Protocol of the Session on January 21, 2004

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Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie sehr herzlich und eröffne die 39. Tagung des Landtages. Das Haus ist ordnungsgemäß einberufen und beschlussfähig. Erkrankt sind Herr Abgeordneter Jensen-Nissen und Frau Ministerin Heide Moser. Ich wünsche in Ihrem Namen gute Genesung.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen eine Aufstellung der im Ältestenrat vereinbarten Redezeiten übermittelt. Der Ältestenrat hat sich darauf verständigt, die Tagesordnung in der ausgedruckten Reihenfolge mit folgenden Maßgaben zu behandeln: Zu den Tagesordnungspunkten 3, 4, 14, 22, 26 und 29 ist eine Aussprache nicht geplant. Nachträglich haben sich die Fraktionen darauf verständigt, Punkt 30 von der Tagesordnung abzusetzen. Tagesordnungspunkt 13 wurde von den Antragstellern zurückgezogen. Anträge zur Aktuellen Stunde und Fragen zur Fragestunde liegen nicht vor. Wann die einzelnen Tagesordnungspunkte voraussichtlich aufgerufen werden, ergibt sich aus der Ihnen vorliegenden Übersicht über die Reihenfolge der Beratung der 39. Tagung. Wir werden unter Einschluss einer zweistündigen Mittagspause jeweils längstens bis 18 Uhr tagen. Widerspruch höre ich nicht. Dann werden wir so verfahren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Frau Abgeordnete Kähler hat heute Geburtstag. Ich gratuliere ihr in Ihrem Namen sehr herzlich und wünsche ihr alles Gute.

(Beifall)

Vor Eintritt in die Tagesordnung begrüße ich Gäste. Auf der Tribüne haben Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte der Realschule Schenefeld, der Beruflichen Schulen am Ravensberg in Kiel sowie Mitglieder des Stabes der U-Boot-Flottille Eckernförde Platz genommen. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich sehe auch unseren ehemaligen Kollegen Dietrich Wiebe. - Ebenfalls herzlich willkommen!

(Beifall)

8018 Schleswig-Holsteinischer Landtag (15. WP) - 104. Sitzung - Mittwoch, 21. Januar 2004

(Präsident Heinz-Werner Arens)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Arbeitsmarktpolitik in Schleswig-Holstein

Große Anfrage der Fraktion der FDP Drucksache 15/2795

Antwort der Landesregierung Drucksache 15/3141

Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Zur Beantwort der Großen Anfrage erteile ich dem Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Herrn Dr. Rohwer, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Arbeitslosigkeit, aktuelle Arbeitslosigkeit, drohende Arbeitslosigkeit ist für die Menschen in Schleswig-Holstein, in Deutschland zurzeit sicherlich das drängendste, das gravierendste Problem überhaupt. Deswegen ist es gut, dass wir in diesem hohen Haus darüber beraten. Ich möchte mit einer Vorbemerkung beginnen.

Neue Perspektiven für Beschäftigung - um die geht es nämlich - werden wir, so wichtig Arbeitsmarktpolitik ist, mit ihr allein nicht schaffen können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das hängt schlicht damit zusammen, dass immer noch - das zeigt die Wirtschafts- und Arbeitsmarktgeschichte in Deutschland - die Mehrzahl der Arbeitsplätze durch Innovation, durch neue Wertschöpfung auf neuen Märkten mit neuen Produkten geschaffen wird, mit anderen Worten, mit Wachstum geschaffen wird. Wir müssen den Arbeitslosen erklären, dass wir neue Arbeitsplätze brauchen. In Deutschland fehlen Arbeitsplätze. Denjenigen, die im Moment in Deutschland oder in Schleswig-Holstein keine Perspektive haben, weil sie keinen Arbeitsplatz haben oder weil sie von Arbeitsplatzverlust bedroht sind, müssen wir zu allererst sagen, wie wir es schaffen, in Deutschland neue Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen und vorhandene zu erhalten.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage das deswegen, weil in den Debatten manchmal der Eindruck entsteht, dass wir mit einer guten, effizienten, vielleicht nicht hoch genug, aber doch immerhin beachtlich dotierten Arbeitsmarktpolitik die Probleme unserer Beschäftigungssituation lösen könnten. Nein, das ist nicht der Fall.

Wenn wir darüber debattieren, was es bedeutet, dass die Wachstumsschwelle zurzeit bei etwa 1,8 % Wirtschaftswachstum liegt, müssen wir uns darüber klar

sein, dass es einerseits darum gehen muss, über diese 1,8 % hinauszukommen, um dauerhaft Wachstum zu schaffen - das ist übrigens mehr als Konjunkturpolitik -, und dass es andererseits darum geht, die Schwelle von 1,8 oder 1,9 % - sie schwankt etwas - möglichst zu senken.

Wie kann man die Wachstumsschwelle senken? Man kann sie durch effiziente Arbeitsmarktpolitik geringfügig senken. Man kann sie dadurch senken, dass man den Niedriglohnsektor ausbaut. Das ist eine Maßnahme zur Senkung der Beschäftigungsschwelle.

Es gibt andere Maßnahmen zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die teilweise auf den Weg gebracht worden sind, die nicht nur Wachstum erhöhen, sondern auch die Beschäftigungsschwelle senken können. Das ist der Charme mancher Strukturreform, über die wir zum Teil diskutieren, die wir zum Teil auf den Weg gebracht haben - Hartz III, Hartz IV -, die zum Teil aber eben noch nicht realisiert worden ist.

Mir scheint diese Vorbemerkung deswegen wichtig zu sein, weil wir auch für Schleswig-Holstein nicht außer Acht lassen dürfen, was im Vorrang von Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik steht. Im Vorrang steht, unseren Standort auf dem Weg in eine verschärfte Wettbewerbssituation weiter fit zu machen - EU-Beitritt 2004.

Der Mittelstand in Schleswig-Holstein ist massiv bedroht durch Probleme bei der Kreditvergabe,

(Lothar Hay [SPD]: Richtig!)

durch schwierige Rahmenbedingungen. Das ist das Allerwichtigste für eine gute Arbeitsmarktpolitik, dem Mittelstand in Schleswig-Holstein wieder Perspektiven zu geben, ihm auch in schwierigen Zeiten bei der Finanzierung zu helfen, auch dann, wenn Insolvenzen drohen, die Eigenkapitalausstattung des Mittelstands zu verbessern, mit den Banken darüber zu sprechen, wie wir in Zusammenarbeit von privaten und öffentlichen Institutionen Kreditpakete schnüren können, dem Mittelstand zum Beispiel durch eine Steuerreform zu helfen. Wir müssen eine in Angriff nehmen, die zu einer echten Vereinfachung in Deutschland führt und gerade für den Mittelstand zu einer Vereinfachung führen muss. Er nämlich leidet unter den komplizierten Bedingungen genauso wie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die nicht wissen, wie sie Steuererklärungen ausfüllen sollen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist meine Überzeugung. Das ist auch das, was die Landesregierung wirtschaftspolitisch und beschäfti

Schleswig-Holsteinischer Landtag (15. WP) - 104. Sitzung - Mittwoch, 21. Januar 2004 8019

(Minister Dr. Bernd Rohwer)

gungspolitisch macht. Wir haben immer gesagt: Unsere Kernstrategie ist eine Wachstumsstrategie; eine Standortstrategie für Schleswig-Holstein. Eine Standortstrategie heißt, den Mittelstand in Schleswig-Holstein zu stärken, die Verkehrsinfrastruktur, die Wissensbildung und die Hochschulinfrastruktur auszubauen und Cluster in Zukunftsbranchen zu bilden. Dies bedeutet, dass wir in den Branchen, in denen wir stark sind, noch besser werden. Dazu zählen die Bereiche Gesundheitswirtschaft, Tourismus, neue Energien, Ernährungswirtschaft, Informations- und Kommunikationswirtschaft sowie Mikroelektronik. Das sind die Zukunftsbranchen, in denen wir in Schleswig-Holstein Chancen haben. Hier müssen wir die Clusterbildung verstärken. Im Übrigen sind damit hier und da regionale Konflikte verbunden, denn nicht alles kann überhall in Schleswig-Holstein entstehen. Clusterbildung heißt immer auch, regionale Schwerpunkte zu setzen.

Wir machen das, indem wir eine Mittelstandspolitik der kurzen Wege machen. Die Instrumente dazu haben wir hier diskutiert. In diesem Jahr werden wir dazu weitere Maßnahmen auf den Weg bringen. Ich nenne als Stichwort das Haus der Wirtschaft und die Zusammenführung der Wirtschaftsförderung. Indem wir die Schwerpunktbildung, die ich eben genannt habe, in der Technologiepolitik umsetzen, dienen wir dem Ziel. In der Technologieförderung werden genau auf diesen Cluster Schwerpunkte gesetzt, den ich eben genannt habe. Das gilt übrigens auch für die Forschungs- und Hochschulpolitik. Dort haben wir neue Lehrstühle und neue Forschungsinfrastrukturen eingerichtet und vieles mehr. In der Zusammenarbeit mit Hamburg setzen wir genau diese Strategie um. Wir setzen auch die Strategie um, die Verkehrsinfrastruktur zu verbessern und für qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in SchleswigHolstein alles zu tun, was uns möglich ist. Die Erfolge des letzen Jahres in der Ausbildungsbilanz geben uns bei dieser Strategie Recht.

(Beifall bei der SPD)

Diese Vorbemerkungen vorausgeschickt, komme ich zur Arbeitsmarktpolitik. Ich freue mich über die heutige Diskussion, denn wir sind uns darüber einig, dass die Arbeitsmarktpolitik die von mir genannte Strategie zwingend ergänzen muss, weil wir allein mit Wachstum und mit Strukturpolitik die Probleme auf dem Arbeitsmarkt nicht lösen können. Jetzt geht es um die Frage: Wie bewerten wir die bisherige Arbeitsmarktpolitik? Vor allem geht es mir - seitdem ich diesen Bereich übernommen habe - auch um die Frage: Wie können wir die Arbeitsmarktpolitik noch wirksamer und effizienter machen? Das ist für mich

eine Gratwanderung, das sage ich ganz offen. Diese Gratwanderung habe ich auch in Ihren Presseveröffentlichungen wahrgenommen.

Eine Arbeitsmarktpolitik allein nach Effizienzkriterien auszurichten, würde bedeuten, nur noch in den Bereichen zu fördern, in denen wir sehr hohe Vermittlungsquoten erreichen. Wo erreichen wir sehr hohe Vermittlungsquoten? Natürlich bei den sehr erfolgreichen Maßnahmen der Existenzgründung. Schleswig-Holstein lag in 2003 im Vergleich mit allen Flächenländern bei den Existenzgründungen wieder auf Platz eins. Wir haben gestern die Zahlen veröffentlicht. Das ist ein Erfolg für das Gründerland Schleswig-Holstein!

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Hier erreichen wir eine hohe Effizienz der Fördermaßnahmen. Ferner erreichen wir eine hohe Effizienz der Fördermaßnahmen bei direkten Förderungen. Allerdings erreichen wir dort auch hohe Mitnahmeeffekte. Wir erreichen eine vergleichsweise hohe Effizienz bei Qualifizierungsmaßnahmen, wenn sie unternehmens- und betriebsbezogen sind. Wir erreichen geringere Vermittlungsquoten bei allgemeinen Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik. Hierzu zählen Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung. Für Deutschland insgesamt gilt, dass wir nicht gut genug bei der Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen sind. Das ist eigentlich unser Problem. Dazwischen müssen wir eine Schere finden, und zwar zwischen der Konzentration unserer knappen Mittel auf effiziente Maßnahmen und unserer Verpflichtung, den schwer vermittelbaren Menschen Perspektiven zu schaffen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Wie verschafft man den schwer vermittelbaren Menschen Perspektiven? Das geschieht, indem man Geld dafür einsetzt, indem man auch bereit ist, Vermittlungsquoten von vielleicht nur 15 % zu akzeptieren, weil man sagen muss: Das ist besser als gar nichts. Die, die nicht sofort vermittelt werden, bekommen vielleicht im zweiten oder dritten Anlauf eine Perspektive und haben in der Zwischenzeit wieder Motivation für neue Maßnahmen. Das ist auch nicht zu verachten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Mir geht es darum, dass wir in der heutigen Debatte versuchen, beide Seiten zu sehen. Vielleicht erkennen Sie auch, dass die neuen Eckpunkte zur Arbeits

(Minister Dr. Bernd Rohwer)

marktpolitik, die ich vorgestellt habe, genau diese Gratwanderung versuchen.

Die Effizienz der Arbeitsmarktpolitik wird - ich hatte es eben gesagt - primär an den erreichten Eingliederungserfolgen gemessen. Arbeit für SchleswigHolstein 2000 hat die Besonderheit, dass von den insgesamt 35 Programmpunkten, die wir bekanntlich auf weniger Punkte zusammenfassen wollen, nur 15 der Richtlinien unmittelbar auf das Ziel der Vermittlung ausgerichtet sind. An den Maßnahmen dieser 15 Richtlinien haben in den Jahren 2000 bis August 2003 insgesamt knapp 29.000 Menschen teilgenommen. Rund 6.600 davon sind in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt worden. Das geschah unter schwierigen arbeitsmarktpolitischen Bedingungen, das muss man deutlich sagen. Ich hatte es vorhin gesagt: Es wird in schwierigen Zeiten immer schwieriger, Menschen zu vermitteln.

(Beifall bei der SPD)