Jörn Kruse
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Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich mache zum Thema zwei Anmerkungen. Die erste zur Demokratie. Die Demokratie hat ein gravierendes Problem, das sind die Wähler. Die sind manchmal so frech, dass sie ihr Kreuz dort machen, wo sie wollen, und nicht dort, wo die Medienkommentatoren und die Gutmenschen auf ihrem moralischen Hochsitz das gern hätten.
In Thüringen waren die Wähler besonders unverschämt. 55,3 Prozent von ihnen haben extreme Parteien gewählt, viele davon aus Protest, was die Vertreter der politischen Klasse zu Recht besonders empört, manchmal auch das Gehirn umnebelt, wenn sie vor den TV-Kameras ein Statement abgeben. Von den 90 Sitzen im Thüringer Landtag haben die extremen Parteien 51 Sitze errungen, heißt auf Deutsch,
ohne extreme Parteien ist keine Regierungsmehrheit möglich. Böse Wähler. Herr Kemmerich von der AfD wurde im dritten Wahlgang …
Es macht mir immer Spaß, wenn ich Ihnen Anlass zur Lustigkeit gebe.
Also, Herr Kemmerich von der FDP wurde im dritten Wahlgang zum Ministerpräsidenten gewählt mit den Stimmen von FDP, CDU und AfD, wohlgemerkt ohne Kooperation mit der AfD. Und das können Sie der FDP auch nicht anhängen.
Dann hat man gesagt, Herr Kemmerich hätte die Wahl nicht annehmen dürfen. Diese Meinung kann man haben, vielleicht muss man sie auch haben, vor allen Dingen dann, wenn man im fernen Westen und in Berlin sitzt und mit Thüringen nichts zu tun hat. Aber, liebe Leute, was wäre wohl gewesen, wenn Herr Ramelow gleich im ersten Wahlgang gewählt worden wäre mit den Stimmen von LINKEN, SPD, GRÜNEN und AfD? Hätte er dann die Wahl ablehnen müssen, weil er mit den bösen Stimmen der Igitt-Partei AfD gewählt worden ist? Darüber sollte man vielleicht einmal nachdenken, wenn man hier mit moralischem Hochmut agiert.
Wohlgemerkt, ich halte Björn Höcke für einen Nazi. Aber es geht hier überhaupt nicht um Höcke, sondern um 23,4 Prozent der thüringischen Wähler, die alle AfD gewählt haben, von denen aber die meisten nicht rechts und schon gar nicht rechtsradikal sind. Mit deren Ausgrenzung bewirken die anderen Parteien gerade die Spaltung, von der sie dauernd reden, und fördern die AfD damit, was ich selbst inzwischen auch nicht mehr gut finde.
Zweite Anmerkung: Föderalismus. Viele Politiker halten den Föderalismus für wichtig. Aber wenn man das tut, muss man auch die politische Eigenständigkeit der Länder respektieren. Thüringen ist politisch nicht nur gravierend anders als Hamburg, sondern auch anders als jedes westdeutsche Flächenland. Deshalb sind Anweisungen aus Berlin, wie Ihre thüringischen Parteifreunde sich zu verhalten haben, respektlos. Befehle aus Berlin kennt man in Erfurt noch aus DDR-Zeiten, aber die DDR war weder demokratisch noch föderal. Aber vielleicht hat die ehemalige DDR-Kaderkommunistin Angela Merkel gedacht, das ginge immer noch so wie früher, als sie die Pressekonferenz mit dem südafrikanischen Präsidenten Ramaphosa für parteipolitischen Kleinkram missbraucht hat.
Bitte?
Damit hat sie nicht nur Frau Kramp-Karrenbauer desavouiert, sondern auch Herrn Ramaphosa. Frau Kramp-Karrenbauer hat schon seit der Wahl im Oktober für Thüringen den Befehl ausgegeben, keine Zusammenarbeit der CDU mit LINKEN oder AfD. Das ist rechnerisch unmöglich, wenn man nicht die Unregierbarkeit in Kauf nehmen will. Sie und andere haben die thüringische CDU-Fraktion und deren Vorsitzenden Mike Mohring wie Lakaien behandelt. Da haben diese wohl gedacht: Sollen wir bluten, damit AKK in Berlin bella figura machen kann?
Wenn jetzt die Hamburger FDP einen Wahlnachteil haben sollte, wäre das eine Katastrophe. Das Schlimme daran ist der linke Mob. Ich habe die FDP-Fraktion hier in der Bürgerschaft in den letzten fünf Jahren kennen und schätzen gelernt: gute, seriöse Abgeordnete und eine vernünftige liberale und marktwirtschaftliche Politik. Ich hoffe, sie kommen wieder rein trotz dieser Ereignisse.
Dies ist meine letzte Rede in der Bürgerschaft.
Ziehen Sie das ab von der Zeit?
Als ich vor fünf Jahren angefangen habe, fand ich die praktische Parlamentsarbeit sehr interessant. Vieles im Parlament mit der Bürgerschaft hat mich auch fasziniert und ich habe viele nette Menschen kennengelernt, aus allen Fraktionen. Ich war anfangs aber auch Mitglied einer Fraktion, die häufig sehr unfair diffamiert wurde,
nicht selten in hirnloser Manier. Auch das wird mir im Gedächtnis bleiben und meine Achtung vor der politischen Klasse dieses Landes beeinträchtigen. Meine Analysen zur Demokratie insgesamt habe ich in einem Buch niedergelegt, das im Juni dieses Jahres erscheinen wird.
Also, ich schulde Ihnen noch die letzten beiden Zeilen meines Manuskriptes. Das Buch wird heißen: "Bürger an die Macht – Wie unsere Demokratie besser funktioniert". Ich glaube, viele im Haus können daraus eine Menge lernen, gerade nach der Sitzung von heute. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich fange einmal aus Zeitgründen mit dem an, was ich eigentlich am Ende sagen wollte, mit einer Bemerkung zu Bernd Lucke. Bernd Lucke ist nicht nur ein
brillanter Ökonom und Intellektueller, sondern auch ein Demokrat reinsten Wassers.
Das ist er als Person immer gewesen, und glauben Sie mir, ich kann das beurteilen. Dass Sie Leute aus der AfD nicht schätzen – das sind meistens dieselben, die auch ich nicht schätze –, hat mit Herrn Lucke absolut nichts zu tun. Sie tun alles, was Sie an einer Partei zu mäkeln haben, in einen Topf, was mit Herrn Lucke nichts zu tun hat. Er ist nämlich frühzeitig ausgetreten.
Unabhängig davon ist das, was wir am letzten Mittwoch erlebt haben, nicht einfach nur der blinde Mob von ein paar Antifa-Fuzzis, sondern das waren SA-Methoden. SA-Methoden hat es auch während der 68er-Revolution gegeben, und der linke Philosoph Habermas hat sie schon damals als linke Faschisten bezeichnet.
Ich war in der Zeit Student an der Universität Hamburg und habe das hier erlebt, als der Professor aus Berlin, Herr Sanmann, berufen und von linken Studenten am Reden gehindert wurde. Damals hieß das Go-in, das klingt so harmlos, das war eine brutale Verweigerung der Diskussion mit einem Hochschullehrer. Das war übel, und obwohl ich selbst damals ziemlich links war, habe ich das zum Kotzen gefunden. Das Ganze ging nur deshalb einigermaßen gut aus, weil der damalige Präsident sich in die Vorlesung gesetzt hat und damit für den Hochschullehrer Horst Sanmann Rückgrat gezeigt hat. Rückgrat zu zeigen, einen Hochschullehrer, der nicht nur ein brillanter Ökonom ist, sondern tatsächlich auch jemand, der zur Ehre der Universität gereicht, zu unterstützen, das hätte ich mir heute auch von Herrn Lenzen gewünscht.
Erster Vizepräsident Dietrich Wersich (unterbre- chend): Herr Kruse, gemach, es gibt schon länger die Meldung für eine Zwischenfrage.
Ich lehne die ab, egal, von wem sie kommt. Ich möchte das hier einfach zu Ende bringen.
Frau Fegebank, es ging hier überhaupt nicht um einen Diskurs. Das Problem ist: Was da passierte, war die Verweigerung des Diskurses mit physischer Gewalt. Das ist der entscheidende Punkt und etwas, das mich betroffen macht. Wenn Sie, Frau Fegebank, diesen Unterschied nicht kennen, also nicht wissen, was ein streitiger Diskurs ist, der zum Wesen der Wissenschaft ebenso wie zum Wesen der Demokratie gehört, dann sind Sie als
Wissenschaftssenatorin ungeeignet. Das Mindeste, was Sie tun sollten, wäre, sich öffentlich bei Herrn Lucke dafür zu entschuldigen, dass Sie sich nicht hinter ihn gestellt haben. Das war peinlich, egal, was Sie hier heute gemacht haben, um es abzumildern. Das macht nichts wieder gut von Ihrer, ich sage mal, Feigheit letzten Mittwoch. Mehr will ich dazu nicht sagen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Pillepalle in der Klimapolitik, texten die LINKEN. Dieser Titel, Frau Sudmann, ist leider völlig zutreffend, und es ist ein Armutszeugnis für die Bundesregierung der letzten 20 Jahre. Das Problem ist nämlich seit Jahrzehnten bekannt, und wir alle haben darüber im Fernsehen viele Berichte gesehen und gehört, und alle wussten wir, was auf uns zukommt. Alle wussten wir das, auch alle Politiker.
Ich habe vor mehr als zehn Jahren Frau Merkel in Grönland gesehen. Ich glaube, es war in einem schönen roten Anorak, wo sie sich mit Grönländern auf einem Bild gezeigt hat
und ein sorgenvolles Gesicht gemacht hat, wie schlimm das mit dem Klimawandel wird in diesen Ländern.
Und dann passierte gar nichts oder fast nichts. Und das ist das Gleiche wie bei vielen Themen für die Zukunft, wenn ich an den Namen Merkel denke. Es ist im Prinzip ein Dokument politischer Feigheit. Ist das Politik, schöne Bilder zu erzeugen und dann nichts mehr? Ich glaube nicht. Die merkelsche Kurzsichtigkeit gilt leider auch für andere Themen, zum Beispiel für die Infrastruktur, nicht nur bei Straßen, sondern auch speziell relevant beim Thema Klima, bei der Eisenbahn. Die ist so marode, dass es mir peinlich ist, in einem solchen Land zu leben, das so reich ist und eine so unfunktionale Arbeit macht.
Telekommunikation ist ein weiteres Beispiel. Alles Folgen von Mutlosigkeit, Bräsigkeit und Trägheit. Bildung und Digitalisierung kommen heute zwar in jeder Politikerrede vor, aber dabei bleibt es dann oft. Nicht, dass nichts geschieht, das würde ich niemals sagen, aber die Probleme wachsen schneller als die Lösungen, und die Maßstäbe dafür liefern die Länder, mit denen Deutschland konkurriert. Deutsche Standorte und deutsche Arbeitsplätze leiden unter der Bundesregierung. Und jetzt sind der Kanzlerin und der sogenannten Großen Koalition nach ein paar Demos die Umfrageergebnisse zum Thema Klima auf die Füße gefallen. Das ist die einzige Sprache, die sie verstehen. Dann
gab es einen großen Klimagipfel, schönes großes Wort, dramatisch inszenierte Nachtsitzung, und am Freitag kreißte der Berg und gebar eine Maus. Allerdings mit ziemlich viel Tamtam.
Ich fange einmal mit dem Positiven an.
Im Mittelpunkt stehen preisliche Lösungen und keine moralbasierte Verbotspolitik. Das finde ich schon einmal sehr positiv an der Lösung. Jeder Ökonom weiß, dass negative externe Effekte die Effizienz mindern und dass man grundsätzlich durch Mengensteuern kompensieren kann. Dass der Klimawandel die dramatische Folge übermäßiger CO2-Emissionen ist, wird heute niemand mehr bestreiten.
Ich glaube, keine Partei heutzutage wird das ernsthaft bestreiten.
Lassen Sie mich ruhig weiterreden.
Klar ist, CO2-Emissionen müssen deutlich teurer werden, um dem Ziel einer volkswirtschaftlichen Effizienz näherzukommen. Wohlgemerkt, ich rede nicht von den Wünschen einer grünen Häkelgruppe, ich rede von ökonomischer Effizienz. Was die Methode betrifft, wäre eigentlich ein Emissionshandel aus theoretischer, langfristiger Sicht optimal gewesen, aber das würde lange dauern und auf dem Weg dorthin hätten wir sehr viele unerwünschte Effekte zu verkraften. Eine direkte Bepreisung durch eine CO2-Steuer ist deshalb politisch die Methode der Wahl. Damit kann man klare Signale für Verhaltensänderungen geben, vorausgesetzt, man setzt die Steuerhöhe entsprechend adäquat fest.
An dieser Stelle ist das Klimapaket der Bundesregierung eine Lachnummer. In der "Tagesschau" habe ich wie viele andere etwas von 5,70 Euro oder so ähnlich gesehen, was es für durchschnittliche Haushalte monatlich mehr kosten soll. Damit bewirkt man gar nichts, nicht einmal ein Nachdenken. 20 bis 30 oder sogar 50 Euro wären politisch gesehen für das Signal sicher die bessere Größenordnung gewesen, wenn man wirklich Veränderungen will. Frau Merkel sagt, Politik sei das, was möglich ist. Politik kann aber auch die Verzagtheit, Ängstlichkeit und Feigheit einer Regierung zeigen. Richtiger wäre zu sagen, Politik sei das, was sinnvoll und richtig ist, und dann muss man auch den Mut haben, das umzusetzen.
Wenn die Redezeit zu Ende ist, höre ich gern auf.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Israel ist die einzige Demokratie im gesamten Nahen Osten und der einzige Rechtsstaat und der einzige Staat, der die Rechte von Frauen, Andersgläubigen und Homosexuellen aktiv schützt. Israel ist umgeben von Todfeinden, nicht nur Konkurrenten oder Neidhammeln, sondern Todfeinden, die es auslöschen wollen und die das auch täten, wenn Israel nicht eine starke Armee und den Schutz der Vereinigten Staaten hinter sich hätte.
Und Deutschland? Außer billigen lauen Worten ist da nichts, wenn es einmal darauf ankommt. Bei der UN stimmt Deutschland regelmäßig gegen Israel. 2018 hat Deutschland bei neun Anti-IsraelEntscheidungen achtmal zugestimmt, zusammen mit ganz widerlichen Diktatoren. War das ein Egotrip von UN-Botschafter Heusgen? Mitnichten. Die Bundesregierung hat ihre Israel-Resolutionspolitik im Bundestag noch gerechtfertigt, nachzulesen in der Drucksache 19/7560. Der Versuch der FDPFraktion, das zu problematisieren, wurde im Bundestag abgeschmettert, mit 408 zu 155 Stimmen. Die Parole, die Sicherheit des Staates Israel gehöre zur deutschen Staatsräson und Deutschland sei ein Freund Israels, ist insofern eine schäbige Lüge. Wer solche trägen und opportunistischen Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.
Einer der übelsten Todfeinde Israels ist die MullahDiktatur in Teheran. Sie unterhalten Tausende von
Hisbollah-Kriegern im Süden Libanons und anderswo, bedrohen Israel an den Grenzen und liefern der terroristischen Diktatur der Hamas im Gazastreifen die Raketen, mit denen diese hundertfach Israel beschießen. Und die Europazentrale dieser Schiiten-Diktatur ist in Hamburg, in der Blauen Moschee des IZH. Die organisieren jedes Jahr den AlQuds-Tag mit, auf dem die versammelten Islamisten Israel den Tod wünschen. Was glauben Sie, wie das in Israel ankommt?
Und was macht der Hamburger Senat? Er päppelt die Israelfeinde noch durch einen Staatsvertrag mit den Islamverbänden. Das war am Anfang gut gemeint. Inzwischen ist er gescheitert. Die Islamverbände scheren sich einen Dreck, wenn es nicht gerade um ihre Rechte geht, und der Senat verhält sich dazu, wie der deutsche Staat oft, nämlich wie ein lauer Waschlappen.
Seit ich in der Bürgerschaft bin, also seit 2015, habe ich wohl jedes Jahr zu diesem Thema eine Rede gehalten, mit ungefähr dem gleichen Tenor. Manchmal hatte ich die Redner von FDP und CDU auf meiner Seite, Herr Wersich – argumentativ, wohlgemerkt, denn abstimmen mit der AfD, das geht gar nicht.
So demontiert man die Demokratie.
Bürgermeister Scholz hat den Staatsvertrag mit den Islamverbänden geschlossen;
ich verstehe schon, dass Politiker sich nicht irren und ihre Fehler korrigieren.
Das ist furchtbar schade. Ich habe trotzdem sagen können, was ich sagen wollte. – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe mich über das Thema des Antrags gefreut. Ich habe mich zunächst darüber gefreut, dass die SPD- und GRÜNEN Fraktionen offenbar einen Lerneffekt hatten. Es hat zwar fast drei Jahre gedauert, aber immerhin. Ich habe an dieser Stelle am 29. Juni 2016 eine Rede gehalten zum Thema Anforderungsprofil für Imame, damals noch für eine Fraktion, die hier üblicherweise diffamiert wird, und danach bin ich in der üblichen Weise niedergemacht worden. Von Herrn Wysocki war das ohnehin klar, aber auch Herr Wersich, den ich als Person durchaus schätze, hat Dinge gesagt, die ich
mindestens überraschend gefunden habe. Heute hat Herr Wersich Gott sei Dank völlig anders geredet, und ich frage mich, Herr Kollege Wersich, ob Sie auch einen Lerneffekt hatten
oder ob Sie damals nur geredet haben, so übel, wie Sie es getan haben,
weil es Parteiräson ist, die AfD niederzumachen.
Der AfD-Antrag zur Drucksache 21/4874, auf den Herr Nockemann schon hingewiesen hat, ist damals vom Rest der Bürgerschaft natürlich wie immer einstimmig abgelehnt worden, auch von der CDU-Fraktion, Herr Kollege Wersich, was mich angesichts Ihrer Rede heute doch sehr wundert.
Ich könnte nun meine späte Genugtuung artikulieren, dass der SPD- und GRÜNEN-Antrag ungefähr die gleiche Zielsetzung hat, wie es der AfD-Antrag vom Juni 2016 hatte. Das will ich aber nicht tun, weil es mir auf das inhaltlich richtige Ergebnis ankommt. Diese inhaltliche Prioritätensetzung empfehle ich übrigens auch anderen zur Nachahmung. Der Text Ihres Antrags der Drucksache 21/16477 ist allerdings – ich muss das dazu klar sagen – durchgängig Wischiwaschi. Das gilt leider auch für das Petitum. Da soll dieses und jenes geprüft werden, ob man nicht könnte oder sollte oder unter welchen Umständen. Das haben meine Vorgänger auch teilweise erwähnt. Ich würde einmal so sagen, wenn zwei große Regierungsfraktionen, hier der ganze Teil des Hauses, die zudem einen kompetenten Regierungsapparat in der Hinterhand haben, nicht mehr zu bieten haben, ist das wirklich peinlich. Sind Sie alle schon so stark mit Wahlkampf beschäftigt, dass Sie keinen substanziellen Antrag mehr hinkriegen zu einem Thema, das seit Jahren virulent ist? Auch das haben meine Vorredner schon gesagt. Da hätten Sie lieber den Antrag der Drucksache 21/4874 oder meine Rede vom 29. Juni 2016 oder Herrn Wersichs Einlassungen oder einiges, was ich von Frau von Treuenfels in Erinnerung habe, als Grundlage nehmen sollen, dann wäre Ihr Antrag sicherlich viel substanzieller gewesen.
Ich werde Ihrem Antrag trotzdem zustimmen, Herr Abaci. Dagegen können Sie sich nicht wehren, auch wenn Sie das vielleicht möchten. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Der Brexit ist eine veritable Katastrophe. Die Folgen sind sowohl ökonomisch als auch politisch verheerend. Das gilt für beide Seiten des Kanals. Aber es ist keine Naturkatastrophe, es ist ein politisches Versagen der schlimmeren Sorte auf beiden Seiten des Kanals, der uns eigentlich mehr verbinden als trennen sollte. So viel politische Unfähigkeit und
Unwillen für das europäische Projekt habe ich nicht einmal den selbstverliebten Brüsseler Eurokraten zugetraut. Denn das europäische Projekt ist wichtig. Die Frage ist nur, wie wir das konkret ausgestalten, und darüber gibt es sehr unterschiedliche Meinungen.
Ich will dazu nur drei kurze Bemerkungen machen. Erstens: Natürlich ist klar, dass die britischen Bürger sich für den Brexit entschieden haben. Aber nicht alle wussten, was die Folgen sind, und es gibt klare Unterschiede zwischen London und dem ländlichen England und zwischen der Elite und dem Rand. Das ist übrigens die gleiche Unterscheidung, die viel von der Wahl von Trump, von den Gelbwesten in Frankreich und von dem Wahlergebnis in Österreich und im Osten Deutschlands erklärt. Der Grund für dieses knappe Brexit-Ergebnis 2016 waren die Politik und die Überheblichkeit in Brüssel. Die Eurokraten fühlten sich wie die Herrscher des römischen Weltreichs. Aber Rom war stark, erfolgreich und bestens organisiert. Brüssel verteilt nur das Geld, das nicht ihm, sondern den Steuerzahlern gehört. Dass ein Volk mit der Geschichte und der Leistungsfähigkeit Großbritanniens nicht die Befehle aus Brüssel empfangen will, ist doch eigentlich klar. Das gilt übrigens auch für etliche andere Länder, insbesondere im Osten Europas. Aber wenn man Nettozahlungsempfänger ist, überlegt man die Folgen noch zweimal mehr, als wenn man Nettozahler ist.
Zweitens: Die Brexit-Verhandlungen waren eine Katastrophe. Auf der einen Seite so arrogante Eton Boys wie Boris Johnson, den ich ebenso verantwortungslos finde wie Nigel Farage – verglichen damit hat Theresa May inzwischen meine volle Bewunderung, auch wenn ich ihre Position inhaltlich nicht teilen kann –, auf der anderen Seite das Möchtegern-Empire aus Brüssel, das den unartigen Briten gern eine Lektion erteilen wollte, um ein Exempel zu statuieren, und dabei die Interessen Europas aus dem Blick verloren hat, weil es nur die eigenen Interessen gesehen hat. Und was ist mit der politischen Klasse in London, die so oft europabesoffen redet und handelt wie sonst niemand in den Mitgliedstaaten Europas überhaupt?
Für Deutschland und Hamburg ist der Brexit eine besonders schlimme Katastrophe. Christian Lindner hat kürzlich auf seinem Parteitag den Einsatz von Frau Merkel für Griechenland mit dem für Großbritannien verglichen. Recht hat er. Letzteres, nämlich der Einsatz für Großbritannien, war nahezu eine Nullnummer. Dagegen hat sie das korrupte Land an der Ägäis, das für Europa völlig unwichtig ist, mit Milliarden Euro an Steuergeldern zugeschüttet, wie Politiker das übrigens oft machen, wenn sie nicht weiterwissen, weil sie die harten
Fakten nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Warum ist Frau Merkel nicht in die Bresche gesprungen, wenn schon Brüssel versagt? Eignet sich ihr Europagetue nur für Sonntagsreden? Warum duckte sie sich weg, als es darum ging, mit einem der ökonomisch wirklich wichtigsten Länder Europas eine möglichst gute und enge Zusammenarbeit zu etablieren, wenn man schon den Brexit selbst nicht mehr verhindern kann? War sie zu feige, den Konflikt mit Brüssel zu suchen?
Dritter Punkt: Der Grund für das Referendum von David Cameron waren die Politik und das EmpireGehabe der Brüsseler Eurokraten, die immer mehr Macht an sich gezogen haben und das Wort Subsidiarität kaum mehr kennen, geschweige denn danach handeln. Europa hat nicht viel mit Demokratie zu tun, auch wenn Sie das immer bestreiten. Brüssel war und ist für viele ein großer Selbstbedienungsladen; Dekadenz war auch im römischen Weltreich der Anfang vom Ende. Vernünftige neue Strukturen und Prozesse wären erforderlich gewesen. David Cameron wollte eigentlich gar nicht aus der EU austreten,
er wollte sie reformieren und das war und ist auch dringend nötig.
Er dachte, die Perspektive eines britischen Austrittsreferendums würde Reformanstöße ermöglichen, die Europa besser machen können und auf der Insel auch mehr Akzeptanz finden. Falsch gedacht, die bräsige Machtelite in Brüssel war noch unfähiger, über sich selbst zu reflektieren, als er wohl selbst gedacht hatte.
Letzter Satz: Wenn es noch eine letzte kleine Chance gibt, den Brexit zu verhindern, dann sollten wir das versuchen – und damit meine ich Frau Merkel und Herrn Scholz in Berlin. – Vielen Dank.