

Am 1. April 2025 kamen in Berlin rund 30 Vertreter:innen aus Wissenschaft, Medien, Zivilgesellschaft und Datenanalyse zum ersten transdisziplinären Workshop rund um Stateparl zusammen.
Ziel der Veranstaltung war es, die öffentliche Webdatenbank, die alle Plenarprotokolle deutscher Landtage erstmals zentral zugänglich macht, gemeinsam weiterzudenken. In kurzen Impulsvorträgen und intensiven Gruppenarbeiten wurden sowohl die bisherigen Funktionen der Plattform kritisch reflektiert als auch neue Ideen zur Anwendung und Analyse politischer Sprache entwickelt. Dabei trafen sich Perspektiven aus der politikwissenschaftlichen Forschung, datenjournalistischer Praxis und digitaler Zivilgesellschaft auf Augenhöhe.
Die Idee: Ein einheitlicher Zugang zu allen Landesparlamenten
Deutschland besitzt ein komplexes föderales System mit 16 Landtagen, die als wesentliche Elemente der demokratischen Willensbildung fungieren. Doch diese Vielfalt bringt auch Herausforderungen mit sich: 16 verschiedene Datenbanken mit unterschiedlichen Weboberflächen und Datenstandards erschweren Vergleiche und machen Vorwissen notwendig.

StateParl wurde entwickelt, um diese föderale Unübersichtlichkeit zu überwinden. Das Projekt integriert alle Parlamentsreden der deutschen Landtage seit 2000 in einer maschinenlesbaren Datenbank und macht sie über verschiedene Kanäle zugänglich – von der wissenschaftlichen Forschung bis zur journalistischen Recherche.
Werkzeuge für alle: Vom Datensatz zur Online-Suche
StateParl verfolgt einen mehrgleisigen Ansatz, um verschiedene Nutzergruppen zu erreichen. Der bei GESIS verfügbare Datensatz richtet sich an Forschende, die komplexe quantitative Analysen durchführen möchten. Parallel dazu bietet die Website stateparl.de einen barrierearmen Zugang mit intuitiver Bedienung, modernen Suchfunktionen und automatischer Aktualisierung.

Die API-Schnittstelle ermöglicht es, automatisierte Abfragen zu erstellen und die Daten in eigene Anwendungen zu integrieren. Dieser Ansatz hat bereits zu beeindruckenden Projekten geführt, wie der systematischen Analyse fremdenfeindlicher AfD-Rhetorik durch das Tagesspiegel Innovation Lab.
Transdisziplinäre Zusammenarbeiten
Der Workshop am 1. April 2025 in der Vertretung des Landes Schleswig-Holstein beim Bund brachte erstmals Akteure aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zusammen. Neben Forschenden aus Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft und Datenwissenschaft nahmen Vertreter*innen von Tagesspiegel, SWR und Stuttgarter Nachrichten teil, sowie Akteur*innen aus Parlamenten und Verwaltung.
Die Workshop-Gruppen erarbeiteten sechs unterschiedliche Forschungsperspektiven, die das breite Anwendungsspektrum von StateParl verdeutlichen. Diese reichten von der Analyse politischer Begriffsentwicklungen bis hin zu systematischen Untersuchungen parlamentarischer Debattenkultur.
Mietpolitische Diskurse: Eine Gruppe untersuchte, wie sich die Begriffe Mietpreisbremse, Mietpreisdeckel und Kappungsgrenze in den Landtagsdebatten entwickelt haben. Dabei zeigte sich, dass politische Begriffe nicht neutral sind, sondern strategischen Überlegungen folgen und sich in Reaktion auf politische Ereignisse verändern.
Grenzkontrollen im föderalen Vergleich: Die Analyse der Grenzkontrollen-Diskussion in Baden-Württemberg, Berlin und Schleswig-Holstein offenbarte erwartungsgemäß regionale Unterschiede. Schleswig-Holstein als Grenzland dominierte die Debatte, während die Diskussion stark ereignisgetrieben verlief – mit markanten Spitzen während der europäischen Flüchtlingskrise 2015-2016.

Verfassungsgerichte in der politischen Debatte: Eine weitere Gruppe untersuchte, wann und wie Verfassungsgerichte in Landtagsdebatten erwähnt werden. Dabei stellte sich heraus, dass Krisenzeiten die Bezugnahme auf verfassungsrechtliche Institutionen verstärken – mit einem deutlichen Peak während der Finanzkrise 2008-2012.
Kontroverse vs. konsensuale Themen: Der Vergleich zwischen Windkraft- und Breitbandausbau-Diskussionen bestätigte die Hypothese unterschiedlicher Debattenkulturen. Windkraft zeigt alle Merkmale eines kontroversen Themas mit höherer Diskussionsfrequenz und polarisierterem Sentiment, während Breitbandausbau konsensaaler behandelt wird.
Bildungspolitik nach PISA: Entgegen der ursprünglichen Vermutung stellte eine Gruppe fest, dass das Interesse an Bildungsthemen in Landtagsdebatten nicht nachgelassen hat. Vielmehr hat sich die Bildungsdebatte grundlegend gewandelt und neue Schwerpunkte entwickelt.
StateParl als demokratisches Infrastrukturprojekt
Der Workshop demonstrierte eindrucksvoll das Potenzial partizipativer Datenvalidierung in der Politikwissenschaft. Die Rückmeldungen der Teilnehmenden fließen direkt in die Weiterentwicklung von StateParl ein – von der verbesserten Benutzeroberfläche bis hin zu erweiterten Analysefunktionen.
Das TD-Lab Funding Program hat uns den nötigen Freiraum gegeben, um zu experimentieren – und Forscher*innen, Journalist*innen und politische Praktiker*innen an einen Tisch zu bringen. Der Workshop hat gezeigt: Es ist viel mehr möglich, wenn unterschiedliche Akteure ihre Perspektiven bündeln und gemeinsam an Fragen und Problemen arbeiten.
Dr. Antonios Souris, Freie Universität Berlin
Ein zentraler Aspekt bleibt die nachhaltige Finanzierung. Mit geschätzten 10.000 Euro jährlich für die kontinuierliche Datenvalidierung und -aktualisierung ist StateParl zwar ein vergleichsweise kostengünstiges Infrastrukturprojekt, dennoch fehlt eine stabile Finanzierungsgrundlage. Hier sind Universitäten und Forschungsallianzen gefragt, den gesellschaftlichen Wert solcher Dateninfrastrukturen anzuerkennen.
StateParl zeigt exemplarisch, wie wissenschaftliche Arbeit öffentliche Güter mit konkretem gesellschaftlichem Nutzen generieren kann. Die Plattform stärkt nicht nur die demokratische Transparenz, sondern ermöglicht es Bürger*innen, Journalist*innen und Politiker*innen gleichermaßen, die Dynamiken der föderalen Demokratie besser zu verstehen und zu analysieren.
Der transdisziplinäre Workshop war dabei nur der Anfang: Das etablierte Netzwerk aus Forschenden und Praktiker*innen wird auch künftig zusammenarbeiten, um neue Formate des Austauschs zu entwickeln und StateParl als zentrale Ressource für die Analyse parlamentarischer Demokratie zu etablieren.



Der Workshop wurde durch das TD-Lab Funding Programm der Berlin University Alliance gefördert.