Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 123. Sitzung im 40. Tagungsabschnitt des Niedersächsischen Landtages der 16. Wahlperiode.
Zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit den Dringlichen Anfragen. Danach behandeln wir im Rahmen der Haushaltsberatung den Einzelplan „Wissenschaft und Kultur“. Nach der Mittagspause beraten wir die Einzelpläne „Wirtschaft, Arbeit und Verkehr“, „Justiz“, „Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung“ sowie „Umwelt und Klimaschutz“.
- Ich will die Gespräche in den Fraktionen jetzt nicht stören. - Die heutige Sitzung soll gegen 20.15 Uhr enden.
Bitte geben Sie Ihre Reden bis spätestens morgen Mittag, 12 Uhr, an den Stenografischen Dienst zurück.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es haben sich entschuldigt von der Landesregierung der Ministerpräsident, Herr McAllister, von 16 Uhr bis ca. 17.30 Uhr, der Minister für Umwelt- und Klimaschutz, Herr Sander, der Minister für Inneres und Sport, Herr Schünemann, und der Kultusminister, Herr Dr. Althusmann. Von der Fraktion der SPD haben sich entschuldigt Herr Meyer, Herr Will und Frau Schröder-Ehlers, von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Polat ab 15 Uhr und von der Fraktion DIE LINKE Frau Reichwaldt und Herr Adler bis zur Mittagspause.
Es liegen drei Dringliche Anfragen vor. Die für die Behandlung Dringlicher Anfragen geltenden Geschäftsordnungsbestimmungen sind sicherlich bekannt. Der Hinweis, dass keine einleitenden Bemerkungen zu den Zusatzfragen zulässig sind, erübrigt sich eigentlich. Aber ich glaube, dennoch müssen wir immer wieder darauf hinweisen. Um dem Präsidium den Überblick zu erleichtern, bitte ich Sie, dass Sie sich schriftlich zu Wort melden.
Gefahr aus dem Stall: Immer mehr Menschen erkranken an resistenten Keimen - Was tut die Landesregierung? - Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/4247
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Deutschland erkranken jährlich schätzungsweise 500 000 bis 1 Million Menschen im Krankenhaus an Infektionen. Schätzungen gehen davon aus, dass 7 500 bis 40 000 Menschen an diesen Infektionen sterben. Insbesondere für Ältere oder schwer kranke Patientinnen und Patienten verdoppelt sich das Sterberisiko durch eine solche nosokomiale Infektion. Insgesamt verursachen diese Infektionen - neben dem Leid für die Betroffenen - jährlich rund 2,5 Millionen Euro an zusätzlichen Kosten und 1 Million zusätzliche Krankenhaustage.
Drei Viertel der Erreger werden von den Patienten bereits bei der Aufnahme ins Krankenhaus mitgebracht, aber oft nicht erkannt. Andere Erreger werden innerhalb des Krankenhauses - oft durch unzureichende Hygienemaßnahmen - übertragen. Die Weltgesundheitsorganisation und das RobertKoch-Institut gehen davon aus, dass sich rund ein Drittel dieser erworbenen Infektionen durch bessere Präventionsmaßnahmen verhindern ließe.
Nosokomiale Infektionen werden häufig durch Bakterien verursacht, die gegen die meisten Antibiotika resistent sind. Der häufigste dieser multiresistenten Keime ist der Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA), der lebensgefährliche Infektionen auslösen kann. Daneben gibt es weitere multiresistente Erreger wie Vancomycinresistente Enterokokken (VRE) oder Extendedspectrum-beta-lactamase-bildende Darmbakterien
(ESBL) , die in den letzten Jahren stark zugenommen haben und lebensgefährliche Infektionen auslösen können, ohne dass es eine wirksame Behandlungsmöglichkeit gibt.
Grund für die starke Zunahme der Erreger sind unzureichende Präventionsmaßnahmen und die Nichtbeachtung von Hygienestandards. Das in den Richtlinien der KRINKO empfohlene Screening von Risikopatientinnen und -patienten wird ebenso wenig konsequent durchgeführt wie die Isolierung von Patienten oder andere Schutzmaßnahmen. Zudem gibt es keine einheitlichen Richtlinien zur MRSA-Therapie.
Eine Ursache für die Zunahme multiresistenter Erreger ist der übermäßige und falsche Gebrauch von Antibiotika sowohl in der ambulanten als auch in der stationären Versorgung. In Deutschland werden jährlich 250 bis 300 t Antibiotika verschrieben, 75 % davon im ambulanten Bereich. Oft liegt eine Indikation nicht vor, z. B. bei virusbedingten Erkältungskrankheiten. Die Zahl der wenigen Reserveantibiotika, die auch bei resistenten Erregern noch wirkt, sinkt. Bereits heute werden diese Reserveantibiotika in 50 % der Behandlungsfälle eingesetzt.
Ein Zusammenhang mit der Massentierhaltung ist seit Langem evident. So werden bei der Hühner-, Schweine-, Puten- und Rindermast flächendeckend Antibiotika eingesetzt. Laut einer Untersuchung des Landesgesundheitsamtes in 34 niedersächsischen Krankenhäusern stammten im Mai 22 % der resistenten Keime aus dem Veterinärbereich.
Laut einer neueren Studie der Universität Utrecht treten antibiotikaresistente Bakterienstämme noch in 1 km Entfernung von Mastanlagen in der Außenluft auf und gefährden damit Anlieger und Mitarbeiter erheblich.
Sowohl die Bundesärztekammer als auch der Europäische Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz, John Dalli, fordern eine massive Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes in der Massentierhaltung.
1. Wie beurteilt die Landesregierung die Gefahren, die von multiresistenten Keimen in Krankenhäusern ausgehen, und welche Daten, speziell auch aus Niedersachsen, liegen ihr dazu vor?
2. Welche Maßnahmen hält die Landesregierung für angezeigt, um die Ausbreitung multiresistenter Keime einzudämmen?
3. Welche Bedeutung misst die Landesregierung in diesem Zusammenhang dem ungezielten Einsatz von Antibiotika insbesondere in der Massentierhaltung in Niedersachsen bei?
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist nicht das erste Mal, dass die Landesregierung den Landtag über die Maßnahmen gegen Antibiotikaresistenzen informiert. Erst im November-Plenum hatten wir ausführlich über die Initiativen im Veterinärbereich debattiert.
Vorweg: Seien Sie versichert - die Landesregierung nimmt das Thema resistenter Erreger sehr ernst und hat daher bereits zahlreiche Schritte unternommen und Maßnahmen eingeleitet, um die weitere Zunahme von Infektionen durch solche Erreger zu verhindern.
Lassen Sie mich zum besseren Verständnis zunächst den Begriff der Antibiotikaresistenz kurz erläutern: Bakterien sind in der Lage, bei Einsatz von zunächst wirksamen Antibiotika Mechanismen aufzubauen, sodass diese nicht mehr wirken. Resistenzen bilden sich über komplexe genetische Veränderungen und werden auf unterschiedliche Faktoren zurückgeführt. Unter dem Einfluss von Antibiotika haben resistente Bakterien einen Selektionsvorteil und können sich entsprechend vermehren. Wichtig ist daher eine zielgerichtete Antibiotikatherapie, um den natürlichen Prozess der Resistenzbildung zu begrenzen.
Bei der Entwicklung von Antibiotikaresistenzen handelt es sich um komplexe, multikausale Zusammenhänge. Deshalb setzen wir auf eine nachhaltige Strategie. Unsere Initiativen sind in internationale und nationale Strategien eingebunden. So
beteiligt sich Niedersachsen am EU-Projekt Euregionales Netzwerk für Patientensicherheit und Infektionsschutz, EurSafety Health-Net. Dabei setzen wir insbesondere auf die fachliche Begleitung durch das Landesgesundheitsamt. Hier steht Expertenwissen zur Mikrobiologie mit Laborkompetenz und Expertenwissen über Krankenhaushygiene und Epidemiologie zur Verfügung. Diese Kompetenz ist im Ländervergleich in dieser Ausprägung neben Bayern einmalig. Das Landesgesundheitsamt unterstützt den öffentlichen Gesundheitsdienst, Einrichtungen des Gesundheitswesens, Krankenhäuser und ambulante Einrichtungen sowie Pflegeeinrichtungen. Es arbeitet eng mit niedergelassenen Laboratorien zusammen und bildet auch hier Qualitätsverbünde.
Diese Kooperationen und die fachliche Begleitung durch das Landesgesundheitsamt sind wesentliche Säulen der niedersächsischen Strategie gegen therapieassoziierte Infektionen und Antibiotikaresistenzen, wie sie bereits im Februar 2009 vorgestellt und in der Landtagsdrucksache 16/3596 ausführlich dargestellt wurde.
Die unterschiedlichen Initiativen laufen nachhaltig weiter. Sie umfassen im Wesentlichen erstens die Verbesserung der Rahmenbedingungen, zweitens die Stärkung der Surveillance, drittens Maßnahmen der Prävention und Kontrolle sowie viertens Fortbildung, Information und Kommunikation.
Hinsichtlich der Rahmenbedingungen hat der Bundesgesetzgeber zwischenzeitlich, nicht zuletzt nach Aufforderung durch die Bundesländer, das Infektionsschutzgesetz in Bezug auf Antibiotikaresistenzen und nosokomiale Infektionen angepasst. Die Bestimmungen sind am 4. August 2011 in Kraft getreten. Die Änderungen betreffen u. a. die Verbindlichkeit von Empfehlungen zur Hygiene, die fachliche Begleitung von Antibiotikatherapie und die stärkere Einbindung des ambulanten Sektors durch die Kostenerstattung bei ScreeningUntersuchungen und Therapie.
Außerdem hat der Bundesgesetzgeber der Landesregierung aufgegeben, bis zum 31. März 2012 eine Hygieneverordnung für medizinische Einrichtungen, also nicht nur für Krankenhäuser, zu erlassen. Darin müssen die jeweils erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung, Erkennung, Erfassung und Bekämpfung von nosokomialen Infektionen und Krankheitserregern mit Resistenzen geregelt werden. Dies ist ein weiterer Baustein, mit dem die Rahmenbedingungen verbessert werden. Wir erhoffen uns dadurch einen deutlichen Qualitäts
Mit unseren bereits eingeleiteten Maßnahmen und unserer Strategie befinden wir uns im Wesentlichen im Einklang mit dem aktuellen Aktionsplan der EU vom 15. November 2011 zur Abwehr der steigenden Gefahr der Antibiotikaresistenz, wie er aktuell dem Bundesrat zur Stellungnahme vorgelegt wurde.
Zu Frage 1: Die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen ist eine der größten Herausforderungen für die Medizin im Bereich der Infektionskrankheiten - nicht nur in Niedersachsen, sondern weltweit. Die Landesregierung nimmt die Gefahren, die von multiresistenten Erregern ausgehen, ernst. Die langfristige Beobachtung der Entwicklung über eine geeignete Surveillance ist dabei ein wichtiges Kontrollinstrument und Teil der niedersächsischen Strategie. Das Vorhaben eines Antibiotika-Resistenz-Monitoring in Niedersachsen, kurz ARMIN, wird weiterentwickelt. In Kooperation mit niedergelassenen Laboratorien werden Resistenzen standardisiert erfasst und der Öffentlichkeit über Internet zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig fungiert der Austausch unter den Laboren als Qualitätszirkel.
Mit diesem System erreichen wir eine hohe Abdeckung und können Aussagen zum Auftreten von Resistenzen im stationären und ambulanten Sektor machen. Daten stehen für den Zeitraum von 2006 bis 2010 zur Verfügung. Dabei werden 14 Erreger und Resistenzen von insgesamt 24 Antibiotika ausgewiesen, getrennt für den ambulanten und stationären Bereich. Anhand dieser Daten können behandelnde Ärztinnen und Ärzte entscheiden, welches Antibiotikum am besten eingesetzt werden sollte. Auffällig dabei ist, dass im ambulanten Bereich Antibiotikaresistenzen seltener zu beobachten sind.
Darüber hinaus hatte ich Ihnen im letzten Plenum bereits die ersten noch vorläufigen Ergebnisse der MRSA-Screenings im Rahmen des zitierten EUProjekts vorgestellt. Innerhalb von fünf Tagen, vom 23. bis 27. Mai 2011, wurden in 34 Krankenhäusern in 14 Städten und Landkreisen 86 % aller aufgenommenen Patienten auf MRSA untersucht. Dies waren etwa 4 900 Patientinnen und Patienten. Ich nenne noch einmal die Kommunen: Landkreis Ammerland, Landkreis Aurich, Landkreis Cloppenburg, Landkreis Emsland, Landkreis Friesland, Landkreis Grafschaft Bentheim, Landkreis
Leer, Landkreis Wittmund, Stadt Emden, Stadt Oldenburg, Landkreis Vechta, Landkreis Wesermarsch und Stadt Wilhelmshaven sowie die Stadt Delmenhorst. Bei 2,67 % der Untersuchten, also bei 131 Patienten, konnte MRSA nachgewiesen werden. Durch die Typisierung der Erreger wurde festgestellt, dass 22 % dieser Fälle aus dem Veterinärbereich stammten.
Um Missverständnissen vorzubeugen, weise ich darauf hin, dass sich die 22 % nur auf die 2,67 % der positiv getesteten Patienten beziehen. Von den knapp 5 000 Patienten waren also 27 Patientinnen und Patienten mit MRSA aus dem Veterinärbereich besiedelt.