Protocol of the Session on September 23, 2010

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Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie alle, besonders die Gäste und Zuschauer, die Zuhörer und Medienvertreter! Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, bitte ich Sie, sich zu erheben.

[Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.]

Ich habe eine traurige Pflicht zu erfüllen.

Im Alter von 65 Jahren ist am 11. September 2010 Frau Bärbel Bohley, die Mitgründerin des Neuen Forums in der DDR, nach schwerer Krankheit gestorben.

Bärbel Bohley wurde am 24. Mai 1945 in Berlin geboren. Sie wuchs in der Fehrbelliner Straße an der Grenze zwischen den Bezirken Mitte und Prenzlauer Berg auf. Nach dem Abitur 1963 absolvierte Bärbel Bohley eine Lehre als Industriekauffrau. Später studierte sie an der Kunsthochschule in Weißensee und schloss das Studium 1974 mit dem Diplom als Malerin ab. Beruflich arbeitete Bärbel Bohley zunächst in zwei volkseigenen Betrieben. Nach Abschluss ihres Studiums lebte sie als freischaffende Künstlerin in Ostberlin. Ihre Bilder wurden damals nicht zuletzt wegen ihrer – ich zitiere – provozierend nüchternen Motivwahl als eigenwillig charakterisiert. Diese Eigenwilligkeit sollte sich wie ein roter Faden durch ihr ganzes Leben ziehen.

Ab 1979 gehörte Bärbel Bohley der Berliner Sektionsleitung Malerei des Verbandes Bildender Künstler an, verlor aber ihre Funktion 1983, nachdem sie ein Jahr zuvor die unabhängige Initiativgruppe „Frauen für den Frieden“ gegründet hatte.

Wegen sogenannter landesverräterischer Nachrichtenübermittlung – dazu zählten für die SED-Machthaber auch Kontakte zu den Grünen in der Bundesrepublik – kam die überzeugte Pazifistin 1983 für einige Wochen in das berüchtigte Stasi-Untersuchungsgefängnis Hohenschönhausen in Untersuchungshaft. Nach ihrer Entlassung erhielt Bärbel Bohley keine staatlichen Aufträge mehr, durfte ihre Werke nicht mehr ausstellen und erhielt außerdem Reiseverbot.

Bärbel Bohley ließ sich dadurch in ihrem persönlichen Einsatz für Meinungs-, Reise- und Versammlungsfreiheit in der DDR nicht beirren. 1985 gehörte sie zu den Gründern der „Initiative für Frieden und Menschenrechte“, die eine Schlüsselrolle in der Entwicklung der oppositionellen Bewegung in der DDR spielen sollte. 1988 wurde Bärbel Bohley wegen der Proteste beim Gedenkmarsch für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von der Staatssicherheit wegen angeblich feindlicher Agententätigkeit inhaftiert und direkt aus dem Untersuchungsgefängnis Hohenschönhausen über die Bundesrepublik nach Großbritannien abgeschoben.

Im Herbst 1989 konnte Bärbel Bohley nach Ostberlin zurückkehren. Am 9. September 1989 gehörte sie gemeinsam mit Rolf Henrich, Katja und Robert Havemann und Jens Reich zu den Erstunterzeichnern des Gründungsaufrufes der Bürgerrechtsbewegung Neues Forum. Dieser Gründungsaufruf unter der Überschrift „Die Zeit ist reif“ war ein leidenschaftlicher Appell für einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel in der DDR, dem sich in den folgenden Wochen Zehntausende von Bürgerinnen und Bürgern anschlossen. Das Neue Forum war die erste politische Volksbewegung in der DDR, die den Machtanspruch der SED sichtbar infrage stellte und der sich die Bürgerinnen und Bürger in Massen anschlossen.

Im Mai 1990 wurde Bärbel Bohley für das Neue Forum in die Ostberliner Stadtverordnetenversammlung gewählt. Im September 1990 beteiligte sie sich an der demonstrativen spektakulären Besetzung des Gebäudes des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit.

Bärbel Bohley nahm sich nach 1990 immer wieder die Freiheit, den Prozess der deutschen Vereinigung kritisch, manchmal sogar sehr distanziert, zu begleiten. Sie widersetzte sich allen Versuchen, sich parteipolitisch vereinnahmen zu lassen. Vielem, was sich in diesen Monaten und Jahren des Umbruchs in der Gesellschaft und in der Politik in Deutschland ereignete, stand sie mit Skepsis gegenüber. Wir alle haben noch ihr Verdikt „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat“ im Ohr.

Zugleich aber engagierte Bärbel Bohley sich mit großem Elan für die verschiedenen Organisationen und Vereine, die für die Freiheit und für die Selbstbestimmung des Menschen eintraten. Darüber hinaus plädierte sie immer wieder für eine schonungslose Aufklärung und Auseinandersetzung mit dem Unterdrückungsapparat der Staatssicherheit in der DDR. Sie scheute nicht die direkte persönliche Konfrontation mit denen, die die Vergangenheit der DDR verklären oder verniedlichen wollten. In dieser Zeit war sie auch als Beraterin für die Gauck-Behörde tätig.

1994 kandidierte Bärbel Bohley als Spitzenkandidatin für das Neue Forum bei der Europawahl, scheiterte aber an der Fünfprozentklausel. Ab 1996 lebte sie überwiegend im ehemaligen Jugoslawien, wo sie Aufbauprojekte in Bosnien betreute. Drei Jahre wirkte sie als Beauftragte für Flüchtlinge des Hohen Repräsentanten in BosnienHerzegowina. Dabei arbeitete sie unter anderem für ein Wiederaufbauprogramm im Rahmen der „Koalition der Rückkehr“, für das Hilfsprojekt „Seestern“ für traumatisierte Kinder von Flüchtlingen und schließlich für das Projekt „Zisternen“ für die Versorgung Bedürftiger in Bosnien mit Trinkwasser mit. Im Jahre 2008 kehrte sie, bereits an Krebs erkrankt, nach Berlin zurück.

Bärbel Bohley war eine tapfere, unerschrockene Kämpferin für Freiheit und Demokratie. Sie war mutig, hatte klare Zielvorstellungen, wobei sie nie Politik machen wollte. Gleichzeitig aber war sie mit ihrer rigorosen, kompromisslosen Ehrlichkeit all denen ein Vorbild, die

sich für eine freiheitliche Gesellschaft und die Durchsetzung der Menschenrechte einsetzen.

Für ihre Verdienste um die friedliche Revolution in der DDR und den Einsatz für mehr Bürgerrechte wurde sie vielfach geehrt und ausgezeichnet. Der Bundespräsident zeichnete sie 1994 mit dem Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland aus, 2000 erhielt sie den Nationalpreis und 2009 den QuadrigaPreis.

Berlin sagt Dank für das Lebenswerk einer Berliner Bürgerin und einer großen Persönlichkeit unserer Zeit. Wir trauern um Frau Bärbel Bohley und gedenken ihrer mit Hochachtung.

[Gedenkminute]

Sie haben sich zu Ehren von Bärbel Bohley erhoben. Ich danke Ihnen!

Der Frau Kollegin Hämmerling möchte ich zum Geburtstag gratulieren. – Alles Gute! Gute Gesundheit!

[Allgemeiner Beifall]

Sie wissen ja: Nichts ist schöner, als den Tag im Abgeordnetenhaus zu verbringen.

Ich komme zur heutigen Tagesordnung. Am Montag sind folgende vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

1. Antrag der Fraktion der SPD und der Linksfraktion zum Thema: „Sicher durch Berlin auch bei Schnee und Eis – Räumung von Gehwegen und Haltestellen neu regeln“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Keine Flugrouten über dem Berliner Stadtgebiet – Lärmschutz muss für alle gelten! Nach den Worten von Wowereit müssen endlich Taten folgen!“,

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Schluss mit dem heimlichen Senatsplan zur A 100 – A 100 stoppen!“,

4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „A 100 weiterbauen: Anwohner, Autofahrer und Berliner Wirtschaft brauchen endlich verlässliche Entscheidungen und keinen peinlichen rot-roten Schlingerkurs“.

Zur Begründung der Aktualität erteile ich einem Mitglied der Koalitionsfraktionen das Wort – das ist der Kollege Albers. – Herr Albers, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über eine Änderung des Straßenreinigungsgesetzes müssen wir hier nicht streiten, die hat uns die frostige Wirklichkeit des letzten Winters zum Teil recht schmerzhaft diktiert. Wir hätten unsere Gesetzesnovelle gern in der Aktuellen Stunde vorgestellt, um der zum Teil kruden Argumentati

on – vor allem aus dem Lager der Haus- und Grundstücksbesitzer und des Verbandes der gewerblichen Schneeräumbetriebe – eine ausführlichere und fundierte kritische parlamentarische Debatte entgegenzusetzen. Die Belastungen durch die Einschränkung der Mobilität nicht nur unserer älteren und behinderten Mitbürger und Mitbürgerinnen, sondern auch aller anderen waren beträchtlich. Die damit verbundenen volks- und betriebswirtschaftlichen Auswirkungen dieser – hoffentlich nicht die Regel werdenden – langen und harten Schneeperiode lassen sich insgesamt nur schwer abschätzen. Die Zahl der durch Stürze verletzten Personen und die daraus resultierenden Folgeschäden für den jeweils Betroffenen – aber auch für die Solidargemeinschaft der Versicherten – dürfte schwer zu beziffern sein.

1982 wurden die bis dahin geltenden Regelungen des Straßenreinigungsgesetzes entschärft. Seitdem galt die gesetzliche Auflage, die Winterglätte auf einen Meter Breite zu bekämpfen. Das ließ Interpretationsspielraum – der eine kämpfte halt ein bisschen mehr, der andere ein bisschen weniger, manch Haus- und Grundbesitzer ergab sich wohl auch kampflos. Das hat nicht unwesentlich zur Verschärfung der Situation im letzten Jahr beigetragen – die Neufassung unseres Gesetzes zieht daraus die richtigen Konsequenzen.

Die Aktualität unseres Themas hätten wir mit der zur Zeit auch öffentlich geführten Diskussion begründet, die das Gesetzgebungsverfahren aktuell begleitet, mit der Notwendigkeit, diese Diskussion auf eine sachliche Grundlage zu stellen und letztlich natürlich auch mit einem Blick auf den Kalender.

Nun haben wir uns darauf verständigt, in dieser Aktuellen Stunde über die Flugrouten für den neuen Flughafen BBI zu sprechen – das geht in Ordnung. Auch hier ist aktuell dringender Klärungsbedarf gegeben, verbunden mit der Notwendigkeit einer klaren Ansage an die deutsche Flugsicherung zu ihren – so – inakzeptablen Plänen. Diese Ansage wird sie heute sicherlich bekommen.

Nicht zustimmen werden wir dem Bekenntnisunterricht, den die Grünen wieder zur A 100 ablegen wollen. Da gibt es für uns keinen neuen Sachstand in der Debatte, dazu ist im Moment alles gesagt.

[Gelächter bei den Grünen]

Eine – wie auch immer lancierte – offensichtliche Falschmeldung in der Presse begründet diese Aktualität nicht. Offensichtlich gehen Ihnen die Themen aus, und das offenbart einmal mehr das schmale Spektrum, in dem die grüne Stadtpolitik sich bewegt.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Zuruf von Michael Schäfer (Grüne)]

Statt inhaltlich Ihre fachpolitischen Alternativen an konkreten Themen vorzustellen, erklären Sie ständig, Sie arbeiteten an großen Konzepten,

[Zuruf von den Grünen]

verstecken Ihre Einfallslosigkeit hinter einer redundanten Personaldebatte und pfeifen dazu das Lied „Ob sie aber über Oberammergau oder aber über Unterammergau oder aber überhaupt nicht kommt, ist nicht gewiss.“ Weiter so! Wir diskutieren derweil aktuelle Stadtpolitik. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und der FDP]

Danke schön, Herr Kollege Albers! – Nunmehr ist es an der CDU-Fraktion in Person des Kollegen Braun, die Aktualität zu begründen. – Bitte schön, Herr Braun!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich dachte, ich falle vom Glauben ab,

[Uwe Doering (Linksfraktion): Was?]

als ich Anfang September in den Zeitungen las, dass die Flugsicherung die Flugrouten für die täglichen 600 Starts und Landungen auf dem neuen Großflughafen Berlin Brandenburg International so festgelegt hat, dass diese im Wesentlichen über das Stadtgebiet Berlin und dort insbesondere über den Südwesten gehen sollen.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Über den Südosten auch!]

Ich erinnere mich noch, wie Rot-Rot-Grün bei der Kampagne gegen die Schließung des Flughafens Tempelhof argumentierte – angeblich sollten die Berliner von Lärm, Umweltbelastungen und Sicherheitsrisiken entlastet werden. Was stellen wir jetzt fest? – Dies war eine Täuschung, denn tatsächlich werden Hunderttausende Berliner zusätzlich mit Lärm belastet, von Sicherheitsrisiken ganz zu schweigen.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Uwe Doering (Linksfraktion): Das wussten Sie doch schon vorher!]

Und wie reagieren die Fraktionen dieses Hauses? – Von der FDP erwartet niemand etwas, diese befindet sich nach dem Weggang von Martin Lindner noch in einer Selbstfindungsphase.

[Beifall bei der SPD und den Grünen – Gelächter bei der Linksfraktion]