Protocol of the Session on June 8, 2000

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Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen. Ich eröffne die heutige Sitzung. Das Haus ist beschlussfähig.

Erkrankt ist Herr Abgeordneter Rainer Wiegard. Beurlaubt sind Frau Abgeordnete Christel AschmoneitLücke und für heute Nachmittag Herr Abgeordneter Martin Kayenburg.

Darüber hinaus dürfen wir Frau Abgeordneter Gisela Böhrk ganz herzlich zum Geburtstag gratulieren. Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall)

Ich darf weiter mitteilen, dass zwischen den Fraktionen vereinbart worden ist, den Tagesordnungspunkt 8 Wahl der Mitglieder des Medienrates der Unabhängigen Landesanstalt für das Rundfunkwesen - von der Tagesordnung abzusetzen. Wir beginnen jetzt mit dem Tagesordnungspunkt 15.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:

Reform des Föderalismus

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/128

Ich darf fragen: Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Oppositionsführer des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Herr Martin Kayenburg.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir ein geeintes Europa bauen, wenn wir die europäische Zukunft gestalten wollen, wenn Deutschland in einem größeren Europa bestehen will und wenn Deutschland es mit seiner Erneuerung, das heißt mit der Neuordnung der jeweiligen Kompetenzen und der Subsidiarität ernst meint, dann - so glaube ich - müssen wir die Föderalismusdebatte neu führen. Wir müssen - verzeihen Sie mir das harte Wort - den seit Jahren degenerierenden Föderalismus erneuern.

(Thorsten Geißler [CDU]: Sehr richtig!)

Ich bin dankbar, dass uns die Europadiskussion diese Föderalismusdebatte geradezu aufzwingt. Das gibt uns die Chance, die ungleichgewichtige deutsche Debatte zu überwinden, die sich vorrangig mit Finanzreform, mit Finanzausgleich, nicht aber mit

(Martin Kayenburg)

Kompetenzzuordnung und Gemeinwohlorientierung befasst.

In Zukunft ist die Kompetenzverteilung auf die Länder und vielleicht auch die Stärkung der Regionen, natürlich bei vermehrter Beachtung des Prinzips der Subsidiarität, Voraussetzung dafür, dass sich der Bürger mit seinem Lebensumfeld und mit einem geeinten Europa identifizieren wird. Nur so wird es gelingen, die Gemeinwohlorientierung der Länder und der Bürger in einem immer schneller werdenden Wettbewerb zu stärken.

Die Verkürzung der deutschen Föderalismusdebatte auf den Finanzausgleich ist also ein Grund, warum wir diese Debatte führen möchten. Ein zweiter Grund ist aber für uns noch viel wichtiger und der hat etwas mit dem Selbstverständnis eines Parlamentes zu tun. Deshalb eignet sich diese Debatte - so meine ich - auch nicht so sehr für einen politischen Streit, sondern für eine - wenn natürlich auch kontroverse - Diskussion, an deren Ende eine Einigung, vielleicht sogar eine Einigungskultur stehen sollte, die wir dann vielleicht auch auf andere Politikfelder übertragen können.

Wir dürfen aber - das ist der entscheidende Punkt diese Föderalismusdebatte nicht den Regierungen allein überlassen.

(Beifall der Abgeordneten Roswitha Strauß [CDU])

Es geht eben nicht nur um Administration und Ausgleich zwischen den Ländern, es geht entscheidend um unsere parlamentarische Funktion.

(Beifall bei SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es geht darum, wie wir künftig in unseren Ländern, in den politischen Einheiten und in den Regionen unsere Aufgaben wahrnehmen wollen und können. Es liegt in unserer Verantwortung, unsere Kompetenzen wirksam zu vertreten, Kompetenzabgrenzungen und Kompetenzübertragungen zu definieren und auch durchzusetzen. Dabei muss die Kompetenzkompetenz bei den Bundesländern bleiben und darf nicht ausgehöhlt werden. Derzeit - so glaube ich - laufen wir Gefahr, diese wichtigste Aufgabe der Parlamente den Regierungen allein zu überlassen. Wenn wir dies nicht ändern, werden wir auch gestalterisch nicht eingreifen können, sondern nur noch Ergebnisse nachträglich abnicken können, die - wie etwa bei Staatsverträgen - zustande gekommen sind, ohne dass etwa unsere Beteiligung gefragt war. Das entspricht zumindest nicht meinem Parlamentsverständnis.

(Beifall im ganzen Haus)

Wir leben in einem Risiko, das ähnlich der Position ist, die das Europäische Parlament heute hat: eine übermächtige Kommission, Politikgestaltung - nicht etwa deren Vollzug - durch die Administration und ein Europäisches Parlament, das zwischen der Kompetenz der Nationalstaaten einerseits und der Allmacht der Kommission andererseits mühsam seine eigene Kompetenz zu definieren versucht. Wir sollten uns nicht durch unsere Untätigkeit in eine ähnliche Lage hineinmanövrieren.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Kähler [SPD])

Das würde auch nicht unserem Verfassungsauftrag entsprechen.

(Beifall bei CDU und F.D.P. sowie vereinzelt bei der SPD)

Der Beifall zeigt mir, dass auch Sie es für selbstverständlich, ja unverzichtbar halten, dass wir uns verstärkt in diese Föderalismusdebatte einbringen.

Aber um diese Aufgabe sachgerecht wahrnehmen zu können, müssen wir natürlich auch die Auffassung der Landesregierung dazu wissen, die sich ja schon pflichtgemäß und verantwortungsbewusst mit diesem Thema auseinandersetzt. Besonders dankbar bin ich dafür, dass sich die Parlamentspräsidenten ebenfalls mit diesem Thema befasst haben, um der Föderalismusdebatte neue Impulse zu geben und die parlamentarische Verantwortung zu unterstreichen.

Die Reaktionszeit der Politik auf gesellschaftliche und die europäischen Entwicklungen ist einfach zu langsam. Komplizierte und überregulierte Entscheidungsprozesse kennzeichnen unser politisches Handeln. Dies gilt leider und insbesondere in Deutschland. Entscheidungen werden aufgeschoben oder gar nicht getroffen. Wir, die gewählten Volksvertreter, werden meines Erachtens damit dem uns erteilten Auftrag nicht gerecht, auf ökonomische, ökologische und soziale Veränderungen in angemessener Zeit zu reagieren. Wir haben oft nicht den Mut, das komplizierte Dickicht von Interessen und Besitzständen wirksam zu beschneiden. Dies haben die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes nicht vorausgesehen und auch nicht gewollt, als sie den Föderalismus als Grundprinzip unseres Staatswesens definierten.

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

Der föderale Grundgedanke geht davon aus, dass der Gesamtstaat für die Dinge zuständig ist, die im Interesse des Volkes einheitlich geordnet werden müssen. Die übrigen Angelegenheiten regeln die Gliedstaaten. Aber das Streben nach Einheitlichkeit in fast allen Lebensbereichen hat sich fest in unserem Den

(Martin Kayenburg)

ken verankert. Die Tendenz zu bundesweit einheitlichen Regelungen von Sachverhalten war und ist die Regel. Das liegt natürlich an unserem Grundgesetz, in dem zunächst die „Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ über das Gebiet eines Landes hinaus und nach der Wiedervereinigung die „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ festgeschrieben war. Aber dieses unitäre Streben erschwert eine zukunftsgerichtete und ergebnisoffene Föderalismusdebatte.

(Thorsten Geißler [CDU]: Sehr richtig!)

Nun muss und darf nicht alles auf Bundesebene geregelt werden. Stattdessen brauchen wir mehr Wettbewerb zwischen den Ländern und auf allen möglichen Gebieten.

(Beifall bei der CDU)

Wir sind gefordert, unter diesem Aspekt die Bereiche, die keiner bundeseinheitlichen Regelung bedürfen, neu zu definieren. Damit werden wir klare Kompetenzen schaffen. Die wiederum schaffen Transparenz, die Grundbedingung für einen fairen Wettbewerb auch zwischen den Ländern ist, und zwar einen Wettbewerb, der die Einheit des Ganzen nicht gefährdet.

Im Hinblick auf die EU fordern wir allenthalben das Subsidiaritätsprinzip ein, vor allem wir Länder. Dies muss auch unsere grundsätzliche Einstellung gegenüber dem Bund sein. Nur so erzielen wir die machtverteilende Wirkung, die der Föderalismus wirklich will. Wir Länder müssen Kompetenzen und Eigenverantwortung zurückgewinnen. Nur dann haben wir auch die Chance, uns gegen das Regeldickicht der europäischen und deutschen Gesetze, Verordnungen und Richtlinien durchzusetzen.

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

Dies wird immer wichtiger; denn schon jetzt beschäftigt sich der Bundesrat mit mehr Vorlagen aus Brüssel denn aus Berlin.

Es geht also darum, unsere föderale Ordnung, die der geschichtlichen Erfahrung unserer Nation entspricht, die ihre Identifikation bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts nicht im Staat, sondern in der gemeinsamen Sprache und Kultur fand, zu stabilisieren. Wir als Länder haben in den vergangenen 50 Jahren leider dazu beigetragen, dass wir heute einen kooperativen Föderalismus haben, der viele unserer Möglichkeiten beschneidet und einschränkt.

Wir müssen also auf den Gebieten, auf denen wir alleinige Gestaltungsmöglichkeiten haben, diese auch wahrnehmen und nicht eine überzogene Angleichung vornehmen, die uns unserer Kompetenzen beschneidet.

(Beifall der Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dies gilt zum Beispiel für die Bildungspolitik und den Bereich der inneren Sicherheit.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Freiwillige Koordinierung kann sinnvoll, muss aber nicht die Regel sein.

(Beifall des Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU])

Die Rahmengesetzgebung des Bundes muss sich künftig auf unverzichtbare Elemente beschränken. Alle Detailregelungen gehören in die Gesetzgebungskompetenz der Länder.

(Beifall bei CDU, SPD und F.D.P.)