Die Einnahmesituation der öffentlichen Hand dauerhaft und sozial gerecht verbessern, Steuergerechtigkeit nach der Krise herstellen
Dann eröffne ich die erste Lesung über den Gesetzesantrag der Fraktion der FDP. Die Vorlage – zur Kenntnisnahme – Drucksache 16/3514 hatte ich bereits vorab an den Hauptausschuss überwiesen. Ihre nachträgliche Zustimmung dazu stelle ich fest. Für den gemeinsame Beratung stehen den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der FDP. Der Herr Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende Meyer hat das Wort. – Bitte sehr! – Ich bitte Sie, Platz zu nehmen, bevor Herr Meyer beginnt. Auch in den Senatsbänken hier vorn mache ich noch einmal darauf aufmerksam: Es geht um Finanzen und Haushaltspolitik. Würden Sie bitte dem Redner Ihre Aufmerksamkeit schenken. Sie müssen nicht gehen, sondern nur zuhören. – Vielen Dank! – Herr Meyer, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielen Dank für diesen Einsatz, die Finanzverwaltung ist jetzt ganz Ohr. – Ich glaube, 18 Monate, nachdem Herr Nußbaum sein Amt als Finanzsenator hier in der Stadt angetreten hat, haben wir alle das Recht, von ihm die Mitteilung einzufordern, in welchen Bereichen er eine Priorität in der Haushaltskonsolidierung des Landes Berlin setzen möchte. Er hat seit seinem Amtsantritt immer wieder darauf hingewiesen, dass man sparen muss, dass wir ein Ausgabenproblem haben, hat sich aber auch immer wieder damit herausgewunden und herausgeredet, dass er mit dem Doppelhaushalt 2010/2011 eigentlich schon eine Pla
nungsunterlage vom Vorgänger Sarrazin bekommen hat, dass er in der mittelfristigen Finanzplanung ebenfalls noch keine Schwerpunkte setzen konnte.
Wir haben alle erwartet, dass er jetzt bei der mittelfristigen Finanzplanung des Jahres 2010 bis 2014 endlich Konsolidierungsanstrengungen macht und Konsolidierungsszenarien aufzeigt. Wir müssen leider feststellen, dass Herr Nußbaum damit weitermacht, wo er die letzten 18 Monate stand: nichts als große blumige Worte, heiße Luft, Ankündigungen, aber keine Substanz.
Die mittelfristige Finanzplanung des Senats ist ein Sammelsurium von Zahlentricks in einem unglaubwürdigen Zahlenwerk. Auf der Einnahmeseite geht Herr Nußbaum davon aus, dass die Einnahmen in den nächsten Jahren kontinuierlich um 2,3 Prozent wachsen. Das leite er als Größenordnung aus dem Anspruch der Anforderung, dass das Bruttoinlandsprodukt in Berlin auch um 2,3 Prozent jährlich steigen wird, ab. – Wir werden in diesem Jahr sehen, dass das nicht gelingen wird, sodass allein deswegen das Zahlenwerk auf der Einnahmeseite Makulatur ist.
Ansonsten spricht Herr Nußbaum, was die Einnahmeseite angeht, weniger mit dem Parlament als in der Öffentlichkeit. Da kündigt er bereits an, dass man alle Abgaben und Steuern perspektivisch auf Einnahmeerhöhungen prüfen muss, ausgenommen die Gewerbesteuer in der mittelfristigen Finanzplanung. Leider gibt es auch dazu keine konkreten Zahlen.
Wenn wir die Ausgabenlinie angucken, wird es noch schlimmer: Während Herr Nußbaum im letzten Jahr noch darauf hinwies, dass man pro Jahr 250 Millionen Euro Ausgaben reduzieren muss, sind es jetzt – ein Jahr später, ein Jahr unter Nußbaum – bereits 450 Millionen Euro im Jahr 2012 und 600 Millionen Euro im Jahr 2013. Das ist Ihr Werk, Herr Nußbaum, dafür müssen Sie sich verantworten!
Wenn man Herrn Nußbaum dann darauf anspricht, dann macht er in der Regel Folgendes: Er verweist auf den Bund, und zwar auf die Bundespolitik der letzten acht bis zehn Jahre, und sagt, da sei alles furchtbar, deswegen könne man hier vor Ort nichts machen. – Das ist natürlich auch ein Eingeständnis des eigenen Versagens.
Herr Nußbaum und die rot-rote Koalition sind nicht in der Lage, die Konsolidierungshilfevoraussetzungen, die das Land Berlin erfüllen muss, um die Konsolidierungshilfe von immerhin netto 60 Millionen Euro im Jahr zu bekommen, in der mittelfristigen Finanzplanung seriös zu unterlegen. Er sagt, dass wir ein strukturelles Defizit von 1,2 Milliarden Euro im Landeshaushalt haben, das in den nächsten Jahren abgebaut werden muss. Die Bundesregierung und die übrigen Geberländer gehen von 2,5 Milliarden Euro als strukturellem Konsolidierungs
defizit aus. Man wird sehen, worauf sich die Bundesländer dann einigen. Ich kann nur jetzt schon sagen, es wird bestimmt nicht die Zahl sein, die Herr Nußbaum in seine mittelfristige Finanzplanung geschrieben hat.
Das Einzige, das in dieser mittelfristigen Finanzplanung gut ist, ist, dass Herr Nußbaum darauf hinweist, dass auch das Land Berlin die Voraussetzung der Schuldenbremse und die Schuldenbremse insgesamt bis zum Jahr 2019 einzuhalten hat. Da auch Die Linke – das war früher ja anders – sich offensichtlich zumindest formal dazu bekennt, dass die Schuldenbremse auch für das Land Berlin gilt, haben wir Ihnen noch einen dringlichen Antrag eingebracht, mit dem Sie hier dokumentieren können, dass Sie die Schuldenbremse, die auf Bundesebene verabschiedet wurde, auch in den Landeshaushalt, auch in die Landesverfassung aufnehmen können und damit dokumentieren können, dass es Ihnen damit ernst ist.
Uns geht es darum – das haben wir in den letzten Jahren noch immer deutlich gemacht –, dass wir nicht bis nach dem Wahltermin 2011 mit der Haushaltskonsolidierung warten, sondern früher anfangen. Das ist eine Frage der Generationengerechtigkeit. Wir haben Ihnen entsprechende Einsparungsvorschläge gemacht. Die haben Sie alle abgelehnt. Es wäre jetzt die Möglichkeit, diese Debatte noch einmal neu zu öffnen. Es wäre jetzt die Möglichkeit, noch einmal über einen Nachtragshaushalt 2011 entsprechend bereits ein Jahr früher mit dem Sparen zu beginnen.
Wir werden deswegen natürlich auch den Antrag der CDU, was das angeht, unterstützen. Wir befürchten, dass wir auch hier im Bereich Haushaltspolitik, ein Jahr Stillstand sehen werden, ein Jahr keine weitere Konsolidierung. Das ist das Werk von Ihnen, Herr Nußbaum und von Rot-Rot. Wie gesagt: Ich hoffe, dass Sie sich im Lauf des nächsten Jahres eines Besseren belehren lassen. Aber wenn man sich das Zahlenmaterial anguckt, wird man wohl vergeblich darauf warten. – Ich danke Ihnen!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Meyer! Was die Schuldenbremse betrifft, muss ich Ihnen direkt antworten. Ich bin nie ein Anhänger dieses Tanzes um das goldene Kalb gewesen. Ich stelle aber fest, dass am Ende des Tages gerade Ihre Bundesregierung, die schwarz-gelbe, die erste gewesen ist, die diese Schuldenbremse infrage gestellt hat. Ich erinnere da an die Milliardenlöcher, die in Sonderfonds untergebracht werden sollten am Anfang dieser Legislaturperiode, um nicht in Konflikt mit der neuen Schuldenbremse zu kommen. Ich finde, dass Sie für jemanden, der am Ende des Tages auf der Bundesebene in einer Koalition verhaftet ist, die im Moment – wir sagen es mal vorsichtig – relativ
plan- und kopflos in finanzpolitischen Angelegenheiten agiert, hier gerade den Mund sehr voll genommen haben.
Es ist – das wird auch aus der mittelfristigen Finanzplanung relativ deutlich – kein verlorenes Jahr, das Jahr 2011, wie die Opposition es hier darzustellen versucht. Das ist es deswegen nicht, weil wir zum einen natürlich einen Haushalt haben; wir haben einen Doppelhaushalt 2010/2011. In dem können Sie nachlesen, was konkret im Jahr 2011 geplant ist bzw. wo was umgesetzt werden wird. Und deswegen gehe ich ganz gelassen mit diesem Vorwurf um. Ich finde, dass wir in den verschiedenen strukturellen Entscheidungen, die anstehen, ob das das Fallkostencontrolling im Transferbereich ist, ob das überhaupt die Systeme im HzE-Bereich sind, ob das entsprechend die Schulstrukturreform ist, die am Ende des Tages auch dazu dient, die Kosten zu reduzieren im Bereich der Bildung, ob das andere Dinge sind – ich glaube, wir brauchen uns nicht zu verstecken, auch was Verwaltungs- und andere Reformen betrifft. 2011 wird ein sehr gutes, ein sehr solides und handwerklich sauberes Jahr. Ihr Vorwurf läuft da definitiv ins Leere, Herr Meyer.
Das Zweite: Sie haben gestern – das haben Sie heute nicht wiederholt, aber ich hatte gestern schon den einen oder anderen Moment, wo ich dachte, vielleicht hat er doch recht, der gute Herr Meyer – im Hauptausschuss probiert darzustellen oder zu behaupten, dass das Land Berlin anders als andere Bundesländer 2011 nicht so rigoros herangehen würde, wie Sie es für notwendig erachten. Sie hatten Schleswig-Holstein genannt. Ich darf den werten Damen und Herren hier im Haus noch mal in Erinnerung rufen: Schleswig-Holstein ist dieses Land im Norden, das von einem Ministerpräsidenten auf Abruf regiert wird, der gerade ein Verfassungsgerichtsurteil einkassiert hat, das ihm deutlich macht, dass seine Interpretation des Wahlgesetzes mehr als fragwürdig ist. Aber das ist Ihr Beispiel, das Sie gestern uns als Vorbild präsentieren wollten. Und da dachte ich, Mensch, vielleicht ist es wirklich so, dass Schleswig-Holstein besser ist als wir; kann ja sein. Man guckt mal, was die anderen machen. Ich habe mir deshalb noch mal rausgeholt, was dort an strukturellen Einsparungen 2011 oder jetzt vorgesehen ist. Die Zahl, die ich gefunden habe, lautet: Bis 2020 sollen 5 300 Stellen im Landesdienst abgebaut werden. 5 300, stellen Sie sich das mal vor, innerhalb von 10 Jahren. Haben Sie noch in Erinnerung, wie viel wir hier in Berlin geschafft haben? Guter Herr Meyer, ist Ihnen das klar, 5 300 Stellen, wo wir im Land Berlin in den letzten Jahren 35 000 Stellen abgebaut haben?
Und dann stellen Sie sich hin, gestern im Hauptausschuss, heute haben Sie es zum Glück nicht getan, und sagen: Das ist das Vorbild, nach dem wir uns richten sollen. – Ich glaube, dass Sie den Kompass verloren haben. Ich glaube, dass Sie nicht wissen, was tatsächlich Konsolidieren bedeutet. Ihr Hinweis auf Schleswig-Holstein macht das deutlich.
Am Ende des Tages führt kein Weg vorbei an der Feststellung – und das ist wirklich das Wichtige an der Debatte –, dass wir die Haushalte sowohl in Berlin, aber auch in anderen Bundesländern nicht nur über die Ausgabenseite werden sanieren können, werter Herr Meyer. Sie können noch so sehr einsparen, Sie können noch so sehr probieren, Effizienzreserven zu heben – am Ende des Tages müssen wir über die Einnahmesituation reden. Und da kommen wir nicht umhin, uns auch mit dem Bund auseinanderzusetzen. Und da sage ich Ihnen einmal: Bisher ist der Bund dort kein verlässlicher, um nicht zu sagen, ein sehr unverlässlicher Partner gewesen für die Kommunen und Gemeinden. Und deswegen haben Sie auch einen schweren Stand, wenn Sie uns verkaufen wollen, dass Sie etwas Gutes für Berlin machen wollten. Ob das das Wachstumsbeschleunigungsgesetz gewesen ist – Sie wissen, das war die Sache mit den Hoteliers, nicht wahr – oder andere Gesetze: Sie agieren nachweislich inklusive des in dieser Woche zu beratenden Haushaltsbegleitgesetzes 2011 zum Schaden der Städte und Gemeinden in unverantwortlicher Weise, angefangen mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz über die Diskussion der Gewerbesteuer und der Gemeindefinanzreform bis zu dem heute zu erörternden Haushaltsbegleitgesetz 2011. Sie sind diejenigen – das sage ich jetzt wirklich ernst –, die im Begriff sind, die Totengräber der kommunalen und der städtischen Gestaltungsspielräume in der Bundesrepublik Deutschland zu werden.
Diesem ernsthaften Vorwurf haben Sie sich bisher noch kein einziges Mal gestellt und heute erst recht nicht. Das ist wirklich eine vertane Chance. – Herzlichen Dank!
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Zackenfels! – Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Goetze das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Strom kommt aus der Steckdose, und das Geld für den Berliner Landeshaushalt kommt vom Bund – so die Zusammenfassung der Rede von Herrn Zackenfels. So einfach ist das Leben aber nicht, lieber Kollege Zackenfels. Ein bisschen Anstrengung als verantwortliche Regierungskoalition in der deutschen Hauptstadt kann man von Ihnen schon erwarten. Aber wahrscheinlich sind Sie damit überfordert.
Mit seiner fatalistischen Haltung gegenüber den finanzpolitischen Herausforderungen der Zukunft liefern uns Klaus Wowereit und sein offenbar völlig hilfloser Finanzsenator den Sparkommissaren von Bund und Ländern aus. Sollte sich der Senat weiterhin einem Nachtragshaushalt
verweigern, bleibt als einzige Notbremse des Abgeordnetenhauses, über die Aufhebung des Haushaltsgesetzes 2010/2011 zu entscheiden, um den Handlungsdruck auf die Regierung zu erhöhen. Andernfalls ist zu erwarten, dass über den Stabilitätsrat des Bundes binnen Jahresfrist seitens des Bundes und der Länder konkrete Kürzungsvorschläge für den Berliner Haushalt formuliert und diese dann auch realisiert werden. Damit würde Berlin unmittelbar nach der Wahl seine politische Handlungsfähigkeit verlieren. Die einzig Verantwortlichen dafür sind die rotroten Koalitionäre.
Was wir hier an mittelfristiger Finanzplanung erhalten haben, das war eine Wissensvorlage zum Thema Schuldenbremse und Stabilitätsrat. Sie enthielt keinerlei Umsetzungsdetails. Sie war schlicht unbrauchbar. Es ist peinlich, oder ist es politisches Unvermögen, dass diese Vorlage keine belastbaren Zahlen für das Jahr 2014 enthält? Wofür es Zahlenangaben konkreter Art nach den entsprechenden gesetzlichen Vorgaben geben muss, trägt dieser Senat, trägt dieser Finanzsenator keine Planungszahlen ein. Das ist erstens ein Gesetzesverstoß und macht zweitens deutlich, wie peinlich das Agieren dieses Senats ist. Man hat nicht mal die Möglichkeit, fünf Jahre im Voraus zu planen.