Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 72. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie alle, unsere Gäste, Zuhörer sowie die Medienvertreter ganz herzlich.
Wir haben heute auch ausländische Gäste. Vom Parlament in Bosnien und Herzegowina sind die Abgeordneten Frau Danijela Martinović und Herr Jasenka Selimowić anwesend. – Herzlich willkommen!
Dann habe ich eine traurige Pflicht zu erfüllen. – Ich bitte Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben.
Das Abgeordnetenhaus von Berlin trauert um Dr. HansJürgen Heß, der dem Abgeordnetenhaus von Berlin von 1971 bis 1981 und von 1985 bis 1991 angehörte. HansJürgen Heß verstarb am 29. Oktober 2010 im Alter von 75 Jahren.
Mit Hans-Jürgen Heß verliert Berlin einen bemerkenswerten Politiker. Nach seinem Abitur im Jahre 1954 absolvierte Hans-Jürgen Heß bis 1957 eine Ausbildung als Postinspektor und trat in den Postdienst ein. Von 1960 bis 1964 studierte Hans-Jürgen Heß neben seinem Beruf politische Wissenschaften am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und erwarb 1964 das Diplom als Politologe. Von 1965 bis 1974 arbeitete er hauptamtlich als Vorsitzender der Deutschen Postgewerkschaft in Berlin, in die er schon 1956 eingetreten war.
Seine politische Laufbahn begann Hans-Jürgen Heß 1963 als Mitglied in der Bezirksverordnetenversammlung in Zehlendorf. Als Mitglied des Jugendwohlfahrtsausschusses der Bezirksverordnetenversammlung Zehlendorf organisierte Hans-Jürgen Heß Jugendbegegnungen mit Israel. Aufgrund seiner Aktivitäten wurde die Städtepartnerschaft zwischen Zehlendorf und der israelischen Stadt Sderot geschlossen.
1958 war Hans-Jürgen Heß Mitglied der SPD geworden und amtierte von 1965 bis 1969 als stellvertretender Kreisvorsitzender, und im Anschluss daran bis 1971 als Kreisvorsitzender der SPD Zehlendorf. In der SPD bekleidete er viele Ämter. Er war Kreis-, Landes- und Bundestagsdelegierter, Abteilungsvorsitzender und später stellvertretender Kreisvorsitzender im Bezirk Wedding.
1971 wurde Hans-Jürgen Heß für die SPD in das Abgeordnetenhaus von Berlin gewählt. Als Vorsitzender des Ausschusses für Planung und Stadtentwicklung und stell
vertretender Vorsitzender des Sportausschusses lag ihm besonders die Förderung der Sport- und Freizeitstätten und der Ausbau von Schulen am Herzen. Aufgrund seiner vielen Initiativen und seines auch überparteilichen Anspruchs wurde er von der Zeitung „Die Welt“ als der kinderfreundlichste Abgeordnete des damaligen Berliner Parlaments bezeichnet. Er setzte damals bei verschiedenen Wohnungsbaugesellschaften und Supermärkten durch, dass Kinderwagen in Hausfluren von Wohngebäuden geduldet wurden und dass Kleinkinder auch im Einkaufswagen zum Einkauf in den Supermarkt mitgenommen werden durften. – Übrigens ist unter seiner maßgeblichen Mitwirkung Ende der 70er-Jahre unsere jetzige Diätenstruktur mit der Versteuerung erarbeitet worden. Das ist eine Diätenregelung, die jetzt immerhin 30 Jahre Bestand hat.
Seit Juli 1974 arbeitete Hans-Jürgen Heß als Leiter der Verwaltung des Deutschen Bundestages in Berlin. 1983 promovierte er zum Doktor der Staatswissenschaften
Hans-Jürgen Heß betätigte sich in verschiedenen Kuratorien und Verwaltungsräten. Er war im Kuratorium Unteilbares Deutschland, im Vorstand des Paul-Löbe-Instituts und in der Arbeitsgemeinschaft 13. August. Außerdem war er Mitglied des Sozialwerks des Bundes und mehrerer Sportvereine sowie der Arbeiterwohlfahrt und des Arbeiter-Samariter-Bundes.
Parallel zu seinen politischen Schwerpunkten warb er ab 1974, bis zu seinem Ruhestand 1999 als Direktor des Reichstags unermüdlich für Unterstützung und Verständnis für die damals außergewöhnliche Lage Berlins, und das war – wie sich jeder vielleicht im Nachhinein denken kann – gegenüber den Bonnern nicht ganz einfach, sodass er da manche Kämpfe ausgetragen hat. Er bereitete den Umzug des Deutschen Bundestages von Bonn nach Berlin vor.
Für seine hervorragenden ehrenamtlichen Leistungen auf gesellschaftlicher und politischer Ebene wurde HansJürgen Heß 1985 mit dem Verdienstkreuz am Bande und 1995 mit dem Verdienstkreuz Erster Klasse ausgezeichnet.
Nach seinem Eintritt in den Ruhestand 1999 übernahm Hans-Jürgen Heß ehrenamtlich die Geschäftsführung des Zentralverbandes der Ingenieurvereine e. V. und setzte sich als Mitglied des Beirats der Erika-Heß-Stiftung weiterhin aktiv für die Unterstützung benachteiligter Kinder ein.
Hans-Jürgen Heß wird uns fehlen. Wir werden uns an Hans-Jürgen Heß stets mit Dankbarkeit und Hochachtung erinnern.
Meine Damen und Herren! Sie haben sich zu Ehren von Hans-Jürgen Heß von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen!
Ich möchte dem Kollegen Schruoffeneger zu seiner Eheschließung gratulieren. – Herzlichen Glückwunsch und alles Gute!
Dem Abgeordneten Zillich von der Linksfraktion, der Vater geworden ist, möchte ich zur Geburt seines Sohnes Milan-Paul gratulieren. – Alles Gute für Mutter und Kind!
Dann habe ich Geschäftliches bekannt zu geben, und zwar die Zurückziehung des Antrags der Fraktion der CDU, den Neubau der Sporthalle für die Grundschule in Französisch Buchholz endlich in Angriff zu nehmen, Drucksache 16/1971. Dieser Antrag wurde in der 39. Sitzung am 11. Dezember 2008 an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie sowie an den Hauptausschuss überwiesen und wird nunmehr zurückgezogen.
Dann komme ich zur heutigen Tagesordnung. Am Montag sind folgende vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen, und zwar:
1. Antrag der Fraktion der SPD und der Linksfraktion zum Thema: „Transparenz bei den Wasserverträgen – Verträge offenlegen, Informationsfreiheitsgesetz umsetzen“,
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Berlin braucht die A 100 – Anwohner entlasten, Wirtschaft stärken, Bürger beteiligen!“,
3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Rotschwarz-rote Privatisierungskoalition – die Berlinerinnen und Berliner tragen die Kosten der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe“,
4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Wieso spielt der Senat Monopoly mit seinen Unternehmen und dem Geld der Berliner? Wasser, Strom und S-Bahn brauchen vernünftige Verträge im Wettbewerb und keinen Rekommunalisierungsirrsinn!“.
Zur Begründung der Aktualität erteile ich zunächst einem Mitglied der Koalitionsfraktionen das Wort, und das ist der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Kollege Müller. – Bitte sehr, Herr Müller!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie im Rahmen der Aktuellen Stunde um Zustimmung zu unserem heutigen Antrag, zum Thema „Transparenz bei den Wasserverträgen – Verträge offen legen, Informationsfreiheitsgesetz umsetzen“ zu sprechen. Ich glaube, das ist ein wichtiges Thema, das wir hier diskutieren sollten, und zwar schon deshalb, weil über 280 000 Menschen das Volksbegehren zu diesem Thema unterstützt haben. Es ist ihnen ein wichtiges Anliegen zu erfahren, wie es in diesem Bereich weitergeht.
Dieses Thema halte ich aber auch deshalb für wichtig, weil es Unterschiede deutlich macht – das ist ja immer
wieder ein Vorwurf, der uns allen in der politischen Diskussion begegnet: Die erzählen doch bei jedem Thema alle das Gleiche! Bei diesem Thema kann man sehr deutlich unterschiedliche Konzepte und politische Ansätze klarmachen.
Meine Damen und Herren von der FDP! Ich muss es gleich vorneweg so deutlich sagen: Irrsinn ist es nicht, über Rekommunalisierung zu diskutieren, Irrsinn ist es, wenn Sie es immer noch nicht verstanden haben, dass der Markt und Private nicht alles regeln und nicht alles besser machen können, das ist Irrsinn!
Es gehört mit dazu, das auch einmal zur Kenntnis zu nehmen. Umgekehrt ist es sicherlich auch so, dass man nicht alles selbst machen muss, man muss genau hinsehen, wo der Staat Verantwortung übernehmen soll und wo nicht.
Warum wir vor dieser kritischen Bestandsaufnahme Angst haben sollten, ist mir völlig schleierhaft, in jedem anderen politischen Bereich diskutieren wir permanent kritisch und überprüfen unsere Positionen.
Ich will es deutlich machen: Beim Thema Wasserbetriebe war es aus meiner Sicht eindeutig ein Fehler, dieses Unternehmen zu privatisieren.
Unter anderem, Herr Kollege Meyer, auch wegen Ihres politischen Ansatzes: Es kann nämlich in diesem Bereich gar keinen Wettbewerb zugunsten der Bürgerinnen und Bürger geben,
aus diesem Grunde war das ein Fehler. Die Verträge, die im Zusammenhang mit der Privatisierung geschlossen wurden, würde man heute so auf keinen Fall wieder machen,
mit Zinsgarantien und dass der, der 49 Prozent hält, die unternehmerische Führung übernimmt – das sind Dinge, die man heute so nicht verabreden würde.
Aber aus heutiger Sicht ist es immer leicht, alles besser zu wissen. Wie war es denn damals beim Verkauf der Wasserbetriebe? – Das Land Berlin hat um Hilfe aus anderen Ländern gerungen, wir waren damals schon in einer schwierigen finanziellen Lage, es wurde quasi Zeit für andere strukturelle Maßnahmen und Einschnitte erkauft, und 1,7 Milliarden Euro war ein sehr hoher Kaufpreis. 2003/2004 gab es wieder eine schwierige Lage, als es darum ging, auf Grundlage von juristischen Entscheidungen die Verträge anzupassen, erneut wurde die Klage in
Karlsruhe auf Feststellung der Haushaltsnotlage vorbereitete, die Opposition hat gegen den Landeshaushalt geklagt – ich kann mich noch erinnern, wie Sie sich überschlagen haben mit immer neuen Vorschlägen, wo denn Einnahmen herkommen sollen. Die FDP wollte die Hälfte der Mitarbeiter rausschmeißen, die CDU wollte fünf Milliarden Euro einnehmen – auch über Vermögensaktivierungen –, Herr Ratzmann hat Vorschläge gemacht und wurde von seinem Landesvorstand zurückgepfiffen, als er gesagt hat, wir müssen deutlich in die Privatisierung gehen.