Protokoll der Sitzung vom 20.09.2000

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich führe das deswegen so umfänglich aus. weil dieser Beschluss ein deutlicher Appell der höchsten deutschen Volksvertretung ist, dass die gegenwärtige Abschlehepolitik so nicht fortgesetzt werden kann. Gefordert wird und erforderlich ist ein Einsatz für Menschen in einer Notsituation. Wenn Sie die aktuelle Einwanderungsdiskussion verfolgen. ist es besonders bemerkenswert, dass es nicht uni die Frage der Nützlichkeit ton Menschen geht. sondern endlich einmal uni die bedrohliche La ge von Menschen. In dieser Bewertung stimmen wir mit der PDS-Bundestagsfraktion überein. auch wenn ich den Ihnen vorliegenden Begründungstext unseres Antrages. der ja auf eine Initiative der rot-grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen zurückgeht. korrigieren muss. da hei diesem interfraktionellen Antrag von 230 Bundestagsabgeordneten keine PDS-Abgeordneten einbezogen waren. also leider nicht von allen t3undestagsfraktionen gesprochen werden kann.

Obwoh! der Bundestag nur die Bundesre gierung im Sinne des obigen Beschlusses auffordern konnte. nämlich Initiativen für humanitäre Grundsätze in der Flüchtlingspolitik zu ergreifen, hat dieser Beschluss auch Für unsere Landespolitik Bedeutung. In einem besonders wichtigen Abschnitt der Bundestagsdnicksache heißt es:

..Für Personen. die aus den oben genannten Gründen jetzt nicht in ihre Heimat zurückgeschickt werden können. müssen nach einer Einzelfallprüfung. die mit Kenntnis der tatsächlichen Situation vor Ort erfolgen muss. Möglichkeiten für einen längerfristigen Aufenthalt mit einem gesicherten Rechtsstatus in Deutschland geschaffen werden. Traumatisierte mit fachärztlicher Beurteilung, Lagerinsassen und m Deutschland integrierte Jugendliche sollten auch eine dauerhafte Aufenthaltsberechti gung bekommen. Insofern wird der Bundesminister des Innern aufgefordert. die gegenwärtige Praxis der Innenminister der Länder durch die Möglichkeit eines dauerhaften Bleiberechts zu ergänzen, also entsprechende Empfehlungen in die Innenministerkonferenz einzubringen. Auch sollte ihnen unverzüglich die Erwerbsfähigkeit gestattet werden. die am stärksten zur Integration führt und insbesondere den jungen Menschen eine eigenständige Lebensperspektive bietet.

Eine Entscheidung und Mitwirkung des brandenburgischen Innenministeriums auf der Ebene der Innenministerkonferenz in dieser Frage steht also bevor. Durch die heutige Beschlussfassung des Landtages könnte sich der Minister des Innern im besonderen Maße der parlamentarischen Unterstützun g für eine humanere Flüchtlingspolitik versichern und entsprechende Initiativen mit besonderem Gewicht unterstützen. Als Minimalkriterien sollten im Rahmen der Einzelfallprüfung berücksichtigt werden: Herr Minister Schönbohm, ich weiß, dass Sie weder Nachhilfe

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noch Anregungen von der PDS und mir erhalten wollen. Darum geht es mir auch nicht. Ich werde nur meiner Aufgabe als Abgeordneter nachkommen. indem ich Ihre bisherige Flüchtlingspolitik an dieser Stelle kritisiere und meine Meinun g sage. Nach der.,Spiegel"-Berichterstattung zu den Vorwürfen von Wolfgan g Thierse zweifelten einige. oh nun sagen könne, dass Ziele rechtsextremistischer Angreifer mit Billigung brandenburgischer Stellen tatsächlich erreicht würden. weil das Opfer letztlich aufgrund des Überfalls nicht in Deutschland bleiben darf. also Regierungsstellen Ergebnisse und Konsequenzen rechtsextremer Vorfiille nicht nur Innnehmen. sondem nutzen.

Nun gut. die Stadt Potsdam und das Innenministerium bemühen sieh um eine Klärung. von der ich erwarte. dass sie kein Gnadenakt allein aufgrund öffentlichen Protests ist. Aber. Herr Minister. was Sie in den letzten Wochen zu den Vorwürfen geäußen haben. zeigt mir. dass Sie den rationalen Kern derKritik nicht verstanden haben. Auf die von Hemt Thierse geschilderten Schicksale kommt es nicht am ich könnte Ihnen beliebi g andere Fälle nennen. die alle damit zu tun haben. dass

in Brandenburg humanitäre Grundsätze in der Flüchtlingspol itik nicht ausreichend beachtet wurden. wenn es um das Bleiberecht ging.

Es kommt nicht auf die von Wolfgang Thierse oder Bischof Huber. von den brandenburgischen Bündnisgrünen und der PDS immer wieder beschriebenen und an die Öffentlichkeit gebrachten Einzelbeispiele staatlich unangemessener - man möchte sagen: fast schon rassistischer - Flüchtlingspolitik an, weil hinter den Einzelentscheidungen der Ausländerbehörden in den Kreisen eine ausländerpolitische Doktrin zu stehen scheint. die generell vom Innenministerium verfol gt wird.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Dic ausländerpolitische Doktrin lautet: Nur der abgeschobene Asylbewerber ist ein guter Asylbewerber. Mit dieser Doktrin werden Voruneile und Unkenntnis breiter Bevölkerungsschichten quer durch alle politischen Lager bedient. dass Asylsuchende nur Wirtschaftsflüchtlinge seien. dem deutschen Bürger auf der Tasche lägen. ihm die Arbeit wegnehmen würden.

Erstes Beispiel: die verschärfte Runderlasspraxis: allesamt ja wie Geheimpapiere gehandelt, wie der Erlass 58/00. wonach Ausbildung und Studium im Asylverfahren nicht gestattet sind. oder die fehlende Regelung zur Prüfung von inlandsbezogenen Abschiebungshindemissen durch die Ausländerbehörden. Ich stelle fest. dass die Behörden in immer stärkerem Maße ihr Ennessen weniger oder gar nicht im Sinne des Asylbewerbers ausüben, weil sie befürchten müssen. nicht mehr in der Toleranzspanne des Innenministeriums zu liegen.

Zweites Beispiel: die Ignoranz gegenüber der Rückkehrgefährdun g von abgeschobenen Kurslinnen und Kurden. trotz neuerlieher Berichte des Auswärti gen Amtes.

Drittes Beispiel: die Rückführun g der Kosovo-Kriegsflüchtlinge in diesem Frühjahr bzw. Sommer unter Betonung der Kostengesichtspunkte. Diese wahrhaftige Öffentlichkeitsarbeit des Innenministeri ums umfasst auch regelmäßige Pressemitteilungen über die Zahl der Abschiebungen je Monat.

hurgische Verwaltun gspraxis ohne Übergangsregelung. die in der Regel praktisch Nichtgewährung statt Erteilung eines Bleiberechts bedeutet und nach Urteilen einiger Gerichte auch sinnwidrig ist.

Vor allem bei der Altfallre.gelung bleibt die Forderun g nach einer Regelung wie im Land Berlin aktuell. Dabei stellt sich auch die Frage einer Verlängerung des Antragszeitraums. In Berlin gilt seit Mai 2000 durch Beschluss des Abgeordnetenhauses folgende Verwaltungspraxis:

--Sofern der Lebensunterhalt im Zenpunkt der Antragstellung noch nicht durch die Ausübung einer legalen Erwerbstätigkeit gesichert ist. aber die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind. bitten wir. wie folgt zu verfahren: Dem ‚Ausländer wird eine zunächst auf sechs Monate befristete Aufenthaltsbefugnis erteilt, um die Voraussetzungen für den Abschluss von Arbeitsverträgen zu schaffen. Hierdurch erwirbt der Betroffene zunächst einen Anspruch auf Arbeitsberechtigung

Herr Petke. im Übrigen haben Sie sich in der 9. Landtagssitzung am 23. Februar 2000 bemüht, hinsichtlich der Möglichkeiten einer liberalen Interpretation der Altfallregelung durch die Bundesländer Verwirrung zu stiften. Ma g sein, dass Sie nicht sachkundig waren, was Ihrer Position als innenpolitischer Sprecher der CDU zumindest im Wiederholungsfall abträglich sein müsste. Ich möchte Ihrer falschen Darstellung einfach nur entgegentreten und sie berichtigen. da Sie meine Frage an Sie damals nicht zuließen. Ich zitiere dazu aus der Bundestagsdrucksache la/335X. in der vom Bundesinnenministerium eingeräumt wird:

_Es besteht heim Erlass einer Anordnung jedoch keine Verpflichtung. die Altfallregelun g entsprechend dem Beschluss der Innenministerkonferenz vorn 19. November 1999 wörtlich zu übernehmen. Den Ländern steht vielmehr ein gewisser Spielraum zur Verfügung.

Dieser Spielraum ist leider bis zum heutigen Tag nicht ausgeschöpft worden.

Ich muss Sie. Herr Minister Schönhohm. fragen: Besteht wirklieh ein öffentliches Interesse daran. Menschen, die seit Jahren hier leben. deren Kinder hier völlig inte griert sind, die hier Freunde und Nachbarn gefunden haben. mit Gewalt außer Landes zu befördern? Wie soll von den Menschen im Land das Ringen uni ein fremdenfreundliches und tolerantes Brandenburg verstanden werden. wenn sich unser Land nicht dazu durchringen kann. diesen wenigen hundert Menschen, die seit über sieben Jahren mit ihren integrierten Kindern hier leben. eine Lebensperspektive in Brandenburg einzuräumen?

Im Sinne der Beachtung humanitärer Gnmdsätze in der Flüchtlingspolitik erwarten wir deshalb ein Signal. Deshalb fordere ich Sie auf, dass Flüchtlingen. die Opfer von Gewalttaten mit rechtsextremem. ausländerfeindlichem Hinter grund geworden sind, ein dauerhaftes Bleiberecht nach ausländerrechtlichen und humanitären Kriterien gewährt wird.

(Beifall bei der PDS)

Viertes Beispiel: die Altfallregelung - eine erbärmliche brandenEs gibt nur eine Antwort auf diese verabscheuungswürdige

Landtag Lirandenburg - '0..ahl/Leriode - Plemirprtgok.all 3 20 - 20, Sept2mhev 21)(K1

Gewalt: Wen ihr schlagt. ja gt oder töten wollt. nehmen wir erst recht in unserer Mitte auf. dein gewähren wir erst recht ein dauerhaftes Bleiberecht. der soll erst recht vom Asyl suchenden Flüchtling in unserem Land zum ausländischen Mitbürger und Freund werden!

Doch die Realität ist leider so: Das Opfer des Vorfalls in Wendisch-Rietz im Jahr 1992 muss fiir jede Behandl ung seiner Traumatisierung einen Urlaubsschein bei der Ausländerbehörde beantragen, um nach Berlin fahren zu können. Er lebt in Unsicherheit. Der Täter war bezahlter V-Mann des Verfassunusschutzes, bis vor kurzem jedenfalls. Wenn Sie als Innenminister oder als Staatssekretär nicht willens sind, für eine andere. humanere Flüchtlingspolitik einzutreten: wenn Sie nicht in der Lage sind. die in der Kritik an Ihrer Amtsftihrung liegenden berechtigten Hinweise und Forderungen herauszuhören und umzuseizen, dann müssen Sie. Herr Schönbohm. und Sie. Herr Lancell e. durch Ihren Rücktritt den Weg für eine andere Politik freimachen,

(Lachen bei der CDU)

denn Sie schaden mit Ihrer Law-and-order-Politik dem Ansehen Brandenburgs. - Danke.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke dem Abgeordneten Sarrach. - Das Won geht an die Fraktion der SPD. Herrn Abgeordneten Kuhnen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der in den Bundestag eingehrachte Antrag. der hinter dem uns jetzt vorliegenden Antrag steht und auf den sich der PDS-Antrag bezieht. bildet nach meiner Meinung eine sehr präzise Interpretation des Artikels 1 Grundgesetz im Blick auf hier in Deutschland lebende Flüchtlinge. Deshalb ist er wahrscheinlich auch einstimmig im Bundestag von allen Fraktionen angenommen worden.

Wir haben in der letzten Zeit oft darüber diskutien. dass Ausländerrecht in der Tat von den Ländern zu vollziehen ist. Insofern macht die Regelung, die Nordrhein-Westfalen getroffen hat, durchaus Sinn, sich die An gelegenheit auf Länderebene zu Eigen zu machen und auch in der Innenministerkonferenz darauf hinzuwirken. dass dieser einstimmig gefasste Beschluss des Bundestages dort auch angewendet wird. Der Bundesinnenminister wird vom Bundestag gehalten, in der Innemninisterkonferenz darauf hinzuwirken.

Wenn die Innenminister der Länder aufgefordert werden, das Gleiche zu tun. halte ich das durchaus für gerechtfertigt. In Nordrhein-Westfalen ist der Antrag. der von der PDS-Fraktion wortgleich übernommen worden ist. vom Landtag einstimmig verabschiedet worden.

Die SPD-Fraktion kann dem vorliegenden Antrag - es fällt mir nach Ihrer Rede allerdings etwas schwerer, das zu sagen, aber ich beziehe mich nur auf den Antrag - inhaltlich folgen und ihm zustimmen. Der Koalitionspartner CDU hat Gesprächsbedarf

angekündigt. was ich nach der Rede. die Sie gehalten haben. verstehen kann.

(Beifall bei SPD und CDU)

Anfänglich hatte ich mich gewundert. waruni das bei uns nicht so wie in Nordrhein-Westfalen gehen kann.

Die SPD-Fraktion stimmt einer Überweisun g in den Innenausschuss zu. Die Innenministerkonferenz findet erst im November statt. Somit können wir über den Antrag in Ruhe beraten und über ihn im Oktober im Landtag noch einmal diskutieren. Ich denke. dass es uns gut zu Gesicht steht. wenn sich die demokratischen Parteien in grundlegenden Fra gen der Menschenrechte einig sind und so wie in Nordrhein-Westfalen und int Bundestag zusammenstehen. Das ist zum einen um der betroffenen Menschen willen. zum anderen aber auch uni des Signales wallen nach außen wichtig. Ich persönlich interpretiere die Überweisung in den Innenausschuss als einen Schritt zu diesem Ziel.

Herr Sauich. ich kann über die vielen Beispiele. die Sie genannt haben, aufgnmd der Kürze der Zeit nicht diskutieren. Ich will Ihnen nur Folgendes sagen: Ich haue immer etwas gegen Schwarzweißmalerei. Ich habe sowohl mit Innenminister Ziel als auch mit Innenminister Schönbohm in konkreten humanitären Fällen, die ich den Ministern vorgetragen habe, positive Erfahrungen. was die Lösun g dieser humanitären Fälle betrifft. gemacht.

(Beifall hei SPD und CDU)

Insofern habe ich, auch wenn manche Kritik berechtigt sein mag. Schwierigkeiten, wenn es in einer solchen Schwarzweißmalerei vorgetragen wird. Das trägt weder zur Atmosphäre noch zur Sache etwas Positives hei. Ich bitte Sie darum. in Zukunft ein wenig differenzierter an die Dinge heranzugehen. Der politische Gegner hat es verdient. dass man ihn so sieht, wie er ist, und nicht wie man das Feindbild bewertet. das man von ihm selbst gezeichnet hat.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Ich bitte im Namen der SPD-Fraktion. der Überweisung in den Innenausschuss zuzustimmen. - Vielen Dank.

(Beifall hei SPD und CDU)

Ich danke dem Abgeordneten Kulmen. - Das Wort geht an die Fraktion der DVU. Frau Abgeordnete Fechter, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren? Es ist gar nicht so lange her, da empfahl Herr Schönhohm bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen. besser in der Heimat Hand anzulegen als hier die Hand aufzuhalten. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch formulierte in einem Interview der..Bild--Zeitung: Wir sind an der Grenze der Aufnahmefähigkeit von Ausländern angekommen. weil wir sie nicht mehr inte grieren können. - Bundesinnenminister Otto Schilt' erklärte: Die Grenze der Belastbarkeit Deutschlands durch Zuwanderung ist überschritten. - Der bayerische Innenminister Günter Beckstein wird im

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_Focus- vom I0. Juni 2000 wie folg zitiert: Wir brauchen weniger Ausländer. die uns ausnutzen und mehr. die uns nutzen.

Ich möchte auch den jetzigen Bundeskanzler erwähnen. der als Ministerpräsident Folgendes aussprach: Wir dürfen nicht mehr so zaghaft sein mit ertappten ausländischen Straftäteni. Wer unser Gastrecht missbraucht. für den gibt es nur eines: Raus. und zwar schnell!

Der damalige Bundestagsabgeordnete Heinrich Lummer hat folgende Worte ausgesprochen; Wenn Ausländer eine Bereicherung sind. dann können wir schon seit langem sagen: Wir sind reich genug. Eine multikulturelle Gesellschaft ist eine latente Konti iktgeselischaft. Der innere Friede ist 2cl:bindet