Protocol of the Session on April 4, 2003

Login to download PDF

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 114. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Wir beginnen heute mit

Tagesordnungspunkt 3

Aktuelle Stunde

Für die heutige Sitzung ist die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN vorschlagsberechtigt. Sie hat eine Aktuelle Stunde zum Thema Realitätssinn und Ausgewogenheit für Bayern: Der neue Bundesverkehrswegeplan beantragt.

In die Beratung beziehe ich folgende zum Plenum eingereichten Dringlichkeitsanträge mit ein:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Glück, Dinglreiter, Dr. Bernhard und anderer und Fraktion (CSU)

Bundesverkehrswegeplan nachbessern (Drucksa- che 14/12059)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Maget, Schläger, Dr. Kaiser und Fraktion (SPD)

Bundesverkehrswegeplan 2003; Realistische Grundlage für die Zukunft der Mobilität in Bayern (Druck- sache 14/12064)

In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion erhält eines ihrer Mitglieder 10 Minuten Redezeit. Dies wird auf die Gesamtredezeit der jeweiligen Fraktion angerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält eine Fraktion auf Antrag eines ihrer Mitglieder zusätzlich fünf Minuten Redezeit. Ich bitte Sie, auf mein Signal zu achten. Erster Redner ist Herr Kollege Dr. Runge. Er bringt einen Zehn-Minuten-Beitrag.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Realitätssinn und Ausgewogenheit – so schön wie Sie, Herr Präsident, kann ich es nicht betonen – sind zwei Attribute, die wir dem Referentenentwurf des neuen Bundesverkehrswegeplanes zuschreiben und die für die künftige Verkehrsplanung auch in Bayern gelten müssen. Neben oder anstelle von Realitätssinn könnte man auch von Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit sprechen. Dieses Mal enthält der Bundesverkehrswegeplan Projekte in einem Volumen, das im Planungszeitraum realistischerweise auch finanziert werden kann. Der Ärger um den letzten Bundesverkehrswegeplan ist ja kein Geheimnis. Wir hatten es damals mit einer Unterfinanzierung in einer Größenordnung von 80 bis 90 Milliarden DM zu tun.

Mit Ausgewogenheit meinen wir, dass erstmals für Schiene und für Straße genauso viele Mittel bereitstehen und dass ebenso viele Mittel für den Neubau wie für die Bestandserhaltung ausgegeben werden sollen; und zur Ausgewogenheit gehört auch, dass die Belange der Ökologie stärker gewichtet werden. Zum einen soll die Umweltverträglichkeitsprüfung vertieft werden, zum anderen wird künftig ein höherer Nutzen-Kosten-Faktor gefordert. Aus diesen Gründen begrüßen wir auch den Referentenentwurf zum neuen Bundesverkehrswegeplan.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Allerdings brechen wir keineswegs in Jubel aus. Schließlich enthält der Entwurf zahlreiche Projekte, wie Autobahnausbauten oder Ortsumfahrungen von Bundesstraßen, die wir nicht begrüßen und gegen die wir in der weiteren Diskussion noch kämpfen werden.

Bayern erhält nach dem neuen Bundesverkehrswegeplan einen Anteil von 13,8% an den Fernstraßeninvestitionen des Bundes. Damit werden im Planungszeitraum 2001 bis 2015 etwa fünfeinhalb Milliarden e für den Bundesfernstraßenbau in Bayern für fest disponierte und für neue Vorhaben verfügbar sein. Ungefähr genauso viele Mittel können dann innerhalb des Planungszeitraumes auch für Ersatz- und Unterhaltsinvestitionen ausgegeben werden. Dazu muss man ganz klar sagen, dass sich jetzt die zwei so groß begrüßten Projekte rächen, welche privat vorfinanziert wurden. Jetzt müssen diese Mittel zurückgezahlt werden, und das mindert eben den bayerischen Anteil. Angesichts der engen Finanzierungsgrenzen sind die Neubauwünsche der Bayerischen Staatsregierung für uns nichts anderes als unbezahlbarer Straßenbaufundamentalismus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei den Einzelprojekten ist aus grüner Sicht erfreulich, dass die Fichtelgebirgsautobahn nicht in den vordringlichen Bedarf eingestuft wurde.

(Willi Müller (CSU): Teilweise nicht!)

Für die A 94 zwischen Forstinning und Ampfing muss die Südtrasse über Haag als Alternative geprüft werden.

(Dinglreiter (CSU): Das wurde doch schon längst gemacht!)

Ja, Sie haben es gemacht. 1991 hat diese Trasse allerdings besser abgeschnitten, und trotzdem haben Sie sie nicht übernommen.

Die Westumfahrung Würzburgs taucht nur mehr mit einem Teilstück in der Bedarfsliste auf. Dort ist sie mit einem großen Umweltrisiko markiert. Das heißt, hier muss massiv nachgebessert werden, sonst kommt diese Strecke nicht. Auf den Bau der B 2 Nürnberg – Schwabach durch das Regnitztal wird ganz verzichtet. Es gibt hier also einige ganz erfreuliche Entwicklungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Donau soll nach umweltschonenden, kostensparenden Gesichtspunkten ausgebaut werden, also ohne Staustufen und massiver Kanalisierung.

Für das Fern- und Nahverkehrsschienennetz wird von den Mitteln am meisten nach Bayern fließen. Ausgebaut werden soll die Bahnstrecke Neu-Ulm – Augsburg. Die Strecke soll gegenüber der Strecke München – Ingolstadt – Nürnberg konkurrenzfähig gehalten werden. Die Franken-Sachsen-Magistrale wird ertüchtigt. Die WestOst-Strecke Nürnberg – Marktredwitz – Hof – Reichenbach wird elektrifiziert. Das fordern wir in diesem Hause täglich. Ich erwähne noch einige weitere Stichworte wie den Ausbau der Neigezugtechnik im Allgäu, die Alpenquerung und den Zulauf zur Alpenquerung. Diese Projekte sind für uns von großer Dringlichkeit, und wir werden sie auch weiterhin einfordern, Herr Kollege Spitzner. Auch die Strecke München – Mühldorf – Freilassing muss vehement weiterverfolgt werden.

Ein Wermutstropfen – eigentlich ist es schon ein Wermutssee – ist für uns die ICE-Strecke Nürnberg – Erfurt. Diese Strecke ist in unseren Augen ökologisch nicht vertretbar. Sie ist auch nicht wirtschaftlich. Deswegen werden wir weiter dagegen angehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insgesamt ist zu sagen, dass der neue Bundesverkehrswegeplan umweltverträglicher ist. Schiene und Straße werden gleich behandelt. Es wird verstärkt nach dem Grundsatz „Ausbau vor Neubau“ in die Substanzerhaltung investiert. Statt leerer Versprechungen gibt es jetzt endlich Haushaltsehrlichkeit.

(Dr. Bernhard (CSU): Das heißt kein Geld!)

Ja, das haben Sie nie geschafft, Herr Bernhard.

Damit bin ich jetzt bei Ihren Reaktionen und bei Ihrem Dringlichkeitsantrag angelangt. Staatsregierung und CSU pflegen weiterhin den schon erwähnten Straßenbaufundamentalismus. Sie träumen weiterhin von Betonorgien. Auch wenn Sie es hier wieder bestreiten werden: Wir kennen Ihre Meldelisten, wir wissen, was Sie noch einfordern werden. Die Krokodilstränen, die wegen der geringfügig geminderten Quote des Freistaates am Fernstraßenhaushalt vergossen werden, sind höchstens rührend. Innenminister Beckstein – er ist leider nicht da – tönt – –

(Zurufe von der CSU: Doch, da drüben sitzt er!)

Ich bin immer noch auf der alten Seite, Herr Beckstein.

Man kann sich täuschen.

(Kobler (CSU): Der schläft ja im Reden! – Dr. Bernhard (CSU): Ihm fehlt der Durchblick!)

Herr Beckstein tönt, der Bund versuche dem Wachstumsmotor in Deutschland den Hahn abzudrehen. Diese Aussage greift hier gar nicht. Der Bund hat mit Sicherheit nicht die

Aufgabe, in das Land, welches wirtschaftlich noch relativ stark ist, besonders viele Mittel für Infrastrukturmaßnahmen zu stecken.

Das gibt nicht einmal der von Ihnen so viel bemühte Wettbewerbsföderalismus her. Sie sagen bei „Galileo“ ja auch nicht: Wir bekommen hier viel zu viel, wenn das Projekt in Ottobrunn angesiedelt wird, wir können ja höchstens so viel bekommen, wie es dem Anteil Bayerns an der Bevölkerung entspricht. Das wäre die gleiche komische Logik.

Ihre Forderung nach Ausrichtung der Quote entsprechend verkehrsrelevanter Strukturdaten ist in unseren Augen weder plausibel noch gerechtfertigt. Motorisierungsgrad und PKW-Dichte sind in Bayern möglicherweise auch deshalb so hoch, weil wir eine relativ gute Straßenverkehrsinfrastruktur haben. Dass wir überproportional viel Personenverkehr auf unseren Straßen haben, liegt nicht allein am Transit. Wir sehen doch immer wieder in Verkehrszählungen, wie viel Ziel- und Quellverkehr häufig anzutreffen ist. Gestern hat Herr Kollege Schnappauf, der heute nicht da ist, in seiner Regierungserklärung treuherzige Beteuerungen abgegeben, wonach der Flächenfraß in Bayern gestoppt und keine weitere Bodenversiegelung vorgenommen werden solle. Heute fordern Sie weitere Milliarden, um den Boden in Bayern weiter zu versiegeln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt einen probaten Weg, wie Sie Gelder für Ihrer Meinung nach zu kurz gekommene Regionen oder für notleidende Projekte freischaufeln können: Signalisieren Sie Verzicht auf milliardenschwere Prestigeprojekte. Diese ziehen viel zu viele Mittel ab, sind ökologisch bedenklich und häufig verkehrspolitisch zweifelhaft. Das Milliardengrab München-Ingolstadt-Nürnberg sollte Ihnen Warnung genug sein. Verzichten Sie also beispielsweise auf den A 99-Südring, verzichten Sie auf das Durchpauken der A 94 durch das Isental, stellen Sie die Bahnrennstrecke durch Gottesgarten und Thüringer Wald in Frage. Sie würden damit vielen bayerischen Bürgerinnen und Bürgern und vor allem der bayerischen Umwelt einen großen Gefallen tun. Erster Schritt dazu ist: Ziehen Sie bitte Ihren verunglückten und völlig daneben liegenden Antrag zurück.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nächster Redner ist Herr Kollege Dinglreiter. Es handelt sich auch um einen Zehn-Minuten-Beitrag.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen! SPD und Grüne behaupten in Pressemitteilungen der letzten Tage, Bayern würde mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan hervorragend bedient. Wer diesen Plan objektiv aus bayerischer Sicht betrachtet, wird ihn als Zumutung empfinden. Er ist kein Plan für die Zukunft. Mir stellen sich dabei folgende Fragen: Welches Leitbild hat diese Bundesregierung vor dem Hintergrund der Europäisierung und Globalisierung unserer Wirtschaft und Gesell

schaft, von der Mobilität für Menschen und Güter in der Zukunft? Orientiert sich dieser Verkehrswegeplan an ideologischem Wunschdenken oder an der Realität? Nimmt er Wachstumsprognosen für die nahe Zukunft als eine realistische Größe zur Kenntnis oder will er nur einer Ideologie folgen und alles, was notwendig ist, vom Tisch wischen?

(Dr. Runge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wo ist denn da Ideologie?)

Ich komme schon noch darauf, wo die Ideologie ist.

Alles mündet in die Frage: Soll der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur der Zukunft den verkehrlichen Notwendigkeiten dienen, sich an ihnen oder an haushaltspolitischen und parteipolitischen Erwägungen orientieren? Ich sage auch hierzu noch, was ich meine. Ich könnte die Aufzählung fortsetzen, will es aber dabei belassen.

Mobilität muss in angemessener Weise ökonomischen, soziologischen und kulturellen Bedürfnissen von Wirtschaft und Gesellschaft gerecht werden. Das war schon bisher zugegebenermaßen ein Problem, denn der Verkehr hat in den vergangenen fünf Jahrzehnten auf unseren Straßen um 950% zugenommen, die überregionale Straßeninfrastruktur dagegen nur um gut 50%. Hier muss man auch sagen, Herr Dr. Runge: 90% des Personenverkehrs werden auf der Straße abgewickelt. Drei Viertel des überregionalen Güterverkehrs werden auf der Straße abgewickelt. Das ist die Realität, der wir uns stellen müssen. Die Bahn war in der Vergangenheit nicht bereit, sich auf veränderte Verhältnisse einzustellen. Die Fortschritte, die wir beim Güterverkehr erreicht haben, sind auf privater Ebene erreicht worden, nicht so sehr auf Zutun und von Interesse der Bahn.