Protocol of the Session on May 27, 2004

Login to download PDF

Nur durch einen beherzten Sprung aus ihrem Büro konnte Petra Kölln, Leiterin des Sozialamtes Probstei in Schönberg, am Freitag der gewalttätigen Attacke eines Bürgers aus dem Amtsgebiet entgehen. Der 31-Jährige war in der Sprechstunde nach dem für ihn negativ verlaufenden Gespräch kurzerhand aufgestanden, hatte den Computer-Bildschirm vom Schreibtisch gerissen und ihn in die Fensterscheibe gedonnert …“

Meine Damen und Herren, was unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier zum Teil aushalten müssen, ist auch ein Thema für sich, dem wir Aufmerksamkeit widmen sollten.

(Beifall bei der CDU)

Ich wage mir gar nicht vorzustellen, wie in einem ungünstigen Fall am 1. Januar 2005 die Situation in den Sozialämtern aussieht, wenn dort die Computersysteme nicht funktionieren. Auch dies ist ein Thema, das an dieser Stelle schon genannt sein soll.

Wir brauchen zudem eine Datensituation, die verlässlich einschätzbar ist. Es ist, an die Adresse der Landesregierung gerichtet, eigentlich sehr betrüblich, dass Sie bei der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Kollegin Veronika Kolb vom September vergangenen Jahres mit Daten aus dem Jahr 2001 operieren müssen. Es ist sehr betrüblich, welche Zeitdefizite hier innerhalb der Landesregierung bestehen, um allein das Datenmaterial bereitzustellen. Das muss viel aktueller und frischer sein, wenn man dort verwertbar arbeiten will.

(Lothar Hay [SPD]: Vielleicht kann der Kreis Plön die Daten in Zukunft schneller liefern, Herr Kreispräsident!)

- Ich finde es interessant, wie nett Sie unseren Kreis Plön hier behandeln. Gegen Sie einmal davon aus, dass vom Landrat und vom Kreispräsidenten gute Arbeit geleistet wird.

(Beifall bei der CDU - Dr. Heiner Garg [FDP]: Von den anderen Mitarbeitern hof- fentlich auch!)

- Meine Höflichkeit verbietet mir, Ratschläge an Ihre Fraktion zu geben.

Die Hansestadt Hamburg hat bei der Kontrolle von Autos kürzlich gezeigt, wie man Missbrauch begegnen kann. Die Landesregierung in Schleswig-Holstein hat hier seit Jahren viel zu wenig getan. Ich will Ihnen einen Vorschlag machen. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, ob man im Land die Sozialhilferichtlinien regional differenziert ausarbeitet, wie Vorschläge aus Baden-Württemberg nahe legen.

(Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das steht aber nicht in Ihrem Antrag!)

Meine Damen und Herren, die Menschen sind tief verunsichert. Sie sind zum Teil ohne Perspektive und die sozialen Probleme in unserer Gesellschaft wachsen. Neben der Kontrolle gibt es weitere sinnvolle Aufgaben. Ich will dazu beispielhaft zwei Punkte nennen. Erstens. Mehr tun für Kinder und Jugendliche. Die Landesregierung hat jetzt festgestellt, es gibt

(Werner Kalinka)

Ernährungsdefizite bei jungen Leuten, bei Schülern und Kindern. Das haben wir Ihnen schon vor Monaten gesagt und einen Kindergesundheitsbericht gefordert. Sie haben dies leider abgelehnt.

(Wolfgang Baasch [SPD]: Stimmt nicht!)

- Natürlich stimmt dies. Denken Sie doch einmal über Ihr Abstimmungsverhalten nach. Das ist doch hier der Punkt.

(Beifall bei der CDU)

Ein zweiter Punkt. Wir haben eine zunehmende Problematik bei jungen Menschen, die unter sozial schwierigen Bedingungen aufwachsen, dann keine Lehrstelle bekommen, sich die Familie nicht um sie kümmert und die fehlende Ausbildungsreife das nächste Problem ausmacht.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Dies ist eine Frage, um die wir uns gesellschaftspolitisch kümmern müssen. Wir müssen den jungen Menschen helfen und sie davor bewahren, auf eine schiefe Bahn zu kommen. Dies ist ein zweiter, sehr, sehr wesentlicher Punkt. Ich spreche auch das Thema Kita an. Ich glaube, dass es sich lohnt, darüber nachzudenken, wie wir hier eine stärkere Verlässlichkeit bekommen.

Allen Arbeitsfähigen eine Chance auf Arbeit. Wir werden hier noch ausreichend über Hartz IV diskutieren.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das befürchte ich auch!)

Ich fürchte, dass wir in die bedrohliche Situation kommen, dass uns das nächste rot-grüne Toll-CollectProblem droht. Was wir brauchen - um es auf den Kern zu bringen -, sind mehr Arbeit und mehr Arbeitsangebote von denjenigen, die arbeitsfähig sind und aus der Sozialhilfe heraus sollen. Das ist auch für uns hier in Schleswig-Holstein der Kernpunkt. Ich frage die Landesregierung: Was geschieht auf diesem Feld? - Es geschieht denkbar wenig.

Ich glaube, es ist besser, Leuten notfalls 1 € oder 2 € die Stunde dazuzugeben, um sie überhaupt in gemeinnützige Arbeit hineinzubringen. Entscheidend ist, dass wir den ersten Arbeitsmarkt wieder gewinnen, Arbeitnehmer aufzunehmen.

(Beifall bei der CDU)

Das ist der Kernpunkt der ganzen Geschichte. Darauf muss sich unsere Politik konzentrieren.

Ich fasse zusammen. Erstens. Wir brauchen eine umfassende Prävention, um den Weg in Armut und Arbeitslosigkeit zu verhindern. Prävention muss zentraler Gedanke unseres sozialpolitischen Handelns sein.

Zweitens. Wir brauchen eine deutliche Senkung der Ausgaben. Wir denken, dass im Jahr 5 % realistisch sind. Bevor Sie jetzt anfangen, sich aufzuregen, schauen Sie lieber in den Haushaltsentwurf. - Herr Kollege Baasch, Sie brauchen nicht gleich verschüchtert zu sein; ich bin ein friedlicher Mensch. In Ihrem eigenen Haushaltsentwurf gehen Sie von einer Senkung in einem Jahr von 10 % aus. Das sage ich, bevor Sie sich hier künstlich aufregen.

(Rolf Fischer [SPD]: Es regt sich doch keiner auf!)

Drittens. Wir brauchen einen Datenaustausch - im Kern will ich Ihnen eines ganz klar sagen -, eine vollständige Vernetzung der Sozialämter untereinander sowie eine mit den Trägern der Sozialversicherungssysteme, mit den Finanzämtern und den Arbeitsämtern, um Missbrauch konsequent abwenden zu können.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Viertens. Wir brauchen Sanktionen, notfalls zu 100 %, damit sie spürbar werden.

Heute Morgen habe ich ein Interview der neuen Ministerin in den „Kieler Nachrichten“ gelesen. Herr Präsident, mit Ihrer Genehmigung darf ich das vorlesen. Sie antwortet:

„Das Prinzip ist klar: Aktivieren statt alimentieren. Das ist auch meine Position. Die Menschen haben mehr davon, wenn wer ihnen dabei helfen, ihre Existenz durch eigene Arbeit abzusichern, als ihnen einfach nur Geld auszuzahlen. Das bedeutet Leistung und Gegenleistung. Wer das Solidarsystem in Anspruch nehmen muss, hat ein Recht darauf, dass ihm akzeptable Angebote unterbreitet werden. Umgekehrt hat das Solidarsystem aber auch einen Anspruch darauf, dass es nicht ausgenutzt wird. Das bedeutet gegebenenfalls auch Sanktionen, wenn Angebote nicht angenommen werden.“

Frau Ministerin, herzlich willkommen bei der CDU! In dem Sinne sind Sie eine Bereicherung.

(Beifall bei der CDU - Heiterkeit)

Für die Fraktion der SPD erteile ich Herrn Abgeordneten Wolfgang Baasch das Wort. - Nur Mut, Herr

(Werner Kalinka)

Kollege! Kommen Sie ruhig nach vorn! Wir sind hier nicht im Fahrstuhl.

(Heiterkeit)

Herr Präsident! - Ich habe es Gott sei Dank nicht verstanden. Mich freut, dass Sie alle sich freuen. Auch ich freue mich.

(Veronika Kolb [FDP]: Wir können es erklä- ren!)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was nicht ganz so erfreulich ist, ist der Antrag. Aber mit ihm müssen wir uns beschäftigen. Das will ich auch gern tun. Der Antrag ist ein Hilfeschrei, ein Hilfeschrei der CDU, die uns um Hilfe bittet, und zwar alle Fraktionen in diesem Haus. Sie haben, wie wir lesen konnten, am 21. Juni auf einem kleinen Parteitag, eine Diskussion vor sich. Dort wollen Sie beschließen.

Wenn man das Papier, „Die soziale Balance wahren“, liest, findet man genau das, was wir heute beschließen sollen, als Diskussionsvorschlag, zuerst einmal für die eigenen Reihen gedacht, wieder. Es ist schön, wenn man, gestärkt mit einem Landtagsbeschluss, in eine innerparteiliche Diskussion gehen kann.

(Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Diesen Wunsch werden wir ihm nicht erfüllen!)

Trotz allem will ich mich inhaltlich damit auseinander setzen. Es heißt in dem Antrag, dass bis 2010 die Ausgaben für Sozialhilfe um 25 % gesenkt werden sollen. Wie will man dieses Ziel erreichen? - Man will nur noch an wirklich schwache Menschen und bedürftige Menschen Sozialleistungen zahlen. Das wird pauschal definiert mit Menschen mit Behinderung, Kranke oder nicht arbeitsfähige Menschen. Alle anderen werden mit einer Pflicht zur Gegenleistung konfrontiert. Kommunen werden unter Erfolgsdruck oder Erfolgsziel gesetzt, die 25 % zu erreichen. Wenn man es schafft, soll es eine Belohnung geben. In welcher Form, wird natürlich nicht gesagt.

Das sind die Kernsätze, die die CDU in dem Papier „Die soziale Balance wahren“ formuliert hat.

Nun fragt man sich: Was steht denn sonst noch in diesem Arbeitspapier? Was hätte man hier sonst noch beraten und beschließen können? Darin steht noch einiges mehr. Ich finde es auch sehr interessant.

Schaut man auf die Seite 7 dieses Arbeitspapiers „Die soziale Balance wahren“, kommt man zu dem Schluss, es ist schon seltsam, dass wir hier im Land

tag nicht auch über andere Formulierungen und wunderbare Vorschläge diskutieren und abstimmen dürfen. Es hätte sich sicherlich gelohnt, sie in einem Antrag aufzugreifen. Da gibt es zum Beispiel die Formulierung: „Am Bettelstab zu gehen, tut den Menschen weh“. Ein schöner Satz. Den hätten wir hier auch diskutieren können. Er stammt übrigens aus demselben Papier.