Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie sehr herzlich und eröffne die Sitzung des Schleswig-Holsteinischen Landtages.
Ich habe zunächst zwei angenehme Pflichten: Zum einen kann ich Besucherinnen und Besucher begrüßen. Auf der Tribüne haben Schülerinnen und Schüler der Realschule im Hoffmann-von-Fallersleben-Schulzentrum in Lütjenburg sowie der Beruflichen Schulen am Ravensberg Kiel Platz genommen. - Herzlich willkommen!
Zum anderen will ich Ihnen mitteilen, dass es gelungen ist, am Beginn der Woche unter tatkräftiger Mitwirkung einer schleswig-holsteinischen Landtagsdelegation ein Parlamentsforum des Sejmik der Wojewodschaft Westpommern, des Landtages Mecklenburg-Vorpommern und des Schleswig-Holsteinischen Landtages zu begründen und daran auch die Duma Kaliningrad, ein Regionalparlament aus Schweden und ein Regionalparlament aus Dänemark zu beteiligen. Ich halte dies für wichtig, da es in der Zeit sich neu ausrichtender Kooperationsstrukturen im Ostseeraum für uns wichtig ist, dabei zu sein. Ich freue mich, dass dies gelungen ist.
Ich darf Ihnen weiter mitteilen, dass es gestern in einer bewegenden Festveranstaltung nach der Debatte, die wir hier im Landtag gehabt haben, und dem Willen aller Fraktionen, gelungen ist, in einem Festakt ein Partnerschaftsabkommen zwischen dem Sejmik der Wojewodschaft Westpommern und dem Landtag Schleswig-Holstein zu unterzeichnen. Ich denke, am Vorabend des Beitritts Polens zur Westeuropäischen Union ist dies ein Akt, den wir mit Genugtuung verzeichnen und auch mit Leben erfüllen wollen.
Bevor wir jetzt in den Ablauf der Sitzung einsteigen, gebe ich Ihnen noch bekannt, dass Frau Ministerin Moser und Herr Abgeordneter Schröder erkrankt sind. Ich wünsche von dieser Stelle gute Genesung.
Bericht über das Strategiepapier des Wirtschaftsministers „Wachstum und Beschäftigung für Schleswig-Holstein - Eckpunkte unserer wirtschaftlichen Strategie bis 2020“
Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Ich darf zunächst dem Herrn Minister für Wirtschaft das Wort erteilen. - Herr Professor Dr. Rohwer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich über die Gelegenheit, auch in diesem Hause einige Eckpunkte meines Strategiepapiers „Wachstum und Beschäftigung für Schleswig-Holstein“ vorstellen zu können, und ich freue mich besonders über das spezielle Interesse der CDU. Ich kann das nachvollziehen, denn eine vergleichbar umfassende und langfristige Strategie gibt es von der CDU nicht. Davon zeugen Ihre zahlreichen missglückten Anträge hier im Landtag zu Mobilcom, zu Motorola et cetera, davon zeugen Ihre Floskeln von der Entfesselung unserer Wirtschaft, ohne dass dahinter ein Konzept sichtbar würde, davon zeugt noch in der letzten Woche Ihr Zickzackkurs bei Themen wie der Bahnpolitik.
Worum geht es in dem Strategiepapier? Es geht erstens um eine Bestandsaufnahme: Wo steht der Wirtschaftsstandort Schleswig-Holstein? Was haben wir erreicht? Wo gibt es noch Defizite?
Zweitens geht es um die Frage: An welchen Stellen müssen wir unsere bisherige Strategie für Wachstum und Beschäftigung nachjustieren, um neuen Entwicklungen Rechnung zu tragen? Welche langfristigen Ziele müssen wir dabei über Legislaturperioden hinaus verfolgen?
Drittens: Welche konkreten Maßnahmen müssen wir dazu in Angriff nehmen, soweit das noch nicht geschehen ist?
Zur Bestandsaufnahme! Schleswig-Holstein hat sich seit 1991 bei einigen Indikatoren etwas besser, bei anderen etwas schlechter als der Durchschnitt der westdeutschen Länder entwickelt. Besser sind wir bei der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts pro Erwerbstätigen, bei den Neugründungen, beim Zufluss ausländischer Direktinvestitionen und bei der Schaffung neuer Ausbildungsplätze. Bei der Exportquote hat Schleswig-Holstein deutlich aufgeholt.
Ungünstiger als im Bundesschnitt entwickelte sich das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und die Beschäftigung.
Im Standortvergleich hat Schleswig-Holstein viele Stärken. Ich brauche sie hier nicht im Einzelnen aufzuzählen, sie sind in vielen Studien bestätigt: Arbeitskräfte, Kostenniveau, Nähe zum Ostseeraum, Infrastrukturausstattung, Wirtschaftsförderung, Gründerklima et cetera, aber es gibt ohne Frage auch strukturelle Nachteile. Auch das ist durch Studien nachgewiesen: die Entfernung zu vielen europäischen Zentren, der trotz starken Strukturwandels noch immer wenig wachstumsfreundliche Branchenmix, die niedrigere Forschungs- und Entwicklungsorientierung und, nicht zu vergessen, einige Sondereffekte, die uns in Schleswig-Holstein überdurchschnittlich belastet haben: 30.000 weniger Bundeswehrsoldaten in einem Zeitraum von 15 Jahren war nicht und ist nicht leicht zu verkraften. Die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Niedriglohnländer - Panasonic, Motorola und Danfoss sind traurige Beispiele - hat uns stark belastet, ferner der ruinöse Dumpingwettbewerb im Schiffbau, die Belastung der Ernährungswirtschaft durch BSE und last, not least auch das Fördergefälle Ost-West, das uns gerade in den Grenzregionen Richtung Ostdeutschland stark belastet.
Wenn Schleswig-Holstein trotz dieser Sonderbelastungen seinen Mittelplatz noch verteidigt, ist das zwar kein Grund zum Jubeln, aber Ausweis dafür, dass Wirtschaft und Politik in den letzten Jahren vielfach erfolgreich gegengesteuert und wichtige positive Entwicklungen eingeleitet haben. Das umfassendste Bundesländer-Ranking der Bertelsmann-Stiftung vom letzten Jahr bestätigt das. Unsere Wirtschaftspolitik setzt erfolgreich auf die Stärkung des Mittelstandes. Das sind alles Aussagen von Bertelsmann. Wir haben besonders gute Bedingungen für Gründer. Unsere Arbeitsmarktpolitik ist richtig ausgerichtet. Wir haben die richtigen technologischen Schwerpunkte, wir haben neue Wachstumsfelder wie Gesundheitswirtschaft entwickelt und wir haben besonders viele Ausbildungsplätze geschaffen. Diese Erfolge lassen wir uns von der Opposition auch nicht zerreden.
Wir können aber Wirtschaftspolitik auch nicht völlig autonom gestalten. Außerdem ist es gut, wenn man sich auf Eiderstedt auskennt und sich dort nicht verfährt, aber ab und zu müssen wir zur Kenntnis neh
Erstens. Wir sind ein Land des Mittelstands, wir müssen ein Land des Mittelstands bleiben. Wir haben Nachteile im Mittelstand. Wir haben vielfach darüber diskutiert: Finanzierung, Forschung und Entwicklung, Exportorientierung. Das heißt, es ist für uns existenziell, dass diese Rahmenbedingungen weiter verbessert werden. In Schleswig-Holstein haben wir dazu einiges getan. Agenda 2010 ist der richtige Ansatz, aber diese Reformen müssen zwingend fortgesetzt werden.
Zweitens. Zentrale Regionen wachsen schneller als weniger zentrale. Auch das ist ein Ergebnis der Empirie der letzten Jahre. Schleswig-Holstein muss also seine Stärken noch mehr als bisher mit Hamburg und den Ostseepartnern insbesondere der südwestlichen Ostsee ausbauen und bündeln. Wir müssen zu einer Wirtschaftsregion werden. Da sind wir auf einem guten Weg, aber wir brauchen noch mehr Kooperation in den Zukunftsbranchen, wir brauchen noch mehr Kooperation auch bei Forschung und Hochschulen und wir müssen dafür sorgen, dass die Wachstumsachsen Hamburg-Lübeck, Hamburg-Kiel, Hamburg-Flensburg, Hamburg-Westküste gestärkt werden und die Endpunkte dieser Wachstumsachsen - nur dann schaffen wir das - gezielt durch Konzepte gestärkt werden, wie wir dies zurzeit in Flensburg versuchen, an der Westküste oder auch in Kiel und Lübeck.
Ich habe in meinem Strategiepapier den Nordstaat als eine denkbare langfristige Option bezeichnet. Kurz- und mittelfristig steht er allerdings nicht zur Diskussion, denn zum einen können wir - wir tun es auch - ohne Neugliederung engstens kooperieren und uns als eine zusammengehörige Region positionieren. Zum anderen kommt eine Länderneugliederung, meine Damen und Herren, ohnehin erst dann in Frage, wenn die Menschen dies mehrheitlich wollen und unterstützen und daran müssen wir noch arbeiten.
Drittens. Regionen mit starken Branchen- und Technologieclustern entwickeln sich dynamischer. Förderung mit der Gießkanne ist nicht nur finanziell nicht mehr möglich, sondern wäre auch volkswirtschaftlich unvernünftig. Deshalb konzentrieren wir uns auf die starken Wirtschaftsbereiche konzentrieren: Gesundheit und Medizintechnik, Tourismus, maritime Wirt
Diese Fokussierung muss verstärkt werden und wir werden sie verstärken. Das fordert von uns, aber auch von Ihnen, meine Damen und Herren, eine besondere Verantwortung. Lobbyismus für eine Teilregion muss dort zurückgestellt werden, wo der Blick auf das ganze Land erfordert, bestimmte Dinge an anderer Stelle als im eigenen Wahlkreis zu fördern. SchleswigHolstein ist klein genug, damit auch die ländlichen Regionen von den Ausstrahlungseffekten der Zentren profitieren können.
Viertens. Gute Verkehrsanbindungen werden in einer vernetzten globalen Wirtschaft immer wichtiger. Wem sage ich das? - Wir haben darüber immer diskutiert: A 20, A 1, A 7 und A 21, Elektrifizierung, Engpassbeseitigung sind zentrale Projekte. Einige werden wir dieses Jahr voranbringen, bei einigen haben wir noch immer Probleme. Wenn Sie einen Beitrag zur Beschleunigung dieser Projekte leisten, würde ich mich freuen. Gerade in Niedersachsen gibt es zurzeit einen Entscheidungsprozess, der diese Vorhaben nicht unterstützt.
Meine Damen und Herren, die Zeit reicht nicht, um an dieser Stelle die weiteren Maßnahmen zu nennen, die vorrangig und im Papier beschrieben sind. Unsere Strategie für Wachstum und Beschäftigung ist auch ein Angebot zur Gemeinsamkeit. Unternehmensverbände und Gewerkschaften stimmen der Strategie zu. Es wäre gut, wenn CDU und FDP die Größe aufbrächten, ihr ebenfalls zuzustimmen. Sie wissen im Grunde auch, dass es dazu keine Alternative gibt.
Schleswig-Holstein ist auf einem guten Weg. Wir sind das Gründerland. Wir haben im Bundesdurchschnitt eines der dichtesten Netze von Gründer- und Innovationszentren. Wir sind ein Land der kurzen Wege bei der Wirtschaftsförderung. Wir haben neue Angebote im Personennahverkehr entwickelt und wir sind das Vorreiterland in der Bahnpolitik. Wir haben früh mit dem Aufbau von Zukunftsbranchen begonnen. Lassen Sie uns diesen erfolgreichen Weg weitergehen!
(Veronika Kolb [FDP]: Diese Bescheiden- heit, das als Erfolg zu bezeichnen, kann ich nicht nachvollziehen!)
Die Neuakzentuierung, die ich vorgeschlagen habe, sollten wir dabei einbeziehen. Dann gibt es Chancen auch für Gemeinsamkeit. Darum bitte ich Sie.
Meine Damen und Herren! Es ist Ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen, dass ich formal nicht über den Berichtsantrag abstimmen ließ, aber es bestand das Übereinkommen, so zu verfahren. Wir haben den Bericht nun gehört.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Oppositionsführer, Herrn Abgeordneten Kayenburg, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Rohwer, Überschriften und Gesundbeten machen noch lange keine Strategie aus.
Wir stellen fest: Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht in Schleswig-Holstein ist gestört. Hinter dieser Feststellung verbergen sich zahlreiche finanz- und wirtschaftpolitische Fehlleistungen dieser Landesregierung.
Da hilft es überhaupt nicht, über Globalisierung, EUOsterweiterung und strukturelle Nachteile zu lamentieren. Tatsache ist: Sie haben es versäumt, zu handeln - Sie, Frau Simonis, und Sie, Herr Rohwer! Beide sind die Größten bei allen möglichen Ankündigungen, aber die Schwächsten beim Umsetzen von Programmen und Maßnahmen.
Vor allem scheinen Sie zu verdrängen, dass sich hinter der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage manch persönliche Tragik verbirgt.
Tausende von Arbeitnehmern haben allein in der jüngsten Vergangenheit bei der Flender-Werft, bei HDW, bei Mobilcom, bei der Heidelberg Druckmaschinen AG und in vielen anderen Betrieben ihre Arbeitsplätze verloren. Leider geht das so weiter. Diese katostrophale Entwicklung sehen wir bei Danfoss, Vossloh, Kuhnke, Ortopedia und zuletzt wohl auch bei Möbel Kraft.