Protocol of the Session on October 7, 2010

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Bei den Sozialleistungen drücken Sie sich vor eigenen Stellungnahmen. Sie zitieren Dritte. Da heißt es, Wachstumsdynamik bei Sozialausgaben muss begrenzt werden. Eine eigene Positionierung, ob das die Auffassung des Senats ist, gibt es nicht. Hilfloser kann eine Regierung nicht agieren. Ihnen fehlt jeglicher Mumm, klare Aussagen zu treffen.

[Beifall bei der CDU]

Sie führen allgemein aus: Jetzt gilt endlich Haushaltsdisziplin. Was war denn die letzten neun Jahre? Gab es da keine Haushaltsdisziplin? – Richtig, gab es nicht; das haben wir schon immer gesagt. Aber nun soll sie ja einkehren, diese Haushaltsdisziplin, und Unvorhergesehenes und Unabweisbares soll in dieser Form nicht mehr zum Einsatz kommen.

Wie sehen aber die Zahlen aus? – Im Finanzstatusbericht für das erste Halbjahr Defizit bei den Ausgaben 153 Millionen; Gesamtübersicht für die unvorhergesehenen und unabweisbaren zusätzlichen Ausgaben für das erste Halbjahr 2009 87 Millionen; für 2008 318 Millionen, für 2007 160 Millionen. In dreistelligen Millionenbeträgen überziehen Sie Jahr für Jahr die Ausgabenlinie, die Sie hier beschlossen haben. Das ist wirklich absolut unglaubwürdig, wenn Sie sich hinstellen und sagen, Sie wollen hier den Haushalt sanieren. Dazu sind Sie schlicht unfähig.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

2008 haben Sie die Legende aufgebaut, es gebe angeblich kein strukturelles Defizit im Berliner Landeshaushalt mehr. Falsch! Dieser Senat hat nun endlich die Hosen runterlassen müssen. 1,2 Milliarden beträgt nach Ihren eigenen Angaben das strukturelle Defizit dieses Landeshaushalts. 1,2 Milliarden, wo Sie versagt haben, das in neun Jahren abzubauen! Schlimmer kann ein Land finanzpolitisch nicht regiert werden.

[Beifall bei der CDU]

2011 ist als Konsolidierungsjahr verschenkt. Im Doppelhaushalt 2010/11 haben Sie 600 Millionen zusätzliche Ausgaben festgelegt. Die Sanierung ist auf 2012 vertagt. Maßnahmen für die Tilgung fehlen. Und Sie zwingen den Stabilitätsrat des Bundes, Vorschläge zu machen, mit denen der Berliner Landeshaushalt –

Herr Abgeordneter Goetze! Ihre Redezeit ist beendet.

Ja! – wieder vom Kopf auf die Füße gestellt wird. Dies ist unerträglich. Wir brauchen einen Nachtragshaushalt, so der Antrag meiner Fraktion. Das ist die einzige Chance, hier noch mit den Zahlen klarzukommen und die Sparkommissare vom Bund aus der Stadt rauszuhalten.

Herr Abgeordneter Goetze!

Deswegen bitte ich, das zu beschließen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Goetze! – Für die Linksfraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Matuschek das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben für die Jahre 2010 und 2011 einen beschlossenen Haushalt, der zurzeit im Haushaltsvollzug keinen Nachtragshaushalt erfordert.

[Zuruf: Doch!]

Deswegen laufen Ihre Anträge auch ins Leere. Die Grundlagen für diesen Doppelhaushalt waren nicht, wie von der Opposition behauptet, ein berühmter Schluck aus der Pulle vor der Wahl,

[Zuruf von Oliver Schruoffeneger (Grüne)]

sondern die größte und tiefgreifendste Wirtschafts- und Finanzkrise in der Geschichte der Bundesrepublik. Daher die katastrophalen Einnahmeausfälle, daher die überbordenden Sozialausgaben, daher die immense Nettoneuverschuldung! Verschärft wurde diese Situation noch durch die Steuergesetzgebung auf Bundesebene, die zu weiteren Einnahmeeinbrüchen der kommunalen Haushalte und auch des Landes Berlin führte. Das sind die Gründe für die Ausgabensteigerung für 2010 und 2011. Manchmal habe ich so den Eindruck, dass bei manchen Kollegen aus der Opposition nicht angekommen ist, dass die Krise sich angekündigt hat, dass sie da war und dass sie immer noch nicht beendet ist.

Der Senat hat jetzt die mittelfristige Finanzplanung vorgelegt, die natürlich – und da gibt es gar keine andere Wahl – den grundgesetzlichen Vorgaben zur Schuldenbremse Rechnung tragen muss, und das tut sie auch. Dieser Finanzplanung liegt ein einfaches und für jeden nachvollziehbares Modell zugrunde. Wenn die Einnahmen in den nächsten Jahren um 2,3 Prozent steigen – ein Wert, der sogar noch recht konservativ gerechnet ist und deshalb der kaufmännischen Vorsorge entspricht – und die Ausgaben auf dem jetzigen Stand 2011 eingefroren werden, dann wird das Land Berlin die Vorgaben des Grundgesetzes 2020 erreichen. Das ist kein Pappenstiel, das ist mit harter Arbeit verbunden. Das ist übrigens etwas anderes, als die Verfechter der Schuldenbremse von uns verlangen. Sie verlangen nämlich die deutliche Kürzung der Sozialausgaben, die Beendigung aktiver Arbeitsmarktpolitik durch öffentliche Beschäftigung und die Verschärfung der Armut der Armen. Das ist nicht unser Weg.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Das Einfrieren der Ausgaben ist harte Arbeit, geht nur bei strikter Haushaltsdisziplin und bei Gegensteuerung von Mehrausgaben für Soziales, Personal und Zinsen durch Einsparungen in anderen Bereichen wie Investitionen und bauliche Unterhaltung. Das wird ein schwieriger politischer Prozess, aber wir werden ihn führen. Und wir führen ihn politisch und nicht rechnerisch. Das ist der Grundkonflikt, den wir zur Schuldenbremse haben. Wir Linken wollen Haushaltsfragen politisch lösen. Verfechter der Schuldenbremse jedoch benutzen diese, um sich von politischer Verantwortung mit dem Verweis auf eine juristische Klausel freizusprechen.

Wir lassen nicht die Einnahmeseite unberücksichtigt. Mein Kollege Zackenfels sprach schon davon. Deswegen stellen wir ja auch unsere Anträge, die wir heute zur Abstimmung bringen werden,

[Zuruf von Joachim Esser (Grüne)]

natürlich auch deshalb, um den Griff in die Kassen der Kommunen aus den vergangenen Jahren etwas zu relativieren. Was macht der Bund? – Er spielt mit der Mehrwertsteuer. Und das träfe wiederum die Falschen. Das träfe wiederum den kleinen Mann und die kleine Frau und nicht die Spekulanten an der Börse, nämlich diejenigen, die die Auslöser der Krise waren.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Noch ein Wort zu den Einnahmen: Ja, es ist richtig, Berlin bemüht sich um die Konsolidierungshilfen und wird auch die notwendigen Schritte tun, um diese zu bekommen. Aber der Vollständigkeit halber sage ich das mal den Kollegen, die nicht jeden Tag mit Haushaltsfragen beschäftigt sind: Das Land Bremen bekommt auch Konsolidierungshilfen. Würde man für die Gewährung von Konsolidierungshilfen die gleiche Elle wie beim Land Bremen anlegen, würde das Land Berlin 1,5 Milliarden statt 58 Millionen bekommen.

[Zurufe von den Grünen]

Auch das muss man wenigstens mal durchdenken dürfen. Unterm Strich bleibt: Berlin hat eine mittelfristige Finanzplanung, die den Vorgaben des Grundgesetzes entspricht. Berlin hat den Stabilitätsbericht fristgerecht vorgelegt und die definierten Schwellenwerte überschritten. Alles andere wäre allerdings auch nicht zu erwarten gewesen. Es droht daher – das ist richtig –, dass Berlin einer Evaluierung durch den Stabilitätsrat unterzogen wird. Eine Verwaltungsvereinbarung über die Auflagen zum Erhalt der Konsolidierungshilfen gibt es noch nicht. Die wird in den nächsten Monaten noch zu diskutieren sein. Am Ende wird Berlin 2020 einen ausgeglichenen Haushalt haben und immer noch einen Sack Schulden. Den abzutragen, war aber auch nicht die Auflage.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Matuschek! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Herr Abgeordneter Esser das Wort.

[Zurufe von der Linksfraktion]

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Einzige, was an dieser Finanzplanung vielleicht richtig, transparent und nachvollziehbar ist,

[Uwe Goetze (CDU): Ist die Überschrift!]

ist die Aussage unterm Strich, dass wir auf Jahre mit dem werden auskommen müssen, was wir heute haben, und nennenswerte Ausgabensteigerungen nicht möglich sind. Ob man da über 0 Prozent, 0,3 Prozent oder wie der Bund neuerdings über minus 0,6 Prozent redet, ist zwar im Einzelnen durchaus spürbar, aber letztlich zu vernachlässigen. Das ist eine ziemlich harte und schlimme Botschaft, weil sie bedeutet, dass wir alle von uns nicht zu beeinflussenden und unvermeidlichen Kostensteigerungen in den nächsten Jahren durch Sparmaßnahmen auffangen müssen. Diese Kostensteigerungen – wenn ich mir das in den letzten Jahren so angucke – liegen schnell bei 300 Millionen Euro pro Jahr. Das hat einen brutalen Sparkurs zur Folge, 300 Millionen Euro Jahr für Jahr, der entschieden – ich wiederhole das Wort – brutaler ist, als sich das irgendwer in der Stadt und scheinbar außer den

Haushältern irgendwer hier im Saal in der Lage ist vorzustellen. Und wer uns das eingebrockt hat, das ist sehr wohl die rot-rote Regierung in der letzten Legislaturperiode. Denn da war bei Ihnen von Vorsorge für spätere Zeiten überhaupt nicht mehr die Rede.

[Beifall von Volker Thiel (FDP)]

Sie haben im Vertrauen auf die sprudelnde Konjunktur in dieser Legislaturperiode den größten Ausgabenanstieg seit 1995 veranstaltet, 1,5 Milliarden Euro mehr unterm Strich. Während in der großen Koalition und in der ersten Koalition von Rot-Rot eine Minderung der Ausgaben von 1,6 Milliarden Euro gemacht worden ist, sind Sie zurückgefallen in die Zeit, in der Berlin in die Misere geraten ist, nämlich in die Zeit von vor 1995. Und dafür wird die Stadt in den nächsten Jahren die Zeche zahlen müssen.

Die Sahnehaube auf der Sache ist in der Tat Ihr Haushalt 2011, der bei den strukturellen und dauerhaften Ausgaben – denn da gibt es ja gar kein Konjunkturprogramm mehr – 390 Millionen Euro hochgeht. Und dann gehen dieser rotrote Senat und dieser Bürgermeister hin und beschließen eine Finanzplanung, die sagt, die nächste Regierung soll diese 390 Millionen Euro wieder raussparen, die Sie ohne jede Gegenfinanzierung 2011 in den Haushalt eingestellt haben. Da sagen Sie: Der nächste Haushalt – 2012 – soll die alle wieder rausnehmen oder gegenfinanzieren. Das ist die Politik, die Sie im Augenblick machen: Fakten schaffen, und anderen Leuten den Müll vor die Tür kippen – dieselbe Nummer wie bei der A 100!

[Beifall bei den Grünen – Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

Dann gehen Sie noch hin und packen mit Ihrem Beschluss – den haben Sie ja mitgetragen, Herr Albers – in die Finanzplanung noch 60 Millionen Euro drauf und sagen, das sind 450 Millionen Euro, die man 2012 einsparen soll.

Dann hatten wir gestern im Hauptausschuss eine Diskussion. Und was kam dabei heraus? – Sie haben noch 150 Millionen Euro an Einnahmen aus Rückbürgschaften des Bundes im Zusammenhang mit dem Ausstieg aus der Wohnungsbauförderung veranschlagt, von denen wir alle wissen, dass sie nicht kommen. Das heißt, Sie schieben uns und sich – falls Sie noch dabei sind – einen Konsolidierungsbedarf von 600 Millionen Euro für ein einziges Jahr über den Wahltermin. Und ich glaube, wir sind mit den Risiken, die dazu kommen, noch nicht am Ende.

Um dies abzuschließen, weil ich zum Ende kommen muss – damit man sich das hier vorstellen kann: Die beiden großen und echt wirksamen Sparmaßnahmen der Konsolidierungsperiode seit 2002 waren 1 Milliarde Euro Personalkostensenkung und etwas mehr als 1 Milliarde Euro Absenkung durch den Ausstieg aus der Wohnungsbauförderung – der Rest war Kleinkram, der nur Ärger gemacht, aber nicht wirklich etwas zur Haushaltskonsolidierung beigetragen hat. Das war jedoch für den Zeitraum 2002 bis 2015. Wenn Sie sich überlegen, diese jeweils 1 Milliarde Euro war über 13 Jahre gestreckt, dann dürfen Sie darüber nachdenken, was 600 Millionen Euro Einspa

rung in einem einzigen Jahr bedeuten. In dieser Frage hat Herr Goetze völlig recht: Sie sind verpflichtet, wenigsten die Hälfte davon im Jahr 2011 mit uns zusammen in einem Nachtragshaushalt zu bringen und nicht alles auf die nächste Regierung abzuwälzen!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall der CDU und der FDP]

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Zum Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/3527 – Stichwort: solide Haushaltspolitik jetzt – empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung an den Hauptausschuss, wozu ich keinen Widerspruch höre.

Zum Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/3204 – Stichwort: Nachtragshaushaltsplan 2011 – empfiehlt der Hauptausschuss mehrheitlich – gegen CDU und FDP bei Enthaltung der Grünen – die Ablehnung. Wer dem Antrag dennoch zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Fraktion der CDU, die Fraktion der FDP. Die Gegenprobe! – Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Fraktionslose Kollegen sehe ich nicht. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Der Überweisung der Vorlage – zur Kenntnisnahme – Drucksache 16/3514 hatten Sie eingangs zugestimmt.

Zum dringlichen Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/3539 – Stichwort: Schuldenbremse – wird die Überweisung an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Immunität und Geschäftsordnung und an den Hauptausschuss empfohlen, wozu ich keinen Widerspruch höre.