Sehr geehrte Damen und Herren! Ich eröffne die 55. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste sowie die Zuhörer und die Medienvertreter ganz herzlich. Ich freue mich besonders, dass unter unseren Gästen auf der Zuhörertribüne heute der neue Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburgschlesische Oberlausitz, Herr Dr. Markus Dröge, sitzt.
Herzlich willkommen in Berlin! Auf gute Zusammenarbeit mit allen Beteiligten aus dem Abgeordnetenhaus und auf gute Arbeit! Viel Glück und Erfolg in Ihrem Amte, Herr Bischof!
Dann möchte ich das nachgerückte Mitglied des Abgeordnetenhauses begrüßen, nämlich Frau Sylvia von Stieglitz für die FDP. – Herzlich willkommen! Gute Zusammenarbeit, Frau von Stieglitz!
Und der neue Staatssekretär für Soziales, Herr RainerMaria Fritsch, ist ebenfalls unter uns. – Herzlich willkommen, Herr Fritsch! Gute Zusammenarbeit!
1. Antrag der Fraktion der SPD und der Linksfraktion zum Thema: „Bildungsstreit – Handlungsbedarf für Hochschulen und Politik“,
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Wortbruch bei den Hochschulverträgen, Einstein-Stiftung ausgeplündert, FU-Präsident Lenzen will nach Hamburg – Senator Zöllner als permanenter Störfall im Berliner Wissenschaftsbetrieb“,
4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Was bringt und was kostet Berlin die IGA 2017 in Tempelhof? Senat muss Vertragsbedingungen offenlegen und ein Gesamtkonzept für die Kombination mit der IBA vorlegen.“
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Da wir uns bereits im Vorhinein geeinigt haben, heute das Thema der CDU in der Aktuellen Stunde zu behandeln, könnten wir uns diese Runde jetzt eigentlich sparen. Sie haben auf Begründungen bestanden, also werden wir auch unseren Antrag begründen.
Wir hätten aus aktuellem Anlass gern über den sogenannten Bildungsstreik der Studentinnen und Studenten gesprochen, die nach den Sommeraktionen nun erneut nicht nur in Berlin, sondern bundesweit auf die Straße gegangen sind und Hörsäle besetzt haben, um auf die weiterbestehenden Missstände hinzuweisen. Wir wären gern offensiv mit diesen Protesten umgegangen und hätten gern darüber gesprochen, was wir in Berlin erreicht haben: keine Studiengebühren, Sozialbeiträge für das Studentenwerk im unteren Mittelfeld, zusätzlich rund 6 000 Studienanfängerplätze in den nächsten Jahren, nach Jahren des Studienplatzabbaus jetzt die Trendumkehr, und auch – bundesweit beachtet – nach dem jüngsten Ländercheck, Dezember 2009, des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft ist Berlin Spitzenreiter bei der Umsetzung des Bologna-Prozesses. Die Umstellung auf die gestuften Studiengänge ist zu 90 Prozent vollzogen. Berlin hat bundesweit die liberalsten Zugangsregelungen zum Masterstudium. Nur bei den konsekutiven, aufeinander aufbauenden Studiengängen dürfen notwendige Vorleistungen zur Zugangsvoraussetzung gemacht werden. Die Hochschulen haben gegen diese Regelung geklagt. Wir haben uns im Interesse der Studierenden durchgesetzt. Feste Quoten, Notendurchschnitte oder ähnliche Ausgrenzungsmechanismen sind damit ausgeschlossen. Wir haben die Strukturfragen hier in Berlin weitgehend gelöst. Aber wir sind nicht dazu da, uns die Welt schönzureden. Deswegen hätten wir auch gern darüber diskutiert, was wir noch nicht erreicht haben, wo noch Handlungsbedarf besteht. Dass er besteht, daran ist nach dem eindrucksvollen Protesten der Studierenden sicher nicht zu zweifeln.
Hier sind vor allem auch die Hochschulen in der Verantwortung. Der Dialog zwischen den Statusgruppen an den Hochschulen über die Probleme der Bologna-Umsetzung und die notwendigen Korrekturen muss strukturiert in Angriff genommen werden. Völlig überfrachtete Studiengänge, ein verschultes Lernen, das keine Freiräume für kritische Reflexion und schon gar nicht für die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts lässt, ein völlig inakzeptabler und mit wissenschaftlicher Leistung nicht in Einklang zu bringender Prüfungsdruck, der Lernbulimie produziert, der Begriff Workflow, Synonym, aber sprachlich verhüllend, für eine Studierleistung von 40 Stunden in der Woche und mehr, eine Flut von Pflichtveranstaltungen mit Anwesenheitskontrollen und Hausaufgaben, die nicht als Studienhilfe, sondern nur zur Leistungskontrolle da sind – absurd! Verflixt noch mal, was machen wir da eigentlich? Wie soll diese nächste Akademikergeneration, die wir
unter solchen Bedingungen heranzüchten, eigentlich aussehen? Mit welcher sozialen Kompetenz und mit welchem kritischen Reflexionsvermögen soll sie ihre notwendigen gesellschaftlichen Aufgaben zukünftig wahrnehmen? Der bessere Bachelor lässt in der Tat auf sich warten. Solidaritätsbekundungen von Universitätspräsidenten und Lippenbekenntnisse helfen hier nicht. Sie verstetigen das Problem. Über die Forderungen der Studierenden, die berechtigten, die sinnvollen und die unserer Meinung nach weniger sinnvollen, hätten wir heute gern gesprochen. Wir werden das jetzt an anderer Stelle tun. Wir werden die Herausforderungen annehmen, wir werden in den Dialog eintreten, ihn weiterführen und nehmen für heute gern die Auseinandersetzung mit dem Thema der CDU an. – Vielen Dank!
Danke schön, Herr Kollege! – Für die CDU-Fraktion hat nunmehr der Kollege Dr. Steffel das Wort. – Bitte schön!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Die CDU-Fraktion hat heute eine Aktuelle Stunde zum Wissenschaftsstandort Berlin und zum Abgang des Präsidenten der Freien Universität, Prof. Lenzen, beantragt. Der Abgang von Prof. Lenzen ist ein schmerzlicher Verlust für Berlin und seine Kritik am Berliner Senat ein einmaliger Vorgang.
Wenn der Präsident der einzigen Exzellenzuniversität der deutschen Hauptstadt die Berliner Verhältnisse von Wissenschaft, Lehre und Forschung mit denen in der Volksrepublik China vergleicht, sollte uns dies nachdenklich stimmen.
Nun könnte man vermuten, dass der Abgang eines profilierten bürgerlich-liberalen Universitätspräsidenten nicht so wichtig ist und diesem Senat die schrillen alternativen Milieus genügen. Vielleicht genügt es dem rot-roten Senat, die Hauptstadt der Arbeitslosen und Hartz-IV-Bezieher zu sein. Vielleicht ist diesem Senat egal, ob nach der Wirtschafts- und Bildungspolitik nunmehr auch in der Wissenschafts- und Forschungspolitik intellektuelle Insolvenz anzumelden ist.
Oder ist es diesem Senat – und einigen Zwischenrufern – gerade willkommen, dass bürgerliche und liberale Eliten diese Stadt verlassen? – Das ist ein gefährliches Spiel. Mich erinnert das an die späten 70er-Jahre des damaligen Westberlin und die Neuwahlen mit einer neuen Regierung unter Richard von Weizsäcker. Wir verlieren eben mehr als nur einen der renommiertesten Wissenschaftler seines Fachgebiets – wir verlieren nach den Beleidigungen von
Investoren als „reiche Onkel aus Amerika“, den Beschimpfungen von Kulturschaffenden und Kirchen nunmehr auch in der Wissenschaft international und national an Reputation.
Nach dem Widerspruch gegen die verfassungsrechtliche Schuldenbremse, nach dem rot-roten Veto gegen den historischen EU-Reformvertrag sind wir unter den Bundesländern isoliert; das Verhältnis gegenüber den Verfassungsorganen ist nach mehrfachen Verfassungsbrüchen, Beschimpfungen der Bundesregierung und einzelner Länder dauerhaft gestört. Die peinlichen Streitereien bei dem vom Bund finanzierten Infrastrukturprojekt U 5 oder – ganz aktuell – der Autobahn A 100 lösen bei anderen Bundesländern und bei der Bundesregierung nur noch Kopfschütteln aus.
Wer so unnötig Porzellan in ganz unterschiedlichen Bereichen zerschlägt, der schadet den Interessen Berlins!
Wer Eliten in gute und schlechte, in willfährige und kritische, in bürgerliche und linke einteilt, der hat die Herausforderungen des neuen Jahrhunderts nicht verstanden!
Als ich am 2. Dezember 1990 bei den ersten Gesamtberliner Wahlen erstmals in das Abgeordnetenhaus von Berlin gewählt wurde, waren wir uns einig, Berlin für die Besten attraktiv zu machen.
Wir wollten die Starken in die Stadt holen, um die Schwachen zu schützen und zu stützen. Schon bei der ersten Sitzung in der Nikolaikirche wussten wir, dass wir die Herausforderungen gemeinsam nur bewältigen können, wenn die geschundene Stadt Berlin-West und die vor unglaublichen Veränderungen stehende Stadt Berlin-Ost für frisches Blut von außen, für Eliten aus Deutschland und der Welt Ausstrahlung haben. Wir ahnten damals nicht, wie schwierig es werden würde, die aus unserer Sicht historische Selbstverständlichkeit, Hauptstadt aller Deutschen zu werden, zu erreichen. Man fragt sich, was mit dieser Stadt geschehen wäre, wenn diese Entscheidung anders ausgegangen wäre.
Gemeinsam konnten wir dies erreichen, und es wird nunmehr wirklich Zeit, dass endlich alle Ministerien nach Berlin umziehen.
[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD, den Grünen und der Linksfraktion – Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion): Ach!]
Ich habe in meinen 19 Jahren in diesem Parlament große Stunden erleben dürfen – zu viele, um sie hier aufzuzählen.
Mir bleibt die Sitzung nach dem 11. September 2001 natürlich in besonderer Erinnerung. Meine Rede – wie auch die vieler Kolleginnen und Kollegen – wenige Stunden nach den Terroranschlägen in den USA fand vor einem Plenum statt, das von Gemeinsamkeit und Trauer sowie Nachdenklichkeit geprägt war. Interessanterweise sind es die gemeinsamen Momente und nicht die trennenden, die mich zumindest an meinem letzten Tag in diesem Hause beschäftigen. Vielleicht sollten wir alle stärker daran arbeiten – trotz aller Unterschiede –, diese Momente gemeinsam zu erzeugen.
Natürlich erinnere ich mich auch – das wird Sie nicht wundern – an meine schwerste Rede: Am 16. Juni 2001 wurde der langjährige Regierende Bürgermeister, Eberhard Diepgen, abgewählt. Diese Stunden haben sich in meiner Erinnerung tief eingeprägt, und ich habe damals und in der Zeit danach gelernt, wie wichtig ein angemessener Umgang der Regierung mit der Opposition ist. Gerade der Umgang mit der Opposition unterscheidet Demokratie und Diktatur. Opposition macht den Unterschied, Regierungen gibt es überall. Mehrheit und Minderheit, Rede und Gegenrede sind gerade der Reiz unserer Demokratie.
Bundestagspräsident Lammert hat vor wenigen Tagen in seiner Rede zur Konstituierung des 17. Deutschen Bundestages darauf hingewiesen, dass wir gewählt, aber nicht gesalbt sind. Für unseren befristeten Wählerauftrag gebe es keine automatische Verlängerung – und er hat recht. In meinen Jahren im Abgeordnetenhaus von Berlin habe ich fast ausschließlich Kolleginnen und Kollegen kennenlernen dürfen, denen es – bei allen Unterschieden in der Sache – am Ende um das Wohl unserer Stadt geht. Ich habe viele sehr fleißige Kolleginnen und Kollegen kennenlernen dürfen, die übrigens alle üblichen Vorurteile gegenüber Politiker problemlos widerlegen – auch das sollten wir bei allen Gegensätzen vielleicht etwas öfter betonen.