Protocol of the Session on February 14, 2008

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Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 24. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie alle, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter ganz herzlich.

Bevor wir in die Tagesordnung einsteigen, habe ich die Freude, dem Kollegen Dr. Juhnke von der Fraktion der CDU zum Geburtstag zu gratulieren. – Herzlichen Glückwunsch! Alles Gute! Gute Gesundheit!

[Allgemeiner Beifall]

Dann komme ich zum Geschäftlichen, zuerst zu einigen neuen Überweisungen, Eingängen oder Zusatzüberweisungen. Die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über „Menschen in Berlin ohne Aufenthaltsstatus“ Drucksache 16/0698 und die schriftliche Antwort des Senats Drucksache 16/1149 werden auf Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Befassung an den Ausschuss für Integration, Arbeit, Berufliche Bildung und Soziales überwiesen.

Zur Großen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über „Sicherung des Fachkräftebedarfs in der Altenpflege“ Drucksache 16/0538 ist die schriftliche Antwort des Senats auf Drucksache 16/1175 eingegangen.

Nun zu den Vorlagen – zur Kenntnisnahme – gemäß Artikel 64 Absatz 3 der Verfassung von Berlin aus unserer letzten Sitzung, nämlich der Zusammenstellung der vom Senat vorgelegten Rechtsverordnungen, Drucksache

16/1088. Die lfd. Nr. 2 – das ist die Verordnung 16/70 –, Verordnung über die angemessene Verzinsung des betriebsnotwendigen Kapitals der Berliner Wasserbetriebe für das Jahr 2008, am 24. Januar auf Antrag der CDU an den Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Frauen überwiesen, geht nunmehr auf Antrag der FDP zusätzlich an den Hauptausschuss. – Widerspruch dazu höre ich nicht, dann ist das so.

Der Antrag der Fraktion der SPD und der Linken zur Grundstücksvergabe Drucksache 16/1092, am 24. Januar überwiesen an den Ausschuss für Stadtentwicklung und den Hauptausschuss, wird zusätzlich mitberatend an den Ausschuss für Bauen und Wohnen überwiesen. Die Federführung erhält der Ausschuss für Stadtentwicklung. – Auch dazu höre ich keinen Widerspruch, dann ist das so.

Dann komme ich zur Aktuellen Stunde. Am Montag, dem 11. Februar 2008 sind folgende vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

1. Antrag der Linksfraktion und der Fraktion der SPD zum Thema: „Strukturwandel und wirtschaftliches Wachstum – Berliner Industrie mit guten Perspektiven“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Hartz-IVSpeiseplan bisheriger negativer Höhepunkt von Sarrazins Verbalentgleisungen!“,

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Wie stellt der Senat ohne Wettbewerb die Zukunftsfähigkeit der BVG sicher?“,

4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Bürgerschule statt Einheitsschule: Viele Schulen für jeden statt eine Schule für alle!“.

Die Fraktion Die Linke und die SPD haben ihren gemeinsamen Antrag schon am Dienstag im Ältestenrat zurückgezogen und erkennen lassen, dass sie sich dem Thema der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen anschließen würden. Zur Begründung der Aktualität rufe ich nunmehr den Kollegen Hoffmann von der Fraktion der CDU auf. – Bitte schön, Herr Hoffmann, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Öffentlichkeit ist von Herrn Senator Sarrazin so einiges gewohnt: Verbale Ausfälle gegen in Trainingsanzügen herumschlurfende Berliner, übelriechende Beamte, faule Professoren und alternde Staatsschauspieler gehören zu seinen flotten Sprüchen. Manche sagen: „So meint es der rot-rote Senat wirklich.“ – Nun hat der große Provokateur sich wieder einmal mit unerbetenem Ratschlag in Szene gesetzt. Er hat Arbeitslosengeld-II-Empfängern, die er erst kürzlich im Zusammenhang mit ehrenamtlicher Arbeit ins Abseits stellte, vorgerechnet, wie überaus reichlich die Essenspauschale von 4,25 € bemessen ist. Ja, man kann nach seinen Vorstellungen sogar noch zwischen 27 und 49 Cent täglich sparen. Über diese unfassbare Entgleisung muss im Parlament aktuell gesprochen werden.

[Beifall bei der CDU und den Grünen – Uwe Doering (Linksfraktion): Wollen Sie die Sätze erhöhen?]

Die Betroffenen fühlen sich zu Recht verhöhnt, geht es doch in der Mehrzahl um Menschen, die sich ihre Lebenssituation so nicht ausgesucht haben. Nicht nur deshalb muss das Rechenexempel des selbsternannten Menüplaners wie ein Schlag ins Gesicht wirken.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Wessen Gesetz war das?]

Es blendet die Lebenswirklichkeit total aus und berücksichtigt weder die persönliche Situation und Konstitution der Hilfeempfänger noch die Einkaufsbedingungen und Kaufangebote, geschweige denn die notwendigen Nebenkosten.

[Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Heuchler!]

Vollends zu einer schallenden Ohrfeige wird der Sarrazinsche Diätplan durch die Behauptung – und er bleibt dabei –, dass man sich vom Transfereinkommen vollständig, gesund und nährstoffreich ernähren könne. Von der mangelnden Flüssigkeitszufuhr einmal abgesehen – aber dafür gibt es den Wasserhahn –, haben Experten die als ausreichend bezeichneten Mengen überprüft und festge

stellt, dass diese nach vier Wochen zu Unterernährung führen würden. Da muss man doch fragen: Wo steht dieser Senat eigentlich? – Auf dem Boden neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse bestimmt nicht! So haben führende Institute für Ernährung errechnet, dass für einen Jugendlichen 4,70 € und für einen Erwachsenen 7 € Geldeinsatz für eine gesunde Ernährung das tägliche Minimum sind.

[Zuruf von Stefan Liebich (Linksfraktion)]

Auf der Seite der Armen steht dieser Senat aber auch nicht, denn er macht ihnen in Gestalt eines Senators ein schlechtes Gewissen und rechnet ihnen vor, dass sie eigentlich an ihrer Lage selbst schuld seien. Vor diesem Hintergrund sind die Wut und die Empörung der Menschen, die täglich jeden Cent dreimal umdrehen müssen, sehr gut zu verstehen, denn es ist instinktlos und anmaßend, wenn ein gut situierter Senator im Maßanzug sehr viel schlechter Gestellten öffentlich Nachhilfeunterricht über sparsames Wirtschaften gibt.

[Beifall bei der CDU und den Grünen]

Das finden nicht nur wir geschmacklos, borniert und zynisch. Die ganze Angelegenheit weitet sich nach meiner Ansicht auch zu einem politischen Skandal aus, denn der Senator hat seine Ideen bereits auf der letzten SPDKlausurtagung vorgetragen. Mit seinem Speiseplan hat er nun noch einmal nachgelegt. Darüber muss jetzt diskutiert werden, weil eigentlich ein ganz anderes Ziel damit verfolgt wird, für das jedoch die betroffenen Menschen gnadenlos instrumentalisiert werden. Es geht einzig um die unmissverständliche Botschaft an den Koalitionspartner: Es gibt mit mir – in Klammern: SPD – nicht mehr Geld für arme Menschen. – Davon haben wir in Berlin reichlich, übermäßig viele im Vergleich zum Bundesdurchschnitt, nämlich 319 000 Hartz-IV-Haushalte mit mehr als 170 000 Kindern. Herr Lederer von den Linken hat das richtig interpretiert mit dem Hinweis, dass sich Herr Sarrazin mit seinen Äußerungen für eine ernsthafte politische Debatte über die Angemessenheit der Alg-II-Regelsätze schlicht disqualifiziert habe.

[Beifall bei der CDU und den Grünen]

Wird die Linke in Berlin aus dieser Erkenntnis ihre Schlüsse ziehen? – Ich fürchte, nein, und so wird Ihre Kritik nur künstliche Entrüstung und Theaterdonner bleiben.

[Zurufe von der Linksfraktion]

Das Gleiche gilt für die SPD. Zwar hat Herr Nisblé als Vertreter der AWO Herrn Sarrazin einen „zynischen Moralapostel“ gescholten, doch viele andere sind bisher merkwürdig still geblieben. Der Regierende Bürgermeister brauchte vier Tage, um sich zu Wort zu melden. Dabei bemängelte er nicht die inhaltlichen Aussagen seines Finanzsenators, sondern nur, dass die Rechenbeispiele überflüssig gewesen seien. Das lässt tief blicken. Noch fataler ist, dass die rot-roten Parlamentarier schweigen und weiter Politik betreiben, die Berlin arm und ärmer werden lässt.

[Zuruf von der SPD: Das stimmt gar nicht!]

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben heute die Möglichkeit, dieses Schweigen zu durchbrechen und aktuell Stellung zu beziehen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Uwe Doering (Linksfraktion): Geldverschwender!]

Danke schön, Herr Kollege Hoffmann! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nunmehr der Kollege Ratzmann das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Sarrazin! Nachträglich noch herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Wir haben – Ihren Empfehlungen entsprechend – einen Präsentkorb zusammengestellt – guten Appetit, kann ich nur sagen.

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Meine Damen und Herren! Was die Stadt wirklich interessiert, sind die derzeit laufenden Tarifauseinandersetzungen. Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes im Land Berlin versuchen verzweifelt, mit dem Senat ins Gespräch zu kommen. Auf Bundesebene werden Tarifverhandlungen geführt, die Auswirkungen auf einige wichtige Unternehmen in der Stadt haben, und die BVG befindet sich aktuell in einer Tarifauseinandersetzung. Darüber muss man reden, das bewegt die Stadt.

Wir wollen gleich zu Anfang klarstellen, dass wir keine Ersatztarifverhandlungen führen wollen. Es geht auch nicht darum, die Tarifautonomie oder das Streikrecht in Frage zu stellen. So weit, wie Herr Gaebler gegangen ist, der Verdi einen schlechten Stil vorgeworfen hat, gehe ich auch nicht. Was aber nötig ist, ist eine Kontrolle, wie einer der Tarifvertragsparteien – nämlich der Senat von Berlin – sich in dieser Auseinandersetzung verhält. Dies ist unsere Aufgabe, das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt schuldig.

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Ich habe bewusst von „einer“ der Tarifparteien gesprochen. Wer nach den Entscheidungen, Herr Wowereit, die Sie im Senat getroffen haben, noch darauf rekuriert, dass die Anstalt des öffentlichen Rechts BVG selbständige Tarifverhandlungen führt, der streut allen Sand in die Augen. Sie haben beschlossen, dieses Unternehmen wie eine Abteilung der Senatsverwaltung zu führen, Sie haben deswegen die Änderung des Betriebegesetzes beschlossen, die Gewerkschaften haben deswegen sogar auf einen Teil ihrer Mitbestimmung verzichtet, und deswegen haben Sie als Senat Verantwortung dafür, wie die Tarifverhandlungen ausgehen. Aus dieser Haftung werden wir Sie nicht entlassen!

[Beifall bei den Grünen]

Sie müssen erklären, Herr Wowereit, Sie ganz persönlich, wie Sie vor dem Hintergrund Ihres Tarifvertragsabschlus

ses von 2005 noch handeln wollen. Sie haben mit der BVG – quasi als Wahlgeschenk im Vorfeld der Bundestagswahl – vereinbart, dass dieses Unternehmen bis 2020 alle Verkehrsleistungen in der Stadt erbringen soll.

[Beifall von Stefan Liebich (Linksfraktion) und Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

Sie haben beschlossen, dass die BVG bestimmt, ob es noch Wettbewerber auf den auszuschreibenden Strecken gibt, und die BVG kündigt gerade alle. Sie haben natürlich dafür gesorgt, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen gibt. Nun haben Sie eine Situation, in der die Gewerkschaften ihre Instrumentarien, ihr Recht wahrnehmen, und wir stehen mit dem Rücken an der Wand und sind in dieser Situation handlungsunfähig. Wenn die Gewerkschaften ihre Forderungen durchsetzen, gibt es nur zwei Reaktionen des Landes Berlin: entweder Steuergelder in das Unternehmen pumpen oder Fahrpreise erhöhen. Beides wollen wir nicht!

[Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

Wenn die Fahrpreise erhöht werden, dann kann sich jeder Berliner bei Ihnen ganz persönlich dafür bedanken, Herr Wowereit, dass er mehr Geld in die gelben Automaten stecken muss, weil Sie diesen Tarifvertrag 2005 abgeschlossen haben.

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

Sie müssen auch erklären, warum Sie so unterschiedlich mit den Beschäftigten der BVG und denen umgehen, die im öffentlichen Dienst arbeiten. Während die einen ganz selbstverständlich ihre Tarifforderungen erheben und Sie aus der SPD-Fraktion sogar signalisieren, man habe Verständnis für die weitergehenden Forderungen der Gewerkschaften, verweigern Sie sich in den anderen Fällen jeglichem Gespräch. Sie müssen erklären, warum Sie es den Beschäftigten in den unteren Lohngruppen zumuten, bei einem Vollzeitarbeitsverhältnis mit 1 000 € nach Hause zu gehen. Das müssen Sie uns erklären, und auch, warum Sie sich so unterschiedlich in diesen beiden Auseinandersetzungen verhalten.

Vor allem auch die PDS, die Partei des dauernden Sozialabbaus in der Stadt, muss erklären, wie sie in dieser Tarifauseinandersetzung agieren will.