Protokoll der Sitzung vom 25.10.2000

auf der einen Seite der staatstragende Redner, Herr Reinhart, und auf der anderen Seite der Wadenbeißer, der hinterher kommt und sich in der Rolle des Laurenz Meyer versucht. Aber ich sage Ihnen, Herr Hauk: Wenn der Neue so beginnt, dann erleidet er wie sein Vorgänger Schiffbruch.

(Abg. Döpper CDU: Was hat das mit dem Thema zu tun? – Abg. Seimetz CDU: Haben Sie Sorgen!)

Ich sage Ihnen eines: Wenn Sie die Bürgerinnen und Bürger bei diesem Thema mitnehmen wollen, dann müssen Sie für Vertrauen sorgen und dürfen Sie nicht zu der Strategie greifen, dass der eine in die Zukunft weist und die Integration von Europa beschwört und der andere die Menschen aufhetzt. Ich finde das wirklich empörend.

Am Beispiel der Agrarpolitik kann man eines deutlich machen: Ihre eigene Vorgängerregierung in Bonn und Berlin hat die Weichen für die Agenda 2000 gestellt. Sie wissen ganz genau, dass die künftige Agrarpolitik auf zwei Säulen ruht. Die eine ist die Marktöffnung, der sich keine nationale Regierung in Europa widersetzen kann, und die andere sind die flankierenden Maßnahmen, die die Chancen für den ländlichen Raum bieten, die Sie angesprochen haben: der Landwirtschaft die Existenz zu sichern und den Menschen im ländlichen Raum zu helfen.

Wenn Sie das in aller Sachlichkeit ansprechen würden, kämen wir mit dem europäischen Gedanken auch im ländlichen Raum weiter.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage? – Der Abgeordnete gestattet die Frage nicht.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Entschuldigung, ich dachte das sei eine Wortmeldung!)

Ich habe gefragt, solange Sie hier waren, und dann sind Sie weggegangen, und dabei bleibts.

Das Wort hat Herr Staatssekretär Stächele.

(Beifall des Abg. Rech CDU – Allgemeine Heiter- keit – Abg. Capezzuto SPD: Er hat doch noch gar nichts gesagt! – Gegenruf des Abg. Rech CDU: Ach so!)

Ich darf feststellen, dass es im Landtag nicht verboten ist, Beifall zu bekunden, ohne dass jemand spricht.

(Heiterkeit und Beifall bei allen Fraktionen – Abg. Pfister FDP/DVP: Bravo!)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich für den vorauseilenden Beifall. Das tut gut, wenn man ans Rednerpult kommt.

Ich finde es gut, dass wir wieder einmal über Europa diskutieren, und irgendwie gehört dazu auch ein bisschen Leidenschaft; die gehört zu einer Parlamentsdebatte. Das schadet Europa nicht, ganz im Gegenteil: Manches, was gesagt wird, bringt neues Nachdenken und kann dann auch fortentwickelt werden.

Ich will gerne auch einen Rückblick wagen, lieber Herr Dr. Caroli. Wenn man über die Agenda spricht, muss man zumindest sagen, dass aus unserer Sicht die 50-prozentige Kofinanzierung viel zu früh fallen gelassen worden ist.

(Abg. Kiefl CDU: Sehr gut!)

Das ist der entscheidende Makel der Agenda, die damals in Berlin verabschiedet wurde.

(Abg. Dr. Hildebrandt Bündnis 90/Die Grünen: Richtig! Aber wie hätten Sie es gemacht?)

Aber der Europabericht, der hier zur Debatte steht, ist ja weniger dazu angetan, Rückblick zu halten. Er enthält sicher eine wertvolle Materialsammlung – im Rückblick. Aber wenn er später diskutiert wird, lohnt es sich, zu sagen, wo wir jetzt sind und was wir als Land beitragen können, damit es in Europa im Interesse Baden-Württembergs vernünftig weitergeht.

Insofern ist es eine gute Tradition, wenn wir ein bisschen reflektieren. Wo stehen wir bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit? Dazu ist wenig gesagt worden. Deshalb will ich sagen: Wir stehen gut da. Im Bodenseeraum und am Oberrhein funktioniert sie. Das ist ohne weiteres eine Erfolgsstory.

Zur Frage, wie die Regionen zusammenarbeiten, gibt es alle Jahre wieder den dringenden Appell, dass wir uns doch etwas mehr mit den „Vier Motoren“ beschäftigen sollten.

(Beifall der Abg. Lieselotte Schweikert FDP/DVP)

Dieser Appell richtet sich nicht allein an die Landesregierung, sondern es ist auch eine Sache des Parlaments, inwieweit wir es schaffen, in den bestehenden Arbeitskreisen etwas Leben zu entfachen. Ich gebe allerdings zu, dass es nicht immer unbedingt unsere Schuld ist, wenn der andere Motor etwas ins Stottern gerät und wir den Partner nicht so vorfinden, wie wir es gerne hätten.

Ein Drittes, das mit den Jahren immer wichtiger wird, ist, dass wir uns als Land positionieren im Blick auf die weitere europäische Integration und die Fragen: Was für Chancen haben die Länder im zukünftigen Europa, wie können sie sich positionieren, oder – vielleicht etwas gehässig gefragt – bleiben die Länder auf der Strecke?

Wenn ich sage, wir steckten mit den Geschicken Europas gegenwärtig fast in einer Gezeitenwende, so ist das nicht übertrieben. In der Tat: In den nächsten Jahren wird sich außerordentlich viel abspielen.

Ich bin erschrocken, als ich dieser Tage in der „Welt am Sonntag“ dieses große Interview mit Helmut Schmidt gelesen habe. Er sagt tatsächlich in der Antwort auf eine Frage: Leute, macht euch nichts vor. Sinngemäß sagt er weiter: Das Ding kann auch stecken bleiben, das Ding kann auch scheitern.

(Abg. Schonath REP: Hoffentlich!)

Damit kommt zum Ausdruck: Wir befinden uns gegenwärtig in einem Quantensprung, den es auch vonseiten des Landes intensiv zu begleiten gilt. Denn in der Tat, das Thema „Europa, quo vadis?“ steht im Mittelpunkt der Diskussion und hat in diesem Zusammenhang viele jüngere Reden bestimmt. Deswegen lohnt es sich, einmal darauf zu schauen, was da aktuell geht.

Eines ist sicher: Nach der Monnet-Methode

(Abg. Ingrid Blank CDU: Nach was?)

nach der Monnet-Methode; ich erkläre es gleich noch –,

(Heiterkeit – Abg. Ingrid Blank CDU: Er hat die Nachfrage provoziert!)

dass man Europa nur wirtschaftlich Stück um Stück erweitert und hofft, dass das andere automatisch nachfolgt, geht es nicht mehr. Man muss sich jetzt Gedanken machen, wie eine europäische Ordnung der Zukunft aussehen soll. Das funktioniert nicht wie bisher. Helmut Schmidt glaubt, man könne nach dieser Methode weiterstricken. Im Gegensatz zu ihm bin ich der Meinung, dass dies so nicht möglich ist.

Der Blick richtet sich nun unweigerlich auf die aktuelle Regierungskonferenz. Wenn man sich zunächst die Tagesordnung der Regierungskonferenz ansieht,

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

könnte man meinen, dass das, was jetzt ansteht, im Rückblick auf Maastricht, wo es um die große Währungsunion ging, geradezu kleiner Natur sei, dass es sich um technische Details handle. Dies wäre jedoch eine irrige Meinung. Denn gegenwärtig geht es tatsächlich um Dinge, bei denen man gleich erkennen muss: In dieser Union wird im Grunde die Machtfrage gestellt. Es geht im Grunde um eine Verfassungsdiskussion, es geht ganz klar um die Frage, wer wo was und mit welchem Gewicht gestalten kann.

Es geht um die Stimmengewichtung im Ministerrat. Meine Damen und Herren, wenn man sieht, welche legislatorischen und exekutiven Befugnisse der Ministerrat hat, dann kann einem nicht egal sein, wie dort entschieden wird. Ich sage auch zu meinen europäischen Freunden immer wieder: Das ist keine Großmannssucht der Deutschen. Es ist auch kein Großmannsgehabe, wenn man sagt: Wir wollen im Grunde eine demokratische Legitimation. Das heißt – one man, one vote –, auch in diesem Gremium muss sich die Bevölkerungszahl einigermaßen richtig widerspiegeln. Da stehen eben auf der einen Seite 82 Millionen Deutsche und auf der anderen Seite 400 000 Luxemburger. Das heißt, diese Stimmengewichtung muss bei dem wachsenden Gestaltungsspielraum der europäischen Ebene durchgehend demokratisch fundiert sein. Nur so kann man auch bei der Bevölkerung Verständnis wecken.

(Beifall des Abg. Kluck FDP/DVP)

(Staatssekretär Stächele)

Wir Deutsche sind lange unisono – Länder wie Bund – für die doppelte Mehrheit eingetreten. Das würde heißen: Im Ministerrat wird abgestimmt. Aber eine Mehrheit ist nur dann eine Mehrheit, wenn hinter einer solchen Mehrheit gleichzeitig die Mehrheit der Bevölkerung steht – einleuchtend, gutes Modell.

In den letzten Tagen hat sich dann doch gezeigt, dass es in Nizza, wenn im Dezember die aktuelle Regierungskonferenz ihren Abschluss findet, so wohl nicht kommen wird. Es wird wohl so sein, dass die Stimmengewichtung im Ministerrat, in den Räten neu verteilt wird. Man wird einen Multiplikator einführen. Ich vermute, dass man mit drei multipliziert und dann noch austariert. Das wäre durchaus ein akzeptables Ergebnis für uns.

(Abg. Rech CDU: Das wäre nicht schlecht!)

Dann hätte Deutschland 33 Stimmen. Das wäre ein ungeheurer Fortschritt gegenüber Frankreich, weil damit im Grunde die Ausgangslage verlassen würde. Großbritannien, Italien und Frankreich hätten 30 Stimmen. Spanien möchte mit allem Ehrgeiz und mit aller Gewalt den anderen gleichgestellt werden, würde sich aber mit 27 Stimmen begnügen müssen.

Es ist nicht nur Stimmenarithmetik, sondern in diesem Gremium, in diesem Rat wird entschieden, wie es künftig weitergeht, und werden im Grunde – damit wiederhole ich mich – legislatorisch und exekutiv Entscheidungen getroffen, die für die 360 Millionen Europabürger insgesamt gelten.

Zur Zahl der EU-Kommissare gibt es noch kein Ergebnis. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Land wie Deutschland aufgrund eines Rotationssystems auf europäischer Ebene irgendwann ohne einen Kommissar dastehen könnte.

Nächster Punkt: Die Beratungen über Mehrheitsentscheidungen sind sehr zähflüssig. Auch wenn Handlungsfähigkeit und Entscheidungsfähigkeit geboten sind, auch im Blick auf die Osterweiterung: Vieles berührt sofort den Kern nationaler Zuständigkeiten. Oft berührt es auch – da sind wir als deutsche Bundesländer hellwach – die Länderzuständigkeiten.

(Unruhe)

Im Zweifel wird man ein Mehrheitsentscheidungsprinzip für die Außenpolitik und den Außenhandelsbereich finden; man wird auch in Teilen der europäischen Asyl- und Innenpolitik Mehrheitsentscheidungen fällen müssen. Ich kann mir vorstellen, dass man durchaus auch im Sozialbereich Rahmendaten setzen wird. Wo wir allerdings von vornherein eine deutlich abwehrende Haltung einnehmen, sind klassische, föderale – –

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)