Dies wird von ihr festgestellt. Weiterhin kommt sie zu dem Thema, dass manche den Befreiungsschlag suchen, jetzt ein neues Schulsystem zu entwickeln. Hierzu sagt sie:
„Das ist das eigentlich Schädliche an dieser Debatte. Sie lenkt von zentralen Problemen der Qualitätssicherung und der Entwicklung ab, denn wenn der Misserfolg am System liegt, dann kann man es sich in seiner Welt bequem einrichten.“
- In seiner ideologischen Welt, Herr Kollege! Den ganzen Beitrag können Sie nachher gern weiter nachlesen.
- Nun lenkt mal nicht weiter ab! Wenn man das Problem der sozialen Schieflage aufnehmen will, dann muss man in den ersten zehn Lebensjahren der Kinder ansetzen. Man muss im Vorschulbereich und in der Grundschule ansetzen.
Deshalb muss es auch eigentlich Sozialdemokraten zu denken geben, dass ihre famose Hartz-IVGesetzgebung dazu führt, dass die Sozialhilfeempfänger vom nächsten Jahr an für ihre Kinder höhere Kita-Beiträge zahlen müssen. In Kiel wurden gerade 60 € bis 90 € pro Monat an höheren Kita-Beiträgen festgelegt. Wird das nicht dazu führen, dass gerade die Eltern, deren Kinder eine Förderung im Kindergarten am nötigsten hätten, ihre Kinder aus den Kitas abmelden? Diese Art von sozialdemokratischer Politik mit solchen Konsequenzen führt dazu, dass wir in unserem Bildungswesen nicht weiter vorankommen können.
Das rot-grüne Patentrezept für soziale Gerechtigkeit, allen soll es gleich schlecht gehen, ändert nichts daran, dass wir bei internationalen Untersuchungen unbefriedigende Bildungsergebnisse haben. Das wird eher dazu führen, dass diese Ergebnisse in Zukunft noch schlechter sein werden. Das ist das Fatale! Wenn man nämlich die Schularten abschafft, die für Spitzenergebnisse sorgen, dann wird man eine Nivellierung nach unten erreichen.
Die Förderung in einem Gesamtschulsystem für Kinder unterschiedlicher Begabungen und unterschiedlicher Leistungsstufen wird überhaupt nur dann möglich sein, wenn Sie ein solches System sehr aufwendig und mit sehr viel Personal ausstatten.
Hier ist die Analyse Ihrer Politik auch sehr bemerkenswert: Wie sieht es in Schleswig-Holstein aus? Sie könnten ein solches Einheitsschulsystem nur mit den Ressourcen entwickeln, die im gegliederten Schulwesen da sind. Da haben wir im statistischen Durchschnitt nun einmal eine Lehrerstelle auf 17,5 Schülerinnen und Schüler. Das kann man ganz leicht ausrechnen. Bei den Gesamtschulen, die im Lande existieren, kommen auf eine Lehrerstelle 15 Schülerinnen und Schüler.
Mit anderen Worten: Das famose System der Einheitsschule - oder der Gemeinschaftsschule, wie Sie es nennen, - ist personell mit einem Siebtel schlechter auszustatten als die heute in Schleswig-Holstein existierenden Gesamtschulen. Sie werden überhaupt nicht in der Lage sein, in einem solchen System, wie Sie es erschaffen wollen, differenzierte Förderangebote einzurichten, wie es sie an den Gesamtschulen gibt.
Im letzten Bericht zur Unterrichtsversorgung ist dies zweifelsfrei nachzulesen. In der Sekundarstufe I verwenden die Gesamtschulen Schleswig-Holsteins 18 % ihrer Lehrerstunden für so genannte besondere Maßnahmen, das heißt für individuelle Förderung neben dem regulären Unterrichtsangebot. Das ist nur mit einem erheblichen Personalaufwand zu machen.
Dies wäre bei dem, was im gegliederten Schulsystem an Ressourcen da ist, bei Ihrem Modell der Einheitsschule nicht möglich. Herr Präsident, ich komme zum letzten Satz: Deshalb ist das, was Sie vorhaben und was Sie den Wählern als großes Patentrezept verkaufen, nichts anderes als eine Mischung aus Täuschungsmanöver und Seifenblase.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Klug, die letzte Legende, dass die Gesamtschulen mehr Lehrer brauchen, ist falsch. Sie müssen berücksichtigen, dass weniger sitzen bleiben. Allein das Sitzenbleiben kostet in Schleswig-Holstein über 1.000 Lehrerstellen, die frei wären, wenn wir das System änderten, um Schüler individuell zu fördern.
Ihre Zahlen über die Hauptschulen stimmen nicht. Die Hauptschulen sind die Schulen, die das beste Schüler-Lehrer-Verhältnis haben, und zwar bundesweit. Es ist also genau umgekehrt zu dem, was Sie geschildert haben. Dass die neuen 200 Lehrer im letzten Jahr nicht in die Hauptschulen, sondern in die Grundschulen gegangen sind, war allgemeiner Konsens aller Parteien, weil wir - PISA entsprechend - gesagt haben: Wir müssen eher die kleinen Schüler fördern als die großen Schüler. Das war allgemeiner Konsens. Es ist völliger Unsinn, wenn Sie dies hier als ein Beispiel für schlechte Schulpolitik nennen.
Egal wie man PISA interpretiert: PISA hat in jedem Fall in vielen Punkten gezeigt, warum andere Länder besser abgeschnitten haben und wo wir uns verbessern können. Vieles ist Konsens. Ich nenne nur, dass der Bildungsauftrag in den Kindertagesstätten gestärkt werden soll. Hier sind wir uns alle einig. Wir müssen mehr Geld in kleine Kinder als in die großen Kinder investieren. Wir brauchen eine bessere und frühzeitige Förderung von Immigranten. Auch hier sind wir uns einig. Wir brauchen auch mehr individuelle Förderung in den Schulen. Wir brauchen ganztätige Angebote. Schulen sollen sich mehr zu Lebenszentren im Stadtteil, am Ort entwickeln, wo Jugendarbeit und Schule zusammengeführt werden. Schulen müssen mehr Selbstständigkeit bekommen, möglichst in kommunaler und freier Trägerschaft. Schulen müssen über Personal, Organisation und Inhalte selbstständig entscheiden können. Die Schule muss mehr als bisher ihren Erziehungsauftrag wahrnehmen. Wir brauchen striktere Evaluationsregelungen für Schulen; die Schulen müssen regelmäßig getestet werden und müssen sich im Wettbewerb bewähren.
Das sind alles Punkte, über die jetzt nach PISA geredet wird. Die Debatte über diese Punkte ist auch weitgehend rational. An einem einzigen Punkt, nämlich dem zentralen Punkt des Schulsystems, schlagen die Wogen dagegen hoch.
Deswegen ist es ausgesprochen erfreulich, dass sich sowohl die Studie PISA 2003 als auch die im August dieses Jahres veröffentlichte vertiefende Analyse der PISA-2000-Daten intensiv mit dieser Frage beschäftigt haben. Schauen wir uns von den 29 getesteten OECD-Staaten bezüglich der Lesekompetenz einmal an, wie die Verteilung aussieht. Unter den 15 besten Staaten findet man zwölf Staaten, die ihre Kinder mindestens bis zum 14., überwiegend bis zum 16. Lebensjahr gemeinsam unterrichten. Nur drei Staaten unter den ersten 15 unterrichten ihre Kinder bis zwölf oder 13 Jahren gemeinsam. Unter den ersten 15 Staaten ist kein einziges Land zu finden, das die Kinder schon mit zehn oder elf Jahren trennt wie Deutschland.
In der zweiten Hälfte - unter den 14 Ländern, die schlechter abgeschnitten haben - trennen sieben Staaten die Kinder bereits mit zehn oder elf Jahren, während die Zahl der Länder, die die Kinder länger zusammen unterrichten, dort in der Minderheit sind. Daraus kann man nicht nachweisen, dass automatisch Länder, die die Kinder später trennen, später besser sind. Man kann aber erst recht nicht das Gegenteil nachweisen, sondern es spricht sehr viel dafür, dass es zumindest Vorteile bringt, die Kinder später zu trennen.
Nun werden die Niederlande als Gegenbeispiel genannt, die die Kinder schon mit zwölf Jahren trennen und in der mathematischen Kompetenz auf Platz 3 gekommen sind. Dazu muss man allerdings wissen, dass die Niederländer ihre Kinder bereits mit vier Jahren einschulen und die Kinder mit zwölf bereits acht Jahre zusammen in der Schule sind. Auch das ist als Gegenbeispiel nicht besonders gut geeignet.
Ich fasse zusammen: Die Studie sagt nicht, dass Länder mit Gemeinschaftsschulen automatisch besser sind. Sie sagt aber wohl, dass solche Länder im Durchschnitt erheblich besser abschneiden.
Wenden wir uns nun den Ergebnissen der einzelnen Schularten zu. Da sind die Aussagen der Studie glasklar: Je früher die Schüler getrennt werden, desto größer sind die Leistungsunterschiede. Das gilt übrigens auch gegenüber Dänemark, Herr Klug. Die Leistungsunterschiede, das Spektrum von gut und schlecht, sind in Dänemark wesentlich geringer als in Deutschland.
Das Gymnasium kann durchaus international mithalten, aber die Ergebnisse der deutschen Hauptschulen sind indiskutabel. Schauen wir uns an, welche Schülerinnen und Schüler auf die Hauptschule kommen. Es sind nicht vor allem die Leistungsschwächeren, sondern es sind vor allem die Kinder der Unterschicht. Anders als PISA 2000 unterscheidet PISA 2003 nicht mehr nach Berufsgruppen der Eltern, sondern nach vier soziokulturellen Niveaus, die jeweils genau ein Viertel der Bevölkerung umfassen. Das Ergebnis für Deutschland ist ernüchternd: Kinder aus dem oberen Viertel haben eine neunmal so hohe Chance, auf das Gymnasium zu kommen, wie die aus dem dritten Viertel. Gegenüber dem unteren Viertel ist die Chance sogar fünfzehnmal so hoch.
Nun könnte man denken, die Kinder aus dem unteren Viertel der Gesellschaft seien eben dümmer. Deswegen vergleicht PISA explizit Kinder mit gleicher Grundkompetenz. Ergebnis: Kinder aus dem oberen Viertel haben mit gleicher Grundkompetenz eine zwölfmal so hohe Chance, in Deutschland auf das Gymnasium zu kommen, wie Kinder aus dem unteren Viertel. Oder anders ausgedrückt: Von zwölf klugen Kindern aus typischen Unterschichtshaushalten, die die Intelligenz eines durchschnittlichen späteren Abiturienten haben, schafft nur eines in Deutschland tatsächlich das Abitur. Der Rest sitzt vermutlich rebellierend auf den Hinterbänken der Hauptschule und stört, weil er mit der Situation nicht zurechtkommt, und ist anschließend aufgrund mangelnder sozialer Kompetenz möglicherweise nicht geeignet, eine Leh
re aufzunehmen, wie uns die Handwerkskammern sagen. Das ist der Umgang mit den geistigen Ressourcen der Unterschicht in Deutschland. Das ist ein Skandal.
Im August dieses Jahres ist eine ergänzende Studie von PISA 2000 veröffentlicht worden, die genau die Frage stellt, die uns so beschäftigt: Warum ist unser dreigliedriges Schulsystem schlechter? - Die Antwort: Das mehrgliedrige Schulsystem ist hochgradig selektiv. Das damit verbundene Bestreben nach Homogenisierung der Lerngruppen führt zu einer „Entsorgungsmentalität“, also Querversetzen oder Sitzenbleiben. Dazu kommt, dass die sozialen Verhältnisse, unter denen die Kinder aufwachsen, in Deutschland beträchtlichen Einfluss auf ihren Schulerfolg haben. Wenn sie selektionsbedingt Schulen besuchen, die einen hohen Anteil von Schülern aus ungünstigen familiären Verhältnissen haben, wird dieser Effekt noch einmal verstärkt. In erfolgreichen Ländern gelingt es den Schulen, dies weitgehend zu kompensieren.
Positive Auswahl spielt praktisch kaum noch eine Rolle in Deutschland, es überwiegt die negative Auswahl durch Zurückstellen, Sitzenbleibenlassen, Querversetzen, Abstufen. Das führt laut der Studie zu einem negativen Selbstwertgefühl leistungsschwacher Schüler, das sich in Schulverdrossenheit und Unterrichtsstörungen äußert.
In anderen Ländern bleiben dagegen die Kinder bis zum achten oder neunten Schuljahr zusammen, sodass die Kinder relativ spät in eine genau fixierte Rangfolge gebracht werden. Das Erreichen von Grundkompetenzen steht über viele Jahre im Vordergrund - was wir ja immer fordern.
Weiter stellt die Studie fest: Die homogenen Lerngruppen in Deutschland legen es nahe, alle Schüler mit dem gleichen Stoff zu konfrontieren und Unterrichtsgespräche mit der ganzen Klasse zu führen, anstatt sie in kleinen Lerngruppen oder individuell arbeiten zu lassen. Leistungsschwache Schüler leisten nach der Studie signifikant mehr, wenn sie zusammen mit leistungsstärkeren Schülern unterrichtet werden.
Eine besonders negative Rolle im deutschen System spielt das Sitzenbleiben. Sitzenbleiben führt bei gleicher Testintelligenz zu einem deutlichen Abfall der kognitiven Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler. Dabei bleiben Jungen bei gleicher Intelligenz häufiger sitzen. Dies ist überwiegend eine Folge der mangelnden Berücksichtigung geschlechterspezifischer Belange in der Pubertät. Die meisten Jungen bleiben in
der sechsten bis achten Klasse in der Pubertät sitzen, weil sie dort mehr stören. Das deutsche System lässt Kinder sitzenbleiben oder querversetzen, nicht weil sie dümmer sind, sondern weil sie stören, nicht sozial angepasst sind und die Schule nicht in der Lage ist, darauf einzugehen. An der Grundschule betrifft das Sitzenbleiben vor allem Migrantenkinder, die viermal häufiger sitzenbleiben als deutsche Kinder. Das deutsche System antwortet auf die mangelnde Sprachförderung der Migrantenkinder damit, dass man die Kinder sitzenbleiben lässt. Ein unsinniges System, dass unheimlich viel Geld kostet.
Zusammenfassend kommt die Studie zu dem Ergebnis: Es gibt international keinen Beweis dafür, dass Schulsysteme, die Kinder früh nach Schularten trennen, leistungsfähiger oder leistungsschwächer sind. Es gibt aber eine klare Tendenz, dass die Abhängigkeit des Schulerfolgs vom sozialen Status der Eltern umso größer ist, je früher die Kinder getrennt werden, und dass unser System schwache Schüler massiv benachteiligt.
Meine Damen und Herren, es ist deswegen kein Wunder, dass in der Wirtschaft und insbesondere im Handwerk, die die meisten Hauptschüler aufnehmen, die Stimmen am lautesten sind, die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems zu fordern.
Ich nenne zum Beispiel den Verband der bayerischen Wirtschaft, der dies als erster Wirtschaftsverband gefordert hat; ich nenne die Handwerkskammer von Baden-Württemberg und die Handwerkskammer von Hamburg.