Protocol of the Session on December 16, 2004

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damit auch der im Jahresdurchschnitt beschäftigten Zivildienstleistenden geben. Deswegen müssen wir uns politisch darauf einstellen, wie wir mit diesem Wegfall der sozialen Ressourcen im sozialen Bereich umgehen wollen. Die Idee, als möglichen Ersatz für den Zivildienst ein soziales Pflichtjahr vorzusehen, hat zum Glück keiner der Abgeordneten hier in den Beiträgen erwähnt.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich bin darüber froh, denn es gibt gleich mehrere gute Gründe dafür, dies abzulehnen. Es gibt verfassungsrechtliche Probleme, es gibt das Problem der weiteren Herauszögerung des Berufseinstiegs junger Frauen und Männer. Es gibt hohe Kosten und zusätzliche Bürokratie. Nicht zuletzt gilt die Tatsache, dass Frauen in ihrem Leben ohnehin einen Großteil der Erziehungs- und Pflegeleistungen erbringen, sodass es eines sozialen Pflichtjahres nicht bedarf.

(Beifall bei SPD, CDU und SSW)

Das ist also klar. Offensichtlich ist uns auch miteinander klar, dass wir vor einer großen Herausforderung stehen, die so zu kennzeichnen ist, dass es einerseits um die Weiterentwicklung von Freiwilligendiensten geht, dass es andererseits aber auch darum geht, diese Weiterentwicklung der Freiwilligendienste in eine Grundsatzdebatte über die Zukunft unseres Sozialstaats und über die Art und Weise, wie wir mit den Herausforderungen der Zukunft fertig werden, einzufügen.

Hier ist das Stichwort Ein-Euro-Jobs gefallen. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass die derzeitige Entwicklung auch in Schleswig-Holstein bemerkenswert ist. Es gibt innerhalb weniger Wochen Tausend so genannte Zusatzjobs im sozialen Bereich. Ich glaube, wir werden in unseren Debatten zur Kenntnis nehmen müssen, dass diese Entwicklung auch nicht unerheblich ist für die Frage der Freiwilligendienste. Dies gilt auch mit Blick auf eine mögliche Verdrängung von Freiwilligen in diesen Bereichen und insbesondere mit Blick auf das Verhältnis zwischen den hauptamtlich finanzierten Jobs, den zusatzfinanzierten Jobs und den Freiwilligenjobs. Dies wird in den Debatten zu berücksichtigen sein.

Klar ist aber auch, dass der Zivildienst zu einem generationsübergreifenden Freiwilligendienst weiterentwickelt werden muss. Die Landesregierung begrüßt alle dahin gehenden Debattenbeiträge. Unsere Träger in Schleswig-Holstein werden sicherlich das neue Programm der Bundesregierung, das im Haushalt 2005 10 Millionen € umfasst, nutzen, um diese generationsübergreifenden Freiwilligendienste hier

(Ministerin Dr. Brigitte Trauernicht-Jordan)

im Land tatsächlich für die Menschen nutzbar machen zu können.

Wir sind darüber hinaus der Ansicht, dass es für den Ausbau von Freiwilligendiensten ein beachtliches Potenzial im Land gibt. Dafür gibt es gleich mehrere Hinweise. Wir alle wissen, dass es viel mehr Bewerberinnen und Bewerber für das Freiwillige Soziale Jahr und das Ökologische Jahr gibt, als wir zur Verfügung stellen können. Mit Blick auf diese Tatsache müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, dass diese Plätze nicht kostenlos sind, was viele Menschen meinen. Sie kosten im Schnitt zwischen 8.000 € und 10.000 € pro Jahr. Das ist eine Menge Geld. Deshalb wird sich die Frage der Finanzierung der Freiwilligendienste auch uns stellen, denn die Bundesregierung stellt nur einen Teil der Mittel zur Verfügung. Das Land und die Träger sind - wie auch in der Vergangenheit - gefordert. Wenn wir also eine erhebliche Ausweitung wollen, stellt sich auch die Frage der Finanzierung, wenn wir dies solide angehen wollen.

Ich finde es erfreulich, dass der gerade publizierte Freiwilligensurvey 2004 deutlich gemacht hat: Immer mehr Menschen wollen sich freiwillig engagieren. Es werden nicht weniger, sondern es werden mehr. Deswegen stellt sich auch die Anforderung an die Verbände, dieses Potenzial tatsächlich nutzbar zu machen. An uns alle stellt sich die Herausforderung, diese Entwicklung mit einer entsprechenden Anerkennungskultur tatsächlich zu forcieren.

Neue Formen von Freiwilligendiensten dienen auch der Weiterentwicklung der Bürgergesellschaft. Das ist ein Stichwort, das wir in unsere Debatte aufnehmen sollten, weil hier zu Recht angesprochen worden ist, dass es insgesamt um die Strukturen der sozialen Dienste geht. Wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens darüber, wie wir die Herausforderungen der Zukunft in einer älter werdenden Gesellschaft vor dem Hintergrund der finanziellen Ressourcen und unseren eigenen Ansprüchen an gute Qualität überhaupt werden bewältigen können. Ich begrüße die Debatte und freue mich mit Ihnen gemeinsam darauf, bei der zweiten Lesung gute Ergebnisse vortragen zu können und damit auch ein Stück Zukunftsgestaltung für die soziale Entwicklung in Schleswig-Holstein vorantreiben zu können.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und vereinzelt bei der CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen dem Präsidium nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es wurde Ausschussüberweisung beantragt. Wer den Antrag der Fraktio

nen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 15/3832, Zivildienst weiterentwickeln, zur weiteren Beratung an den zuständigen Sozialausschuss überweisen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenprobe? - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig vom Haus verabschiedet. Der Tagesordnungspunkt hat damit zunächst seine Erledigung gefunden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 auf:

Bekämpfung von Stalking

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/3748

Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 15/3837

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die antragstellende Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Klaus Schlie.

Auf der Tribüne begrüße ich als weitere Gäste Damen und Herren des CDU-Ortsverbands Horst. - Herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei dem unter dem Begriff „Stalking“ in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit diskutierten Phänomen handelt es sich um ein systematisch zielgerichtetes Nachstellen, unter anderem durch Telefonterror, fortwährende Versuche einer Kontaktaufnahme, systematisches Verfolgen oder Beobachten des Opfers, fortgesetzte Beschimpfungen und Bedrohungen bis hin zur Anwendung körperlicher Gewalt sowie die Bestellung von Waren unter dem Namen des Opfers.

Ganz dramatisch enden häufig Fälle aus dem privaten Nahbereich. Eifersucht, Hass oder Rachegelüste - insbesondere gegen die ehemalige Partnerin - führen oft zu Verfolgungsterror, bei dem die Opfer nicht mehr zur Ruhe kommen. Die Opfer sind diesen Taten meist hilflos ausgesetzt, Tötungsdelikte sind nicht ausgeschlossen.

600.000 Fälle von Stalking soll es pro Jahr in Deutschland geben, wobei Frauen wesentlich häufiger Opfer von Stalking sind. Den Opfern werden erhebliche psychische und physische Schäden zugefügt.

Das geltende Strafrecht erfasst das Verhalten der Täter nicht, lediglich bestimmte typische Einzelhandlungen werden als Nötigung, Bedrohung, Körperver

(Klaus Schlie)

letzung, Beleidigung oder Hausfriedensbruch strafbar. Es ist deswegen notwendig, dass Belästigungen dieser Art als eigenständiger Straftatbestand in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden. Deshalb unterstützen wir mit unserem Antrag eine Initiative des Bundeslandes Hessen, die im Sommer dieses Jahres zur weiteren Beratung in den Bundesrat eingebracht wurde.

Nach dem Gesetzentwurf können Personen, die anderen Personen in unzumutbarer Weise nachstellen oder diese verfolgen, künftig mit einer Freiheitsstrafe mit bis zu einem Jahr bestraft werden. In besonders schweren Fällen, beispielsweise wenn der Täter durch seine Belästigungshandlung gleichzeitig gegen eine richterliche Schutzanordnung nach dem Gewaltschutzgesetz verstößt, kommt sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren in Betracht. Daneben wird den Opfern das Recht eingeräumt, sich der erhobenen öffentlichen Klage als Nebenkläger anzuschließen.

Es ist entscheidend, dass eine Regelung gefunden wird, die den Opfern von Stalking neben den bereits vorhandenen Möglichkeiten des Gewaltschutzgesetzes einen umfangreichen strafrechtlichen Schutz gewährt.

Im Beratungsverfahren des Bundesrates hat das Land Rheinland-Pfalz nun einen eigenen Gesetzentwurf präsentiert, der keinen neuen Straftatbestand fordert, sondern die Möglichkeiten des Gewaltschutzgesetzes erweitert. Wir sind gemeinsam mit der hessischen Landesregierung der Auffassung, dass die rhein- land-pfälzische Gesetzesinitiative die Stalking-Opfer nur unzureichend schützt und die hessische Initiative nicht ersetzen kann. Erfreulich ist trotz alledem, dass insgesamt anerkannt wird, dass die bisherigen gesetzlichen Regelungen nicht ausreichen, um StalkingOpfer zu schützen.

Die Initiative aus Rheinland-Pfalz hat zur Folge, dass die Opfer von Stalking zunächst den schwierigen Weg des Zivilverfahrens beschreiten müssen. Die bisherigen Erfahrungen mit dem Gewaltschutzgesetz zeigen aber, dass die Opfer den Weg der zivilgerichtlichen Auseinandersetzung in vielen Fällen vor allem aus Angst vor dem Täter nicht beschreiten.

Nur der hessische Gesetzentwurf beseitigt die Schutzlosigkeit der Opfer, indem er auf die Notwendigkeit einer vorangegangenen zivilgerichtlichen Entscheidung verzichtet. Die Opfer können nach dem hessischen Vorschlag unmittelbar auf ein staatliches Tätigwerden gegen den Belästiger vertrauen. Wir meinen, dass der hessische Entwurf viel weitgehender ist. Er beschreibt detailliert, welche Straftatbestände zukünftig zur Anklage kommen können.

Wir finden es deswegen erfreulich, dass die Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hier im Hause auf unsere Landtagsinitiative vom 27. Oktober 2004 hin mit einem in der Zielrichtung ähnlichen Antrag vom 4. Dezember 2004 reagiert haben. Anders als beispielsweise die SPD in Nordrhein-Westfalen fordern auch Sie die „gesetzliche Verankerung von strafrechtlichen Bestimmungen" zur Bekämpfung von Stalking. Sie berufen sich nicht unmittelbar auf die hessische Initiative, sondern verweisen allgemein auf die Notwendigkeit, Stalking als Straftatbestand zu verankern.

Beraten wird im Rechtsausschuss des Bundesrats die Problematik, ob die hessische Formulierung den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes gerecht wird. Das wird dort zu Recht beraten. Um eine möglichst breite Zustimmung in dieser wichtigen Frage in diesem Haus zu erreichen, werden wir unseren Antrag zurückziehen und dem Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD zustimmen, weil das ein vernünftiger Weg ist und eine breite Zustimmung erfahren kann.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Erwähnen möchte ich aber noch zweierlei. Zum einen ist der Begriff „Stalking“ nicht unbedingt dazu angetan, auch meinen Kollegen Uwe Greve zufrieden zu stellen. Er ist auch in der Vermittlung gegenüber Bürgerinnen und Bürgern problematisch. Ich habe allerdings in der Literatur und aus der Diskussion heraus keine andere Formulierung dazu gefunden.

Erwähnen möchte ich auch, dass wir es für parlamentarisch unangemessen halten, dass sich die Justizministerin zu einem vorliegenden Antrag der CDULandtagsfraktion, der aus geschäftsordnungsmäßigen Gründen auf die Dezember-Tagung vertagt wurde, aber vom Oktober 2004 stammt, in einer Pressemitteilung vom 23. November 2004 äußert. Frau Ministerin, ich kann schon verstehen, dass es aus Ihrer Sicht mehr als ärgerlich ist, dass Sie dieses wichtige Thema nicht selbst aufgegriffen haben. Sie sollten sich trotzdem an die parlamentarischen Gepflogenheiten dieses Hauses halten und den Sachverhalt dann mit uns diskutieren, wenn es angemessen ist, und das ist heute. Selbst wenn Sie sich darüber geärgert haben, ist es nicht richtig, mit einer Pressemitteilung so vorwegzugehen.

Ich hoffe, dass wir insgesamt eine breite Zustimmung erreichen werden.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich gehe davon aus, dass der Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kein Änderungsantrag, sondern ein eigenständiger Antrag ist, weil sonst mit der Rücknahme des Antrages der CDU die Grundlage entzogen wäre.

Für die Fraktion der SPD erteile ich der Frau Abgeordneten Anna Schlosser-Keichel das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Begriff „Stalking" wurde in den 90er-Jahren in den USA geprägt. Auch ich habe natürlich damit gerechnet, dass ich den Begriff hier übersetzen muss. Er kommt aus dem Jäger-Jargon aus Amerika und bedeutet wörtlich übersetzt „auf die Pirsch gehen". Was so harmlos klingt, ist für die Betroffenen bitterer Ernst. Herr Schlie hat ja schon beschrieben, was Stalking ist: das vorsätzliche, böswillige Belästigen, Bedrohen, Verfolgen.

Inzwischen belegen Studien, dass die Erkenntnisse über Stalking, die bisher vor allem aus Amerika stammen, nahezu deckungsgleich auch für die Bundesrepublik zutreffen. Das heißt, circa 85 % der Betroffenen sind Frauen. Ein fast ebenso hoher Prozentanteil der Stalker, der Täter, sind Männer. Aber auch wenn die Frauen in der Minderzahl sind, in Akribie und Gemeinheit stehen weibliche Täterinnen den männlichen Stalkern in nichts nach.

In neun von zehn Fällen stehen die Beteiligten in irgendeiner Beziehung zueinander. Stalking unter Fremden ist ganz selten. Sie kennen sich aus dem Freundeskreis, aus der Nachbarschaft, vor allem - Herr Schlie sagte das schon - aus Paarbeziehungen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Ich bitte um mehr Aufmerksamkeit.

Fast die Hälfte der Stalker sind ehemalige Partner. Es ist deshalb selbst für die Betroffenen und umso mehr noch für die Strafverfolgungsbehörden schwierig, etwa nach einer gescheiterten Beziehung das Umschlagen von zunächst harmlosen Kontaktversuchen zu intensiver werdenden Belästigungen bis hin zur konkreten Bedrohung richtig einzuordnen, ernst zu nehmen und die tatsächliche Gefährdung, die zuweilen eine Lebensgefährdung sein kann, zu erkennen.

Stalking-Opfer klagen oft darüber, dass ihre Probleme lange Zeit weder im persönlichen Umfeld noch von den Behörden ernst genommen werden, und berichten über Reaktionen wie: Nun freu dich doch über so einen treuen Verehrer! - So eine Äußerung verkennt die Problematik natürlich völlig.

Die neuesten Befragungen haben ergeben, dass die Opfer im Durchschnitt vier verschiedene Methoden aushalten müssen: Telefonterror, Verfolgung über SMS, Auflauern, unerwünschte Bestellungen.