Protocol of the Session on March 19, 2009

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Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 44. Sitzung des Abgeordnetenhauses und begrüße Sie alle, die Kolleginnen und Kollegen und unsere Zuhörer, ganz herzlich.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich eine traurige Pflicht zu erfüllen und bitte Sie, sich zu erheben.

[Die Anwesenden erheben sich.]

Hochbetagt, im Alter von 97 Jahren, verstarb am 9. März in Potsdam der frühere Bischof des Ostteils der evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und langjährige Vorsitzende des Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR, Albrecht Schönherr.

Albrecht Schönherr war von der Theologie Dietrich Bonhoeffers und der Bekennenden Kirche geprägt. In der DDR suchte Schönherr als Bischof und als Vorsitzender des Kirchenbundes einen Kurs des Zusammenlebens mit dem SED-Staat, ein Zusammenleben auf dem, wie er selbst gesagt hat, „schmalen Grat zwischen Opposition und Opportunismus“ oder, wie wir sagen würden, zwischen Anpassung und Verweigerung.

Albrecht Schönherr war am 11. September 1911 im oberschlesischen Katscher geboren, in der Zeit der NS-Diktatur gehörte er zu den Schülern und engen Mitarbeitern von Dietrich Bonhoeffer – einem der prägenden Vertreter der Bekennenden Kirche und damit des Widerstandes gegen das NS-Regime.

Albrecht Schönherr besuchte Vorlesungen des Privatdozenten Bonhoeffer an der Friedrich-Wilhelms-Universität. Nach der Machtergreifung Hitlers nahm er an Bonhoeffers illegalem Predigerseminar in Finkenwalde teil und legte vor dem Prüfungsamt der Bekennenden Kirche 1936 sein Zweites theologisches Examen ab. Nach dem Krieg ging er als Pfarrer und Superintendent an den Brandenburger Dom und baute das dortige Predigerseminar auf, das er von 1951 an leitete. 1962 wurde er Generalsuperintendent in Eberswalde.

Nachdem die DDR-Behörden dem Berliner Bischof Kurt Scharf wiederholt die Einreise verwehrt hatten, wurde Albrecht Schönherr 1967 Verwalter des Bischofsamtes der Evangelischen Kirche in Berlin Brandenburg und 1972 Bischof des Ostteils der Berlin-Brandenburgischen Kirche und blieb es bis zu seiner Pensionierung 1981.

Ende der 60er-Jahre hatte Albrecht Schönherr wesentlichen Anteil am Zusammenschluss der acht evangelischen Landeskirchen der DDR zum Bund der evangelischen Kirchen in der DDR. Dieser Zusammenschluss, der die Kirche stärkte, hatte allerdings auch die Abspaltung von der bis dahin gesamtdeutschen evangelischen Kirche in Deutschland zur Folge. Von 1969 bis 1981 war Albrechts

Schönherr Vorsitzender des Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR.

Die Stärkung der Kirche kam bei dem Treffen Schönherrs und der Kirchenleitung mit dem Staats- und Parteichef Erich Honecker am 6. März 1978 zum Ausdruck. Das veränderte Verhältnis der Kirche zum Staat kam in dem Begriff „Kirche im Sozialismus“ zum Ausdruck. Die Formel stammte nicht von Schönherr, aber sie brachte einerseits die Anerkennung der staatlichen Realität der DDR durch die Kirche zum Ausdruck, andererseits aber auch den von der Kirche im bonhoefferschen Sinne beanspruchte Freiraum für die eigene Aufgabe der Verkündung im weitesten Sinne. Die Folge war die moderate Kirchenpolitik der DDR in den folgenden Jahren, die wachsende Autonomie und Freiräume für die Kirche ermöglichte. In diesen Freiräumen entstand und entwickelte sich die Opposition gegen die Diktatur, die 1989 die friedliche Revolution bewirkte.

Wir gedenken Albrecht Schönherrs, dieses geradlinigen Kirchenmannes, mit Respekt und werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.

[Gedenkminute]

Meine Damen und Herren! Sie haben sich zu Ehren von Albrecht Schönherr erhoben – ich danke Ihnen!

Unsere Kollegin Frau Anja Schillhaneck von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die heute nicht hier ist, hat am vergangenen Wochenende eine Tochter namens Marie Tabea bekommen. Dazu gratulieren wir ganz herzlich, wünschen Mutter und Kind alles Gute und bitten, ihr die Glückwünsche des Hauses auszurichten.

[Beifall]

Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich Geschäftliches mitzuteilen. Sie finden auf Ihren Tischen den Terminplan der Plenarsitzungen für das Jahr 2010, auf den sich der Ältestenrat am Dienstag verständigt hat. – Widerspruch höre ich dazu nicht, dann verfahren wir im nächsten Jahr mit der Planung so.

Am Montag sind folgende vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

1. Antrag der Fraktion der SPD und der Linksfraktion zum Thema: „Neue Energie für Berlin – ohne ein weiteres Kohlekraftwerk“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Linke setzt Kulturkampf gegen das Gymnasium fort – Sekundarschule nur erster Schritt zur Gemeinschaftsschule – fahrlässige Verschwendung von Konjunkturpaketmitteln“,

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Finanzielles Desaster bei der BVG – Verkehrspolitik des Senats bleibt ein Sanierungsfall“,

4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Kostenexplosion bei den Sanierungskosten – die Charité

braucht eine grundlegende und zukunftsfähige Struktur- und Investitionsplanung“.

Ich rufe zur Begründung der Aktualität auf. Dazu hat für SPD und auch für die Linksfraktion der Kollege Dr. Thärichen das Wort. – Bitte schön, Herr Dr. Thärichen!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Tagen hat Vattenfall seine Entscheidung bekanntgegeben, auf den Bau eines 800-Megawatt-Steinkohlekraftwerks am Standort Klingenberg zu verzichten. Das ist ein großer Erfolg für den Klimaschutz in dieser Stadt.

[Beifall bei der SPD, der CDU, der Linksfraktion und den Grünen]

Vattenfall ist mit seiner Entscheidung der Aufforderung unseres Koalitionsantrags aus dem letzten Jahr nachgekommen

[Gelächter von Michael Schäfer (Grüne)]

ja, Herr Schäfer, natürlich! –, die Kraftwerkspläne für den Standort Klingenberg grundlegend zu überarbeiten.

Wir freuen uns darüber, dass Vattenfall erkannt hat, dass es keine gesellschaftliche Mehrheit für ein neues Kohlekraftwerk in dieser Stadt gibt. Wir begrüßen, dass Vattenfall zu einem Bündnispartner der Politik für den Klimaschutz geworden ist, und wir fordern Vattenfall dazu auf, diesen Weg konsequent weiterzugehen.

Die besondere Aktualität dieses Themas liegt damit auf der Hand. Sie liegt aber auch darin, dass bundesweit derzeit viele neue Kohlekraftwerke in der Diskussion sind und offenbar auch die Bundesregierung zu der Meinung tendiert, ohne Kohle ginge es nicht. Von Berlin geht nun ein neues Signal aus: Eine zukunftsfähige Energiepolitik und Energieversorgung ist auch ohne neue Kohlekraftwerke möglich und richtig.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Uns ist hierbei noch etwas anderes wichtig. Die Entscheidung von Vattenfall zeigt, dass solche energiepolitischen Grundsatzfragen wie der Bau neuer Kraftwerke nicht mehr allein in Konzernetagen entschieden werden können, sondern dass hierfür eine gesellschaftliche Mehrheit gewonnen werden muss. Die Frage, ob und welche Kraftwerke in diesem Land gebaut werden, ist angesichts des Klimawandels so grundlegend, dass diese Entscheidung hierüber den privaten Renditekalkülen entzogen werden muss. Sie ist, mit anderen Worten, zu einem Kernbestandteil der demokratischen Willensbildung in dieser Gesellschaft zu machen. Kein Konzern, und sei er noch so groß, wird zukünftig Kraftwerksprojekte gegen eine breite gesellschaftliche Mehrheit durchsetzen können. Das ist die aktuelle politische Botschaft, die wir von Berlin aussenden wollen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Ich will mich an dieser Stelle ausdrücklich bei allen bedanken, die dazu beigetragen haben, den Sinneswandel von Vattenfall zu befördern. Dazu gehören die Menschen, die sich vor Ort in Bürgerinitiativen zusammengeschlossen haben, dazu gehören durchaus auch Teile der Opposition, die sich klar gegen ein Kohlekraftwerk ausgesprochen haben. Warum allerdings die Grünen heute mit dem Thema „Finanzielles Desaster bei der BVG“ zur Aktualität aufwarten, wundert doch sehr. Herr Schäfer! Es ist doch ein bisschen dürftig, sich in der Presse zunächst feiern zu lassen und dann zur Tagesordnung zurückzukehren.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion– Daniel Buchholz (SPD): Richtig!– Zuruf von Michael Schäfer (Grüne)]

Das ist ein bisschen wenig.

Natürlich werfen die Pläne von Vattenfall noch viele Fragen auf, das kann bei einem so komplexen Thema gar nicht anders sein. Vattenfall hat angeboten, hierüber in einen Dialog einzutreten, und dieses Angebot zu einem Energiedialog nehmen wir sehr gerne an. Ein Kraftwerkneubau ohne demokratische Beteiligung geht in Zeiten des Klimawandels nicht mehr.

Wir begrüßen zudem sehr, dass Vattenfall ausdrücklich auf die Biomasse setzt. Die Biomasse muss ein unverzichtbarer Bestandteil einer zukunftsgerichteten, einer nachhaltigen Energiepolitik sein. Es wird bereits überall die Frage diskutiert, ob die Brandenburger Wälder dazu ausreichen, Biomasse für Berliner Anlagen zur Verfügung zu stellen. Es ist natürlich darüber hinaus notwendig und sinnvoll, auch die städtischen Biomassepotenziale in den Blick zu nehmen, Stichwort: Urban Mining, also die Nutzung von Altholzpotenzial in der Stadt, das zum Beispiel im Sperrmüll oder auf öffentlichen Grünanlagen anfällt. Das ist ein wichtiger Bestandteil einer zukunftsbezogenen Klimaschutzpolitik. Wir werden hierzu in Kürze eine Potenzialanalyse von Senatorin Lompscher vorgelegt bekommen, in der die städtischen Biomassepotenziale dargestellt werden und aufgezeigt wird, wie dieses Biomassepotenzial auch zu einem Baustein der Klimapolitik in Berlin werden kann; wir sind sehr gespannt auf diese Untersuchung.

Nach Vorlage der Vattenfallpläne wollen wir heute mit Ihnen darüber diskutieren, wie der erfolgreiche Weg Berlins zur Klimahauptstadt fortgesetzt werden kann. Hierfür bitte ich um Ihre Unterstützung. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Danke schön, Herr Kollege Dr. Thärichen! – Für die CDU-Fraktion hat nun der Kollege Steuer das Wort. – Bitte schön, Herr Steuer!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der geplanten Strukturreform ist die Stimmung in der Stadt bei Eltern, Schülern und Lehrern kurz vor dem Überkochen. Rot-Rot hat keine Ahnung davon, wie die Zugangskriterien zu den Schulen sein sollen,

[Zuruf von Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion)]

keine Ahnung von den Klassengrößen, keine Ahnung von der Lehrerausstattung, keine Ahnung von der Leistungsdifferenzierung. Sie haben gar nichts vorbereitet und beauftragen zugleich die Bezirke, durch die Konjunkturpaketmittel innerhalb weniger Wochen Fakten zu schaffen. Gleichzeitig verunsichern Sie alle durch die Ankündigung, 40 bis 60 Schulen schließen zu wollen, darunter auch Gymnasien. Die Art und Weise, wie Sie die Diskussion um die Schulstruktur führen, ist unstrukturiert und unverantwortlich.

[Beifall bei der CDU]

Gestern beklagten sich die Mitglieder des höchsten Gremiums im Schulbereich in Berlin, dem Landesschulbeirat, bitter über das Chaos bei der Vorbereitung der Strukturreform. Rot-Rot konnte gestern keinerlei Antworten geben; alles sei im Fluss, hieß es, man wolle eine gesamtgesellschaftliche Debatte. Diese Debatte hätte längst stattfinden können und müssen. Monatelang haben Sie an der Schulstrukturreform gearbeitet, doch statt eines umfassenden Modells sind nur Überschriften und Visionen dabei herausgekommen. Dies offensichtlich auch deshalb, weil Sie sich in der Koalition nicht einig sind, zum Beispiel über den Grad der Leistungsdifferenzierung in Ihrer Sekundarschule. Es ist jedoch inakzeptabel, das koalitionsinterne Chaos auf dem Rücken der Schulen auszutragen!

[Beifall bei der CDU]

Eine so umfassende Schulstrukturreform braucht einen weitgehenden Konsens, eine weitgehende Unterstützung, sonst ist sie zum Scheitern verurteilt. Statt um Vertrauen für Ihre Reform zu werben und endlich Verlässlichkeit in die Berliner Bildungspolitik einziehen zu lassen, machen Sie das Gegenteil. Da beschließt die Linkspartei auf ihrem Parteitag, dass am Ende doch die Gemeinschaftsschule stehen und damit das Gymnasium abgeschafft werden soll.

[Zuruf von Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion)]