Protocol of the Session on December 14, 2001

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Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche Ihnen eine schönen guten Morgen. Wir wollen jetzt in die weitere Beratung der Tagesordnung eintreten. Bevor ich den Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich zunächst auf der Tribüne Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler der Hebbel-Realschule, Flensburg, begrüßen. - Herzlich willkommen im SchleswigHolsteinischen Landtag!

(Beifall)

Ich darf Ihnen mitteilen, dass - nach den Mitteilungen der Fraktionen - Herr Abgeordneter Klaus-Dieter Müller und Frau Abgeordnete Brita Schmitz-Hübsch erkrankt sind. Beiden wünschen wir von hier aus gute Besserung.

(Beifall)

Beurlaubt sind die Herren Abgeordneten Bernd Schröder und Joachim Behm.

Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:

Sport in Schleswig-Holstein

Große Anfrage der Fraktion der CDU Drucksache 15/1133

Antwort der Landesregierung Drucksache 15/1329

Wenn das Wort zur Begründung nicht gewünscht wird, erteile ich zur Beantwortung der Großen Anfrage für die Landesregierung Frau Kultusministerin Erdsiek-Rave das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was fällt Ihnen zu Ihrem eigenen Schulsport ein? Leichtathletik bei Nieselregen, Angst vor dem Flickflack oder dem Reck?

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

- Herr Präsident, ich merke, den Kolleginnen und Kollegen fällt viel ein. Fallen Ihnen der Geruch von muffigen Turnschuhen oder - an die Mädchen gerichtet - fantasievolle Entschuldigungen ein? Es wäre schade, wenn es nur so wäre, weil es mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Sportmuffel aus Ihnen gemacht hätte. Wünschenswerter wäre es natürlich, wenn Sie sich daran erinnerten, dass Sie leidenschaftlich oder auch bis zur Erschöpfung in einer Mannschaft gekämpft, manchmal das Letzte aus sich herausgeholt und gelernt

3648 Schleswig-Holsteinischer Landtag (15. WP) - 49. Sitzung - Freitag, 14. Dezember 2001

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

haben, sich selbst etwas zuzutrauen. Überhaupt wäre es wünschenswert, wenn der Schulsport eine Initialzündung für Ihr eigenes aktives Leben gewesen wäre und zu einem gesunden Umgang mit Ihrem Körper geführt hätte. Liebe Schülerinnen und Schüler, ich hoffe - gerichtet an alle Schülerinnen und Schüler -, dass das erste Szenario heute nicht mehr das wahrscheinliche Szenario ist. Eines ist wohl mit Sicherheit klar, es bedarf immer wieder neuer Anstöße und Initiativen, um den Schulsport ins Blickfeld zu rücken.

Ich glaube, es war daher wichtig, das Jahr 2002 zum Jahr des Schulsports zu erklären, um ihn als zentralen Bestandteil von Bildung und Erziehung verstärkt ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Das gilt im Interesse der Schüler, aber auch im Interesse der Schüler als künftige Erwachsene. Mir geht es dabei gleichermaßen um Sportlichkeit und Sportsgeist. Sie wissen, dass es um die Fitness und um den allgemeinen Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen in Deutschland nicht zum Besten steht. Die Defizite sind zum Teil so groß, dass massive gesundheitliche Probleme entweder schon zu beobachten oder aber zu befürchten sind. Wir werden später über PISA und über den Zusammenhang zwischen sozialer Schicht und Schulleistungen diskutieren. Leider gibt es auch einen Zusammenhang zwischen sozialer Schicht und körperlicher Gesundheit bei Kindern. Das finde ich genauso bedenklich wie den ersten Befund.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Warnungen von Experten gibt es genügend. Sie scheinen selten auf fruchtbaren Boden zu fallen. Zweifellos handelt es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem. Es ist weder regional eingrenzbar noch auf einfache Kausalzusammenhänge zu reduzieren. Der Schulsport ist lediglich ein Baustein innerhalb des großen Gebäudes Gesundheit oder einer umfassenden Gesundheitsdebatte.

Sport und Schulsport stehen aber eigentlich nicht auf der Problemseite der Rechnung, sondern eher auf der Seite der Problemlösungen. Das ist aus zwei Gründen so: Ein Grund ist der Gesundheitsaspekt, nämlich Sport im körperlichen Sinne. Der andere Grund steht für mentale und soziale Schlüsselqualifikationen wie der Förderung von Strategiefähigkeit, Gemeinschaftssinn, Fairness und Toleranz, von Teamgeist und Leistungsbereitschaft. Beim Handballspielen lernt man nicht nur, mit Sieg und Niederlage umzugehen. Man lernt auch zu kämpfen, sich durchzubeißen und Allianzen zu schmieden. Vor allem aber lernt man, dass der sportliche Gegner im wirklichen Leben eigentlich ein Freund ist. Schulsport ist im buchstäblichen Sinne

Sport für alle, denn er erreicht ohne Ausnahme alle Kinder und Jugendliche. Er stellt die Weichen für das Gesundheitsbewusstsein des zukünftigen Erwachsenen. Er steht für körperlichen und mentalen Zugewinn.

Der Schulsport kann aber keine Wunder bewirken. Er ist - wie die Sportvereine auch - nur begrenzt in der Lage, gegen gesellschaftliche Bewegungsarmut insgesamt anzukämpfen. Dennoch fällt die Saat bei vielen auf fruchtbaren Boden. Bei manchen während, bei manchen erst nach der Schulzeit. Bei manchen erfolgt dies aber auch erst, wenn ihnen als Erwachsene der Rücken wehtut. Dann sind die guten Tipps aus dem Sportunterricht wieder gefragt.

Wie aber steht es um den Schulsport in SchleswigHolstein? Ich stelle fest: Die Rahmenbedingungen stimmen. Mehr noch, in Schleswig-Holstein sind sie besser als in manch anderen Bundesländern.

(Zuruf der Abgeordneten Sylvia Eisenberg [CDU])

Wir haben in den vergangenen Jahren konsequent an den Stundentafelwerten von 1981 festgehalten. Frau Eisenberg, in anderen Ländern wurden sie abgebaut. Weiter haben wir am zweiten Aktionsprogramm für den Schulsport von 1985 festgehalten. Ich weiß allerdings: In der täglichen Schulpraxis können die zumeist vorgesehenen drei Sportstunden in der Woche nicht in jedem Einzelfall erteilt werden. Der Anspruch aber sichert die Grundlage für einen umfassenden Sportunterricht. Unsere Lehrpläne sind alle neu oder stehen gerade vor dem Abschluss einer Revision. Sie sind die verbindliche Arbeitsgrundlage für den Sportunterricht. Sie sollen es sein. Ich hoffe, dass dies in der Praxis so ist und dass der Sportunterricht - so wie wir ihn selber noch genossen haben - nicht die Regel ist.

Dieser Unterricht wird umso effizienter sein, je besser es uns gelingt, die Interessen des freien Sports und seiner Vertreter - nämlich des Landessportverbandes und der Spitzenverbände des Sports - mit der schulischen Arbeit zu verknüpfen. Hier stehen wir in Schleswig-Holstein gut da. Ich möchte hier stellvertretend nur die Arbeitsgemeinschaften der Aktion „Schule und Verein“ und den Wettbewerb „Jugend trainiert für Olympia“ nennen. Die künftigen Ganztagsangebote sollen und werden die Kooperation zwischen Schule und Sport noch weiter verstärken. Mit den Rahmenbedingungen können wir in SchleswigHolstein auch deswegen zufrieden sein, weil der Landessportverband in Schleswig-Holstein eine herausragende Arbeit leistet.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Sylvia Eisenberg [CDU])

Schleswig-Holsteinischer Landtag (15. WP) - 49. Sitzung - Freitag, 14. Dezember 2001 3649

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

- Zumindest hier könnten Sie zustimmen und Beifall klatschen. Er hat im Übrigen erheblich zu dem vorliegenden Bericht über den Sport in Schleswig-Holstein beigetragen. Ich finde, dies ist daher eine gute Gelegenheit, die Arbeit zu würdigen. Derzeit ist jeder dritte Schleswig-Holsteiner Mitglied in einem der 2.650 Sportvereine, die im Landessportverband organisiert sind. Mehr als ein Drittel der Mitglieder sind Kinder und Jugendliche. Beide Kurven steigen an. Ich finde, das ist ein äußerst erfreuliches Zeichen. Diese Vereine leisten zunehmend nicht nur Sportarten- und Spartenarbeit, sondern auch Betreuung im weitesten Sinne. Sie tun dies weit über das rein Sportliche hinaus. Sie setzen derzeit das neu entwickelte Qualitätssiegel „Sport pro Gesundheit“ flächendeckend um. Viele Aktive arbeiten ehrenamtlich mit überaus großer Einsatzfreude. Das sind die guten Nachrichten.

Im Getriebe des Schulsports ist natürlich auch Sand. An den Lösungen wird jedoch gearbeitet und muss auch weiter gearbeitet werden. Die Zahl der Sportlehrkräfte ist insgesamt ausreichend. Die Altersstruktur wirkt sich in diesem Fach aber natürlich besonders ungünstig aus. Gerade im Jahr des Schulsports empfehle ich daher den Schulleitungen, ältere Sportlehrerinnen und -lehrer - soweit sie dies auch wollen - verstärkt in ihren anderen Fächern einzusetzen, damit auf diese Weise jüngere Sportlehrkräfte vorrangig angefordert werden können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Friedrich-Carl Wodarz [SPD])

Das ist eine Möglichkeit, die die Schulen in der Hand haben. Auch in diesem Bereich wird sich in den nächsten Jahren, bedingt durch Pensionierungszahlen und eine deutliche Verjüngung der Lehrerkollegien, ohnehin ein radikaler Wandel vollziehen. Mit dem Jahr des Schulsports möchte ich vor allem ein generelles Umdenken erreichen. Wir beobachten bundesweit seit Jahren so etwas wie eine Marginalisierung des Sportunterrichts. Im Gegensatz zum Mathematikunterricht werden ausgefallene Sportstunden innerhalb des Schulsystems von allen Beteiligten noch am ehesten toleriert. Dies bedeutet eine schleichende Entwertung. Das muss sich ändern. Jede nicht erteilte Sportstunde muss von allen als Verlust empfunden werden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der Abgeordneten Sylvia Eisenberg [CDU])

Für das Fach Sport ist das eine Riesenchance und eine Herausforderung. Ich hoffe, dass unsere Initiative zum Jahr des Schulsports 2002, die von vielen Sponsoren - und ganz besonders vom Landessportverband - dan

kenswerterweise unterstützt wird, ein Stück weit die Trendwende einleiten kann. Das liegt auch im Interesse der Chancengleichheit. Es dient dazu, der Ausdifferenzierung unserer Gesellschaft entgegenzuwirken und echte Integration, die der Sportunterricht wirklich leisten kann, zu stiften.

Ich bin zuversichtlich, dass es gelingt, im Schulsport zu guten Ergebnissen zu kommen. Das gilt im Hinblick auf die Sportlichkeit ebenso wie im Hinblick auf den Sportsgeist. Ich bin überzeugt davon, dass gute Leistungen im Sport nicht nur das Selbstbewusstsein der Kinder erheblich stärken können, sondern dass es auch positive Auswirkungen auf die Lernfähigkeit geben kann. Auch deshalb ist dieses Thema wichtig.

(Beifall bei der SPD)

Daher bitte ich Sie um Ihre Mithilfe und vielleicht sogar um Ihr Vorbild, damit unsere Kinder nicht erst spät die Reißleine ziehen und viel zu spät einen sehr beschwerlichen und langen Lauf zu sich selbst antreten müssen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion der CDU erteile ich Frau Abgeordneter Sylvia Eisenberg das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Frau Erdsiek-Rave, die Analyse des Berichts wird auch von unserer Seite ähnlich sein. Wie vorauszusehen, ist unsere Bewertung allerdings etwas anders. Das ist die Aufgabe der Opposition und damit muss man leben.

Alle Welt redet von PISA. Auch eben klang diese Studie an. Auf diese Art und Weise verschafft sie der Bildung - hoffentlich nicht nur vorübergehend - die Aufmerksamkeit der Gesellschaft, die sie verdient. Wenn es dem geplanten Jahr des Schulsports, das übrigens keine Neuerfindung des Landes SchleswigHolstein ist, denn in Nordrhein-Westfalen und Hessen gab es das auch schon, in ähnlicher Weise gelingen würde, die Bedeutung und die Notwendigkeit des Schulsports und des Sports allgemein wieder in das Bewusstsein der Beteiligten - der Eltern, der Schülerinnen und Schüler, der Politiker, der Gesellschaft und der Menschen in Schleswig-Holstein - zu rücken, dann wäre ein wesentliches Ziel erreicht.

Wenn die geplanten Aktionen im nächsten Jahr allerdings nur dafür genutzt werden, die Mängel in der

(Sylvia Eisenberg)

Unterrichtsversorgung im Fach Sport zu verschleiern, so wird dieses Ziel mit Sicherheit nicht erreicht werden.

(Beifall bei der CDU)

Wir dürfen unsere Zeit nicht mit Verschleiern verplempern, sondern müssen die erforderlichen Rahmenbedingungen anpassen. Wie sieht es denn zurzeit mit dem Sportunterricht in Schleswig-Holstein aus? Der Unterrichtsausfall und das jedenfalls bis 1993/94 noch nachgewiesene Unterrichtsfehl von damals schon rund 7 % im Grundschulbereich - heute liegt dieses Fehl wahrscheinlich wesentlich höher - lassen, für sich gesehen, die Frage zu, wie diese Landesregierung zum Fach Sport steht.

Zunächst zur Altersstruktur der Sportlehrerinnen und Sportlehrer: Das durchschnittliche Alter der Sportlehrerinnen und Sportlehrer liegt zwischen 50 und 60. In den nächsten Jahren werden wir einen erheblichen Lehrerbedarf vor allen Dingen im Grundund Hauptschulbereich haben. Ich fordere die Landesregierung hiermit auf, schnellstens erhebliche Anstrengungen zur Werbung auch von Sportlehrern in Gang zu setzen.

(Beifall bei CDU und FDP)