Nach zehnjährigem Tiefschlaf der großen Koalition ist Bewegung in die Fahrradpolitik gekommen. Nicht zuletzt auch durch die zugewanderten fahrradfreundlichen Bonner Ministerialbeamten und -beamtinnen. Es ist ein eigenständiger Fahrradhaushalt in Berlin ausgewiesen, der heute 5 Millionen € pro Jahr umfasst. Die Fahrradmitnahme ist in allen U-, S- und Straßenbahnen ohne Sperrzeiten möglich. Wir begrüßen den Versuch der BVG, diese Möglichkeit auch auf einzelne ausgewählte Nachtbuslinien auszudehnen. Wichtig in den vergangenen 15 Jahren ist auch – noch unter der Kohl-Regierung – die Novellierung der Straßenverkehrsordnung gewesen.
Unter anderem sind dabei die Radwegebenutzungspflicht erheblich eingeschränkt, das Befahren von Einbahnstraßen in Gegenrichtung erlaubt und Fahrradstraßen gesetzlich verankert worden.
Die Möglichkeiten dieser Novelle, die Berlin im Bundesrat übrigens abgelehnt hat, Herr Kaczmarek, wurden in Berlin nur unzureichend genutzt. Die rechtswidrige Praxis der Benutzungspflicht konnte erst durch zahlreiche Klagen gestoppt werden. Dem Rechtsanwalt Andreas Volkmann gebührt für sein Engagement der Dank der Fahrrad fahrenden Bevölkerung.
Kritisiert wird von uns aber Folgendes – und das, Frau Senatorin, können Sie auf dem Weg Ihres neuen Amtes mitnehmen –: Im STEP Verkehr ist festgelegt worden, den Fahrradverkehr im Haushalt bis zum Jahr 2015 mit fünf € pro Einwohner auszuweisen. Damit muss heute begonnen werden, sonst schaffen Sie es nicht. Warum die Benutzung der Rolltreppen für Fahrräder verboten ist – für Kinderwagen übrigens auch –, vermag ich nicht nachzuvollziehen. Ändern Sie es bitte sofort.
Von 800 Einbahnstraßen dürfen nur 200 – das ist nur jede vierte – in Gegenrichtung befahren werden. Dieses Verhältnis muss mindestens umgekehrt werden, das gilt auch für baustellenbedingte Einbahnstraßen. Da tut sich überhaupt nichts. Das Schild „Radfahrer absteigen“ an Baustellen – Sie sehen es in der Stresemannstraße – ist rechtswidrig. Das gibt es überhaupt nicht. Es wird in Berlin aber immer noch angebracht. Fahrradstraßen gibt es nur eine einzige in Berlin, die Albrechtstraße in Marzahn. Die Nebenfahrbahn der Heerstraße als Fahrradstraße auszuweisen, ist vom rot-roten Senat abgelehnt worden. Ich weiß nicht, weshalb, aber das ist wirklich nicht akzeptabel. Fahrradstationen an Bahnhöfen, in denen man das Rad reparieren lassen, überwacht abstellen und ausleihen kann, erfreuen sich in allen holländischen Städten, in Basel, Münster und Freiburg sehr großer Beliebtheit. Am Lehrter Bahnhof und auch am Bahnhof Papestraße werden zwar millionenschwere Autostellplätze gebaut, der Bau von Fahrradstationen ist aber vergessen worden. Auch hier muss nachgebessert werden.
Frau Senatorin! Liebe Ingeborg! In der Tat haben wir beide am Reichenbach-Gymnasium das Abitur gemacht und in Ennepetal beziehungsweise Breckerfeld das Fahrradfahren gelernt. Kein Wunder, dass Ihre Antwort auf die Große Anfrage zum Fahrradverkehr so positiv gewesen ist. Meine Nachfolgerin als verkehrspolitische Sprecherin, Claudia Hämmerling, wird Sie kritisch-solidarisch beobachten, ob und wie aus Ihren Worten Taten folgen. Ich wünsche uns allen dafür viel Erfolg.
Positiv entwickelt hat sich in Berlin der FahrradTourismus. Beim Senat sind die Untersuchungen bekannt, dass der Tourist, der mit dem Fahrrad unterwegs ist, mehr Geld ausgibt als andere. Wer den ganzen Tag gestrampelt ist, schaut abends nicht auf das Portemonnaie. Deshalb fördert der Wirtschaftssenator mit GA-Mitteln des Bundes und der EU auch die Velorouten Berlin-Kopenhagen, Berlin-Usedom und Wannsee-Erkner als Bestandteil des europäischen Radwanderwegs Calais-Warschau.
Der von mir angeregte Berliner Mauerweg erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Er zieht Fahrrad-Touristen aus aller Welt an. Die Berlin Tourismus Marketing GmbH wirbt dafür mit dem Flyer „Ausflug ins Stadtgedächtnis“ – mit großem Erfolg.
Positiv sind auch die Anstrengungen für den Radweg entlang von Spree und Havel. Leider spielt hier die Stiftung Schlösser und Gärten verrückt, anders kann ich es nicht ausdrücken. Es war möglich, den Spreeweg am Deutschen Bundestag, am Bundeskanzleramt und am Bundespräsidialamt vorbei zu führen. Aus dem Schlosspark Charlottenburg soll der Fahrradverkehr verbannt und über Hauptstraßen mit zweimaligem Treppensteigen umgeleitet werden. Das Abgeordnetenhaus hat sich im Verkehrsausschuss einstimmig für den attraktiven Fahrradverkehr auch im Schlosspark Charlottenburg ausgesprochen. Es ist an der Zeit, dass der Senat, insbesondere der Kultursenator – der gerade kommt – das durchsetzt.
Liebe Jutta Matuschek! Mit dem Ampelmännchen aus der DDR habe ich trotz meiner DDR-kritischen Grundposition keine Probleme. Insbesondere das in großen Schritten dynamisch voranschreitende Ampelmännchen gefällt mir sehr. Ich werde auch in Europa dafür werben, nicht zuletzt deshalb, weil das rote Ampelmännchen Stillstand bedeutet und mir die Farbe Grün unheimlich gut gefällt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, heute halte ich meine letzte Rede im Abgeordnetenhaus von Berlin. Die kleine Zahl derer, die im Schöneberger Rathaus noch vor dem Fall der Mauer Mitglied dieses Hauses waren, wird nach dem Abschied von Wolfgang Wieland und mir noch kleiner. 15 Jahre lang habe ich mit Ihnen und Sie mit mir leidenschaftliche debattiert über die verschiedensten Themen, in langweiligen und in spannenden, auch in aufregenden Sitzungen. In Zukunft müssen Sie auf meine
und ich auf Ihre Beiträge verzichten. Die Berlinerinnen und Berliner haben mir am letzten Sonntag mit einem sensationellen Wahlergebnis das schönste Geburtstagsgeschenk gemacht, das den Abschied von der Berliner Landespolitik zwar schöner, aber auch wehmütiger macht.
Wie es der Zufall will, nehme ich heute am 17. Juni an meiner letzten Plenarsitzung teil. Die konstituierende Sitzung des Europäischen Parlaments wird am 20. Juli in Straßburg stattfinden. Diese beiden Daten sind gerade für uns Deutsche sehr wichtig.
Meine politische Arbeit werde ich auf europäischer Ebene fortsetzen und als Berliner für Deutschland europäische Politik mitgestalten. Insbesondere die Region Berlin-Brandenburg als ehemalige Randregion und jetzt im Zentrum der EU wird davon enorm profitieren. Ich wünsche meiner Stadt Berlin und Ihnen allen eine zukunftsorientierte, soziale und ökologische Politik, vor allem – es sei mir gestattet – eine bessere Verkehrspolitik, die in Mitten der erweiterten EU auch von den Brüsseler Entscheidungen abhängig sein wird.
Meinem langjährigen Kollegen Wolfgang Wieland wünsche ich, dass er den großen Sprung ins Brandenburger Parlament genauso souverän schafft, wie er mir nach Europa gelungen ist. Ich freue mich auf die neuen Aufgaben, bedanke mich für die vielen Glückwünsche, nehme Abschied und bedanke mich letztmalig für Ihre Aufmerksamkeit!
Danke schön, Herr Kollege Cramer! Wir wünschen Ihnen gutes Wirken in Europa für Berlin und den Fahrradverkehr. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Große Anfrage ist damit begründet, beantwortet und besprochen.
Zu den beiden Anträgen zum Thema Fahrradverkehr, Drucksachen 15/2811 und 15/2821, empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung an den Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch, so dass entsprechend verfahren wird.