Protocol of the Session on June 18, 2004

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Guten Morgen, meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Sitzung.

Beurlaubt ist Herr Oppositionsführer Martin Kayenburg und wegen dienstlicher Verpflichtungen auf Bundesebene sind die Ministerinnen Frau Anne Lütkes und Frau Dr. Brigitte Trauernicht-Jordan beurlaubt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:

Entwicklung und Stand der Kulturwirtschaft in Schleswig-Holstein

Bericht der Landesregierung Drucksache 15/3482

Ich erteile zunächst der Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur, Frau Ute ErdsiekRave, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kulturwirtschaft in Schleswig-Holstein, das steht für populäre Festivals wie SHMF oder Jazz Baltica, es steht für die Nordischen Filmtage, es steht für herausragende Museen von Haithabu und Gottorf bis zum Buddenbrook-Haus, das steht für erfolgreiche Kunstausstellungen, das steht für engagierte Musikstudios, steht für zahlreiche Buchhandlungen und Verlage, steht für Theater, Film- und Fernsehbetriebe, Denkmalpflege vom Prinzenhaus bis zum Fürstengarten in Gottorf. Ich könnte die Aufzählung beliebig fortsetzen.

Kunst entsteht durch Künstlerinnen und Künstler, aber Kultur, verstanden als Kultur von allen für alle, wird getragen von dieser Trias öffentliche Hand, private Wirtschaft und gemeinnützige Einrichtungen. Sie ist präsent im Land, materiell und ideell, um ihrer selbst willen als identitätsstiftendes Element für dieses Land, als Standortfaktor, aber eben auch als touristischer Magnet, als geschichtliches Erbe und als gegenwärtige kulturelle Leistung, als unverzichtbare Herausforderung und Bereicherung für uns alle, auch wenn dem einen oder anderen das vielleicht nicht ganz bewusst ist.

Doch wie - und diese Frage ist erlaubt und legitim - ist ihre unmittelbare Wirtschaftskraft, wie umfassend ist sie? Der vorliegende Bericht der Landesregierung über Entwicklung und Stand der Kulturwirtschaft in Schleswig-Holstein gibt darauf zum ersten Mal so umfassend wie möglich Antwort. Wir haben mit die

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

sem Kulturwirtschaftsbericht Neuland betreten und können nun wirklich eine respektable Leistungsschau vorlegen. Der Bericht demonstriert im Detail, wie hoch der Wirtschaftsfaktor Kultur in den einzelnen Sparten tatsächlich ist, und er räumt auf diese Weise auch mit dem Verdacht auf, der in vielen Köpfen, auch Politikerköpfen, da ist, dass Kultur immer nur etwas kostet.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und FDP)

Laut Umsatzsteuerstatistik erzielte die Kulturwirtschaft zum Beispiel im Jahre 2001 in SchleswigHolstein einen Umsatz von rund 3 Milliarden €. Spätestens hier müsste auch all denjenigen klar sein, die sich sonst nicht mit Kulturpolitik beschäftigen, den Finanzpolitikern, den Wirtschaftspolitikern, dass dies auch ein Thema für sie ist, meine Damen und Herren. Entgegen dem allgemeinen ökonomischen Trend sind die Zahlen stabil geblieben. Die Anzahl der in der Kulturwirtschaft Beschäftigten ist von 1998 bis 2002 in Schleswig-Holstein um fast 1.000 Personen auf nunmehr 28.700 gestiegen. Beides sind hocherfreuliche Entwicklungen und beides belegt den hohen volkswirtschaftlichen Stellenwert der Kultur in einem sehr weiten Sinne, natürlich nicht beschränkt auf einzelne Sparten oder nur den Kulturtourismus.

Der Bericht verdeutlicht aber auch den Stellenwert von öffentlich geförderten Kultureinrichtungen für die kulturelle Grundversorgung. Er macht deutlich, welche Verantwortung Kommunen, Land und Bund haben, diese kulturelle Grundversorgung in Zukunft zu sichern, und zwar im Zusammenspiel mit der Privatwirtschaft und mit gemeinnützigen Einrichtungen. Ohne - das muss man ganz deutlich sagen - die öffentlich geförderte kulturelle Grundversorgung und Infrastruktur gibt es auch kein erfolgreiches privatwirtschaftliches kulturwirtschaftliches Handeln

(Beifall bei SPD und FDP)

und es gibt auch keine wirksame ehrenamtliche Arbeit.

Museen schaffen Wertsteigerungen von Bildern, Musikschulen entwickeln Nachfrage von Konzerten, öffentliche Förderung macht manchmal Sponsoring im großen Stil, etwa wie beim SHMF, überhaupt erst möglich. Denkmalpflege fordert und fördert kulturell orientierte Handwerksleistungen. Denken Sie nur an ein aktuelles Beispiel: die Herausforderung für die Maschinenbaumeister und Kunstschmiede, die den Gottorfer Globus wieder nachbauen.

Wir bilden also alle drei Bereiche ab, öffentliche Hand, Privatwirtschaft, gemeinnütziger Bereich, und wir können trotzdem nur einen Bereich der Kultur

wirtschaft beschreiben. Aufgrund der statistischen Situation kommen nämlich wichtige Segmente überhaupt nicht vor oder können auch nicht vorkommen, und zwar der gesamte gemeinnützige Sektor, der von der Umsatzsteuerpflicht befreit ist und in der Statistik gar nicht auftaucht, ebenso die Zahl der in der öffentlichen Kulturverwaltung beschäftigten Beamtinnen und Beamten, und zwar nur deshalb, weil die keine Sozialabgaben zahlen, und die zahllosen Klein- und Nebenbetriebe, die weniger als 16.000 € Umsatz erzielen. Schließlich all die Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren und ihre Arbeitsleistung und ihre Kreativität einbringen.

Ich will an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich sagen, die Bedeutung von Ehrenamt, von ehrenamtlicher Arbeit und von bürgerschaftlichem Engagement im kulturellen Sektor wächst kontinuierlich. Das ist nicht ein Ersatz für öffentliche Leistungen - das will ich ganz deutlich sagen -, sondern das ist wirklich ein Interesse an der Sache, eine Leidenschaft auch für eine Sache, und dies ist eine gute Gelegenheit, sich dafür auch einmal zu bedanken.

(Beifall bei der SPD)

Ich will Ihnen dazu ein aktuelles Beispiel nennen. Beim Jüdischen Museum, das wir in die Stiftung Schloss Gottorf übernommen haben, sind die Besucherzahlen kontinuierlich angestiegen, fast von Monat zu Monat. Die Bewältigung dieses Besucherstroms wird inzwischen zu 90 % von ehrenamtlichen Kräften wahrgenommen. Das müssen Sie sich einmal vor Augen führen, das ist wirklich großartig.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei CDU und FDP)

Lassen Sie mich sagen: Um solche Kulturwirtschaftsberichte in Zukunft vernünftig fortzuschreiben und umfassend erstellen zu können, gibt es methodisch und statistisch noch viel zu tun. Bund und Länder bemühen sich derzeit um eine solche gemeinsame Definition von Kulturwirtschaft und die Grundlage für entsprechende Datenbänke. Diese länderübergreifende Verständigung markiert auch den nächsten Schritt. Damit wir in Schleswig-Holstein in Zukunft günstige Rahmenbedingungen schaffen können, setzen wir auf die Effekte eines verbesserten Kulturmanagements. Wir haben mit den Kulturverbänden als Konsequenz aus der Evaluierung der Kulturförderung, den Sie als Bericht im Grunde immer mit sehen müssen, Ziel- und Leistungsvereinbarungen abgeschlossen oder sind im Begriff dies zu tun. Dadurch entsteht Transparenz und Verlässlichkeit, übrigens auch für das Parlament.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Dadurch können Überlappungen vermieden, Interessen abgeglichen werden, und in vielen Fällen vom Volkshochschulverband bis zum Sängerbund, vom Musikschulverband bis zum Landeskulturverband hat dies zu erheblich größerer Klarheit und zu erheblich größerer Akzeptanz bei den Betroffenen geführt. Wir haben außerdem für einzelne Einrichtungen wie bei der Stiftung Gottorf durch eine Überführung in eine gemeinnützige Stiftung mehr Selbstständigkeit und mehr Flexibilität geschaffen. Das wiederum hat zu einer beträchtlichen Erhöhung der Eigenwirtschaftsquote geführt. Mit der Stiftung Schloss Gottorf sind wir ganz aktuell dabei, ein Gesamtkonzept einschließlich neuer Marketingstrategien zu entwickeln, die diese Leuchtturmeinrichtung des Landes weiter nach vorn bringt.

Meine Damen und Herren, Kultur und Finanzen oder - so könnte man auch sagen, um eine Anleihe bei der Ringvorlesung bei der Uni Kiel zu machen - Geist und Geld gehören zusammen. Kultur ist eine zentrale Grundlage unserer Identität, sie schafft und stiftet Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit in diesem Land.

Man kann aus diesem Bericht deutlich ablesen und mit Stolz sagen: Kultur ist ein wirtschaftlicher Faktor. Das Zusammenspiel von Staat, Wirtschaft, Gemeinnützigkeit und Bürgerschaftlichkeit wird erstmalig so umfassend beschrieben. Dieses Zusammenspiel muss sich auch in einer Kulturpolitik widerspiegeln, die auf Kultur für alle setzt. Deswegen danke ich allen Beteiligten herzlich für ihre Mit- und Zuarbeit. Ich danke dem Wirtschaftsministerium und dem Innenministerium. Beide Ministerien haben uns statistische Daten für Hamburg und Schleswig-Holstein geliefert. Die Autoren haben in der Kürze der Zeit wirklich Respektables geleistet. Dies gilt umso mehr, als sie dies mit Bordmitteln geleistet haben. Anders als in anderen Bundesländern haben sie niemanden beauftragt, sondern sie haben es wirklich selbst gemacht.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hinter diesem Bericht verbirgt sich im ganzen Land ein hohes Maß an Kreativität und Kompetenz. Es verbirgt sich ein wirklich reiches Kunst- und Kulturleben, das auch einen beträchtlichen Wirtschafts- und Standortfaktor hat. Ein reicher Kultursommer mit der Nord Art in Büdelsdorf, mit dem Jazz Baltica Festival, mit dem Schleswig-Holstein Musik Festival, mit dem Kultursommer und dem tschechischen Schwerpunkt und mit dem Literatursommer steht vor uns. Wir müssen all das in der Zukunft sichern und aufbauen. Dies muss nicht nur im politischen Rahmen geschehen, sondern auch durch

die vorhandene Nachfrage. Deswegen sind Sie alle herzlich aufgefordert, an diesen Kulturveranstaltungen teilzuhaben.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf der Tribüne begrüße ich jetzt unsere Gäste, und zwar Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte der KlausHarms-Schule, Kappeln. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich eröffne die Aussprache. Frau Abgeordnete Schwarz hat das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe eben etwas irritiert geguckt, weil ich den Wirtschaftsminister vermisse. War der auch entschuldigt?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Seit wann das denn?)

- Na ja, in diesem Fall vermisse ich ihn schon, weil der Kulturwirtschaftsbericht in anderen Ländern federführend vom Wirtschaftsministerium erarbeitet und vorgelegt wird. Vielleicht hat er ja dafür nicht so großes Interesse, was ich mir allerdings bei dem Elternhaus, aus dem er kommt, nicht vorstellen kann.

Erst einmal möchte ich mich sehr herzlich für den Bericht zur Entwicklung und zum Stand der Kulturwirtschaft in Schleswig-Holstein bedanken. Ich hätte mir den Bericht zugegebenermaßen etwas umfangreicher und aussagekräftiger gewünscht.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubi- cki [FDP])

Seit März letzten Jahres stand ziemlich viel Zeit zur Verfügung. Frau Ministerin, ich hätte mir auch gewünscht, dass Sie vielleicht in einem kleinen Nebensatz erwähnt hätten, dass der Bericht nicht entstanden wäre, wenn nicht eine Initiative von der CDU ausgegangen wäre. Das wäre ein Zeichen von großer Souveränität gewesen.

(Zurufe)

Egal. Der Bericht, der jetzt vorliegt, ist immerhin ein Anfang. Deshalb möchte ich gleich vorschlagen, dass wir ihn den 1. Kulturwirtschaftsbericht für SchleswigHolstein nennen. Aus Ihren Worten konnte ich etwas Ähnliches schon entnehmen. Das weitere folgen müssen, halte ich zwingend notwendig.

(Caroline Schwarz)

Im Frühjahr letzten Jahres, als ich für die CDUFraktion an dieser Stelle begründete, warum Schleswig-Holstein einen Kulturwirtschaftsbericht braucht, begann ich meine Rede mit der Feststellung, dass die Kulturwirtschaft in Schleswig-Holstein ein Schattendasein führt. Nach intensiver Lektüre des vorliegenden Berichts stelle ich nun fest, dass sie nicht nur ein Schattendasein in unserem Land führt, sondern dass sie bei uns vor allem noch in den Kinderschuhen steckt, und zwar in Kinderschuhen kleinster Größe. Das wird auch - etwas versteckt und verschämt - im Bericht zugegeben, der übrigens sehr ehrlich ist. Ganz am Anfang gibt es zum Beispiel Äußerungen:

„Immer mehr setzt sich die Überzeugung durch, dass die Kulturwirtschaft eine Zukunftsbranche ist, und im Europa des 21. Jahrhunderts ein maßgebliches Potenzial im internationalen Wettbewerb darstellen wird. … Auch in Deutschland beginnt man, sich dieses Potenzials zu vergewissern. … In Schleswig-Holstein jedoch wären Potenziale erst noch zu entwickeln.“

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Wenigstens ha- ben wir noch welche!)

- Richtig, das ist schon mal nicht schlecht. Das ist schade. Dem, was ich ebenfalls in meiner Rede vom März letzten Jahres sagte, wird auch im Bericht nicht widersprochen. Ganz im Gegenteil! Dort steht nämlich: Kultur schafft Arbeit und Umsatz. Wenn das also stimmt, dann müssen wir langsam in die Puschen kommen, um Arbeit und Umsatz in diesem zukunftsrelevanten Bereich zu schaffen. In Sachen Arbeit und Umsatz hat sich nämlich im Berichtszeitraum 1998 bis 2002 kaum etwas getan. Die Anzahl der in der Kulturwirtschaft Beschäftigten hat sich zwar leicht nach oben bewegt, der Umsatz aber stagniert. Sie haben das gesagt.

Woran liegt das? Es liegt sicherlich an der eben zitierten Feststellung im Bericht, in Schleswig-Holstein wären Potenziale erst noch zu entwickeln. Dort liegt also noch etwas drin, was entwickelt werden muss. Andere Länder wie Bayern, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern haben uns gezeigt, wie man das macht, besonders im Kulturtourismus. Wir müssen uns gerade auf diesem Gebiet beeilen, denn der Kuchen ist schon ziemlich verteilt. Wenn wir hier nicht wirklich sofort riesengroße Anstrengungen machen, dann kommen wir zu spät und werden bestraft. Wir werden dadurch bestraft, dass die 4,9 Millionen kulturreisenden Deutschen, von denen der Bericht spricht, die professionell aufgemachten Kulturangebote anderer Bundesländer bevorzugen und Schleswig-Holstein weiter in seinem Dornröschenschlaf