Protocol of the Session on January 28, 2003

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Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 108. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Aufnahmegenehmigung wurde erteilt.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Erinnerung und Gedenken geben unserer Zukunft ein humanes Fundament; denn die Rechenschaft über das Gestern ist Maßstab für das Morgen. Der 27. Januar 1945, also der Tag, an dem vor 58 Jahren das Vernichtungslager Auschwitz befreit wurde, setzt ein Erinnerungszeichen, das uns mahnt: Nie wieder!

Der frühere Bundespräsident Roman Herzog hat den 27. Januar zum „Tag des Gedenkens für die Opfer des Nationalsozialismus“ erklärt. Das darf kein äußerlicher „Routine-Pflichttermin“ werden, im Gegenteil: Wir haben die innere moralische Verpflichtung, an das Unrecht zu erinnern und uns immer wieder von Neuem der ethischen und demokratischen Fundamente unseres Gemeinwesens zu vergewissern.

Heuer ragen weitere historische Ereignisse aus dem Strom der Erinnerung heraus, weil sich ihre Gedenktage runden. Sie stehen für die Zerstörung des Rechtsstaates, die Unterdrückung von Moral und Menschlichkeit und für Zivilcourage und Widerstand gegen das NS-Unrechtsregime.

Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 begann vor 70 Jahren eine Politik, die 12 Jahre später in der Katastrophe endete. Binnen kurzer Zeit waren die staatlichen Strukturen ausgehöhlt und die Grundrechte außer Kraft gesetzt. Die Nationalsozialisten ließen ihrem Hass gegen verfassungsmäßige Einrichtungen und gegen aufrechte Demokraten freien Lauf. Die demokratischen Parteien wurden verboten oder zur Selbstauflösung gezwungen. Agitation, Willkür und Gewalt der Straße machten auch vor den Parlamenten nicht Halt. Die föderative Ordnung des Reiches wurde zerschlagen. Bayern wurde nachgeordnete Reisprovinz und verlor für 12 Jahre seine Eigenständigkeit, die über 1000 Jahre gewährt hatte. Bereits in den ersten Wochen und Monaten nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurden zahlreiche bayerische Landtags- und Reichstagsabgeordnete eingeschüchtert, eingekerkert oder im KZ Dachau in so genannte „Schutzhaft“ genommen.

Das Konzentrationslager Dachau wurde ebenfalls vor 70 Jahren am 22. März 1933 als erstes Konzentrationslager in Deutschland errichtet. Hier wurden unzählige Menschen gedemütigt, gefoltert und ermordet, hier haben die Schergen der Vernichtungslager begonnen, den rassistischen Wahn in blutige Realität umzusetzen. Mehr als 200000 Gefangene wurde in diesem Todeslager registriert, über 30000 davon mussten ihr Leben lassen. Die menschliche Vorstellungskraft reicht kaum aus, die Leiden der Opfer zu begreifen: Arbeit bis zur völligen Erschöpfung, Hunger, dauernder Terror, grausame Misshandlungen unter dem Deckmantel medizinisch-wissen

schaftlicher Versuche und schließlich bei vielen ein qualvoller Tod.

Von dem Theologen Johann Baptist Metz stammt der Satz: „Auschwitz standzuhalten heißt nicht, Auschwitz zu begreifen. Wer hier begreifen wollte, hätte nichts begriffen.“ Anders formuliert: Wissen und Verstehen allein sind keine angemessenen Kategorien, weil sie eine abschließende Betrachtung und Einordnung nahe legen würden. Es geht vielmehr darum, sich immer wieder von Neuem bewusst zu machen, zu welcher Barbarei Menschen auch in unserem Land fähig gewesen sind. Wir sind es den Opfern und den Überlebenden der Todeslager schuldig, dafür Sorge zu tragen, dass die Sensoren in unserem Land dafür nicht abstumpfen.

Hier liegt eine zentrale Aufgabe der KZ-Gedenkstätten. Dachau und Flossenbürg sind Mahnmale in Bayern, die dauerhafte Zeichen gegen das Vergessen setzen. Sie sind Stätten der Erinnerung und des Gedenkens, aber – mehr noch – auch politische und ethische Imperative für alle Generationen.

Der Bayerische Landtag unterstützt ganz bewusst die Erinnerungsarbeit, insbesondere der KZ-Gedenkstätten. In der letzten Sitzung des Jahres 2002 haben wir Abgeordnete mit einem einstimmigen Votum das Gesetz über die Errichtung der „Stiftung Bayerische Gedenkstätten“ beschlossen. Zweck dieser Stiftung ist es – ich zitiere aus Artikel 2 des Gesetzes –, „die Gedenkstätten als Zeugen für die Verbrechen des Nationalsozialismus, als Orte der Erinnerung an die Leiden der Opfer und als Lernorte für künftige Generationen zu erhalten und zu gestalten, die darauf bezogene geschichtliche Forschung zu unterstützen und dazu beizutragen, dass das Wissen über das historische Geschehen im Bewusstsein der Menschen wach gehalten und weitergetragen wird.“

Der Freistaat hat in den zurückliegenden Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, die staatlichen Gedenkstätten Dachau und Flossenbürg in wesentlichen Teilen neu zu gestalten, ihre Ausstattung zu verbessern und sie stärker in die politische Bildungsarbeit einzubeziehen. Das Gesetz soll der Gedenkstättenarbeit einen neuen rechtlichen Rahmen und darüber hinaus kräftige Impulse geben. Der Bayerische Landtag setzt mit diesen Gesetz ein Zeichen, das über den politischen Alltag hinausweist: gemäß dem Gebot unserer Verfassung wachsam zu sein gegenüber Gefährdungen der Würde des Menschen und gegen die Feinde von Freiheit und Toleranz aufzustehen und deren Ziele öffentlich anzuprangern. In diesem Zusammenhang ist es auch sehr zu begrüßen, dass weitere konkrete Schritte für ein NS-Dokumentationszentrum in München unternommen wurden, unter anderem auch in diesem Hause.

Vor 60 Jahren riefen die Mitglieder der studentischen Widerstandsgruppe „Die Weiße Rose“ am 18. Februar 1943 mit einer Flugblattaktion in der Münchner Universität zur Beendigung des Krieges und zur Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde auf. Das letzte Flugblatt der Weißen Rose entstand unter dem Eindruck der Schlacht um Stalingrad und eines hemmungslos menschenverachtenden Vernichtungskrieges, der verbrannte Erde und zahllose Opfer zurück

ließ. Der aufrüttelnde Appell der Weißen Rose – eine Blume, die übrigens in München blühte – war in den Augen der NS-Machthaber ein politisches Schwerverbrechen. Hans und Sophie Scholl und Christoph Probst wurden noch am Tag ihrer Verurteilung, am 22. Februar 1943, hingerichtet; weitere Mitglieder der Weißen Rose wurden in den folgenden Monaten getötet.

Wir erinnern uns heute mit Hochachtung der Mitglieder der Weißen Rose. Als Blutzeugen stehen sie für den mutigen Widerstand jener entschlossenen Frauen und Männer, die ihr Leben gegen die Herrschaft des Unrechts und für Menschlichkeit, Freiheit und Frieden einsetzten. Daneben gab es viele heute unbekannte Menschen, die unauffällig im Alltag zivilen Widerstand leisteten. Sie folgten der Stimme ihres Gewissens, nicht den lauten Parolen der Machthaber.

Ein bleibendes Zeugnis dafür sind die Worte, die Professor Kurt Huber, der die Widerstandsgruppe um die Geschwister Scholl aktiv unterstützte, kurz vor seiner Hinrichtung gesprochen hat. Er sagte:

Es gibt für alle Legalität eine letzte Grenze, wo sie unwahrhaftig und unsittlich wird. Dann nämlich, wenn sie zum Deckmantel einer Feigheit wird, die sich nicht getraut, gegen offenkundige Rechtsverletzung aufzutreten. Ein Staat, der jegliche freie Meinungsäußerung unterbindet... bricht ein ungeschriebenes Recht....

Diese klare Haltung hat die Mütter und Väter der Bayerischen Verfassung darin bestärkt, in bewusster Abkehr von der Unrechtsherrschaft einen Neuanfang zu machen und ein demokratisches, rechtsstaatliches und sozial verantwortetes Gemeinwesen aufzubauen. Dieser feste Wille spiegelt sich in der Präambel unserer Verfassung wider. Sie fordert unmissverständlich, dass es keine Alternative zur Achtung vor der Würde des Menschen, zur Freiheit und zur Rechtsgleichheit geben kann.

Die Ideale der Weißen Rose leben in diesem Wertefundament weiter. Es ist ein sehr sinnfälliges Zeichen, wenn nur wenige Schritte vom Lichthof der Universität entfernt, in dem die Flugblätter der Weißen Rose abgeworfen wurden, rund dreieinhalb Jahre später in der Aula der Universität der Bayerische Beratende Landesausschuss und die Verfassunggebende Landesversammlung tagten. Hier trat auch der Bayerische Landtag am 16. Dezember 1946 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen.

Bei aller Unterschiedlichkeit der Voraussetzungen, des Verlaufs und der Folgen der genannten historischen Ereignisse haben sie doch eine gemeinsame Botschaft: Freiheit, Toleranz und Menschenwürde sind seit über 50 Jahren tragende Säulen unserer Verfassungs- und Werteordnung. Wer ihre Segnungen genießt, muss sich auch ihrer möglichen Gefährdung bewusst sein. Als Demokraten sind wir daher aufgefordert, die Werte der Verfassung bewusst zu leben und sie gegen Anfeindungen und wachsende Gleichgültigkeit aktiv zu verteidigen.

Meine Damen und Herren, ich möchte Sie bitten, sich nun von Ihren Plätzen zu erheben. –

(Die Anwesenden erheben sich)

Wir gedenken aller Menschen, die der Willkür und Gewalt der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen sind, die ihrer Menschenwürde beraubt, ausgeplündert, verfolgt, misshandelt oder vertrieben wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, an ihrer Überzeugung oder ihrem Glauben festhielten und Widerstand gegen Gewaltherrschaft leisteten. –

Werte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, noch einen Moment stehen zu bleiben; wir wollen eines verstorbenen Kollegen gedenken.

Am 26. Dezember 2002 verstarb nach schwerer, mit Tapferkeit und immer wieder neuem Mut ertragener Krankheit Herr Horst Heinrich im Alter von 64 Jahren. Er gehörte seit 1974 dem Bayerischen Landtag an und vertrat für die SPD den Wahlkreis Schwaben. Seine freundliche, zurückhaltende Art, sein Humor und sein hoher Sachverstand machten Horst Heinrich zu einem über die Fraktionsgrenzen hinweg geschätzten und anerkannten Kollegen. Er war Mitglied in den Ausschüssen für Fragen des öffentlichen Dienstes, für Eingaben und Beschwerden sowie für Landesentwicklung und Umweltfragen. Die Erhaltung einer gesunden Umwelt als Lebensgrundlage für die Menschen lag ihm besonders am Herzen. Als Anwalt der Schwachen und Hilfsbedürftigen versuchte er nach besten Kräften zu helfen. Sein ganzes Engagement galt den Menschen in Augsburg und in seiner schwäbischen Heimatregion. Als Anerkennung seiner Leistungen wurden ihm zu Lebzeiten hohe Auszeichnungen zuteil. Horst Heinrich wird uns als aufrechte Persönlichkeit und als verlässlicher Kollege in Erinnerung bleiben. Der Bayerische Landtag wird dem Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren.

Sie haben sich zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und zu Ehren des toten Kollegen von Ihren Plätzen erhoben; ich danke Ihnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Leben muss weitergehen. Dementsprechend hat mir der Landeswahlleiter schriftlich mitgeteilt, dass als Nachfolger von Herrn Horst Heinrich nach Artikel 48 des Landeswahlgesetzes Herr Dr. Helmut Simon am 7. Januar 2003 die Rechtsstellung eines Mitglieds des Bayerischen Landtags erworben hat. Ich heiße den neuen Kollegen im Hause – es ist ihm ja bereits bekannt – willkommen und wünsche ihm für seine Aufgaben im Parlament Kraft, Erfolg und alles Gute.

(Allgemeiner Beifall)

Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich noch einige Glückwünsche nachholen: Einen runden Geburtstag konnte Herr Kollege Günter Gabsteiger am 23. Dezember begehen. Halbrunde Geburtstage feierten Herr Kollege Dieter Heckel am 8. Januar, Herr Kollege Adolf Beck am 16. Januar sowie Herr Kollege Max Brandl am 24. Januar. Ich gratuliere den Genannten im Namen des gesamten Hauses und persönlich sehr herzlich und wünsche ihnen für das neue Lebensjahr alles Gute, vor allem

Gesundheit und Energie für ihre parlamentarischen Aufgaben.

(Allgemeiner Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Diplomatenloge begrüße ich den Ersten Bürgermeister der Stadt Oradour-sur-Glane, Herrn Raymond Frugier.

(Allgemeiner Beifall)

Herr Frugier ist in diesen Tagen von Herrn Staatsminister Bocklet mit der Bayerischen Europa-Medaille ausgezeichnet worden. Damit wurden seine herausragenden Verdienste um die deutsch-französische Verständigung in besonderer Weise gewürdigt. Ich gratuliere Ihnen, Herr Bürgermeister, im Namen des Hohen Hauses sehr herzlich und wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in Bayern und speziell im Bayerischen Landtag.

(Allgemeiner Beifall)

Nun kommen wir zur Tagesordnung. Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 1

Aktuelle Stunde

Für die heutige Sitzung war die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN vorschlagsberechtigt. Sie hat eine Aktuelle Stunde beantragt zum Thema „Keine Finanzabenteuer für das Prestigeobjekt Transrapid – Bayerns Nahverkehr stärken“.

In die Beratung beziehe ich ein den zum Plenum eingereichten

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Christine Stahl, Dr. Dürr, Dr. Runge und anderer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Keine Finanzabenteuer für das bayerische Transrapid-Projekt (Drucksache 14/11406)

In der Aktuellen Stunde dürfen, wie Sie wissen, die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion erhält eines ihrer Mitglieder zehn Minuten Redezeit, und dies wird auf die Gesamtredezeit der jeweiligen Fraktion angerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält eine Fraktion auf Antrag für eines ihrer Mitglieder zusätzlich fünf Minuten Redezeit. Ich bitte Sie, jeweils auf mein Signal zu achten.

Erster Redner ist Herr Kollege Dr. Runge für einen Beitrag von zehn Minuten.

Mindestens. – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht von der heutigen Kabinettssitzung ist eine Bankrotterklärung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir erinnern uns alle: Tag für Tag in den letzten Wochen hat Verkehrsminister Otto Wiesheu verkündet, spätestens Ende Januar würde ein tragfähiges Finanzierungskonzept präsentiert werden. Jetzt steht er mit leeren Taschen da.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Maget (SPD): Darum traut er sich gar nicht rein!)

Wir lesen gleichzeitig im heutigen Bericht zur Kabinettssitzung, man behauptet immer noch, der Transrapid sei wirtschaftlich zu betreiben. Exakt zeitgleich meldet der Fraktionsvorsitzende der CSU hieran starke Zweifel an. Also, er ist am Umlernen. Wir lesen immer noch diesen schönen Spruch, mit einem Fahrpreis von 13 e könnte man einen jährlichen Gewinn von 25 Millionen e einfahren.

(Maget (SPD): Es gibt schon wieder einen neuen Sachstand!)

Das ist schon erst mal richtig. Allerdings ist da kein einziger Cent an Kapitalkosten hineingerechnet. Sie werden doch wohl nicht glauben, dass irgendwelche Investoren kommen und Kapital zur Verfügung stellen, ohne eine angemessene Verzinsung haben zu wollen. Ich frage mich auch an dieser Stelle: Wie definiert unser Wirtschaftsminister denn eigentlich den Begriff „Wirtschaftlichkeit“?