Protocol of the Session on March 23, 2022

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Vor einigen Wochen war noch nicht vorstellbar, dass die Ukraine den Krieg militärisch gewinnen könnte. Wir hätten uns auch nicht vorstellen können, was für eine Rumpelarmee Russland dort aufstellt. Wir brauchen diese Waffen, damit die Ukraine diesen Krieg gewinnt. Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen. Deshalb sollten wir alles dafür tun. Wenn die Lager leer sind oder es nicht verantwortbar ist, dass wir noch mehr Waffen aus unseren Beständen liefern, dann müssen wir neues Material hinzukaufen. So einfach ist das.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Ich habe kein Verständnis für diejenigen, die meinen, die Ukraine sollte doch jetzt einfach kapitulieren, oder auch für diejenigen, die glauben, Putin wolle irgendetwas verhandeln. Er muss dazu gezwungen werden. Insofern muss das Ziel der vollständige Rückzug der Russen aus der Ukraine sein. Die schrecklichen Kriegsverbrechen der Russen müssen dokumentiert und später nach Möglichkeit auch geahndet werden.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU, SPD, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Unsere Rolle in der Welt wird sich nachhaltig ändern müssen. Es wird sich auch innenpolitisch aus meiner Sicht einiges ändern. Viele Themen wurden schon angesprochen. Ich möchte an der Stelle noch einmal darauf hinweisen: Diese Kumpanei mit Putin, die nicht nur am rechten Rand und am linken Rand in Deutschland wahrnehmbar war und noch immer ist, sondern auch in den demokratischen Parteien, muss ein Ende haben. Das war keine historische Verantwortung gegenüber Russland, das war Kumpanei mit einem System, das unser System bekämpft und seit Jahren destabilisieren will. Das muss man ändern.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die schnellen und harten Sanktionen wirken, die russische Wirtschaft ist bereits in eine tiefe Krise gestürzt worden. Der Westen muss gegebenenfalls noch nachsteuern.

Ich sage aber auch - auch in Richtung des Kollegen Koch -, es gibt noch ein zweites Dilemma nach dem militärischen, nämlich das Dilemma: Was machen wir energiepolitisch? Wir haben uns energiepolitisch in eine Abhängigkeit manövriert, die wirklich unfassbar ist. Das gilt nicht nur für Gas - was viel diskutiert wird -, sondern auch für Kohle, Öl und so weiter. Ich sage sehr deutlich: Ich bin sehr dafür zu haben, dass man weitere Sanktionen vornimmt, man muss sie aber auch durchhalten können.

(Serpil Midyatli [SPD]: So ist das!)

Das ist beim Thema Gas nicht so einfach. Öl und Kohle kann man auf dem Weltmarkt dazukaufen. Bei Gas ist das nicht so einfach. Deshalb bin ich da sehr skeptisch, auch wenn ich gern sagen würde, wir müssen das sofort einstellen. Das geht einfach nicht. Davon hängt in Deutschland sehr viel ab, auch unsere Stärke hängt davon ab.

(Christopher Vogt)

Es gibt noch ein drittes Dilemma - auch das wurde hier schon angesprochen. Der Ministerpräsident und auch der Kollege Koch haben es schon angesprochen: Dieser Krieg hat viele Auswirkungen, er hat natürlich auch Auswirkungen auf die Ernährung. Die Ernährung in Deutschland wird gesichert sein. Darüber mache ich mir keine Sorgen. Ich denke, auch die Ernährung in Europa wird gesichert sein. Aber was machen wir in der Welt? Das ist von meiner Seie keine Provokation - weil es eben Aufregung bei SPD und Grünen gab -, aber ich mache mir Sorgen um die Ernährungslage in Afrika und anderen Teilen der Welt.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch!)

- Das ist ja in Ordnung.

Wenn ich Bilder sehe, dass die russische Marine ganz gezielt ukrainische Weizenfrachter im Schwarzen Meer beschießt und versenkt, tut sie dies aus einem bestimmten Grund. Ich sage sehr deutlich und möchte damit niemanden provozieren, aber es gehört auch zur Wahrheit dazu, dass wir darüber sprechen müssen, was wir mit unserer Landwirtschaft in Deutschland und Europa machen. Was machen wir mit den Flächen? Kann man in diesen Tagen Flächen stilllegen, die für die Ernährung der Welt wichtig sind? - Ich finde nicht. Deshalb müssen wir über bestimmte Punkte sprechen.

(Vereinzelter Beifall FDP und CDU)

Wir haben eine humanitäre Katastrophe in Europa, aber wir haben auch eine humanitäre Katastrophe in der Welt zu befürchten. Die müssen wir verhindern. Deshalb müssen wir ein Belastungsmoratorium machen. Wir dürfen Flächen in den nächsten ein, zwei Jahren nicht stilllegen. Wir müssen auch über das Thema Vorkaufsrecht für die Stiftung Naturschutz und all diese Dinge sprechen. Wir müssen ein Moratorium verabschieden, weil es ethisch nicht verantwortbar ist, wenn wir die Ernährungswirtschaft in Deutschland schwächen.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Wir haben mit Blick auf die Ukraine eine humanitäre Katastrophe in Europa. Wir haben viele Flüchtlinge, die in diesen Tagen zu uns kommen, und es werden noch mehr kommen. Ich glaube, das ist relativ sicher. Zum Glück gibt es wieder eine große Hilfsbereitschaft in Deutschland und in SchleswigHolstein. Die müssen wir stärken, damit das nicht nachlässt. Osteuropa leistet hier viel, vor allem die Polen leisten eine Menge. Auch wenn wir mit den

Polen oft unterschiedliche Auffassungen - gerade in der EU - haben, muss man feststellen: Die Polen als Nachbarland leisten hier eine Menge. Das gilt auch für andere osteuropäische Staaten.

Die Ehrenamtler habe ich schon angesprochen. Danke aber auch an die vielen Menschen, die spenden. Auch bei uns haben sich viele Kolleginnen und Kollegen daran beteiligt, Spenden zu sammeln. Der Kollege Richert zum Beispiel war an der polnischukrainischen Grenze und hat Hilfsmittel abgeliefert und Menschen hierhergebracht. Das ist großartig, das müssen wir weiter unterstützen.

(Vereinzelter Beifall FDP und CDU)

Auch in meinem Wahlkreis Ratzeburg gibt es eine Initiative von einer mir bekannten Ukrainerin, die seit einigen Jahren in Deutschland lebt. Die erzählt mir, dass sie teilweise die Granateinschläge hört, wenn sie mit ihrem Vater im Nordosten der Ukraine telefoniert.

Ich kann die Verzweiflung nachvollziehen. Es ist richtig, dass das in entschlossenes Handeln umgesetzt wird, dass Hilfsgüter nicht nur in den ersten Tagen und Wochen, sondern auch in der nächsten Zeit weiter gesammelt werden. Bund, Länder und Kommunen müssen hier gemeinsam Verantwortung übernehmen. Auch ich erwarte, dass die Bundesregierung schnell deutlich macht, was der Bund dort finanziell leisten wird. Überall ist jetzt unbürokratische Hilfe gefordert.

Ich glaube - wie gesagt -, dass noch mehr Menschen kommen werden. Die Zahlen, die erwartet werden, werden - glaube ich - in den nächsten Monaten übertroffen werden, je nachdem, wie der Krieg weitergeht.

Auch ich habe mit Betroffenen gesprochen; die sagen mir, sie wollten schnell wieder zurückkehren. Das verstehe ich, ich befürchte allerdings angesichts der Zerstörung, angesichts von Leid und Tod in der Ukraine, dass viele Menschen gar nicht so schnell zurückkehren können, selbst wenn bald Frieden herrscht. Wir müssen uns darauf einstellen, dass Menschen zahlreich kommen und wahrscheinlich länger bleiben werden. Deswegen müssen wir uns noch mehr darauf vorbereiten.

Es wurden schon ein paar Punkte angesprochen. Über die Bereiche Schule und Kita werden wir nachher diskutieren. Dazu kommen Unterbringung und Versorgung; wir werden sehr schnell neue Unterkünfte bauen müssen. Mit Blick auf die Kommunen müssen wir das Vergaberecht vereinfachen, damit schnell Hilfe geleistet werden kann.

(Christopher Vogt)

Ich glaube - auch wenn das niemand gern hört -, dass wir auch dazu übergehen müssen, Kitagruppen zeitweise zu vergrößern. Auch ich habe zwei Kinder in der Kita. Das hört niemand gern; aber ich glaube, dass wir kaum darum herumkommen werden.

Auch in den Schulen wird es große Herausforderungen geben. Man muss vielleicht darüber nachdenken - das hört man ja auch von ukrainischer Seite -, teilweise ukrainischen Distanzunterricht durchzuführen. Auch das könnte ein Baustein sein, die Beschulung zu unterstützen.

Meine Damen und Herren, es gibt viele Herausforderungen mit Blick auf unsere Bundeswehr. Schleswig-Holstein ist ein traditioneller Bundeswehrstandort, und unser Bundesland wird als Bundeswehrstandort wieder wichtiger werden; das ist relativ sicher. Es gibt auch eine große Unterstützung der Bundeswehr in unserer Bevölkerung; laut einer Umfrage ist die Unterstützung für die Bundeswehr in keinem Bundesland so groß wie in SchleswigHolstein. Wir haben hier eine gewisse Tradition.

Die Wehrtechnikbranche ist in Schleswig-Holstein ebenfalls stark vertreten; sie macht in etwa die Hälfte unserer Industrie aus. Es gab in der Vergangenheit einige Debatten, auch hier im Landtag, wo wir jetzt hoffentlich ein bisschen nüchterner und realistischer darauf achten.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass wir darüber gesprochen haben, ob es richtig ist, dass eine Landtagsdelegation nach Norwegen fährt, um mit den Norwegern auch darüber zu sprechen, dass sie U-Boote in Kiel kaufen wollen. Norwegen ist ein NATO-Staat, Norwegen hat meines Wissens in der Vergangenheit keinen Angriffskrieg gestartet, und auch Norwegen wird seit Jahren von Russland massiv bedroht.

(Unruhe)

Ich bin der Meinung, dass wir uns solche Diskussionen sparen sollten. Wir sollten auch auf die Europäische Union einwirken. Beim Thema Taxonomie kann ich nicht ganz verstehen, dass man die Rüstungsindustrie und die Wehrtechnikbranche in diesen Tagen so einstufen könnte; das ist aus meiner Sicht kontraproduktiv.

(Beifall FDP und CDU)

Kollege Koch, zum 100-Milliarden-€-Sondervermögen des Bundes will ich sagen: Das muss in der Tat bei der Bundeswehr ankommen, dafür muss auch - Frau Midyatli hat es gesagt - das Beschaffungswesen der Bundeswehr deutlich vereinfacht

werden. Herr Kollege Koch, ich weiß nicht, ob Sie heute Morgen vor Beginn der Sitzung verfolgt haben, was im Bundestag dazu besprochen wurde: Wir haben da eine gemeinsame Verantwortung.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Die Hinweise, es seien vor allem die Sozialdemokraten,

(Serpil Midyatli [SPD]: Immer!)

mögen teilweise berechtigt sein. Es gab heute Morgen deutliche Hinweise auf die FDP. Herr Merz hat gesagt, in der schwarz-gelben Koalition sei der Verteidigungsetat am niedrigsten gewesen. Ich weiß noch, wer da Finanzminister war.

Ich will deutlich sagen: Wir haben eine gemeinsame Verantwortung. An dieser Stelle ist nicht die Zeit für parteipolitische Spielchen.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Zu Herrn Stegner, mit dem ich mich über Twitter teilweise konstruktiv austausche, sage ich an dieser Stelle nichts.

(Beifall Martin Habersaat [SPD])

Wenn Herr Stegner „Kampf und Werte“ in Anführungsstriche setzt und immer auf Egon Bahr verweist, hat er einige Punkte wohl nicht richtig verstanden oder nicht richtig in Erinnerung.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU - Zuruf Serpil Midyatli [SPD])

2 % des BIP ist ein weiter Weg; wir liegen jetzt ungefähr bei 1,25 %. Es ist notwendig, 2 % des BIP in unsere Verteidigung zu investieren.

In der sozial-liberalen Koalition - nicht erst unter Helmut Schmidt, sondern auch unter Willy Brandt und Walter Scheel - haben wir 3 bis 4 % des BIP für Verteidigung ausgegeben. Das ist auch damals nichts gewesen, was mit Aufrüstung zu tun hatte und man toll fand, sondern es hatte damit zu tun, dass man verhandeln wollte und wusste, dass man auch Abschreckung braucht. Darum geht es, nicht um Aufrüstung, sondern Ausrüstung.