hälfte des Geldes, kurz gesagt, auf die halbe Welt und nicht nur auf 22 Prozent davon.

(Beifall bei der LINKEN und bei Anne Kri- schok [SPD])

Es ist in den vergangenen Monaten einiges in Bewegung gekommen. DIE LINKE hat das Gleichstellungspolitische Rahmenprogramm konstruktiv begleitet, aber auch kritisch. Mit 22 Schriftlichen Kleinen Anfragen und zwei Großen Anfragen haben wir es durchleuchtet und auf seine Praxistauglichkeit geprüft. Die Stichproben umfassten unter anderem die Vergabe von Frauennamen für Verkehrsflächen, politische Bildungsmaterialien für Erstwählerinnen und Erstwähler, abgeschlossene Ausbildungsverträge im Verhältnis Mädchen/Jungen beziehungsweise Frauen und Männer, Beförderungen von Medizinerinnen am UKE oder auch die Teilzeitbeschäftigung von Männern im öffentlichen Dienst. Systematisch haben wir den Stand der Umsetzung der 162 Maßnahmen, die im Gleichstellungspolitischen Rahmenprogramm gelistet sind, abgefragt. Das war auch gut so, denn wir mussten feststellen, dass in dem Programm neben wenigen handfesten Vorhaben eine Menge Prosa enthalten ist.

Wir haben auch festgestellt, dass der Senat seine eigene Geschäftsordnung nicht ernst nimmt. Es wird längst nicht jede Drucksache auf gleichstellungspolitische Belange hin überprüft, wie das die Geschäftsordnung vorschreibt. Das hat zur Folge, dass zentrale Strategiepapiere wie zum Beispiel das Rahmenkonzept Medienkompetenzförderung, aber auch die Dekadenstrategie Sport geschlechterblind sind. Vorangekommen sind wir mit dem Gender Budgeting und dem Gleichstellungsgesetz sowie dem Gremienbesetzungsgesetz. Diese Maßnahmen werden sich in den kommenden Jahren positiv auswirken, wenn auch viel zu langsam. Ob sie aber auch strukturell etwas verändern werden, wird erst die Zeit zeigen. Allerdings sei die Frage gestattet, warum die Investitions- und Förderbank – immerhin in dieser Wahlperiode unter SPD-Führung entstanden – in ihrem Vorstand nur Männer hat und selbst dem zwölfköpfigen Verwaltungsrat nur zwei Frauen angehören. Glaubwürdigkeit sieht anders aus, verehrte SPD-Fraktion.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE)

Es kann so nicht weitergehen – nicht in diesem Tempo und nicht mit diesem gleichstellungspolitisch defizitären Ansatz. An gutem Willen mangelt es übrigens nicht, vielleicht in einigen Bezirken. Zum Beispiel in Bergedorf, wo die Mehrheit des Hauptausschusses der Meinung war, die Benennung weiterer Straßen nach Frauen sei unnütz, weil die Straßen eines ganzen Stadtteils doch schon nach Frauen benannt seien. Dabei sind es in Bergedorf insgesamt auch nur 10 Prozent.

Wenn es denn nur um Straßennamen ginge – das ist wirklich nur ein Indiz. Wir müssen tiefer gehen, um den in der Gesellschaft tief verankerten Sexismus zu begreifen, um ihn anzugreifen und systematisch zu bekämpfen. Und dafür, verehrte Abgeordnete, sehr geehrte Mitglieder des Senats, reicht das Gleichstellungspolitische Rahmenprogramm nicht aus.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Elitenforschung hat es vielfach dokumentiert. Nicht nur Frauen, auch fremde und benachteiligte Kulturen haben Probleme mit der Teilhabe an der Macht. Der Internetkonzern Google beispielsweise veröffentlichte in seinem Diversity-Bericht im Mai dieses Jahres, dass er nur zwei Prozent schwarze Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Die Entscheiderklasse rekrutiert ihren Nachwuchs immer wieder aus ihren eigenen Reihen, ihrer selbst erlebten Sozialisation. Daher reicht es nicht aus, immer nur auf die biologischen Unterschiede hinzuweisen. Es sind vielmehr tief verankerte Prägungen.

Ein weiteres Beispiel: Der vor Kurzem entlassenen Chefredakteurin der "New York Times", Jill Abramson, wurde vorgeworfen, ihr Führungsstil sei autoritär und sie hätte zu viel Gehalt gefordert. Das hat zwar in den USA erst vor wenigen Wochen eine Sexismus-Debatte ausgelöst, aber es zeigt die Unterschiede auf. Einem Mann hätte man solche Verhaltensweisen natürlich durchgehen lassen. Es wäre undenkbar, dass beispielsweise ein Hartmut Mehdorn wegen seines bekanntermaßen ruppigen Führungsstils scheitert. Im Gegenteil, der Hauptmann der Luftwaffe wechselt seit Mitte der 1990er Jahre von Managementjob zu Managementjob. Ob er erfolgreich ist, ist die zweite Frage, aber deswegen stürzt er nicht.

(Olaf Ohlsen CDU: Leistung!)

Sehr geehrte Abgeordnete! Eine Bundeskanzlerin oder auch ein schwarzer US-Präsident sind noch keine wirklichen Indizien für eine Neuverteilung der Macht. Sie sind Indizien dafür, dass die Quotendiskussion und auch die Maßnahmen zu Affirmative Action, also die gezielte positive Diskriminierung, wofür es in den USA ein richtiges Programm gibt, Wirkung zeigen. Aber, wie gesagt, es geht zu langsam voran, und Rückschläge sind nicht ausgeschlossen. Oder glauben Sie daran, dass in den

nächsten zwei Jahren die Hamburger Bezirksamtsleitungen mit zwei oder drei weiteren Frauen besetzt werden oder dass die lukrativen Staatsräteposten künftig gleichberechtigt aufgeteilt werden?

(Heike Sudmann DIE LINKE: Das kann man ja im Februar ändern!)

Selbst wenn, der tiefsitzende Sexismus hält Millionen Frauen in lebenslanger Abhängigkeit. Das liegt vor allem an ihrer ökonomischen Unselbstständigkeit. Selbst bei den Mindestlöhnen werden sie benachteiligt. Der Bundestag hat heute den gesetzlichen Mindestlohn beschlossen, wenn auch mit seinen empörend vielen Ausnahmeregelungen,

(Katja Suding FDP: Viel zu wenig!)

und davon sind vor allem Frauen betroffen, verehrte Abgeordnete. Auch die Branchenmindestlöhne neigen sich je nach Geschlecht. Im Bauhauptgewerbe beträgt der Mindestlohn 13,50 Euro und in der Pflege 8,50 Euro. Welcher Job ist härter, frage ich Sie. Welcher Job erfordert mehr Qualifikation, und welcher Job ist eigentlich mehr wert?

(Wolfgang Rose SPD: Wie kommen eigent- lich Löhne zustande?)

Wir schlagen Ihnen heute ein neues Instrument vor, um das Erreichen der Ziele, die wir in der Bürgerschaft überwiegend, so glaube ich, gemeinsam teilen, zu beschleunigen. Ein unabhängiges Landesbüro für Geschlechterdemokratie kann und wird Tempo in die Sache bringen. Es bezieht alle relevanten Kräfte ein, es befördert den gesellschaftlichen Diskurs, vor allem, weil es Mehrfachdiskriminierungen mitdenken soll. Das soziale Geschlecht entwickelt sich nicht nur auf Basis von Frau und Mann, sondern Aspekte wie Migration, sexuelle Orientierung, Behinderung, Alter und auch Einkommen gehören dazu.

Das Landesbüro für Geschlechterdemokratie soll beobachten, bewerten, entwickeln und Impulse geben. Es soll Korrekturen anstoßen. Wir meinen, dass mit den derzeitigen Strukturen des Gleichstellungsreferats in der Justiz- und Gleichstellungsbehörde das bei aller Wertschätzung für die Arbeit, die die Kolleginnen und Kollegen dort verrichten, und bei allem Engagement für die Sache nicht gewährleistet ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir schlagen Ihnen heute ein umfassendes, sehr weit ausformuliertes Konzept vor, das es lohnt, näher betrachtet zu werden, das gern auch weiterentwickelt werden kann und soll. Daher würden wir uns über eine Überweisung an den Fachausschuss freuen.

Verehrte Abgeordnete! Wenn mein fünf Monate alter Enkel einmal groß ist, dann soll er Frauen auf allen Ebenen der Gesellschaft und des Staats als gleichberechtigt erleben und wahrnehmen, und er

soll selbst seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechend seine Individualität ausleben dürfen. Das soll nicht vom Geldbeutel abhängig sein und nicht von dem Milieu, in dem er aufwächst. Tempo bei der Gleichstellung, das sind wir der nächsten Generation schuldig. Wir sollten alles dafür tun, dass Sexismus in dieser Gesellschaft keine Chance mehr hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Frau Dobusch von der SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich versuche zu antworten. Das ist notwendig, obwohl mir von eben wirklich noch ein bisschen mulmig ist.

Sehr geehrte Frau Artus! Normalerweise liegen wir bei diesem Thema gar nicht sonderlich weit auseinander, aber in diesem Fall klafft zwischen unseren Einschätzungen wirklich eine gewaltige Kluft. Das bezieht sich vor allen Dingen auf die Bewertung der aktuellen Situation. Es wird Sie nicht überraschen, wenn ich Ihnen sage, dass wir aus unserer Sicht die systemischen Veränderungen, die Sie mit diesem Antrag anregen, mit dem Gleichstellungspolitischen Rahmenprogramm bereits eingeleitet haben. Ich führe das noch weiter aus und hoffe, dass ich Sie damit ein Stück weit überzeugen kann.

(Beifall bei der SPD)

Wir hatten in unserem Regierungsprogramm bereits angekündigt, dass wir die Durchsetzung der tatsächlichen Gleichstellung von Männern und Frauen zu einem Reformprojekt in dieser Legislaturperiode machen würden, und wir haben uns sofort daran gemacht, dieses Versprechen auch einzulösen. Zum ersten Mal hat Hamburg dafür eine Behörde, die heißt nun Justiz- und Gleichstellungsbehörde. Wir haben also nicht nur ein Amt, eine irgendwie geartete Stelle, etwas Untergeordnetes, sondern eine Behörde, die sich dieses Themas annimmt.

(Beifall bei der SPD)

Diese Behörde hat sich sofort an die Arbeit gemacht und hat in Zusammenarbeit mit sämtlichen Fachbehörden dieses Gleichstellungspolitische Programm, das ich eben bereits erwähnt habe, ausgearbeitet. Zum ersten Mal ist es damit gelungen, das Thema Gleichstellung als Querschnittsthema ernst zu nehmen und tatsächlich in diesen einzelnen Fachbehörden auch zu verankern. Frau Artus, Sie haben es bereits erwähnt, wir beide sind diejenigen, die mitverfolgen konnten, was es bewirkt hat, was meine Fraktion auf den Weg gebracht hat. Dieses Rahmenprogramm wurde durch alle Ausschüsse gejagt und wir konnten tatsächlich erleben, wie überall darüber debattiert und das

(Kersten Artus)

Thema Gleichstellung in den einzelnen Bereichen durchdekliniert wurde. Es kann Ihnen also nicht entgangen sein, welchen maßgeblichen Schritt dies in Richtung Implementierung von Gender Mainstreaming in Hamburg bedeutet. Ich sage ausdrücklich, das hat natürlich gar nichts damit zu tun, dass die Sensibilisierungsgrade in den einzelnen Fachbereichen höchst unterschiedlich ausfallen. Das ist so, das Ganze ist als Prozess angelegt, und als solchen werden wir ihn verfolgen und verstehen wir ihn.

Vielleicht zur Erinnerung: Gender Mainstreaming, also die Implementierung der Geschlechterperspektive auf allen Ebenen politisch-administrativen Handelns, war das, was uns die Weltfrauenkonferenz 1985 mit auf den Weg gegeben hat. Das ist die Strategie, die es sein sollte, und sie wurde von der EU im Amsterdamer Vertrag 1999 festgelegt. Ich darf noch einmal zitieren:

"[…] in jedem Politikbereich und auf allen Ebenen [sollen] die [unterschiedlichen] Ausgangsbedingungen und Auswirkungen auf die Geschlechter berücksichtigt werden, um auf das Ziel einer tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern hinwirken zu können. Dieser Prozess soll Bestandteil des normalen Handlungsmusters aller Ressorts und Organisationen werden, die an politischen Entscheidungsprozessen beteiligt sind."