Protocol of the Session on March 23, 2017

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Meine sehr geehrte Damen und Herren! Ich eröffne die 8. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Ich begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Vertreterinnen und Vertreter der Medien sehr herzlich. Besonders darf ich die Auszubildenden im zweiten Ausbildungsjahr und die Dualstudierenden des Jahrgangs 2016 bei der Berliner Stadtreinigung als unsere Gäste begrüßen. – Herzlich willkommen!

[Allgemeiner Beifall]

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte Sie, sich zu erheben.

[Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.]

Gestern Nachmittag hörten wir die Nachricht, dass in unserer Partnerstadt London ein Anschlag in der Nähe des Parlaments verübt wurde. Dabei kamen, soweit wir im Moment wissen, neben dem Attentäter drei Menschen ums Leben. Etwa 40 Menschen wurden verletzt, zum Teil schwer. Unsere Gedanken sind bei den verletzten Opfern und den Angehörigen der Ermordeten. Unsere Gedanken sind bei den britischen Freunden. Erinnerungen an den Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz werden wach. Es werden ganz offensichtlich gezielt in europäischen Hauptstädten Terroranschläge verübt.

In London wurde nun das Herzstück einer jeden Demokratie angegriffen – das Parlament. Das Ziel dieser Anschläge ist klar, es soll Angst verbreitet werden. Über die Verunsicherung bei den Menschen erhoffen sich die Terroristen die Destabilisierung unseres politischen Systems und unserer Wertegemeinschaft. Das wird nicht gelingen. Wir haben verstanden, dass unsere Werte, die unser Leben bestimmen und ausmachen, zu verteidigen sind, und das werden wir tun, ohne Wenn und Aber. Wir leben in Europa in rauen Zeiten. Mehr als bisher sollte uns bewusst werden, wie wichtig es ist, in Europa zusammenzustehen. Der Terrorismus ist eine Herausforderung für unseren ganzen Kontinent. Lassen wir uns nicht einschüchtern! Es gilt: Zusammen sind wir stark! Unser Mitgefühl und unsere Trauer gelten in diesen Tagen den Menschen in London.

[Gedenkminute]

Ich danke Ihnen, dass Sie sich zu Ehren der Opfer erhoben haben.

Zunächst habe ich Geschäftliches mitzuteilen. Am Montag sind folgende fünf Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

− Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „Berlin investiert in seine Bildungsinfrastruktur“

− Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Desaströse Bilanz von 20 Jahren SPD-Schulsenat: Frau Scheeres, darum ist mein Schulapschluss in den anderen Bundeslendern nichts währt!“

− Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema: „Berlin investiert in seine Bildungsinfrastruktur“

− Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „Berlin investiert in seine Bildungsinfrastruktur“

− Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Bildungsspiegel an der Wand – welches ist das schlechteste Bildungsland?“

Die AfD-Fraktion hat kein Thema angemeldet.

Die Fraktionen haben sich auf die Behandlung des Antrags der Fraktion der FDP „Bildungsspiegel an der Wand – welches ist das schlechteste Bildungsland?“ verständigt, sodass ich dieses Thema gleich in der Aktuellen Stunde unter dem Tagesordnungspunkt 1 aufrufe. Die anderen Anträge auf Aktuelle Stunde haben damit ihre Erledigung gefunden.

Dann möchte ich auf die Ihnen vorliegende Dringlichkeitsliste mit dem Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, die dort verzeichneten und nach Redaktionsschluss eingegangenen Vorgänge unter den Tagesordnungspunkten 5, 14, 15, 16, 17, 18, 38 A und 38 B in der heutigen Sitzung zu behandeln. Auf die Ihnen vorliegende Konsensliste darf ich ebenfalls hinweisen und stelle fest, dass dazu kein Widerspruch erfolgt. Die Konsensliste ist damit so angenommen.

Entschuldigungen von Senatsmitgliedern für die 8. Sitzung: Herr Senator Geisel ist bis ca. 16.30 Uhr abwesend, Grund ist die Teilnahme an der SPD-Innenministerkonferenz in Düsseldorf vom 22. bis 23. März 2017, und Frau Senatorin Scheeres ist ab ca. 16.30 Uhr abwesend, Grund ist die Teilnahme an der Koordinierungssitzung der für Arbeit und Soziales, Familien, Senioren, Frauen und Jugend zuständigen Ministerinnen der SPDgeführten Ressorts des Bundes, der SPD-Ministerinnen und der SPD-Bundestagsfraktion.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 1:

Aktuelle Stunde

gemäß § 52 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

„Bildungsspiegel an der Wand – welches ist das schlechteste Bildungsland?“

(auf Antrag der Fraktion der FDP)

Für die Besprechung der Aktuellen Stunde steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden

kann. Es beginnt die Fraktion der FDP. – Herr Kollege Fresdorf, bitte schön, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Sozialdemokraten jedweder Couleur. Jetzt erschüttere ich mal Ihr Weltbild.

[Beifall bei der FDP und der AfD – Torsten Schneider (SPD): Ach, du meine Güte!]

Uns Liberalen ist es sehr wichtig, dass das Elternhaus des Kindes unerheblich ist, wenn es um den Bildungserfolg geht. Bildung ist der Schlüssel zur Chancengleichheit. Bildung ist der Schlüssel zum Aufstieg. Bildung ist der Schlüssel zur Freiheit des Individuums und der Gesellschaft, und das ist unser Ziel. Als Freie Demokraten stehen wir für eine freie Gesellschaft ein, in der jeder die gleichen Chancen hat. Uns interessiert nicht, wo die Menschen herkommen, wer ihre Eltern sind, was für Wurzeln sie haben. Uns interessiert, wo sie hinwollen. Bitte verwechseln Sie Chancengleichheit aber nicht mit Ergebnisgleichheit, denn dann sind wir gleich wieder bei Ihrer Politik.

Unter sozialer Bildungspolitik verstehen wir Chancengleichheit, und das ist dann auch eine gerechte Politik, denn am Ende geht es um die Freiheit, seinen eigenen Lebensentwurf zu gestalten. Jeder Bürger sollte das Recht haben, sich die Ausbildung zu suchen, die ihm zusteht, und sollte die Möglichkeit haben, den für ihn oder sie höchsten Abschluss zu erreichen, der im Rahmen der individuellen Möglichkeiten erreichbar ist. Das ist soziale Gerechtigkeit, und dafür braucht es liberale Bildungspolitik.

[Beifall bei der FDP]

Vor lauter verzweifelter Gleichmacherei sehen Sie schon gar nicht mehr, was bildungspolitisch in dieser Stadt passiert. Die Gleichmacherei nützt nichts. Regelmäßig erfahren wir diese Tatsache schwarz auf weiß, ob es nun die VERA-Ergebnisse sind, die IQB-Studie oder der Chancenspiegel der Bertelsmann-Stiftung. Das Ergebnis von 20 Jahren sozialdemokratischer Bildungspolitik in Berlin ist, dass das Elternhaus der Kinder eine Rolle spielt. Und dabei sind Sie doch angetreten, um genau das zu ändern. 20 Jahre bröckelnde Schulgebäude und Bildungsniveaus – so darf es nicht weitergehen, wenn Ihnen die Zukunft der Berliner Schülerinnen und Schüler und die Zukunftsfähigkeit unserer Stadt wirklich wichtig sind.

Heute müssen Ihnen die Freien Demokraten erklären, was sozial und gerecht in der Bildungspolitik ist.

[Lachen bei der LINKEN]

Wissen Sie was? – Das mache ich gern, denn es liegt mir viel daran.

[Wolfgang Albers (LINKE): Ich habe schon angerufen, dass es heute später wird!]

Schön! – Aber bevor wir dazu kommen, lassen Sie uns noch einmal auf die hundert Tage des neuen Senats schauen. – Genau genommen sind es nicht die ersten hundert Tage für Sie, Frau Senatorin Scheeres, denn Sie haben schon Ihre 1 900 und ein paar zerquetschte Tage im Amt hinter sich, was das alles jedoch nicht besser macht. Aber es lag bestimmt nicht an Ihnen, sondern an den Koalitionspartnern der letzten 20 Jahre. – Oder, Frau Bentele?

Ich fasse noch einmal zusammen, was wir in den vergangenen hundert Tagen im Bildungsbereich hatten: Kitaplätze zu schaffen, ist eine Ihrer Prioritäten, und das finden wir toll. Wenn es sich dabei jedoch um eine reine Aufbewahrungseinheit handelt, in der oft nur noch unerfahrene Quereinsteiger sind, sagen wir stopp. Damit ändern Sie nichts, sondern hängen weiterhin ein nicht funktionierendes System an den Tropf, denn wenn Sie nur auf Quantität anstatt auf Qualität achten, dann ändern Sie nichts daran, dass am Ende wieder Schülerinnen und Schüler auf einem Leistungsniveau kleben bleiben, das in der Kita durch eine gute, frühkindliche Bildung und eine erfolgreiche Vorschularbeit hätte verbessert werden können.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Kinder, die in Berlin die Kita verlassen, müssen eines sein: beschulbar! Das ist deswegen so wichtig, weil Sie sonst Schülerinnen und Schüler in den ersten Klassen sitzen haben, die zwar die Worte verstehen, aber mit dem Inhalt nichts anfangen können. Wenn das passiert, dann erzeugen Sie schnell Bildungsverlierer, und diese darf es nicht geben, wenn die Lösung doch so einfach zu erreichen wäre. Sie müssen neben einem Kitaentwicklungsplan, der die Bedarfe in den Bezirken genau feststellt, dafür werben, dass wir in Berlin gut ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher bekommen. Was nützt eine ausreichende Gesamtzahl an Kitaplätzen, wenn Sie freie Plätze in Hellersdorf haben und eine Familie aus Reinickendorf den Kitaplatz benötigt? Machen Sie den Beruf des Erziehers attraktiver, durch eine bessere Bezahlung und durch bessere Betreuungsverhältnisse, die auch dazu führen, dass Kinder mehr gefördert und gefordert werden können, die aber auch dazu führen, dass Erzieher wieder Spaß an ihrer Arbeit haben.

[Zuruf von den LINKEN]

Auch hier gehören wir in Berlin, was den Betreuungsschlüssel im Bundesvergleich betrifft, nicht gerade zur Spitzengruppe – ein leider allzu bekanntes Gefühl, wenn wir über die Bildung in Berlin reden. Als einen weiteren Punkt haben wir die Schulsanierung. Der Ansatz ist richtig! Sie haben gut 5 Milliarden Euro angesetzt, um diese innerhalb von zehn Jahren zu investieren, aber wahrscheinlich werden sie nicht ausreichen.

Wichtig wird sein, wie, wann und wo das Geld investiert werden soll. Wer soll denn die Milliarden verbauen? – werden wir bald wieder hören. Das Geld war da, aber es

(Präsident Ralf Wieland)

wurde nicht abgerufen. Einen Schwarzen Peter finden Sie dann immer relativ schnell, und das sind in der Regel die Bezirksämter. Sie lassen die Zuständigkeiten in den Bezirken, aber statten diese nicht mit genügend Personal aus – und wenn, dann in einer so geringen Anzahl, dass das schon fast die Dosis von homöopathischen Mitteln hat. Aber die Lösung steht in Ihrem Koalitionsvertrag: Die landeseigenen Gesellschaften zum Neubau oder zur Sanierung der Schulen sollen es richten. Nur, wie lange soll das dauern?

[Zuruf von Stefan Gelbhaar (GRÜNE)]

Wann können diese Gesellschaften ihre Arbeit aufnehmen? In Hamburg haben die landeseigenen Betriebe für Schulbau und -sanierung nach drei Jahren angefangen, erfolgreich zu arbeiten. Es kommt also darauf an, da schnell einen Anschluss zu finden und nicht noch monatelang zu zögern. Es wurde bis jetzt noch keine dieser Gesellschaften gegründet. Das wird dann wohl eher schwierig mit der Herkulesarbeit der Schulsanierung. Ich befürchte, dass es zum großen Teil bei einer Ankündigungspolitik bleiben wird – und dies zu Lasten unserer Schülerinnen und Schüler.

Was hatten wir noch? – Wir hatten vor einigen Jahren mal die Rütli-Schule, und jetzt haben wir die ReuterSchule. Was ist denn da los? Wo wird denn dort von Ihnen mal Verantwortung übernommen? Wohin geht das Geld aus dem Bonusprogramm? Wie lange dauert es, bis Probleme gelöst werden? Es kann doch nicht sein, dass – trotz all dieser Programme – die Zahl der Schulschwänzer nicht wirklich sinkt, Schulen abdriften, Lehrer sich mit Schülern prügeln oder anders herum – das wird gerade noch geprüft. Da wird sehr viel Geld für Bonusprogramme in die Hand genommen. Rechnet mal jemand nach, wie erfolgreich das ist? Werden auch Schülerinnen und Schüler und die Eltern in diese Evaluation mit einbezogen? – Nein!

Ich fasse kurz zusammen: Die Wiederholung ist bekanntlich die Mutter der Didaktik. Sie, also Ihre Koalition, können Schule nicht!

[Zurufe von den LINKEN und den GRÜNEN]