Protocol of the Session on March 9, 2017

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Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 7. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Vertreterinnen und Vertreter der Medien recht herzlich.

Ich darf zu Beginn der Sitzung den neuen Staatssekretär für die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, Herrn Sebastian Scheel, begrüßen. – Herzlich willkommen in unserem Haus und auf gute Zusammenarbeit!

[Allgemeiner Beifall]

Zunächst habe ich Geschäftliches mitzuteilen. Am Montag sind folgende sechs Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen – ich bitte um ein bisschen Ruhe! –:

− Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „Die Hälfte der Macht den Frauen – Berlin tritt ein für Gleichstellung und Selbstbestimmung.“

− Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Regierender? Aufsichtsratsvorsitzender? Müller steht für Stillstand, Rückschritt, Personalwechsel an Deutschlands peinlichster Baustelle“

− Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema: „Die Hälfte der Macht den Frauen – Berlin tritt ein für Gleichstellung und Selbstbestimmung.“

− Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „Die Hälfte der Macht den Frauen – Berlin tritt ein für Gleichstellung und Selbstbestimmung.“

− Antrag der AfD-Fraktion zum Thema: „Kein Abschiebestopp in und für Berlin. Der Senat von Berlin muss für Berlin seine Verantwortung im Bund zur Rückführung von Migranten ernst nehmen.“

− Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Dauerchaos am BER – Berlin braucht Tegel mehr denn je!“

Ich lasse nun abstimmen, und zwar zunächst über den Antrag der Fraktion der SPD, Stichworte: Gleichstellung und Selbstbestimmung. – Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die drei Koalitionsfraktionen. Gegenstimmen? – Die Oppositionsfraktionen und der fraktionslose Kollege. Enthaltungen gibt es keine. Ersteres war die Mehrheit. Dann rufe ich dieses Thema für die Aktuelle Stunde unter dem Tagesordnungspunkt 1 auf, und zwar in Verbindung mit dem Tagesordnungspunkt 34. Die anderen Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde haben damit ihre Erledigung gefunden.

Ich möchte auf die Ihnen vorliegende Dringlichkeitsliste mit dem Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Danach haben sich die Fraktionen darauf verständigt, die nach dem Redaktionsschluss eingegangenen Vorgänge

unter den Tagesordnungspunkten 4, 5, 18 b und c, 21, 22, 22 A und 41 A in der heutigen Sitzung zu behandeln. Ich gehe davon aus, dass diesen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. – Widerspruch höre ich nicht, dann ist dies so beschlossen. Auf die Ihnen vorliegende Konsensliste darf ich ebenfalls hinweisen und stelle fest, dass dazu kein Widerspruch erfolgt. Die Konsensliste ist damit so angenommen.

Zur heutigen Plenarsitzung sind folgende Senatsmitglieder wie folgt entschuldigt: Herr Senator Dr. Lederer ganztägig, Grund ist die Teilnahme an der Europaministerkonferenz in Brüssel, sowie Herr Senator Dr. Behrendt ab ca. 14 Uhr, Grund ist die Teilnahme an der Wahl von Richterinnen und Richtern für das Bundesverwaltungsgericht.

Ich rufe nun auf

lfd. Nr. 1:

Aktuelle Stunde

gemäß § 52 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

„Die Hälfte der Macht den Frauen – Berlin tritt ein für Gleichstellung und Selbstbestimmung.“

(auf Antrag der Fraktion der SPD)

in Verbindung mit

lfd. Nr. 34:

Selbstbestimmtes, gewaltfreies Leben für Frauen in Berlin

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/0183

Für die Besprechung der Aktuellen Stunde und für die Beratung des Tagesordnungspunktes 34 steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden kann. Es beginnt die Fraktion der SPD, und Frau Kollegin Çağlar hat das Wort. – Bitte schön, Frau Kollegin!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Solange es einen Weltfrauentag geben muss, um auf geschlechterspezifische Benachteiligungen aufmerksam zu machen, muss Gleichstellung als ressortübergreifendes Thema betrachtet werden. Das Thema Gleichstellung ist kein ideologisches Thema mehr, es ist ein Thema von Lebenswirklichkeiten. Politik darf sich nicht in private Entscheidungen einmischen: Wie viele Kinder sind gut? Steht der Mann in der Küche oder doch lieber die Frau? Mit wem will ich meine Kinder großziehen, und

mit wem lebe ich zusammen? – Dies sind alles Entscheidungen, die die Politik nur in einer Sache beschäftigen dürfen: Alles muss dafür getan werden, dass Menschen diese Entscheidungen treffen können, ohne Nachteile befürchten zu müssen, nicht im Job, im Privaten oder in der Gesellschaft.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Die Gleichstellungspolitik ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie und unseres Grundgesetzes. Wie kann ein Mensch in Würde leben, wenn er aufgrund seines Geschlechts Nachteile zu erwarten hat, weil er als schwach und wenig belastbar angesehen wird? Die Förderung der tatsächlichen Gleichstellung ist erst seit 1994 im Grundgesetz verankert. Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Solange über Frauenquoten diskutiert und in Männer- und Frauenberufe unterschieden wird, muss das Thema einen dauerhaften Platz auf der politischen und gesellschaftlichen Agenda haben. Vorurteile und damit verbundene Nachteile müssen abgebaut werden. Der Gleichstellungspolitik wird häufig vorgeworfen, Frauen bevorzugen zu wollen. Gleichstellungspolitik bedeutet aber, eine gleiche gesellschaftliche Teilhabe für beide Geschlechter zu ermöglichen.

Die zweite Welle der emanzipatorischen Bewegung der Sechzigerjahre hat dazu beigetragen, Themen wie sexuelle Selbstbestimmung auf die Tagesordnung der Gesellschaft zu setzen, Themen, die wieder beim Grundgesetz und bei der Würde ansetzen und nichts mit der Angst mancher Männer zu tun haben. Gleichstellung ist kein Machtverlust und kein Umsturzversuch. Gleichstellung ist Menschenrecht.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Berlin ist bundesweit Vorreiter: Mit dem Landesgleichstellungsgesetz wurden Instrumente geschaffen, Gleichstellung politisch durchzusetzen. Diese Instrumente zeigen Wirkung und sind erfolgreich. Wir konnten Führungspositionen in Verwaltung und landeseigenen Betrieben mit hervorragenden Kolleginnen besetzen, die diese Betriebe zum Erfolg geführt haben. Auch an unseren Hochschulen können wir prozentual mehr Professorinnen begrüßen als alle anderen Bundesländer.

Berlin ist das erste Bundesland, das mit der Einführung von Gender-Budgeting in Senats- und Bezirksverwaltungen begonnen hat. Bei dem Gender-Budgeting-Verfahren zur systematischen Analyse und Gestaltung der öffentlichen Haushaltspolitik werden alle haushaltspolitischen Entscheidungen, Maßnahmen, Programme und Gesetze sowie die Haushaltspläne auf ihre Auswirkungen auf Frauen und Männer überprüft. Die Haushaltsplanung ist ein wichtiges politisches Steuerungsinstrument. GenderBudgeting basiert auf der Annahme, dass es keine geschlechtsneutrale Haushaltspolitik gibt und jeder öffentli

che Haushalt geschlechtsspezifische Auswirkungen hat. Hier zielt Gender-Budgeting darauf ab, für Frauen und Männer sowie Mädchen und Jungen den gleichen Zugang zu den öffentlichen Haushaltsmitteln sicherzustellen.

So groß unsere Erfolge sind, so weit ist aber auch in Berlin noch der Weg, den wir gemeinsam gehen müssen. Besonders Frauen werden immer wieder Opfer von Gewalt. Der heute von der Regierungskoalition eingebrachte Antrag fordert den Senat auf, Frauen besser vor Gewalt zu schützen. Der Bedarf der wachsenden Stadt muss berücksichtigt werden, und neue Formen psychischer Gewalt im Netz müssen ebenso bekämpft werden wie häusliche Gewalt.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Jedes Jahr wächst Berlin um eine mittelgroße Stadt. Unsere Frauenhäuser sind jetzt schon am Rande der Belastungsgrenze. Flankierende Angebote, nämlich Projekte, die vorher ansetzen, und Hilfsprogramme, die Frauen aus dem Frauenhaus heraus in ein selbstbestimmtes Leben begleiten, sind genauso wichtig wie ausreichend Platz in den Frauenhäusern in unserer Stadt.

Unser Antrag ermöglicht es, den Herausforderungen dieser wachsenden Stadt zu begegnen, das bestehende Hilfesystem weiter zu verbessern, ausreichend Schutzräume zu schaffen sowie den betroffenen Frauen und ihren Kindern mit einer angemessenen Infrastruktur zu helfen.

Wenn eine Frau in ein Frauenhaus muss, dann ist es bereits zu spät. Beratung, ambulante Angebote und Begleitung sind der Schlüssel, um den durch Gewalt zerstörten Familien eine Zukunft zu geben. Von realer physischer und psychischer Gewalt haben wir alle mehr oder minder eine konkrete Vorstellung. Ein eher abstraktes, aber sehr reales Problem ist die psychische Gewalt im Internet. Diese trägt viele Namen: Cybermobbing, Cybergewalt, Cybersexismus. Gefahren, die tief in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen und deren Opfer zu 80 Prozent Frauen sind, anonyme Drohungen, die ängstigen und plötzlich den Alltag bestimmen, Verletzung der Privatsphäre durch heimlich aufgenommene oder unberechtigt veröffentlichte sehr private Bilder und die Angst, durch Job oder Freunde die gesellschaftliche Anerkennung zu verlieren, führen nicht selten in einen psychologischen Beratungsbedarf, bis hin zu dokumentierten Suiziden.

Die Möglichkeit, das Leben von Menschen anonym vom PC aus zu zerstören, ist keine abstrakte Phantasie aus einem Film, sondern tägliche Realität, auf Schulhöfen, im Job und im Alltag. Diese neue Form von Gewalt benötigt neue Antworten. Die Medienkompetenz muss durch die Schulen ebenso gestärkt werden wie das Beratungsangebot für betroffene Frauen.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Hierzu zählen die Vernetzung, die Gremienarbeit sowie die Schulung von Multiplikatoren. Betroffene müssen durch gezielte Angebote darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie nicht allein sind, sondern dass es Hilfe gibt und dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist.

Unser Antrag sichert die gesellschaftliche Teilhabe von Frauen, die zu Opfern werden. Er sorgt für Selbsthilfe, aber verbessert gleichzeitig auch die konkreten Hilfsangebote. Weiterhin zeigt der Antrag, dass das Internet als reale Gefahrenquelle für Gewalt und Mobbing anerkannt wird und konkrete Maßnahmen getroffen werden. So stellen wir sicher, dass Berlin weiterhin eine lebenswerte Stadt bleibt, und wir alles dafür tun, Gewalt- und Mobbingopfer zu schützen und ihnen ins Leben zurückzuhelfen. Dieser Antrag ist der erste Schritt des Weges, den Berlin weiter für ein gerechtes Zusammenleben gehen wird.

Wir werden das gleichstellungspolitische Rahmenprogramm neu auflegen und auch die Belange jüngerer und älterer Generationen in den Blick nehmen. Wir werden weiter daran arbeiten, dass es eine reale Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt gibt, und zwar nicht nur in der Verwaltung und in den landeseigenen Betrieben, sondern auch in der Privatwirtschaft. Wir werden geeignete Maßnahmen installieren, um der Mehrfachdiskriminierung wirksam entgegenzuwirken, und wir werden das Verbandsklagerecht im Landesgleichstellungsgesetz verankern.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Wir zeigen uns solidarisch mit den Frauen, die vor Krieg und Verfolgung geflüchtet sind. Hierfür werden wir ein Hilfesystem sowie ein ausdifferenziertes Angebot schaffen.

Mit diesen und vielen anderen Maßnahmen wird Rot-RotGrün weiterhin dafür sorgen, dass Berlin noch gerechter, noch offener und noch lebenswerter wird. „Die Hälfte der Macht den Frauen!“ – so steht es im Koalitionsvertrag, und diesen Titel nehmen wir wörtlich. Rot-Rot-Grün wirkt! – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Vielen Dank, Frau Kollegin! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt Frau Kollegin Vogel das Wort. – Bitte sehr!