Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 42. Tagung des Schleswig-Holsteinischen Landtages. Das Haus ist ordnungsgemäß einberufen und beschlussfähig.
Erkrankt sind die Abgeordneten Kirsten EickhoffWeber und Tobias von Pein. Wir wünschen ihnen gute Genesung.
Die Abgeordneten Kilian und Voß haben sich nach § 47 Absatz 2 unserer Geschäftsordnung für die heutige Sitzung entschuldigt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, heute ist der 27. Januar, der zentrale Gedenktag für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Wegen der Coronapandemie ist es uns heute leider nicht möglich, diesen Tag so zu begehen, wie es notwendig wäre und seiner Bedeutung eigentlich zukommt. Das heißt allerdings nicht, dass wir einen so wichtigen Tag ohne ein Wort des Gedenkens verstreichen lassen. Dafür hat dieses Datum uns Deutschen zu viel zu sagen, und zwar nicht nur über unsere Vergangenheit, sondern auch über unsere Gegenwart und Zukunft.
In diesem Jahr hätten die schrecklichen Ereignisse vom 3. Mai 1945 in der Neustädter Bucht im Zentrum des Gedenkens gestanden. An Bord des Passagierdampfers „Cap Arcona“ und des kleineren Frachtschiffes „Thielbek“ starben damals bei einem alliierten Bombenangriff mehr als 7.000 Menschen. Die meisten Opfer waren zuvor Häftlinge verschiedener Konzentrationslager gewesen. Wenige Tage vor dem Kriegsende, das die Rettung dieser gequälten Menschen gewesen wäre, mussten sie doch noch ihr Leben lassen.
Dass die Bomben und Raketen, die beide Schiffe in der Neustädter Bucht versenkten, von britischen Piloten abgeschossen wurden, ist der bis heute besonders tragische Aspekt des 3. Mai 1945, denn die Briten glaubten, auf Schiffe der deutschen Kriegsmarine zu schießen. Sie wussten nichts von den hilflosen KZ-Häftlingen an Bord.
Die deutschen Bewacher hatten diese Verwechslung gezielt einkalkuliert. Die Häftlinge hatte man in Todesmärschen aus Hamburg in Bewegung gesetzt, um die Lager noch vor Ankunft der Alliierten zu räumen, und in der perfiden Hoffnung, so Beweise für die unmenschlichen NS-Verbrechen zu vernich
ten. Um Vernichtung im wahrsten Sinne des Wortes, um die Ermordung der KZ-Häftlinge kurz vor Kriegsende, ging es auch, als die entkräfteten Überlebenden auf die beiden Schiffe gepfercht wurden. Ganz gezielt waren die Rettungsboote der beiden schwimmenden Gefängnisse sabotiert und die Rümpfe von der SS mit entflammbarem Treibstoff gefüllt worden. Die Tragödie von Neustadt, der Tod von Tausenden von Menschen, war von den NaziSchergen geplant. Sie tragen die Schuld an diesem Verbrechen.
Meine Damen und Herren, die erneute Aufarbeitung dieses Verbrechens und die Erinnerung daran hat sich zurzeit das Museum Cap Arcona in Neustadt/Holstein in Zusammenarbeit mit Neustädter Schulen und begleitet durch die Landesarbeitsgemeinschaft Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Schleswig-Holstein zur Aufgabe gemacht. Es ist außerordentlich bedauerlich, dass eine für dieses Jahr geplante Ausstellung und eine Vorstellung des Projekts nicht stattfinden können. Ich möchte aber an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass diese Präsentation nachgeholt wird, um so eine möglichst breite Öffentlichkeit zu erreichen.
Die Erinnerung an das Verbrechen in der Neustädter Bucht steht für ein neues Kapitel in der Gedenkstätten- und Erinnerungsarbeit. Sie steht stellvertretend für viele andere Orte des Gedenkens an die Opfer der NS-Gewaltherrschaft, welche buchstäblich vor der Haustür bei uns in Schleswig-Holstein zu finden sind.
Der Holocaust, der massenhafte und industrialisierte Mord an Juden, Sinti und Roma, an sowjetischen Kriegsgefangenen, Homosexuellen, an Menschen mit Behinderung und an politischen Gegnern des Nationalsozialismus, fand zu einem großen Teil in den Konzentrationslagern statt, die außerhalb, aber auch innerhalb Deutschlands standen. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Erniedrigung, Misshandlung und Ermordung von Menschen auch in vielen kleinen Außenlagern der Nazis stattfanden und damit buchstäblich für jede und jeden erkennbar waren. Das ist eine Erkenntnis, die dazu geführt hat, dass wir heute wissen, dass der Satz von den Verbrechen, von denen so viele nichts gewusst hätten, unzutreffend ist.
Gerade diese Erkenntnis verpflichtet uns zugleich dazu, niemals wegzusehen, wenn sich Diskriminierung und Hass, Rassismus und Antisemitismus heute wieder in ihren unsäglichen Anfängen zeigen. Wehren wir Demokratinnen und Demokraten gemeinsam den Anfängen!
Diese Wachsamkeit ist heute wieder nötiger denn je. Der Wunsch einer wachsenden Zahl von Menschen, in Deutschland, aber auch anderswo in Europa und der Welt komplexe Herausforderungen auf allzu simple Formeln und Parolen zu reduzieren, wird leider größer und hat leider auch unsere Parlamente erfasst. Das alles ist zutiefst beunruhigend, und diese Beobachtungen mahnen uns Demokratinnen und Demokraten, die Grundlagen nicht zu vergessen, auf denen unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft vor 75 Jahren aufbaute und die uns überhaupt erst einen Neuanfang ermöglichte.
In Neustadt und in ganz Schleswig-Holstein haben es sich engagierte Bürgerinnen und Bürger eingedenk dieser niemals endenden Verantwortung der Deutschen für die NS-Verbrechen zur Aufgabe gemacht, auch zukünftige Generationen mit diesem wichtigen und für unsere Demokratie unverzichtbaren Thema zu konfrontieren. Rund 75 Jahre nach dem Ende der NS-Schreckensherrschaft ist das ein notwendiges, aber auch ein gutes Zeichen. Wir Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner stellen uns unserer historischen Verantwortung, wir setzen uns mit unserer Geschichte auseinander, und wir ziehen daraus immer wieder wichtige Schlüsse.
Schleswig-Holstein verdankt seinen demokratischen Neuanfang dem Vertrauen derjenigen Staaten, die 1945 den Nationalsozialismus unter blutigen Opfern besiegten und uns Deutschen damit die Freiheit schenkten. Wenn wir heute, 75 Jahre später, alles dafür tun, an die Opfer des Nationalsozialismus zu erinnern, sie nicht zu vergessen und eine Wiederholung solcher Verbrechen schon im Ansatz zu verhindern, tun wir das in dem Bewusstsein der Dankbarkeit gegenüber jenen Menschen, die damals angesichts ungeheuerlicher Verbrechen das Vertrauen in ein demokratisches Deutschland nicht verloren hatten.
Meine Damen und Herren, das diesjährige Gedenken an die Opfer der NS-Gewaltherrschaft findet coronabedingt in anderer Form, leiser als sonst, statt. Aber es findet statt, und das ist eine wichtige Botschaft. Die digitale Vernetzung ermöglicht es uns heute, auch unter diesen besonderen Bedingungen und Belastungen über das, was damals an Verbrechen geschah, zu informieren, uns auszutau
Ich habe zu Beginn meiner Rede gesagt, dass uns der Gedenktag des 27. Januar nicht nur über die Vergangenheit, sondern auch über die Gegenwart und die Zukunft viel zu sagen hat. Haben wir gelernt? Und: Was haben wir gelernt? - Die derzeitige Situation ist nicht mit den Jahren des Weltkrieges und den unaussprechlichen Menschheitsverbrechen zu vergleichen, die damals im deutschen Namen und durch Deutsche verübt wurden, aber die derzeitige Pandemie ist zweifellos die größte Herausforderung unserer Gesellschaft seit Ende des Krieges.
In die Bewältigung dieser Krise, die uns vor medizinische und wirtschaftliche sowie vor allem soziale und ethische Herausforderungen stellt, müssen aus der Vergangenheit gezogene Lehren einfließen. Das ist der Fall. Ich habe positiv zur Kenntnis genommen, dass von Beginn der Coronakrise an der Schutz unserer gesundheitlich schwächsten Mitbürgerinnen und Mitbürger stets das entscheidende Kriterium für die Vorgehensweise der Bundesregierung und der Landesregierungen war. Der ethische Maßstab ist ein integraler Bestandteil unseres staatlichen Handelns; das ist eine der wohl wichtigsten Lehren aus unserer Vergangenheit.
Meine Damen und Herren, wir, die Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtages, gedenken heute gemeinsam mit allen Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteinern der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Die Arbeit, die in unserem Land bereits bisher für die Erinnerung an diesen Tag geleistet wurde, ist beeindruckend, und der Wille, dieses Gedenken lebendig und mit Blick auf die kommenden Generationen weiterzutragen, ist verdienstvoll und aller Anerkennung wert. Ich wünsche allen, die sich in diese Arbeit einbringen - in Neustadt und anderswo in unserem Land - Erfolg, Ausdauer und gutes Gelingen. Sie bauen aktiv und an entscheidender Stelle mit an unserem Haus der Demokratie. Sie weisen uns immer wieder auf das unverrückbare Fundament dieses Hauses hin, die Verantwortung, unsere Demokratie aktiv zu gestalten und aktiv zu verteidigen. Ich danke Ihnen allen sehr herzlich für ihren Einsatz.
Meine Damen und Herren, gemeinsam wollen wir zu Beginn dieser Tagung innehalten und uns an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erinnern. Dazu bitte ich Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben.
Wir gedenken der Millionen Menschen, die von den Nationalsozialisten entrechtet, verfolgt, gequält und ermordet wurden.
Wir erinnern uns an all jene, die der totalitären Staatsgewalt zum Opfer fielen, weil sie Juden waren oder Sinti und Roma oder weil sie sich aus religiösen oder politischen Beweggründen oder Mitmenschlichkeit widersetzen.
Wir erinnern uns an die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, an die von Deutschen dem Hungertod preisgegebenen Kriegsgefangenen, an die Opfer staatlicher Euthanasie, an Homosexuelle, Deserteure und Angehörige anderer Minderheiten, an Frauen, Männer und Kinder aller Völker.
Meine Damen und Herren, es ist an uns, in Worten und Taten Zeichen zu setzen gegen Ausgrenzung und Hass, gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.
76 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz ist es mir ein besonderes Bedürfnis zu betonen, dass vor allem der Schutz jüdischen Lebens in Schleswig-Holstein und in ganz Deutschland höchste politische und gesellschaftliche Priorität besitzen muss. Jüdisches Leben gehört zu uns; es ist ein integraler Teil unserer Gesellschaft. Jüdinnen und Juden müssen sich - wie jede Bürgerin und jeder Bürger - in unserer demokratischen Gesellschaft sicher und frei fühlen können. Dafür wird sich dieses Parlament immer kompromisslos und mit Nachdruck einsetzen. - Ich danke Ihnen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat im Wege der Dringlichkeit mit der Drucksache 19/2728 einen Dringlichkeitsantrag vorgelegt. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich lasse über den Dringlichkeitsantrag Drucksache 19/2728 abstimmen; Sie wissen, es gilt das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen. Wer die Dringlichkeit bejaht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich sehe, das ist einmütig der Fall. Damit ist die Dringlichkeit gegeben.
Weiter haben die Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP im Wege der Dringlichkeit mit der Drucksache 19/2732 einen Dringlichkeitsantrag vorgelegt. Wird hierzu das Wort zur Begründung gewünscht? - Ich sehe, das ist nicht der Fall.
Dann lasse ich hierüber abstimmen: Wer der Dringlichkeit zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Auch hier, sehe ich, ist das einmütig der Fall. Damit ist auch bei diesem Antrag die Dringlichkeit gegeben.
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat sich darauf verständigt, entgegen der ursprünglichen Planung eine zweitätige Plenartagung durchzuführen, also am heutigen Mittwoch und morgigen Donnerstag. Das ist natürlich der besonderen Pandemiesituation geschuldet. Ich habe Ihnen eine Aufstellung der im Ältestenrat vereinbarten Redezeiten übermittelt. Der Ältestenrat hat sich darauf verständigt, die Tagesordnung in der ausgedruckten Reihenfolge mit folgenden Maßgaben zu behandeln: Zu den Tagesordnungspunkten 2, 4 bis 13, 19 bis 22, 27 und 37 bis 39 ist eine Aussprache nicht geplant. Von der Tagesordnung abgesetzt werden sollen die Tagesordnungspunkte 46 bis 51.
Zur gemeinsamen Beratung vorgesehen sind die Tagesordnungspunkte 3, 17, 23, 28, 35 und 43 - Gesetzentwurf zur Änderung des Schulgesetzes aufgrund der Coronaviruspandemie, Anträge zur Schule während der Coronapandemie und ein Bericht über die Unterrichtssituation -, die Tagesordnungspunkte 25, 29, 41 und 42 - Coronaschutzimpfungen -, die Tagesordnungspunkte 30, 31 und 33 Abwicklung Wirtschaftshilfen und Dispositionszinsen begrenzen -, die Tagesordnungspunkte 36 und 40 - Auswirkungen der Coronapandemie auf die Hochschulen und die Studierenden abmildern, BAföG schnell und grundsätzlich überarbeiten.
Anträge zu einer Fragestunde oder Aktuellen Stunde liegen nicht vor. Wann die einzelnen Tagesordnungspunkte voraussichtlich aufgerufen werden, ergibt sich aus der Ihnen vorliegenden Übersicht über die Reihenfolge der Beratung der 42. Tagung. Wir werden heute unter Einschluss einer zweistündigen Mittagspause längstens bis 18 Uhr und morgen, ebenfalls mit einer zweistündigen Mittagspause, bis circa - das wird sich ergeben - 16:30 Uhr tagen. Ich höre keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.