Protocol of the Session on September 1, 2011

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Danke sehr, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! 2 000 Lehrer weniger, eine Versechsfachung der Gewalttaten an den Schulen, jede fünfte Schule steigt beim jahrgangsübergreifenden Lernen wieder aus, immer mehr Lehrer melden sich dauerkrank, Platz 16 im Bildungsmonitor der Bundesländer, Platz 15 beim Leseverständnis, Platz 15 bei der Mathestudie von PISA, die Berliner Schüler hinken gegenüber den süddeutschen Schülern ein ganzes Schuljahr hinterher – die bildungspolitische Bilanz von SPD und Linkspartei ist erschreckend. Eine Verbesserung der Schülerleistungen, bessere Lehr- und Lernbedingungen, mehr Motivation der Lehrer und Schüler, mehr Einbindung der Eltern – all das sucht man an den Berliner Schulen vergebens. Nichts ist unter diesem Senat besser geworden, deshalb zeigen Ihnen die Eltern in diesen Tagen die rote Karte!

[Beifall bei der CDU]

Die Vertreter von Linkspartei und SPD werden nicht müde, immer wieder zu betonen, dass sie doch mehr Geld in den Bildungsetat gesteckt hätten. Das liegt allerdings am Ausbau der Kitas und der Horte, keineswegs an den Schulen. Erst der bevorstehende Erfolg des Kitavolksbegehrens hat Sie 2009 dazu genötigt, zusätzlich rund 70 Millionen Euro in Erzieherpersonal zu investieren. Es war nicht Ihre politische Vision, sondern der Protest der Eltern, der zu mehr Personal in den Kitas geführt hat. Bei den Horten kämpft Rot-Rot noch heute mit üblen Tricks dagegen, dass auch dieses Volksbegehren zum Erfolg führen kann. Ihre Ganztagsschule bleibt so nichts anderes als eine lockerere Verteilung des Unterrichts auf den Nachmittag mit minimal zusätzlichen Angeboten. Das ist bildungspolitischer Etikettenschwindel!

[Beifall bei der CDU]

Keine der Reformen, die Sie angepackt haben, wurde erfolgreich zu Ende geführt. Die Reform von Senator Zöllner, die Reform überhaupt in dieser Legislaturperiode, die Schulstrukturreform, ist in den Anfängen steckengeblieben.

[Dr. Felicitas Tesch (SPD): Wieso denn?]

Ihr Strukturfetischismus hat Sie blind gemacht, Frau Dr. Tesch, für die inneren Bedürfnisse der Schulen. Die Sekundarschule ist eine Dame ohne Unterleib geblieben. Allein das Türschild auszutauschen hat eben nicht dazu geführt, dass das Stigma schlechter Schulen aufgehoben wurde. Dafür hätte man eben ein konkretes Bildungsangebot für die schwächeren Schüler in der Sekundarschule

machen sollen. Es ist Ihnen peinlich – und das merkt man auch jetzt wieder, Frau Dr. Tesch –, aber mittlerweile redet die ganze Stadt davon, dass es wieder Schulen geben wird, auf die niemand gehen will, die das schreckliche Wort von den „Restschulen“ verdienen würden. Statt eine Leitidee für die Berliner Sekundarschule zu entwerfen, stecken Sie 25 Millionen Euro in eine einzige Schule und sonnen sich in deren vermeintlichem bundespolitischen Erfolg und der Berichterstattung darüber, nämlich dem Campus Rütli. Aber während Sie sich dort noch sonnen, flattert in der Bildungsverwaltung der nächste Brandbrief einer Schule in derselben Situation – aber fünf Jahre später – ein, und schon war es vorbei mit Ihrer Selbstgerechtigkeit. Dieser Senat hat die Probleme der Brennpunktschulen konsequent ignoriert und ihnen sogar Mittel weggenommen und auf andere Schulen verteilt. Das ist unverantwortlich.

[Beifall bei der CDU]

In der kommenden Legislaturperiode liegen große Herausforderungen vor uns, die wir anpacken müssen. Wir brauchen in den nächsten fünf Jahren eine Versöhnung von Gymnasium und Sekundarschule, denn beide Schulformen müssen inhaltlich gestärkt und im Bestand garantiert werden.

Wir müssen den Lehrerberuf wieder so attraktiv machen, dass die Besten eines Jahrgangs auf Lehramt studieren und danach auch in Berlin bleiben wollen. Die Kitas müssen so schnell es geht so gute Bildungseinrichtungen werden, wie es die Vorklassen vor ihrer Abschaffung gewesen sind. Alle Schulen müssen zu modernen, renovierten und gut ausgestatteten Zukunftslaboren dieser Stadt werden, in denen die Schüler begeistert lernen und die Lehrer begeistert unterrichten wollen.

Ich bin mir sicher: Für diese Ziele fernab von Ideologien gibt es eine breite Mehrheit in dieser Stadt und hoffentlich auch nach dem 18. September hier im Hause.

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Das Wort für die SPDFraktion hat Frau Dr. Tesch.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, wie vorhersagbar, wie berechenbar Sie sind, Herr Steuer. Ich habe mir gestern Abend und heute früh aufgeschrieben: Das Hauptanliegen dieses Tagesordnungspunkts ist diese Mitteilung zur Kenntnisnahme über die Weiterentwicklung der Berliner Schulstruktur, verbunden mit ein paar Beschlussempfehlungen. Dass Herr Steuer dies in seiner Abschiedsrede wieder zum Rundumschlag genutzt hat, sei ihm verziehen.

[Zuruf von Heidi Kosche (Grüne)]

Ich habe es vorhergesehen, dass Sie zu allem anderen etwas gesagt haben und fast nichts zu dem eigentlichen Tagesordnungspunkt. Im Gegensatz zu Ihnen komme ich jetzt aber zu den Fakten.

Wir haben den Senat mit einem sehr, sehr langen Antrag beauftragt, uns über die konkrete Umsetzung der Schulstrukturreform zu informieren. Dies ist nun mit dieser Mitteilung zur Kenntnisnahme geschehen.

[Zuruf von Mieke Senftleben (FDP)]

Ja, genau, rechtzeitig zum Abschluss der Legislaturperiode, Frau Senftleben. Wir sind sehr glücklich, dass wir die Schulstrukturreform auch umgesetzt haben. Wir haben nämlich mit dieser Reform einen Meilenstein in der Berliner Schulpolitik gesetzt, der inzwischen von allen – auch von Ihnen, der Opposition – angenommen wird und nicht zurückgenommen werden kann. Selbst Frau Senftleben sagt bei allen Podiumsdiskussionen: Keine Rolle rückwärts an dieser Stelle!

[Zuruf von Mieke Senftleben (FDP)]

Schön, das freut mich! – Der Prozess der Umwandlung ist zum Schuljahr 2011/12 abgeschlossen. Es gibt keine Hauptschule mehr. Das finden alle gut, denn die Hauptschulen waren trotz ihrer paradiesischen Ausstattung zu Restschulen verkommen. Die Schülerinnen und Schüler dieser Schulform hatten keine Perspektive mehr und waren stigmatisiert. Damit hat Rot-Rot aufgeräumt.

[Beifall bei der Linksfraktion ]

Danke schön! Meine eigene Fraktion schläft ein bisschen.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD – Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Wir machen das schon! – Zuruf von Uwe Goetze (CDU)]

Ach nee, so schlimm ist es noch nicht, Herr Goetze! – Bei uns hat weiterhin der Elternwille Priorität. Deshalb haben wir auch nicht wie in Hamburg, wo dies gescheitert ist, starre Strukturen geschaffen, sondern wir lassen trotz Bildungsgangempfehlung letztendlich die Eltern entscheiden, auf welche Schule sie ihr Kind geben möchten. Lediglich bei den übernachgefragten Schulen wurde eine 30-prozentige Losquote eingeführt, was zu Unrecht verunglimpft wurde. Schon früher wurde bei nachgefragten Schulen gelost, und dieses Jahr gab es trotz Schulstrukturreform weniger Widersprüche als in den Jahren zuvor.

Wichtig ist uns an dieser Stelle auch, dass wir mit der Einführung der integrierten Sekundarschule den Ganztagsbetrieb nach den Grundschulen ausbauen konnten. Dies wird in Zukunft auch eine der herausragenden Aufgaben für die Gymnasien nach den Grundschulen und Sekundarschulen sein. Hier werden wir viel Geld in bauliche Maßnahmen geben müssen, um dieses Ziel zu erreichen.

Es ist uns auch gelungen, verbindliche Kooperationen zwischen Schulen der Sekundarstufe I und den Grund

schulen einerseits und zwischen den Sekundarschulen und den Oberstufenzentren andererseits festzuschreiben. Alle Sekundarschulen bieten duales und praktisch bezogenes Lernen an. Dafür gehen sie Kooperationen mit Betrieben und Trägern der Berufsausbildung ein. Mir liegt auch das Institut für produktives Lernen – IPLE – sehr am Herzen, das wir extra in das Gesetz aufgenommen haben und das in diesem Zusammenhang hervorragende Arbeit leistet.

An dieser Stelle ist es mir wichtig zu betonen, dass sowohl die IHK als auch die Handwerkskammer unsere Schulstrukturreform nachdrücklich begrüßen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Die interkulturelle Bildung spielt im Zusammenhang mit der Schulstrukturreform eine herausragende Rolle. Gerade jetzt, im Wahlkampf, sitze ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen ständig in irgendwelchen Schulen oder Organisationen auf dem Podium, und da wird der Ruf nach interkultureller Bildung laut. Wir haben dies geschafft, nicht nur durch die Initiative „Berlin braucht dich“, nicht nur durch die Handreichung „Interkulturelle Bildung und Erziehung“, nach der ich ständig gefragt werde, sondern auch durch die Erkenntnis, dass die deutsche Sprache ein Schlüssel zur interkulturellen Bildung ist. Wir haben daher viele Sprachprogramme auf den Weg gebracht.

Wir haben hier letztendlich noch eine ganze Reihe von Beschlussempfehlungen, fünf an der Zahl. Ich habe jetzt keine Zeit mehr, auf alle einzugehen. Ich möchte nur um Ihr Verständnis bitten. Es gibt eine Beschlussempfehlung, die auf dem Antrag der Grünen fußt, und die Koalition wird ihr zustimmen, weil wir das sinnvoll finden. Es geht darum, dass der berufsbegleitende Vorbereitungsdienst für Seiteneinsteiger auch für Lehrkräfte an Privatschulen gelten soll. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank! – Das Wort für die Fraktion der Grünen hat der Kollege Mutlu.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Dr. Tesch! Es wäre nicht das erste Mal, dass Sie einem Antrag der Grünen folgen und von uns etwas Sinnvolles übernehmen. Das ist erfreulich, und ich hoffe, dass Sie auch in Zukunft an dieser Stelle weiterlernen.

[Beifall bei den Grünen]

Ich möchte mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zwei Zitate zum Anfang meiner Rede benutzen:

Die Kinder und Jugendlichen haben einen Anspruch auf die bestmögliche Ausbildung. Die Berliner Schule muss so ausgestattet sein, dass sie diesem Anspruch gerecht werden kann.

Das ist eine Verabredung aus der Koalitionsvereinbarung von SPD und PDS. Die Realität ist aber leider eine andere, wie das folgende Zitat des Berlinverstehers Wowereit zeigt – mein Fraktionsvorsitzender hat es vorhin schon gesagt, ich sage es noch einmal, damit sich alle erinnern. Er hat gesagt: Ich kann auch jeden verstehen, der sagt, dass er seine Kinder nicht in Kreuzberg zur Schule schicken möchte. Das ist die Realität der Berliner Schule, das ist die Realität des Berlin-Verstehers.

[Steffen Zillich (Linksfraktion): Wieso, hat er recht?]

Zahlreiche Brandbriefe, die wir in den letzten Jahren bekommen haben, sind auch Teil dieser Realität. Diese zahlreichen und wiederholten Hilferufe aus den Schulen sind ein Resultat rot-roter Bildungspolitik der letzten zehn Jahre. Schaut man sich die diversen nationalen und internationalen Bildungsstudien an, so kommt man zu dem traurigen Schluss, dass Berlin seit Jahren Schlusslicht ist bei PISA, IGLU und bei diversen anderen Bildungsuntersuchungen wie dem jüngsten Bildungsmonitoring, nämlich Schlusslicht in Sachen Chancengerechtigkeit. Nirgends in der Republik ist der Bildungserfolg dermaßen vom Geldbeutel der Eltern abhängig wie in Berlin. Daran hat sich auch in zehn Jahren Rot-Rot nichts geändert. Das ist ein Skandal!

[Beifall bei den Grünen]

Verlierer dieser rot-roten Bildungspolitik sind in immer wiederkehrender Regelmäßigkeit Kinder und Jugendliche aus Hartz-IV-Haushalten oder Kinder mit Migrationshintergrund.

Aber bleiben wir fair. Sie waren in der Tat nicht untätig. 23 Reformen, vorwiegend auf dem Papier, haben Sie beschlossen. Trotzdem haben sich die Bedingungen für die Betroffenen und die Schulen, insbesondere in den sozial benachteiligten Gebieten, nicht verbessert. 11,5 Prozent der Schülerinnen und Schüler verlassen die Schule ohne Abschluss. Das liegt deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Bei den Migrantenkindern sieht es noch düsterer aus. 25 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund brechen die Schule vorzeitig ab. Das ist ein bundesweiter Rekordwert. Der Unterrichtsausfall liegt seit Jahren bei 10 bis 11 Prozent, es gibt knapp 1 400 dauerkranke Lehrkräfte, Tendenz steigend, es fehlen zahlreiche Fachlehrerinnen und Fachlehrer, scharenweise flüchten Junglehrer aus Berlin. Das ist die traurige Realität nach zehn Jahren rot-roter Bildungspolitik.

Um das Berliner Bildungssystem sozial gerechter zu machen, bedarf es mehr. Dafür reichen Reformen auf dem Papier nicht aus. Echte Reformen verlangen eine entsprechende gute personelle und materielle Ausstattung vor Ort. Echte Reformen bedürfen auch, dass die Schulen und Kitas vor Ort unterstützt und nicht allein gelassen werden. Nur so kann mehr Chancengleichheit in den Bildungseinrichtungen erreicht werden.

In diesem Zusammenhang sage ich: Ja, die Schulstrukturreform ist richtig gewesen, und sie geht auch in die richtige Richtung.

[Dr. Felicitas Tesch (SPD): Aha!]

Aber zu dieser wichtigen Schulstrukturreform, liebe Frau Dr. Tesch, mussten wir Sie hier treiben. Sie sind nicht allein auf die Idee gekommen.

[Lars Oberg (SPD): Absurde Legendenbildung!]