Guten Morgen, meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die Sitzung und möchte Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen.
Erkrankt sind die Abgeordneten Frau Dr. HappachKasan, Frau Redmann und Herr Steincke. Wir wünschen ihnen von hier aus gute Besserung.
Auf der Besuchertribüne begrüße ich die Besuchergruppen der Klaus-Harms-Schule Kappeln und der Realschule Meldorf. Herzlich willkommen!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Das Zentrum für innere Führung der Bundeswehr in Koblenz hat vor kurzem ermittelt, dass in unserer Armee zurzeit Soldaten aus 82 unterschiedlichen Herkunftsländern Dienst tun. Die deutsche Armee, eine wichtige Institution in unserem Staat, spiegelt damit die gesellschaftliche Realität in Deutschland wider und - in Anführungszeichen Ausländer verteidigen Deutschland. Deutsche, die in Deutschland geboren sind, und Deutsche, die im Ausland geboren sind, leben und arbeiten zusammen. Sie fühlen sich für unsere Gesellschaft verantwortlich, übernehmen Verantwortung und sind bereit, auch ihr Leben zu geben, um die Freiheit dieses Landes zu verteidigen. Für kommende Generationen wird das hoffentlich immer selbstverständlicher werden. Heute müssen wir darauf noch ausdrücklich hinweisen.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland feiert in diesem Jahr sein 50. Gründungsjubiläum. Für alle Deutschen ist das ein besonderes Jubiläum, setzte diese Gründung doch ein wichtiges Signal zum Bleiben und zur Rückkehr nach Deutschland für viele
Menschen jüdischen Glaubens. In den vergangenen 50 Jahren hat der Zentralrat ganz entscheidend dazu beigetragen, eine stabile Demokratie, eine offene Gesellschaft aufzubauen, in der auch kritisch diskutiert werden kann.
Vor einer Woche, dem Jahrestag des nationalsozialistischen Pogroms von 1938, fand in Berlin die größte Demonstration gegen Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit seit 1992 statt. Es war beeindruckend mitzuerleben, wie weit über 200.000 Menschen unter dem Motto „Wir stehen auf für Menschlichkeit und Toleranz“ in der Hauptstadt auf die Straße gegangen sind. Überall in Deutschland, auch außerhalb Berlins, haben engagierte Bürgerinnen und Bürger an diesem 9. November Aktionen gegen den Rechtsextremismus und für eine tolerante Gesellschaft organisiert. Die Botschaft war unmissverständlich: Fremdenhass und Gewalt haben in Deutschland keine Chance!
Diese drei Punkte sind neben vielen anderen positive Zeichen für unsere Demokratie und den Willen der Mehrheit, mit ihren Minderheiten in Normalität friedlich, partnerschaftlich, ja sogar freundschaftlich zusammenzuleben.
Doch das ist leider nur die eine Seite der Medaille. Gleichzeitig wurde am 9. November in Elmshorn ein jüdisches Mahnmal geschändet. Die Gedenktafel für die ehemalige Synagoge wurde mit weißer Farbe und Hakenkreuzen beschmiert. Paul Spiegel, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, beklagte bei der Berliner Demonstration, dass es längst nicht mehr um ein „Wehret den Anfängen“ gehe, sondern dass die Bedrohung von Menschen jüdischen Glaubens, Ausländern, Obdachlosen, Behinderten, allein erziehenden Frauen sehr aktuell sei. Es ist traurig und beschämend, dass wir heute noch oder wieder über solche Fragen nachdenken müssen und darüber, wie sie zu bekämpfen sind. Es ist unerträglich, dass jüdische Einrichtungen und Ausländerwohnheime und Menschen, die anders aussehen oder anders leben, als wir oder Einzelne es für richtig halten, Zielscheiben rechtsextremistischer und fremdenfeindlicher Angriffe sind, dass Menschen ihre religiösen Gottesdienste nur dann wahrnehmen können, wenn Polizei vor der Tür steht.
Aber das ist Gott sei Dank nicht das Alltagsgesicht Deutschlands. Wir leben in einer gefestigten Demokratie. Die überwältigende Mehrheit der Deutschen verabscheut solche Gewalt und lehnt rechtsextremistische Gruppen und ihre Ideologie von Hass, Gewalt und Intoleranz ab.
Auch jenseits der offiziellen Gedenkkultur haben sich seit dem Bombenanschlag in der Düsseldorfer U-Bahn in vielen Städten und Gemeinden Initiativen und Gruppen gegründet, die mit ihren Aktionen ein deutliches Zeichen setzen wollen. Der „Aufstand der Anständigen“, den Bundeskanzler Schröder gefordert hat, ist Gott sei Dank - oder auch leider - kein Sommerlochtheater, sondern ein Beweis für das Funktionieren der zivilen Bürgergesellschaft weit über das Zeilenfüllen von Zeitungen, die sonst nicht wissen, was sie schreiben sollen, hinaus.
Gedenktage wie der 9. November und Mahnmale wie in Elmshorn und anderswo verhindern natürlich keine rechtsextremistische Gewalt, aber sie geben unserer Erinnerung und unserer Haltung einen festen Ort. Sie lassen das Andenken der Opfer nicht verlöschen. Sie ermutigen diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die sich gegen Gewalt, Rassismus und Intoleranz engagieren, die sich für Zivilcourage, für ein Miteinander von Mehrheit und Minderheiten und für einen respektvollen Umgang mit Menschen anderen Glaubens und anderer Hautfarbe einsetzen, dies auch offen zu zeigen. Diese Mehrheit wollen wir stärken. Das liegt im Interesse des Zusammenhalts unserer Gesellschaft.
Die Landesregierung wird deshalb eine Aktion „Bürgergesellschaft“ ins Leben rufen, die klare Signale gegen rechte Gewalt, Rassismus und Diskriminierung setzen soll und bürgerschaftliches Engagement unterstützt. Die Aktion soll nicht von der Landesregierung allein getragen werden, sondern von den vielen engagierten Menschen in Schleswig-Holstein, die sich auch heute schon in allen Gebieten unseres alltäglichen Lebens freiwillig und ohne zu fragen, was man ihnen dafür gibt, engagieren.
Um möglichst viele Bürgerinnen und Bürger anzusprechen, haben wir für den Auftakt den internationalen Tag des Ehrenamtes, den 5. Dezember gewählt. In diesem Jahr, an diesem Tag, beginnt auch das Internationale Jahr der Freiwilligen, das die Vereinten Nationen ausgerufen haben. Daran wollen wir anknüpfen, um das Jahr nicht einfach leer verstreichen zu lassen. Das Ziel ist es, engagierte Menschen, vor allem in Institutionen, miteinander in Kontakt zu bringen, neue Wege des freiwilligen Engagements gerade für Jugendliche zu eröffnen und damit Alternativen zur rechten Subkultur aufzuzeigen, die spannend sind, attraktiv sind und den Jugendlichen eine Möglichkeit geben, selbstbewusst und selbstbestimmt Aktionen zu planen.
In diese Richtung zielt auch das Bündnis gegen Rechtsextremismus, das sich am 16. Oktober zum ersten Mal getroffen hat. Vertreterinnen und Vertreter
von 21 Organisationen haben dabei gemeinsame Aktionen für Toleranz und Zivilcourage bei uns im Lande verabredet. Alle im Landtag vertretenen Parteien haben sich an dem Bündnis beteiligt und eine gemeinsame Resolution unterzeichnet. Für dieses Zeichen des einmütigen Aufstehens gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt in unserem Land darf ich mich ganz ausdrücklich bei Ihnen, bei den Fraktionen und ihren Vertretern, bedanken.
Wir wissen, mit jedem Brandanschlag auf Synagogen, Geschäfte und Wohnungen wird auch ein Stück unseres Landes, wird auch ein Stück Deutschland angezündet. Jeder Angriff auf Ausländer, Sinti und Roma, auf Behinderte und Obdachlose, auf Homosexuelle und junge Frauen trifft auch unser demokratisches Gemeinwesen.
Deshalb müssen wir rechtsextremistischen Gewalttätern und ihren intellektuellen Hintermännern und Strippenziehern den Boden entziehen. Das ist auch Aufgabe von Regierung, Polizei und Justiz. Die Polizei in Schleswig-Holstein hat den Kontrolldruck auf rechtsextremistische Gruppen deutlich erhöht, um die Szene weiter zu verunsichern. Polizeibeamtinnen und -beamte vor Ort erteilen schneller als bisher Platzverweise gegen Neonazis, nehmen ihre Personalien auf und suchen die bekannten Treffpunkte der braunen Subkultur in regelmäßigen Abständen auf. An den Brennpunkten rechtsextremistischer Straftaten werden Sonderkommissionen eingesetzt.
Polizei und Justiz müssen rasch und mit Nachdruck reagieren. Es kommt darauf an, die Arbeit eng aufeinander abzustimmen. Der Rechtsstaat muss unmissverständlich klar machen, dass er rassistische und rechtsextremistische Straftaten nicht duldet, auch nicht als Entschuldigung für zwei oder drei zu viel getrunkene Biere.
Urteile wie im Prozess um die Verfolgungsjagd auf den Algerier Omar Ben Noui im brandenburgischen Guben stoßen unter diesem Aspekt in der Öffentlichkeit auf Unverständnis, zumal andere Gerichte, wie in Dessau oder Frankenthal, zuvor gezeigt haben, dass es durchaus möglich ist, in Urteilen und im Verfahrensverlauf rechtsextremistische Hintergründe zu erkennen und zu berücksichtigen und dennoch nicht blindlings einfach nur harte Strafen zu verhängen, sondern auch die Täter zu betrachten und ihnen die Möglichkeit zu geben, Einsicht zu gewinnen.
lichkeit in Schleswig-Holstein legen wir Ihnen heute eine umfassende Bestandsaufnahme aller Maßnahmen vor, die die Landesregierung in den vergangenen Jahren getroffen hat. Neben der Arbeit von Gerichten und der Polizei geht es dabei auch um Hochschul- und Schulpolitik, die Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer, die länderübergreifende Zusammenarbeit im Kampf gegen den Rechtsextremismus und den Umgang mit rechtsextremistischen und jugendgefährdenden Inhalten in neuen Medien wie dem Internet. Darüber hinaus sind auch die Angebote dargestellt, die von Volkshochschulen, dem Institut für Zeit- und Regionalgeschichte, kriminalpräventiven Räten und anderen schleswig-holsteinischen Initiativen und Institutionen entwickelt wurden.
Auf dieser Grundlage wird es in Zukunft leichter fallen, die Situation in unserem Land realistisch einzuschätzen, ohne in hektischen Aktionismus zu verfallen, aber dennoch fest und in der Sache unnachgiebig zu bleiben. Unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker ist es, sachlich und mit kühlem Kopf alle Möglichkeiten zu prüfen, gegen rechte Ideologen und Gewalttäter vorzugehen.
Aber genauso notwendig wie rechtstaatliche und polizeiliche Sanktionen ist es, das öffentliche Bewusstsein zu verändern. In der Erziehung und Ausbildung unserer Kinder haben wir die Möglichkeit dazu. Sie können lernen, dass Relativieren, Verdrängen und Vergessen, Gewalt und Intoleranz keine Basis für ihr zukünftiges Leben sind, das sie doch auch selbstbewusst gestalten wollen.
Deshalb unterstützt die Landesregierung in vielen Bereichen Projekte, die gerade junge Menschen gegen rechtsextremistische und ausländerfeindliche Parolen stark machen sollen. So haben wir in der Nachschiebeliste zum Haushalt 2001 Mittel für eine Demokratiekampagne, für den Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und für eine Sonderveranstaltung im Rahmen der jährlich stattfindenden landesweiten interkulturellen Wochen bereitgestellt.
Eine Erziehung zu kultureller Neugier und einem partnerschaftlichen Umgang mit Minderheiten und Schwachen kann jedoch nur dann erfolgreich sein, wenn jede und jeder Einzelne sich für eine offene und friedliche Gesellschaft engagiert, in Familie oder Schule, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft, in Vereinen oder Parteien. Wir brauchen Vorbilder, die zeigen, dass Zivilcourage, Toleranz und ein solidarisches Miteinander stark machen. Wir warnen ausdrücklich davor, dass sich Einzelne selbst etwa gar in Gefahr oder Lebensgefahr begeben, weisen aber darauf hin, dass man gemeinsam etwas unternehmen kann, wenn man gemeinsam hinguckt.
Als Landesregierung wollen wir die Voraussetzungen für ein solches Verhalten schaffen. Wir setzen dabei auf drei Bereiche, die für uns entscheidend sind:
Erstens. Extremistische Gewalt darf von Jugendlichen nicht als erfolgreich erlebt werden. Deswegen ist eine schnelle und konsequente Verfolgung jeder einzelnen Straftat erforderlich.
Zweitens. Auf lange Sicht muss es uns gelingen, rechtsextremistische und rechtsradikale Tendenzen aus unserer Gesellschaft, soweit es nur geht, zu verdrängen und zu verarbeiten. Stattdessen sollen durch eine umfassende Präventionsarbeit auf allen gesellschaftlichen Ebenen demokratische Verhaltensweisen eingeübt werden.
Drittens. Schließlich wollen wir den demokratischen, solidarischen und weltoffenen Grundkonsens der Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner noch stärker als bisher sichtbar machen. Rechtsextremisten sollen nicht mehr unwidersprochen behaupten können, sie sprächen für eine schweigende Mehrheit der Bevölkerung.