Protokoll der Sitzung vom 19.03.2009

Was wollen Sie denn eigentlich? Wollen Sie Zweigliedrigkeit oder nicht? Sollen die Gymnasien erhalten bleiben oder nicht? – Sie müssen sich entscheiden, denn Sie regieren in dieser Stadt! Sie können nicht das eine faktisch umsetzen und von dem anderen weiterhin träumen, das mag zwar Ihr Gemüt befrieden, aber es ist letztlich unverantwortlich für die Umsetzung dieser Strukturreform, weil es die Menschen in dieser Stadt dauerhaft verunsichert.

[Beifall bei der CDU]

Es muss endlich Schluss sein mit den ideologischen Strukturdebatten und dem linken Strukturfetischismus. Diese Strukturreform ist Gott sei Dank das Ende der Strukturdebatten, und auch deshalb muss die Sekundar

schule in sich gut werden. Ich rate Ihnen nur, nehmen Sie unser Masterplanprogramm, lesen Sie es und Sie werden sehen, wie eine gute Schule aussehen kann. Schrauben Sie meinetwegen am Ende auch das Türschild „Sekundarschule“ an diese Schule, wir erheben keinen Urheberrechtsschutz auf unser Strukturmodell.

[Beifall bei der CDU]

Hören Sie von der Linksfraktion endlich auf, einen Kampf gegen die Gymnasien zu führen!

[Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion): Da haben Sie was missverstanden, Herr Steuer! – Martina Michels (Linksfraktion): Alte Leier!]

Immerhin 50 Prozent der Berlinerinnen und Berliner wollen das Gymnasium. Es ist bei PISA erfolgreich, die Menschen wollen es, es gehört zu den erfolgreichsten Schulformen der Welt. Lassen Sie also ab von Ihren pausenlosen Angriffen und so irrwitzigen Ideen wie der Sozialquote, die inhaltlich Unsinn ist und rechtlich unmöglich, wie Sie wissen! Das Gymnasium muss erhalten bleiben!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Wir brauchen ganz schnell ein valides Modell und bestenfalls eine parteiübergreifende Verständigung, damit endlich Ruhe einkehren kann in diese Stadt und die Zustimmung der Menschen zu der Schulreform nicht fahrlässig durch Rot-Rot verspielt wird. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Steuer! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nunmehr der Kollege Esser das Wort. – Bitte schön, Herr Esser!

[Daniel Buchholz (SPD): Energiepolitik ist ja kein Thema mehr bei den Grünen!]

Die BVG ist energetisch ohne Ende!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Buchholz! Herr Thärichen! Wir sind sehr stolz darauf, dass die Umweltbewegung in dieser Stadt verhindert hat, dass Vattenfall einen Klimakiller bauen darf.

[Beifall bei den Grünen]

Dafür, dass Ihnen dabei niemand einen Verdienst anrechnet, was Sie ja offensichtlich quält, dafür können wir nichts.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Ich kann aber nicht daran vorbei, dass der Finanzsenator Sarrazin zusammen mit dem BVG-Vorstandsvorsitzenden Sturmowski gestern eine Pressekonferenz veranstaltet hat und die Herren mit vereinten Kräften bestritten haben, dass die BVG ein Sanierungsfall sei. Herr Sarrazin hat sich sogar dazu verstiegen, von einem Sanierungserfolg zu sprechen.

[Senator Dr. Thilo Sarrazin: Genau!]

Sie wissen genau, Herr Sarrazin, dass das nicht wahr ist. Das ist die größte politische Niederlage, die Sie in den Jahren hier in Berlin in Sachen Haushalts- und Unternehmenssanierung erlitten haben. Sie müssen sich schon an den eigenen Zielen, an den Tatsachen und an den Zahlen messen lassen, und die sprechen eine unmissverständliche Sprache. Am Anfang gab es einen Plan, einen Sanierungsplan mit dem Namen BSU 2000, der von allen Fraktionen im Abgeordnetenhaus im Grundsatz unterstützt wurde. Wäre die Sanierung aufgegangen, hätte die BVG 2008 mit knapp 300 Millionen Euro Zuschuss aus dem Haushalt im Jahresabschluss eine schwarze Null schreiben müssen. Das war das Sanierungsziel. Statt dessen hat die BVG fast 250 Millionen Euro Verlust gemacht, und deshalb sage ich, die Sanierung der BVG ist im ersten Anlauf gescheitert, und es bedarf eines Neustarts, um ans Ziel zu kommen.

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

156 Millionen Euro des BVG-Verlusts stammen aus der Rückstellung für das CDO-Paket, das sich Herr Sarrazin und Herr Sturmowski im Zuge dubioser Cross-BorderLeasing-Geschäfte, die sie bereits vorgefunden hatten, von der amerikanischen Großbank J. P. Morgan haben andrehen lassen.

90 Millionen Euro, der Rest, stellen den operativen Verlust der BVG dar, der dadurch zustande kommt, dass die Einnahmen des Unternehmens die Ausgaben nicht decken. Ehrlich gesagt, diese 90 Millionen Euro machen mir noch größere Sorge, denn diese Verlustsituation wird sich, wenn sich bei der BVG nichts ändert, auf Jahre hinaus auch nicht ändern.

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

Erst wenn es der BVG gelingt, mehr zahlende Fahrgäste zu gewinnen und zugleich die zu hohen Kosten zu senken, kann sich das ändern, und nicht mehr und nicht weniger verlangen wir von unserem Verkehrsunternehmen. Unbillig ist das wahrlich nicht. Und nicht mehr und nicht weniger an politischen Entscheidungen für die Rahmenbedingungen verlangen wir von diesem Senat.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Beifall von Oliver Scholz (CDU)]

Weil, Herr Thärichen, dieses Thema nicht nur in Presseerklärungen gehört, sondern hier ins Parlament, beantragt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, heute in der Aktuellen Stunde vor den Augen der Öffentlichkeit über das Thema „Finanzielles Desaster bei der BVG – Verkehrspolitik des Senats bleibt Sanierungsfall“ zu diskutieren.

Denn es ist doch verfehlt, dass Sie, Frau Matuschek und Herr Gaebler, ausschließlich mit dem Finger auf Herrn Sturmowski und den scheidenden Finanzsenator zeigen. Natürlich haben Sie recht, Frau Matuschek, wenn Sie sagen, bei der BVG sei der Wurm drin, und Herr Sturmowski halte bislang nicht, was wir uns von ihm verspro

chen haben. Natürlich haben Sie recht, Herr Gaebler, wenn Sie sich dem Ruf der BVG nach Fahrpreiserhöhungen verschließen und fordern, das Unternehmen solle erst mal seine eigenen Rationalisierungsreserven ausschöpfen. Aber wenn Sie das so sagen, dann müssen Sie sich zuallererst zu der Sachaussage von Sarrazin und Sturmowski verhalten, die ohne das CDO-Paket verbleibenden 90 Millionen Euro Verluste der BVG entstünden im Kern durch die vergleichsweise zu hohen Löhne für die Altbeschäftigten – den sogenannten Sicherungsbetrag in Höhe von 100 Millionen Euro. Die gleiche Problematik gilt übrigens für die Kosten des identifizierten Personalüberhangs von noch knapp 1 500 Leuten, die vor allem in der Verwaltung der BVG sitzen.

Deshalb können Sie weder sich selbst noch die anderen verantwortlichen Senatoren – Herrn Wolf von der Linkspartei, Frau Junge-Reyer von der SPD und den Regierenden Bürgermeister vor allem, der durch sein persönliches Eingreifen im Jahr 2005 die Hauptverantwortung für die verfahrene Kostensituation bei der BVG trägt – aus der Verantwortung entlassen und nicht alles allein auf Herrn Sturmowski und Herrn Sarrazin abschieben.

[Beifall bei den Grünen]

Hier steht der Senat als Ganzes auf dem Prüfstand und mit ihm die gesamte Verkehrspolitik von Rot-Rot. Hier steht die Fähigkeit von Rot-Rot in Zweifel, die Landesunternehmen Berlins in eine sichere Zukunft zu führen –

Herr Kollege! Würden Sie zum Schluss kommen?

und die Steuerzahler vor Schaden zu bewahren. Und deshalb bitte ich Sie alle herzlich: Stimmen Sie dem Thema von Bündnis 90/Die Grünen für die Aktuelle Stunde zu! Dann werden wir ja sehen, was SPD und PDS zu dieser Debatte noch beizutragen haben.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Christoph Meyer (FDP)]

Danke schön, Herr Kollege Esser! – Für die FDP hat nunmehr der Kollege Gersch das Wort. – Bitte schön, Herr Gersch!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP möchte heute mit Ihnen über die Charité reden, genauer gesagt über das, was von ihr übriggeblieben ist. Der Masterplan 2015 der Charité ist Geschichte, und jeder, der wollte, konnte dies auch vorhersagen. Es ist die konsequente Folge von unsolider Planung, Fehlkalkulation und Ziellosigkeit der politischen Verantwortungsträger, die weder die Bedeutung der Charité erkennen noch einen

Plan davon haben, was die Charité in Zukunft sein und wie sie dahin gelangen soll.

[Beifall bei der FDP – Zuruf von Ramona Pop (Grüne)]

Die Charité als internationale Spitzeneinrichtung der Krankenversorgung und Forschung ist ein Vermarktungsimage – mehr nicht. Für die meisten Bereiche gilt: Die ernüchternde Gegenwart wird von der ruhmreichen Vergangenheit noch überblendet. Der letzte Nobelpreis, mit dem die Charité gerne wirbt, wurde vor mehr als 50 Jahren an die Charité vergeben. Seit dieser Zeit spielt die Charité nicht mehr in dieser Liga. Sie ist im Weltranking wenig renommiert, kämpft vielfach nicht um den internationalen Aufstieg, sondern gegen den nationalen Abstieg. Die Zurückhaltung von hochqualifizierten Forschern und Klinikern bei Bewerbungen auf Lehrstühle, schleppende Berufungsverfahren, der veraltete Maschinenpark, eine extrem hohe Fluktuation, schlechte Arbeitsbedingungen, die infrastrukturelle und personalpolitische Sperrigkeit von vier Standorten, die entstehenden Qualitätsverluste, der logistische Mehraufwand, die Proporzprobleme zweier Universitäten, zu viele Einzelinteressen der verschiedenen Häuser, das organisatorische Chaos der aufgeteilten Abteilungen und die komplette Abwesenheit zentraler Facheinrichtungen an einigen Standorten sind sogar auf mittelmäßiger nationaler Ebene abschreckend.

[Beifall bei der FDP]

Auf welchem Niveau sich die Abläufe in manchen Bereichen mittlerweile bewegen, davon vermittelt das makabre Geschehen einen Eindruck, das wir in der letzten Woche in den Zeitungen lesen konnten. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Jeder, der in die Charité geht und mit den Menschen dort spricht, weiß, dass Missstand zum Standard geworden ist. Dabei lasse ich hier keinen Zweifel: Ursache sind nicht die Beschäftigten, die überhaupt in Gang halten, was ohne ihren Einsatz vielfach schon längst nicht mehr laufen würde. Ursache ist auch nicht der Vorstand, der mit großem Engagement bemüht ist, den Mangel zu verwalten und die Charité so gut wie möglich zu entwickeln. Die Ursache liegt klar in einer verfehlten Investitionspolitik als Resultat eines schwachen Konzepts und in der zerfahrenen räumlichen und organisatorischen Struktur. Seit der deutschen Einigung wurden Milliarden investiert, und das Resultat ist ein Sanierungsfall, für dessen Weiterbetrieb selbst der erneute Einsatz hoher Millionenbeträge absehbar nicht ausreicht. Die Koalition steckt mit ihrer Konzeptlosigkeit in einer Sackgasse. Sie können vielleicht noch einige Zeit den Crash aufschieben, aber verhindern können Sie ihn auf diesem Wege nicht.

Wir oder – besser gesagt – Sie von der Koalition müssen sich entscheiden: Wollen wir einen Dauersanierungsfall mit mittelmäßiger Leistung, der auch durch noch so häufiges Flicken nicht besser wird? Oder anerkennen wir die Bedeutung der Charité als Krankenversorger, Arbeitgeber, Forschungs- und Wirtschaftsmagnet und geben ihr einfache, klare und steuerbare Strukturen, bündeln ihre Stärken, ihre Größe und machen sie damit zukunftsfähig?

[Beifall bei der FDP]

Nur dann kann sie überleben und zu dem wachsen, was sie einmal war: eines der besten akademischen Krankenhäuser, eine der produktivsten Forschungs- und Lehreinrichtungen der Erde. Die Gesundheitswirtschaft ist der Wirtschaftszweig mit den unumstritten größten Wachstums- und Beschäftigungspotenzialen im Land, in dem heute schon jeder siebte Berliner Beschäftigte arbeitet. Die Charité lebt nicht nur von Berlin, Berlin lebt auch von der Charité. Darum möchten wir heute mit Ihnen darüber reden, und ich hoffe auf Ihre Zustimmung. – Danke!

[Beifall bei der FDP]

Danke schön, Herr Kollege Gersch!

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, sodass ich über das Thema der heutigen Aktuellen Stunde abstimmen lassen kann, und zwar zuerst über das Thema der Koalitionsfraktionen. Wer dem Thema der Koalitionsfraktionen seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Danke! Die Gegenprobe! – Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Ersteres war die Mehrheit. Dann ist das so beschlossen. Die anderen beantragten Themen haben damit ihre Erledigung gefunden.

Dann möchte ich Sie auf die vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, bitte ich um eine entsprechende Mitteilung.

Im Ältestenrat war ein Senatsmitglied für heute entschuldigt, nämlich der Herr Regierende Bürgermeister, der ab ca. 19.45 Uhr abwesend sein wird, um zur Verleihung des 7. Deutschen Hörfilmpreises 2009 zu gehen.