Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 76. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie alle, unsere Gäste, die Zuhörer sowie die Medienvertreter ganz herzlich.
Bevor wir in die Tagesordnung einsteigen, möchte ich daran erinnern, dass heute der 27. Januar ist, der bundesweite Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Er erinnert an den Völkermord an den europäischen Juden, an die Konzentrations- und Vernichtungslager, in denen Sinti und Roma, Homosexuelle, politische Gegner der Nazis, Behinderte und weitere Opfer inhaftiert und ermordet wurden. Es ist der Tag der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945.
Die inzwischen rekonstruierte Topografie der Vernichtungslager der Nazis zeigt, dass ganz Deutschland und fast das ganze besetzte Europa mit Lagern überzogen waren. Wenn wir heute der Opfer gedenken, müssen wir uns auch ins Bewusstsein rufen, dass unsere Zivilisation immer einer latenten Gefährdung ausgesetzt ist. Die Erinnerung an die Vergangenheit ist also Richtschnur und Herausforderung für zukünftiges Handeln.
Sie wissen, das Abgeordnetenhaus hatte im Vorfeld des 27. Januar zwei große Veranstaltungen – das Jugendforum „denk!mal“ und die Verleihung der German Jewish History Awards –, die in sehr eindrucksvoller Weise gezeigt haben, wie Vergangenheit lebendige Geschichte werden kann und wie insbesondere die junge Generation Erinnerungskultur verantwortungsvoll interpretiert. Ich freue mich und bedanke mich bei allen, die zu einer oder beiden Veranstaltungen gekommen sind. Ich kann Sie alle nur für das nächste Mal im nächsten Jahr wieder einladen, denn gerade wenn man das Jugendforum „denk!mal“ betrachtet, sieht man, mit welcher Kreativität und Intensität die Gruppen, die ausgestellt und teilweise etwas vorgeführt haben, an diesen wichtigen Gedenktag erinnern. Ich denke, dass ein Landesparlament eine Veranstaltung für Jugendliche macht, ist eine gute Sache. Noch mal herzlichen Dank an alle, die dazu gekommen sind! Im Sinne des Gedenktags wollen wir heute an unsere Arbeit gehen.
Bevor wir zum Geschäftlichen der heutigen Sitzung kommen, möchte ich den Abgeordneten Cornelia Seibeld und Sven Rissmann von der Fraktion der CDU zur Geburt des Sohnes Friedrich gratulieren. – Herzlichen Glückwunsch! Alles Gute für Vater, Mutter und Kind!
Dann gibt es noch einen erfreulichen Anlass. Die Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Wirtschaft, die schon in der ersten Reihe Platz genommen hat, hat jetzt durch Heirat den Namen Almuth Hartwig-Tiedt erworben. – Herzlichen Glückwunsch zur Hochzeit! Alles Gute!
1. Antrag der Fraktion der SPD und der Linksfraktion zum Thema: „Verbraucherpolitik und Lebensmittelsicherheit in Berlin: klare Vorschriften, wirksame Kontrollen, mehr Transparenz“,
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Ankündigen, Schönreden, Drohen – Zöllners sogenanntes Qualitätspaket für Schulen und Kitas ist nach neun Jahren erfolgloser rot-roter Bildungs- und Familienpolitik nicht mehr als heiße Wahlkampfluft!“,
3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „GSW privatisiert, BIH-Risiken sozialisiert, SPD ohne klare Linie!“,
4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Rot-roter Aktionsraumaktionismus verfestigt negative Entwicklungstendenzen und Armut – Berlin braucht Chancen- und Bildungsoffensive und eine Revitalisierung von Stadtquartieren“.
Zur Begründung der Aktualität erteile ich zunächst einem Mitglied der Koalitionsfraktionen das Wort. Für SPD und Linksfraktion ist der Kollege Isenberg gemeldet worden. Er hat das Wort. – Vielleicht könnten wir im Saal ein bisschen leiser sein, auch wenn die Hochzeit so anregend gewirkt hat. – Bitte schön, Herr Isenberg!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Muster sind immer dieselben, ganz gleich, ob BSEKrise, Pestizide im spanischen Paprika, Schweinemast mit Antibiotika, Acrylamid in Chips, illegaler Genreis, Plastiksplitter in Kinderreis: Die kriminelle Energie von Einzelnen, von schwarzen Schafen der Branche zerstört den Ruf und belastet Verbraucherinnen und Verbraucher unnötigerweise. Wenn eine Krise da ist, herrscht das Muster: Vermeiden, über die Fakten zu sprechen, aus Profitgier weiter vertuschen, verschleiern, wo möglich, oftmals leider nicht hinreichend kontrolliert und sanktioniert durch die entsprechenden staatlichen Organe.
Die aktuellen Dioxinskandale zeigen die Auswirkungen: Über 3 000 Tonnen belastete Futtermittel, 120 000 und mehr belastete Eier, 4 700 teilweise geschlossene Höfe, über 30 000 Menschen, die zeitweise keine Arbeit hatten. Verbraucherpolitik, solide betrieben, ist gut für die Menschen und gleichzeitig gut für seriös wirtschaftende Firmen und für den Standort Berlin, den Standort andere Bundesländer und den Standort Europa insgesamt.
Was machen Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von FDP und CDU? Was machen Sie da, wo Sie Verantwortung tragen?
Es waren sozialdemokratische Bundes- und Landesregierungen, die in den letzten Jahren den Verbraucherschutz kontinuierlich vorangetrieben haben.
Da, wo Sie tätig sind, blockieren Sie Verbesserungen, nörgeln herum und gehen nicht in die Sache hinein. Sie schützen de facto die Anbieter, statt den Verbraucherinteressen zum Durchbruch zu verhelfen. Ex-Verbraucherminister Seehofer stärkte die konventionelle Agrarlobby, und Sie von Union und FDP applaudierten. Unions- und FDP-Regierungen auf Bundes- und Landesebene blockieren ein vernünftiges Verbraucherinformationsgesetz, und Sie applaudieren. Länder- und Verbraucherminister aus dem Lager der FDP und der Union gleichermaßen kündigen, angeführt von der Bundesverbraucherministerin Aigner, teilweise Reformen an, beispielsweise im Futtermittelrecht, und knicken auf europäischer Ebene ein. Es bedarf sozialdemokratisch geführter Länderregierungen, damit der Verbraucherschutz in Deutschland vorangetrieben wird.
[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion – Gelächter bei der CDU und der FDP – Zuruf von der FDP: Gammelfleisch!]
Verbraucherinnen und Verbraucher brauchen starke Bundesländer, sonst bewegt sich da überhaupt nichts.
Berlin ist hier spitze. Wir haben mit dem Smileysystem, das wir demnächst einführen, eine Verbraucherinformation geschaffen, die bundesweit einmalig ist. Ich appelliere an Sie von der Opposition, von allen Oppositionsparteien: Helfen Sie mit, dass das Verbraucherinformationsgesetz auf Bundesebene verbessert wird, dass Ross und Reiter genannt werden können. Überall und unabhängig von der Frage, ob ein konkreter Schaden eingetreten ist, sollen die Prüfungsergebnisse veröffentlicht werden können. Mit dem Smileysystem zeigen wir den Weg!
Helfen Sie mit, dass wir zu einer bundesweiten Qualitätssicherung der Futtermittelkontrollen kommen, treten Sie dafür ein, dass wir zu einem PISA-Test im Lebensmittelbereich kommen! Es darf nicht länger so sein, dass Länder wie beispielsweise Baden-Württemberg nur einen Kontrolleur für 1 000 Betriebe haben, dass Flächenländer wie Niedersachsen unterausgestattet sind und die dort produzierten Skandale die Verbraucher bundesweit verunsichern.
Die SPD und der von ihr getragene Senat unter Leitung von Klaus Wowereit haben dafür gesorgt, dass es den Verbraucherinnen und Verbrauchern in Berlin gut geht.
Schützen, informieren, stärken sind die Maximen der verbraucherpolitischen Strategie des Landes Berlin.
Wir haben das direkte Ohr dort, wo der Schuh drückt, wir führen regelmäßig Verbrauchermonitorbefragungen durch, wir kümmern uns mit Informationskampagnen um Jugendliche und um die Energiesparberatung.
Durch die Sicherung der Institutionen des Verbraucherschutzes zeigen wir: Verbraucherschutz ist da, wo die Menschen sind, die SPD ist dabei. Wir wollen alles Gute für das Land Berlin und darüber hinaus. Verweigern Sie sich nicht länger, machen Sie mit! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Danke schön, Herr Kollege Isenberg! – Für die CDUFraktion hat nun Herr Kollege Steuer das Wort. – Bitte schön, Herr Steuer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Juni 2010 versprach Senator Zöllner, dass es bald ein Qualitätspaket geben werde, mit dem den schwächeren Schulen geholfen werden soll. Große Hoffnungen wurden damit verbunden, nachdem der Senator bisher nur die Strukturen reformiert hatte und dabei die einzelnen Schulen aus dem Blick geraten waren. Ein halbes Jahr später stellte Senator Zöllner der Öffentlichkeit das sogenannte Qualitätspaket für Schule und Kitas vor, allerdings betonte er, dass es sich um Gedankenspiele handele, deren Umsetzung erst in diesem Frühjahr anstehe. Das war aber auch schon die einzige positive Botschaft des Tages, denn der Inhalt hatte es in sich: Ranking der schwächeren Schulen, Drei-EuroGeschenke für schwächere Schüler, Kindersprachtests mit drei Jahren, unzählige weitere Verwaltungsaufgaben für die Schulen und Kitas. Was der Senat schlicht vergessen hatte, war die konkrete Unterstützung für die Schulen und Kitas in Berlin. Darauf haben die Schulen und Kitas gewartet und tun es auch heute noch, da das Qualitätspaket umgesetzt werden soll.
Die Lehrerversorgung liegt auch heute noch deutlich unter 100 Prozent. Die Schulgebäude verfallen, Tausende Schüler bleiben sitzen, Eltern sind durch die neuen Regeln zur Schulwahl massiv verunsichert – alles Themen, zu denen Sie nichts zu sagen haben, nicht in Ihrem sogenannten Qualitätspaket, nichts heute, kurz vor dessen Umsetzung!
Herr Senator! Sie haben es an keinem einzigen Tag Ihrer Amtszeit geschafft, die Schulen mit durchschnittlich 100 Prozent Lehrern auszustatten, geschweige denn die
Mehrheit der Schulen und Kitas auch nur mehrere Monate lang voll auszustatten. Nein, Ihre Bildungspolitik von Rot-Rot ist stets Flickschusterei, immer schlecht vorbereitete Reformiererei, immer Schönrednerei. Als Ihnen gar nichts mehr dazu eingefallen ist,
da hat Ihnen der Regierende Bürgermeister offensichtlich bedeutet, dass es keinen einzigen zusätzlichen Lehrer geben wird. Dazu ist Ihnen nichts weiter eingefallen, Herr Zöllner, als die Schulen für die Misere verantwortlich zu machen. Das ist unverantwortlich! Statt zu helfen, wollen Sie bloßstellen!
Sie wollen Dutzende Inspektionsberichte veröffentlichen, in denen die Schwachstellen der schwachen Schulen dargestellt werden. Es sollen sogar nur die schwächeren Schulen in ein Ranking aufgenommen werden, das veröffentlicht wird. Sie werden erleben, was dann an den 25 schwächsten Schulen passiert, denen damit gar nicht geholfen wird: Zumachen können Sie diese Schulen dann, nichts anderes! Wenn Sie den Schulen wirklich helfen wollen, dann geben Sie den 25 schwächsten Schulen sofort eine hundertprozentige Lehrerausstattung, sofort einen Qualitätsmanager, der die Schulleitung unterstützt, sofort zusätzliche Sozialarbeiter und sofort ein Schulprogramm, das eine Perspektive aufzeigt und mit dem die Schulen auch gute Schüler für sich gewinnen können – nur so können Sie die Situation verbessern!