Protocol of the Session on July 1, 2010

Login to download PDF

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 68. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Ich begrüße Sie alle, die Medienvertreter und die Besucher sehr herzlich in unserer Mitte.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten habe ich eine traurige Pflicht zu erfüllen und bitte Sie, sich zu erheben.

[Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.]

Am 14. April 2010 ist der frühere Abgeordnete Jürgen Ulzen im Alter von 73 Jahren in Berlin verstorben. Mit Jürgen Ulzen verliert Berlin einen engagierten Politiker, der dem Abgeordnetenhaus von Berlin mehr als zehn Jahre angehörte.

Jürgen Ulzen wurde am 30. März 1937 in Rostock als Sohn einer mecklenburgischen Lehrerfamilie geboren. 1956 machte er sein Abitur und studierte anschließend bis 1962 an der Freien Universität Berlin Betriebswirtschaft und Pädagogik. Als Vertreter des RCDS war er von 1959 bis 1961 Mitglied des Konvents der Freien Universität Berlin. Nach dem erfolgreichen Abschluss seines Studiums trat er 1962 als Lehrer an der Bank- und Versicherungsoberschule in Steglitz ein und absolvierte 1964 die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt. Der Lehrerberuf war seine große Passion, und auch, als er bereits anspruchsvolle politische Ämter innehatte, übte er stets weiter seinen Beruf aus, soweit es ging.

1967 trat Jürgen Ulzen in die Christlich-Demokratische Union ein. In der Berliner CDU übte er verschiedene ehrenamtliche Parteiämter aus, u. a. war er Kreis- und Landesparteitagsdelegierter. 1971 wurde Jürgen Ulzen in das Abgeordnetenhaus von Berlin gewählt und war im Ausschuss für Schulwesen als stellvertretender Vorsitzender und Schriftführer und als Mitglied des Sport- und Verfassungsausschusses tätig. Sechs Jahre lang arbeitete er als schulpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Schulpolitik war seine Berufung und seine Leidenschaft. Nach 1981 setzte er seine Laufbahn als Bildungsstadtrat in den Bezirken Tiergarten und Wilmersdorf fort. In der Partei war er Mitglied des schulpolitischen Ausschusses der Berliner CDU.

Neben seiner politischen Tätigkeit und seiner durchgehenden Lehrertätigkeit war Jürgen Ulzen Mitglied des Verbandes deutscher Diplomhandelslehrer im Deutschen Beamtenbund. Er engagierte sich als Mitglied des Kuratoriums der staatlichen Technikerschule, als Mitglied des Verwaltungsrats der Feuersozietät und Lebensversicherungsanstalt und als Mitglied des Prüfungsausschusses Lebensversicherung der IHK Berlin.

Neben seiner Begeisterung für das Lehramt und seinem jahrzehntelangen Einsatz für die Bildungspolitik kannten Freunde und Wegbegleiter Jürgen Ulzen als intensiven

Hobby-Kunstsammler und als Sammler von exotischen Perlen. Neben seinem Schreibtisch im Rathaus Wilmersdorf stand eine in einem niedersächsischen Dorf aufgestöberte alte Schulbank, die ihn stets an die Schule und die Kinder, um die es ging, erinnerte. Als ehemaliger aktiver Ruderer mit Länderkampferfahrung beim Ruderclub am Wannsee betreute Jürgen Ulzen 14 Jahre lang die sportlichen Aktivitäten seiner Schulmannschaft. Bekannt war er auch für seine Sammlerleidenschaft für Fliegen und für seine superkorrekte Kleidung. Er trug immer eine Fliege – das war sein Markenzeichen.

Das Abgeordnetenhaus von Berlin trauert um den Christdemokraten Jürgen Ulzen, der uns stets als Vorbild für eine engagierte Bildungspolitik für Berlin in guter Erinnerung bleiben wird. Wir gedenken seiner mit Hochachtung.

[Gedenkminute]

Meine Damen und Herren! Sie haben sich zu Ehren von Jürgen Ulzen erhoben. Ich danke Ihnen.

Meine Damen und Herren! Heute vor 20 Jahren, am 1. Juli 1990, trat die deutsch-deutsche Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion in Kraft. Dieser entscheidende Schritt auf dem Weg zur deutschen Einheit weitete das Währungsgebiet der D-Mark auf das Gebiet der DDR aus. Am 18. Mai 1990 hatten beide Finanzminister den Staatsvertrag in Bonn unterzeichnet.

Die Mehrheit der Bevölkerung in der DDR wollte die schnellstmögliche Angleichung ihrer Lebensverhältnisse an die in der Bundesrepublik Deutschland. Die Menschen waren die ständige Gängelung und die Bevormundung, aber auch die permanente ökonomische Misere leid. Sie wollten die Einheit, und sie wollten sie schnell. Was ökonomisch nicht sinnvoll erschien, war politisch allerdings unabdingbar: die quasi über Nacht eingeführte ungebremste Marktwirtschaft. Der Staatsvertrag besiegelte das Schicksal der DDR-Wirtschaft und entzog allen Vorstellungen von Reformen innerhalb der DDR die Basis. Die DDR-Industrie fand für ihre Produkte keine Abnehmer mehr.

Das Geschenk der Geschichte, der Fall der Mauer, weckte bei der ostdeutschen Bevölkerung verständlicherweise die Hoffnung, schnell den Wohlstand ihrer westdeutschen Landsleute erreichen zu können. Die zentrale Losung der Menschen in der DDR in jener Zeit lautete: „Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, gehen wir zu ihr“, und so waren auch die Wanderungsbewegungen in Richtung Westen. Es gab also keinen anderen Weg, als die Westwährung und zudem den Umtauschkurs eins zu eins einzuführen, der damals heiß diskutiert worden ist, denn ohne die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion am 1. Juli 1990 wäre das Gebiet der DDR von qualifizierten Fach- und Führungskräften entvölkert worden. Es durfte keine erste und zweite Klasse von deutschen Bürgern geben.

Das Konzept ist aufgegangen. Schon wenige Jahre später waren die neuen Bundesländer zur stärksten Wachstums

region Europas geworden. Mit der Wahl zur Volkskammer am 18. März 1990 und der damit erhofften Stabilisierung der politischen Verhältnisse in der DDR konnte das gigantische Projekt der deutschen Einheit in Gang gesetzt werden.

In der Koalitionsvereinbarung vom 12. April 1990 legten sich die Parteien auf den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes fest. Mit dem wirtschaftlich radikalen Schnitt der Wirtschafts- und Währungsunion war aber auch eine rasante Veränderung aller Lebensbereiche, Gewohnheiten und Erfahrungen für die Ostdeutschen verbunden. Zwar war die D-Mark das Symbol des westlichen Wohlstands, und mit ihr kam eine nie gekannte Warenfülle in die ostdeutschen Regale, aber auf der anderen Seite verloren viele Menschen ihren Arbeitsplatz und/oder empfanden die neuen kapitalistischen Gegebenheiten als deklassierend oder unsozial.

Die Rückübertragung von Häusern, Immobilien und Betrieben stellte das frisch gewachsene Vertrauen in die Demokratie auf eine ganz harte Probe. 1990 begann ein riesiges wirtschaftliches Aufbauprogramm, das die innere Einheit wachsen lassen sollte.

Auch 20 Jahre später besteht kein Anlass zu übertriebener Selbstzufriedenheit. Zwar können wir stolz auf das Erreichte sein, aber es ist gerade in unserer Stadt spürbar, dass sie noch nicht vollkommen zusammengewachsen ist. Wir müssen uns alle weiter anstrengen, um die errungene Einheit gerecht zu gestalten. Der Aufbau Ost war und ist eine nationale Zukunftsinvestition und bleibt eine Zukunftsaufgabe auch 20 Jahre nach dem 1. Juli 1990.– Danke schön!

[Allgemeiner Beifall]

Wir kommen nun zum Geschäftlichen. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über „Starke Bezirke in Berlin II – Status der Bezirksamtsmitglieder ändern“, Drucksache 16/2499, wurde in der 50. Sitzung am 25. Juni 2009 federführend an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung sowie mitberatend an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Immunität und Geschäftsordnung überwiesen. Die Mitberatung des Rechtsausschusses wird nunmehr aufgehoben. – Widerspruch höre ich nicht.

Am Montag sind folgende vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

Antrag der Fraktion der SPD und der Linksfraktion zum Thema: „Chancengleichheit und Durchlässigkeit im Bildungssystem – Berlin als Vorreiter“,

Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Streit und Zerrissenheit bei Rot-Rot um die A 100 – Berlin braucht ein klares Bekenntnis zum Ausbau!“,

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „Machtpoker um die A 100. Gespaltene SPD, gespaltene Koalition – Herr Wowereit vor dem Aus!“,

Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Schlüsselprojekt A 100 braucht verlässliches Regierungshandeln – Wowereit muss ‚Die Linke’ endlich auf Koalitionsvertragslinie bringen.“.

Zur Begründung der Aktualität erteile ich zunächst einem Mitglied der Koalitionsfraktionen das Wort. Frau Dr. Tesch, Sie haben das Wort für fünf Minuten – bitte schön!

Danke, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Es gibt im Augenblick nichts Aktuelleres als die Bildungspolitik.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Gelächter bei den Grünen]

Ja, ich habe die Aufgabe, die Aktualität zu begründen, oder? – Die Zeitungen der letzten Tage sind voller Meldungen. Vorgestern z. B. lasen wir im „Tagesspiegel“: „Berlin ist bundesweit Spitze bei Kinderbetreuung“.

[Mieke Senftleben (FDP): Ah ja! – Zuruf von der CDU]

Das haben Sie auch gelesen, Frau Senftleben, nicht? – Die Studie der Bertelsmann-Stiftung, die letzte Woche vorgelegt wurde, belegt, dass kein Bundesland so viel Geld pro Kind unter sechs Jahren in die Hand nimmt wie Berlin –

[Thomas Birk (Grüne): Und so schlecht bei PISA ist!]

nämlich 4 150 Euro. Das muss uns erst einmal jemand nachmachen!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Thomas Birk (Grüne): Ergebnisse zählen! – Zuruf von Joachim Esser (Grüne)]

Wir wissen, Chancengleichheit fängt nicht erst in der Schule, sondern bereits in der Kita an. – Lautstärke alleine ist kein Argument, Herr Esser!

[Beifall bei der SPD]

Wir wissen, dass Kinder, die bereits vor Schuleintritt in einer Kita betreut werden, wesentlich bessere Startchancen in der Schule haben als andere Kinder.

[Mieke Senftleben (FDP): Das trifft aber nicht auf Berli- ner Kinder zu, das ist Ihr Problem!]

Deshalb haben wir bereits im Jahr 2007 das letzte Kitajahr beitragsfrei gestellt, in diesem Jahr das vorletzte, und im Jahr 2011 wird das erste Kitajahr folgen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zuruf von Mieke Senftleben (FDP)]

Damit sind die Weichen gestellt, dass alle Kinder vorschulisch betreut werden können, was besonders für die oft zitierten sogenannten bildungsfernen Schichten von großer Bedeutung ist.

[Beifall von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

Dies lobt auch der Vorsitzende des Landeselternausschusses, Herr Entrup, in einem Interview in der „Morgenpost“.

[Zuruf von der CDU]

An dieser Stelle möchte ich abermals betonen, dass die Erzieherinnen und Erzieher in der Berliner Kita einen guten Job machen, wovon ich mich gestern wieder überzeugen konnte.

[Zuruf von Emine Demirbüken-Wegner (CDU)]

Wir haben den verbindlichen Sprachtest eingeführt. Wenn ein Kind diesen Test nicht bestanden hat, so muss es einen verbindlichen Sprachkurs absolvieren.

[Emine Demirbüken-Wegner (CDU): Und was ist mit der Qualität?]