Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Weiterentwicklung des dualen Systems der Berufsausbildung erfordert auch grundlegende Reformen der beruflichen Schulen. Leider ist es so weit gekommen, dass wir heute eine Aufwertung des Dualpartners Berufsschule im Sinne eines gleichberechtigten Partners neben Wirtschaft und Betrieb einfordern müssen.
Gleichwohl, meine Damen und Herren, will ich zu Beginn feststellen, dass an dieser Schulart eine hervorragende Arbeit geleistet wird,
und das bei oft widrigen Umständen. Trotzdem wurde an den beruflichen Schulen eine Vielzahl von Neuerungen zur Weiterentwicklung der berufsqualifizierenden Bildungsgänge auf den Weg gebracht, worüber die Antwort auf die Große Anfrage ausführlich Auskunft gibt. Unsere Erkenntnis, dass das berufliche Schulwesen letztendlich eine einzige große Baustelle ist, ist durch das 49-seitige Werk dieser Großen Anfrage nun auch schriftlich belegt worden. Da reiht sich Schulversuch an Schulversuch bei den Berufskollegs, Lehrpläne wie die an den zweijährigen Berufsfachschulen werden laufend untersucht und analysiert statt einer Revision unterzogen, Lernfelder werden erprobt oder weitere Modellversuche zur Lernortkooperation durchgeführt.
Dabei würde es sich doch, meine Damen und Herren, im Sinne notwendiger Flexibilität und Attraktivität beruflicher Schulen viel einfacher machen lassen, wäre die Kultusbürokratie bereit, mehr Kompetenzen im Sinne von mehr Schulautonomie an die Schulen direkt vor Ort zu geben.
Aber selbst derjenige, der die Vielfalt und leistungsbezogene Differenzierung des beruflichen Schulwesens unkritisch bewertet, wird nicht umhinkommen, zuzugeben, dass ihre Basis das eigentliche Problem darstellt. Auch wenn von dieser Basis, nämlich der Berufsschule, in der Großen Anfrage kaum die Rede ist, so bleibt doch immerhin die Tatsache bestehen, das ca. 60 % aller Schüler die Berufsschule in Teilzeitform im Rahmen der dualen Berufsausbildung besuchen.
Wenn ein Teil dieser Auszubildenden den Anforderungen moderner Berufe an die kognitiven Fähigkeiten nicht mehr gerecht wird, meine Damen und Herren, so trägt diese Landesregierung letztlich auch dafür die Verantwortung. Wer denn sonst?
Die jahrelange strukturelle Unterversorgung der beruflichen Schulen ist nachweisbar an den 25 000 ausgefallenen Pflichtstunden des vergangenen Schuljahres, die umgerechnet immerhin 1 025 fehlende Lehrkräfte bedeuten.
Die Zahlen, die uns jetzt vorliegen, zeigen einen noch viel größeren Unterrichtsausfall. Zum Beispiel liegt im Zuständigkeitsbereich des Oberschulamts Stuttgart der Durchschnitt an den gewerblichen Schulen im wissenschaftlichen Unterricht bei 10,2 % und im fachpraktischen Unterricht bei 9,1 %. Deshalb müssen wir doch zumindest leicht zweifeln, dass die vorgelegten Zahlen des Ministeriums nicht geschönt wurden.
Den 60 % Teilzeitberufsschülern wird seit Jahren der Pflichtunterricht von 13 Wochenstunden vorenthalten.
(Abg. Wieser CDU: In welchem SPD-Land gibt es denn 13 Stunden, Herr Kollege? – Gegenruf des Abg. Zeller SPD: In allen! – Gegenruf des Abg. Wieser CDU: In keinem gibt es das!)
Das Defizit liegt hier selbst unter Vernachlässigung aller Krankheitsausfälle, meine Damen und Herren, bei sage und schreibe 14 %.
Da reichen natürlich die vor der Wahl bereitgestellten 200 zusätzlichen Deputate für die beruflichen Schulen bei weitem nicht aus. Ich weise im Landtag bekanntlich seit Jahren darauf hin,
Katastrophal bleibt ebenfalls die Bilanz bei den benachteiligten und lernschwächeren Jugendlichen, die das BVJ absolvieren. Nach der amtlichen Statistik erreichen nur ca. 10 % von ihnen den Einstieg in eine duale Berufsausbildung.
(Abg. Wieser CDU: Und warum? Weil Sie den kleinen Facharbeiter nicht zulassen! Wegen ideo- logischer Scheuklappen! Sie haben Hunderte zu Hilfsarbeitern gemacht! – Unruhe)
Und obwohl, meine Damen und Herren, unbestritten eine kontinuierliche sozialpädagogische Betreuung des BVJ unverzichtbar wäre, kann uns diese Landesregierung nicht einmal sagen – –
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hinzufügen: Dass Ihnen das alles unangenehm ist und dass Sie das nicht hören wollen, das verstehe ich vollauf. Aber ich muss es Ihnen trotzdem weiterhin sagen.
Und obwohl also unbestritten ist, dass eine kontinuierliche sozialpädagogische Betreuung des BVJ unverzichtbar ist, kann uns diese Landesregierung nicht einmal sagen, bis wann die Schulsozialarbeit endlich flächendeckend eingeführt ist.
Zur Lehrersituation hat Frau Kuri gesprochen – nur nicht das Entscheidende! Denn schon heute ist die Lage dramatisch, weil die Nachwuchssorgen in Bezug auf das Lehramt an den beruflichen Schulen regelrecht kulminiert sind. Fakt
ist, dass die Studierendenzahlen in den berufspädagogischen Studiengängen im Wintersemester 1999/2000 an den Universitäten in Karlsruhe und Stuttgart so niedrig waren, dass man sie angesichts der steigenden Bedarfszahlen aufgrund der Pensionierungen und der zunehmenden Schülerzahlen einfach vernachlässigen muss. Denn was sind zehn Lehramtsstudenten, die sich an einer Universität haben einschreiben lassen?
Selbst bei der Einstellungsrunde im vorigen Jahr, meine Damen und Herren, hat die Landesregierung, wie immer, unsere Warnungen, die wir in diesem Bereich schon seit Jahren aussprechen, in den Wind geschlagen. Bereits seit 1998 konnten die Plätze im Vorbereitungsdienst der Studienreferendare für die Berufsschulen nicht mehr vollständig besetzt werden. Auch hätte man viel früher merken müssen, dass der Quereinstieg für Fachhochschulabsolventen nicht attraktiv genug ist. Das ist das Problem.
Aber auch das war letztlich nur eine Folge der verfehlten Personal- und Einstellungspolitik des Landes. Als es noch genügend Bewerber gab, hat man sie auch bei den Berufsschulen leider nicht eingestellt. Im vorigen Jahr gab es 740 Bewerber, und nur 450 wurden eingestellt.
Unser Ziel ist, der Chancengleichheit im Bildungswesen immer wieder zum Durchbruch zu verhelfen. Deshalb werden wir die herausragende Qualifizierungsarbeit unserer beruflichen Schulen durch einen Stufenplan absichern und so den Erfordernissen der Lehrerversorgung und Lehrerfortbildung gerecht werden.
Wir setzen uns für eine zukunftsorientierte Sachausstattung insbesondere im Bereich der neuen Medien durch Unterstützung der Schulträger ein, statt eine Kürzung der Sachkostenbeiträge für berufliche Schulen um durchschnittlich 15 % vorzunehmen.
Herr Abgeordneter, tun Sie das, wenn Sie wieder Redezeit haben. Sie haben jetzt Ihre Redezeit um zweieinhalb Minuten überschritten.
Zum Schluss, Herr Präsident, ein letzter Satz: Wer den Fachkräftemangel im IT-Bereich in Baden-Württemberg wegen 18 000 unbesetzten Stellen bekämpfen will, muss zuerst den Aufnahmestopp an beruflichen Gymnasien und Berufskollegs abschaffen, meine Damen und Herren. Wenn 18 000 IT-Fachleute in BadenWürttemberg fehlen, dann muss die Zahl von 1 568 Ausbildungsplatzangeboten mindestens verdoppelt werden.