Protocol of the Session on January 18, 2017

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Wenn man dann auch noch sieht, dass die Siedlungsdichte in der Pfalz nicht so hoch ist wie im Saarland, könnte man doch auf die Idee kommen, dass der Wald als Naherholungsgebiet für unsere Bevölkerung vielleicht noch eine wichtigere Funktion hat als für die Pfälzer.

Eines möchte ich Ihnen noch sagen, Herr Umweltminister: Manchmal habe ich den Eindruck, dass Sie aufgrund Ihrer intensiven Tätigkeit hier zu wenig Gelegenheit haben, im Wald spazieren zu gehen. Einige Kollegen nehme ich bewusst davon aus.

(Zuruf des Abgeordneten Theis (CDU).)

Wenn Sie im Wald spazieren gehen und die Verwüstungen sehen, die dort angerichtet worden sind, ist der Verweis darauf, dass ein paar kleine Tannen gepflanzt worden sind, in keinem Fall ausreichend. Deswegen bleiben wir dabei: Umweltschonende Energiepolitik ja, aber man muss deshalb nicht den Wald zerstören.

(Beifall bei der LINKEN.)

Das Wort hat für die SPD-Landtagsfraktion Herr Abgeordneter Dr. Magnus Jung.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Der saarländische Umweltminister Reinhold Jost hat soeben in einer Regierungserklärung die saarländische Nachhaltigkeitsstrategie vorgestellt. Es mag viel

(Abg. Lafontaine (DIE LINKE) )

leicht den einen oder anderen in diesem Land geben, der sich die Frage stellt: Gibt es aktuell nicht wichtigere Themen auf der Tagesordnung, die es wert wären, eine Regierungserklärung abzugeben, etwa die Flüchtlingspolitik oder die Nöte, in denen sich viele Rentnerinnen und Rentner befinden oder das Problem der inneren Sicherheit, das immer wieder die Tageszeitungen füllt, oder die aktuellen Debatten in der Bildungspolitik?

Ich glaube, dass es eine kluge und richtige Entscheidung war, zu diesem Thema eine Regierungserklärung abzugeben und es so in den Mittelpunkt der heutigen Beratungen zu stellen. Die Frage der Nachhaltigkeit von Politik und von wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung ist am Ende eine Schicksalsfrage, nicht nur für das Saarland und nicht nur für Deutschland insgesamt, sondern die Frage der Nachhaltigkeit von Politik ist eine Schicksalsfrage für die Weltgemeinschaft. Deshalb haben die Vereinten Nationen auch eine UN-Nachhaltigkeitsstrategie 2030 entwickelt.

Es geht um die zukünftige Gestaltung in nahezu allen Politikfeldern. Es geht um die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen, wie wir zukünftig die Wirtschaft in Deutschland und global aufstellen wollen. Es geht auch darum, dass wir die Politik in Zukunft grundlegend verändern müssen, denn in weiten Teilen ist die Art und Weise, wie wir heute leben und produzieren, gerade in Europa, eben nicht nachhaltig. Und das ist in der Zukunft eine echte Bedrohung für die Menschheit.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Nachhaltigkeit befasst sich global mit vielen Themen. Ein wichtiges, vielleicht das wichtigste Thema, ist die Klimakatastrophe und damit verbunden auch das exorbitante Artensterben. Es muss darauf hingewiesen werden, dass die Veränderung des Klimas und das Sterben der Arten nicht nur an Land stattfindet, wo wir es noch relativ gut beobachten können, sondern die Klimakatastrophe hat auch ganz dramatische Auswirkungen auf die Ozeane, denn die Mehrheit der Tier- und Pflanzenarten auf dieser Welt befindet sich in den Ozeanen. Die Ozeane sind die wichtigste Quelle für das Leben, denken Sie nur an den Sauerstoff oder die Funktion der Ozeane als CO2-Senker. Wenn es in den Ozeanen dramatische Veränderungen gibt, dann wirkt das natürlich auch auf das Land.

Nachhaltigkeit - Herr Fraktionsvorsitzender Lafontaine ist zu Recht darauf eingegangen - hat natürlich auch etwas mit der Armutsentwicklung und den weltweiten Flüchtlingsströmen zu tun. Es hat auch etwas mit Kriegen zu tun und mit der Frage, wie der Frieden in der Welt zukünftig gesichert werden kann. Wenn man nachhaltige Politik auf dieser Erde organisieren will, dann braucht man eben eine entspre

chende Handlungsfähigkeit bei den Staaten. Deshalb geht es auch um die Frage der Finanzpolitik.

Nachhaltigkeit ist damit ein Grundprinzip für Politik, Wirtschaft, soziales Leben und umweltpolitische Fragen. Nachhaltigkeit ist aber auch ein ethischer Maßstab, den wir an uns selbst stellen müssen. Man kann es ganz einfach ausdrücken: Tue nichts, was du später bereust, oder unterlasse in der Politik nichts, was du später bereust.

Für uns Sozialdemokraten ist die Nachhaltigkeit eine Fortentwicklung unseres Grundwertes der Solidarität. Solidarität verstehen wir als ein Prinzip der Verbundenheit, bei dem sich Menschen gegenseitig Verantwortung übertragen. Man hilft sich, und starke Schultern sollen mehr tragen als schwache. Es ist schon schwer genug, das als Grundwert in der Praxis umzusetzen, denn Solidarität ist zwar allgemein sehr populär, vor allen Dingen dann, wenn man sie empfängt, also von anderen eine Unterstützung bekommt, aber Solidarität setzt auch voraus, dass man bereit ist, etwas zu geben, dass man bereit ist, von dem, was man hat, andere zu unterstützen. Sonst kann das Prinzip der Gegenseitigkeit der Solidarität nicht funktionieren.

Das Prinzip der Nachhaltigkeit ist im Vergleich dazu noch etwas anspruchsvoller, denn es ist eine Form der Solidarität, die die Menschen heute mit denen üben, die in der Zukunft leben. Deshalb können die Menschen, die heute auf nachhaltige Weise Solidarität üben, eben nur etwas geben für die Menschen, die in der Zukunft leben werden. Aber sie können von denen natürlich nichts bekommen. Deshalb ist das Prinzip der Nachhaltigkeit auch eines, das durchaus mit Einschränkungen verbunden ist. Nachhaltigkeit ist ein Prinzip, das uns verbindet mit Menschen, die weit weg von uns leben, entweder in der Zukunft oder vielleicht auch weit weg auf anderen Kontinenten dieser Erde. Und das, Herr Kollege Lafontaine, ist, glaube ich, was Ihre Frage betrifft, mit der entsprechenden Formulierung auch gemeint. Es geht eben nicht nur darum, dass das Leben der Saarländerinnen und Saarländer verbessert wird, sondern dass wir auch unsere Verantwortung sehen für das Leben anderer Menschen - entweder heute in anderen Teilen der Erde oder für Menschen, die diesen Planeten erst in der Zukunft bevölkern werden.

Dieses Prinzip der Nachhaltigkeit ist als ethisches Grundprinzip heute deshalb notwendig, weil noch niemals in der Geschichte der Menschheit die Menschen mit ihrem Handeln so weit in die Zukunft Auswirkungen hervorrufen konnten. Das, was wir heute im Bereich der CO2-Produktion tun, und die möglichen Folgen der Atomenergie, die Frage, was mit dem Atommüll passiert, das sind Handlungen, die heute passieren, die aber noch in hunderttausend Jahren Folgen haben können. Und deshalb brau

(Abg. Dr. Jung (SPD) )

chen wir Regelungen, wie wir unser heutiges Handeln in einen Zusammenhang mit der Zukunft setzen. Diesen Zusammenhang hat Reinhard Klimmt vor zehn Jahren in der Debatte um das Hamburger Programm der SPD hergestellt. Er hat dort die Forderung erhoben, dass neben Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität eben auch die Nachhaltigkeit, sozusagen als viertes Grundprinzip, in das Programm der SPD aufgenommen wird. In diesem Sinne bekennen wir uns heute auch aus großer Überzeugung zum Prinzip einer nachhaltigen Politik in unserem Land.

(Beifall bei der SPD.)

Was braucht es dazu, um nachhaltig zu handeln? Natürlich braucht man zunächst einmal Wissen. Man muss die Zusammenhänge verstehen, man braucht entsprechende empirische Daten und man muss sich mit diesen auseinandersetzen. Und man braucht die Bereitschaft, damit vernünftig umzugehen und rational zu handeln. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein von politischen Entscheidern oder von Verantwortlichen in der Wirtschaft, dass sie rational handeln, aber ich glaube, ich brauche keine Beispiele aus der aktuellen Debatte zu nennen, um deutlich zu machen, dass rationales Handeln ein Stück weit in den Hintergrund gedrängt wird. Deshalb möchte ich auch eindringlich dafür werben, Politik mit Vernunft zu betreiben. Das heißt am Ende auch, dass wir an der einen oder anderen Stelle auch Verzicht leisten müssen oder uns zumindest mäßigen müssen.

Das ist eine Absicht, die der menschlichen Natur ein Stück weit entgegensteht. Jeder hat vielleicht schon einmal persönlich die Erfahrung gemacht, wie schwierig es ist, sich an der einen oder anderen Stelle zu mäßigen. Das Prinzip der Mäßigung widerspricht auch der Logik des Kapitalismus. Kapitalismus ist immer darauf angelegt, mehr zu produzieren, mehr Gewinn zu machen. Deshalb müssen wir sehen, so wie der Kapitalismus in seiner reinen Form sozial blind ist und entsprechend gebändigt werden muss durch die Politik - das nennen wir dann soziale Markwirtschaft -, so ist der Kapitalismus auch blind für die Frage der Nachhaltigkeit. Deshalb brauchen wir auch eine nachhaltige Zähmung des Kapitalismus, wenn wir entsprechende Erfolge durch unsere Politik umsetzen wollen.

(Beifall bei der SPD.)

Deshalb brauchen wir eine entsprechende Strategie, deshalb brauchen wir eine entsprechende Politik. Diese Strategie hat Reinhold Jost heute vorgelegt und deshalb möchte ich ihm ganz herzlich danken.

(Beifall bei der SPD.)

Nachhaltigkeit, das muss uns klar sein, ist allerdings in einer demokratischen Gesellschaft natürlich nur

demokratisch durchzusetzen. Das heißt, sie braucht die Unterstützung der Mehrheit der Menschen in diesem Land. Deshalb war es richtig, viele Menschen schon bei der Entstehung dieser Strategie zu beteiligen. Deshalb ist es auch richtig, diesen Weg schrittweise zu gehen. Ein solcher Weg der Reformen ist ja auch ein traditionell sozialdemokratischer Weg. Dazu machen wir heute einen ersten Schritt und fassen wichtige Beschlüsse.

Die Nachhaltigkeit ist aber, auch darauf ist Oskar Lafontaine eingegangen, mit der Gerechtigkeitsfrage in vielerlei Hinsicht verbunden. So ist darauf hinzuweisen, dass immer dann, wenn Ressourcen knapp werden, die Preise steigen und sich dies auf die Menschen in unserem Land unterschiedlich auswirkt. Des Weiteren ist der Verlust von Lebensgrundlagen, beispielsweise in der Landwirtschaft, zu bedenken, der gerade die ärmeren Teile dieser Welt zuerst trifft. Gerade die ärmeren Menschen brauchen aber doch einen handlungsfähigen Staat. Deshalb sind wir mit guten Argumenten ausgestattet, wenn wir für eine nachhaltige Politik werben, mit so guten Argumenten, dass wir dafür auch eine Mehrheit in dieser Gesellschaft finden können.

Man muss aber zugleich sagen: Eine Voraussetzung, um Veränderungen in einer Gesellschaft durchzusetzen, ist, dass es in dieser Gesellschaft gerecht zugeht. Haben diejenigen, bei denen heute schon der Geldbeutel eng ist, Angst, dass mit einer an mehr Nachhaltigkeit orientierten Politik sie selbst als Erste „die Gekniffenen“ sind, während andere, denen es noch gut geht, ohne Probleme mit Verzicht und Mäßigung umgehen können, werden wir die Menschen in diesem Land nicht mehrheitlich hinter einer nachhaltigen Politik versammeln können. Deshalb ist Gerechtigkeit in diesem Land eine Voraussetzung dafür, dass Veränderung stattfinden kann. Deshalb gehören Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit fest zusammen.

(Beifall von der SPD.)

Dabei gilt letztlich, wie bei vielen anderen Fragen auch, das Motto: Global denken, lokal handeln.

Im zweiten Teil meiner Rede möchte ich nun auf einige konkrete -

(Abg. Ulrich (B 90/GRÜNE) : Winnetou II oder was?)

Hören Sie ruhig zu, lassen Sie sich überraschen. Vielleicht lernen Sie ja auch noch etwas. - Ich möchte nun in die konkreten Inhalte der saarländischen Nachhaltigkeitsstrategie einführen. Die Federführung bei der Entwicklung dieser Strategie lag beim Umweltministerium, die Strategie wurde gemeinsam mit allen Ressorts der Landesregierung entwickelt. Die Bürgerinnen und Bürger und die Verbände wurden in vielfacher Weise beteiligt. Am Ende ist ein

(Abg. Dr. Jung (SPD) )

Werk entstanden, das auch gemeinsam vertreten wird. Allerdings gilt auch an dieser Stelle die Ressortverantwortung; die verschiedenen Textteile sind von den jeweiligen Ressorts der Landesregierung zu verantworten.

Ich kann nun nicht auf alle Handlungsfelder eingehen, möchte mich daher auf drei konzentrieren: auf den Bereich der Klima- und Umweltpolitik, auf das Thema Wirtschaftspolitik und auf das Thema Landwirtschaftspolitik und ländlicher Raum. Beim Bericht wurde eine Vorgehensweise gewählt, bei der zunächst einmal die 17 Ziele der UN-Nachhaltigkeitsstrategie 2030 dargestellt werden, aus denen sechs Ziele der saarländischen Strategie abgeleitet werden. Für jedes dieser sechs Ziele wird im Bericht zunächst die Ausgangslage beschrieben. Es werden konkrete Ziele zur Umsetzung in der saarländischen Landespolitik vorgestellt. Danach werden Maßnahmen und Projekte beschrieben, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen. Und am Ende werden -

(Abg. Ulrich (B 90/GRÜNE) : Können wir das noch etwas konkreter erfahren?)

Nun, Sie könnten das lesen. Das steht alles da drin. - Am Ende werden dann Nachhaltigkeitsindikatoren dargestellt, mit denen sich künftig messen lässt, in welchem Maße die entsprechenden Ziele durch die dargestellten Maßnahmen und Projekte auch tatsächlich erreicht werden konnten. Ich meine, die Vorgehensweise, die das Umweltministerium hierbei gewählt hat, ist außerordentlich stringent, sie ist transparent und sie ist erfolgsorientiert.

(Abg. Ulrich (B 90/GRÜNE) : Und konsequent?)

Deshalb ist das ein guter Plan, mit dem man in den kommenden Jahren nachhaltige Politik im Saarland umsetzen kann.

(Beifall bei der SPD.)

Ich komme zum Thema Klimaschutz. Die Bedeutung des Klimaschutzes ist eben schon einmal angesprochen worden: Es geht um den Anstieg des Meeresspiegels, um die Verschiebung von Klimazonen, um das Artensterben, um die Problematik von Konflikten und Flucht in anderen Teilen der Welt. Das Saarland steht hier in Deutschland als eines der Bundesländer, in denen die CO2-Produktion pro Kopf am höchsten ist, in besonderer Weise in der Verantwortung, nachhaltige Politik zu betreiben. Deshalb bekennen wir uns in dieser Nachhaltigkeitsstrategie zum Ziel, im Jahr 2020 20 Prozent der Energie als erneuerbare Energie zu erzeugen, dies natürlich auch durch Nutzung der Windenergie, der Solarenergie und der Biomasse.

Spätestens an dieser Stelle merkt man - das wurde ja eben schon einmal deutlich -, wie schwierig es ist, aus dem allgemeinen Konsens, nachhaltige Politik betreiben zu wollen, konkrete Entscheidungen abzu

leiten. Denn es gibt ja, Herr Kollege Lafontaine, durchaus den Dissens in der Frage, wie die Windenergie und ihre Rolle im Saarland zu bewerten ist. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um zu unterstreichen, dass ich mit dem Kollegen Ulrich hier einer Meinung bin: Es ist sicherlich wichtig, dass man CO2-Emissionen senkt, indem man Energie im Verbrauch einspart durch technische Innovation. Dies ist sicherlich notwendig, und das tun wir ja auch. Man wird aber immer auch Energie produzieren müssen, denn man kann ja nicht eine Energieeinsparung bis auf null herbeiführen. Daher braucht man auch die anderen, die erneuerbaren Energien. Gerade diesbezüglich haben Sie aber, Herr Lafontaine, keinen Vorschlag gemacht, um welche es sich handeln sollte.

Ich gebe Ihnen durchaus recht: Wir sind nicht am Ende der Energiewende angelangt. Wir haben sicherlich noch 20, 30 Jahre vor uns. Wir müssen in dieser Zeit viele technische Innovationen erarbeiten und natürlich auch Investitionen tätigen, die aber Sie haben ja Investitionen gefordert - auch bereits vorgenommen werden. Wir brauchen diese Investitionen, um in der Mitte dieses Jahrhunderts einen Stand erreicht zu haben, bei dem wir einen Großteil des Energieverbrauchs, der dann nach Ausnutzung der Einsparpotenziale noch notwendig sein wird, erneuerbar organisieren. Dafür bedarf es auch der Nutzung der Windenergie. Wir im Saarland, die wir ohnehin nicht an der Spitze stehen, sondern uns bestenfalls im Mittelfeld bewegen, können uns an dieser Stelle unserer Verantwortung nicht entziehen.

(Beifall von der SPD.)

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bierbaum?