Protocol of the Session on May 31, 2001

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Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die 66. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, eines ehemaligen Kollegen und einer ehemaligen Kollegin zu gedenken.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am 19. Mai verstarb Herr Erwin Keilholz im Alter von 71 Jahren. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1974 bis 1978 an und vertrat für die CSU den Wahlkreis Oberfranken. Er engagierte sich in den Ausschüssen für Eingaben und Beschwerden sowie für Landesentwicklung und Umweltfragen. Sein Einsatz für die Menschen in seiner oberfränkischen Heimat prägte seine parlamentarische Arbeit.

Am 27. Mai verstarb Frau Ida Krinner im Alter von 74 Jahren. Sie gehörte dem Bayerischen Landtag von 1970 bis 1986 an und vertrat für die CSU den Wahlkreis Niederbayern. Von 1988 bis 1995 war sie Mitglied des früheren Bayerischen Senats. Als engagierte Bäuerin, die fest im christlichen Glauben verwurzelt war, übernahm sie auf Kreis-, Bezirks- und Landesebene Verantwortung für die Menschen im ländlichen Raum. Ihre Erfahrungen und ihre Sachkompetenz brachte sie im Landtag in den Ausschüssen für Ernährung und Landwirtschaft sowie für Eingaben und Beschwerden ein. Ihr Einsatz für das öffentliche Wohl war vorbildlich.

Der Bayerische Landtag wird den Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren. Sie haben sich zu Ehren der Toten von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

Meine sehr geehrten Damen, meine Herren, ich möchte noch zwei Glückwünsche aussprechen. Einen halbrunden Geburtstag konnte am 26. Mai Herr Kollege Hermann Josef Niedermeier begehen. Und heute feiert Herr Kollege Ludwig Wörner seinen Geburtstag.

(Allgemeiner Beifall)

Ich gratuliere den beiden Kollegen im Namen des Hohen Hauses und persönlich sehr herzlich und wünsche ihnen alles Gute, besonders Gesundheit und Erfolg bei ihrer parlamentarischen Arbeit.

Nun treten wir in die eigentliche Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 1

Aktuelle Stunde

Für die heutige Sitzung war die Fraktion der SPD vorschlagsberechtigt. Sie hat diese Aktuelle Stunde zum

Thema „Bayerns Schulen brauchen Hilfe – Handeln statt Ankündigen“ beantragt.

In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion kann einer ihrer Redner zehn Minuten sprechen; dies wird auf die Gesamtredezeit der jeweiligen Fraktion angerechnet. Wenn ein Mitglied der Staatsregierung kraft seines Amtes das Wort nimmt, wird die Zeit seiner Rede nicht mitgerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Zeit bei der Dauer der Aussprache zu sprechen. Ich bitte Sie, jeweils auf das Signal, das ich gebe, zu achten.

Der erste Redner ist der Herr Kollege Irlinger. Er nimmt zehn Minuten in Anspruch.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen.

Wo fließen unsere Steuern hin? – Neue Lehrer sind nicht drin.

Bleiben unsere Kinder dumm, dann schaut man sich nach Indern um.

So dichteten Kinder vor wenigen Tagen im Rahmen eines Schulstreiks zusammen mit ihren Eltern an einer Münchner Grundschule. Es war exemplarisch für die Situation an Bayerns Schulen: Seit Wochen sind Lehrkräfte krank, Klassen verwaist; und es ist keine mobile Reserve dafür vorhanden. Die Eltern weisen überall auf die negativen Folgen der Klassenzusammenlegungen und des Nachhauseschickens von Kindern hin und betonen, dies beeinflusse die Entwicklung der Kinder negativ.

Für mich war an diesem Tag in München auch exemplarisch – und für mich noch dazu stillos – das Verhalten der Schulbehörde, praktisch Ihres Vertreters, des Herrn Freller, der sich vor die Eltern hinstellte und das Hohe Lied von Bayerns Schulpolitik sang, wie viele Lehrerstunden es gebe. Aber kein Wort hatte er übrig für die Ängste und Sorgen der Eltern und kein Wort für die Situation der Schüler, die um ihre Zukunft bangen. Das wichtigste für mich an diesem Tag war, dass die Eltern Ihnen dieses selbstlose und Hohe Lied nicht mehr abnehmen. Es hat sich ausgesungen, wollte ich sagen, Frau Ministerin – leider ist sie nicht da; also muss ich es zum Herrn Freller sagen –, es hat sich ausgesungen, denn es ist nicht mehr zu verbergen: Bayerns Schulen sind zum Notstandsgebiet geworden.

(Beifall bei der SPD)

Sie können die Pflichtunterrichtsversorgung nicht sicherstellen. Es ist schlimm: Für Bayerns Schulen gibt es keine Unterrichtsgarantie, Bayerns Schulen brauchen Hilfe. Aber die Hilferufe verhallen ohne stützende Antwort und ohne Problemlösung, wenn Eltern um Hilfe rufen, zum Beispiel wegen des drastischen Unterrichtsausfalls, der an einzelnen Schulformen bis zu 10% ausmacht, wegen der fehlenden Lehrerreserven, obwohl die

Ministerin Verstärkung versprochen hat, und wegen der fehlenden Pflichtstundenzuweisung. Die mangelnde Unterrichtsversorgung, zum Beispiel an den Fachoberschulen und den Berufsoberschulen, war in diesem Schuljahr ein Skandal; wir haben das hier schon beschrieben. Sie werden die Löcher auch nicht mit den wenigen Planstellen stopfen können, die Sie jetzt wieder einmal angekündigt haben.

Die Eltern protestieren wegen des Einsparungsmodells und der Budgetierung an den Gymnasien, weil sie sehen, dass dort die Unterrichtsqualität sinkt. So wird es dann auch fast täglich in Petitionen an uns ausgedrückt. Zum Beispiel haben wir ein Schreiben aus dem Volksschulbereich: „In unserem Landkreis besteht ein massiver Lehrermangel im Bereich der Grund- und Hauptschulen; dieses lässt sich damit belegen, dass insgesamt 20 Klassen täglich wegen Krankheitsausfällen nicht versorgt werden können.“ Oder ein Schreiben aus einem Gymnasium: „Die Lehrersituation an unserem Gymnasium ist zu Beginn dieses Schuljahrs für den Elternbeirat und für viele Eltern ein Skandal; es kann doch nicht angehen, dass sich der Leiter eines Gymnasiums und die Eltern der Schüler selbst auf die Suche nach Lehrkräften machen müssen. Und: Lehrermangel bei gleichzeitig üppiger Warteliste erweckt bei den betroffenen Eltern den Eindruck einer ziemlich planlosen und perspektivlosen Bildungspolitik.“ Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.

Die Proteste werden deutlicher und die Kommentare härter. Ich denke, sie sind berechtigt. Kritik kommt im Übrigen von allen Betroffenen, weil sie endlich eine Trendwende in der Schulpolitik wollen, die zum einen immer angekündigt, zum anderen aber nicht umgesetzt wird. Es wird eine echte Schulreform verlangt, und es kommt Kritik von den Schülern, die sich fragen, ob sie denn das nötige Rüstzeug für die Zukunft mitbekommen. Es kommen Proteste von den Eltern, die es leid sind, weil die Schule vielerorts ihren Auftrag nicht mehr erfüllen kann. Es kommen Hilferufe der Lehrer, die schon zucken, meine Damen und Herren, wenn etwas angekündigt wird, weil jede Ankündigung der Ministerin neue Arbeit und zusätzliche Belastung bedeuten.

Ich hoffe, Sie haben die Studie aus der Uni Erlangen zur Kenntnis genommen – hoffentlich ziehen Sie aus ihr auch die richtigen Konsequenzen –, in der bestätigt wird: Der Stress im Klassenzimmer wirft immer mehr bayerische Lehrer aus der Bahn. Es gibt heute keine andere Möglichkeit mehr als die Frühpensionierung, weil die Lehrer unter Erschöpfungs- und Burn-out-Syndromen, Depressionen und psychosomatischen Störungen leiden. Die Lehrer werden – das hört man, wenn man in die Schulen geht – allein gelassen wie übrigens auch die Schulleiterinnen und Schulleiter,

(Zustimmung bei der SPD)

die doch der Motor der Reform sein sollten, wie Sie immer wieder betonten, auf die man aber zum Beispiel im Volksschulbereich immer mehr Aufgaben und immer mehr Arbeiten ablädt, die sie zeitlich zusätzlich belasten. So darf es nicht weitergehen, wenn man die Schulreform ernst meint.

Diese Missstände und Notstände, meine Damen und Herren, sind das Ergebnis bayerischer Schulpolitik, die Sie in der CSU zu verantworten haben. In den letzten Jahren ist nichts besser, aber vieles schlechter geworden. Ich meine, die Frau Ministerin ist mit den Aufgaben überfordert, die sich in der Schule in diesen Jahren stellen.

(Beifall bei der SPD – Sackmann (CSU): Das glaubst Du doch selber nicht!)

Diese Situation macht mich so wütend, weil ich gleichzeitig Ihre Sonntagsreden im Ohr habe und nur noch den Kopf schütteln kann, wenn es heißt: Wir brauchen mehr Kinder, wir müssen noch mehr für die Kinder tun, wir müssen kinderfreundlicher werden. Ja, meine Damen und Herren, Sie haben in der CSU im Kultusministerium seit zehn Jahren die Chance, Kinderfreundlichkeit zu praktizieren, weil die Schülerzahlen doch steigen. Wir haben also den Kindersegen in Bayern. Was aber tun Sie? Sie bestrafen diesen Kindersegen in Bayern.

(Beifall bei der SPD)

Sie hatten und haben nur Grausamkeiten übrig: weniger Zeit, größere Klassen, weniger Förderung, mehr Auslese, weniger Schulsport, weniger Musik und viele andere Dinge.

Dann aber schämen Sie sich nicht, von der Bundesregierung zu verlangen, pro Kind 1200 DM monatlich sozusagen für unsere Kinder im Lande auszugeben. Ich sage Ihnen, Herr Freller – sagen Sie es bitte der Ministerin weiter! –: Wären Sie bereit gewesen, pro Schüler nur annähernd so viel zusätzlich für die Bildung auszugeben, dann bräuchten wir heute keine Notstandsdebatte zu führen.

(Beifall bei der SPD – Willi Müller (CSU): Wo ist ein Notstand ausgebrochen?)

Nichts ist besser geworden; dies ließe sich für alle Schularten verdeutlichen. Aus Zeitgründen nenne ich nur ein paar Beispiele; es folgen ja noch Redner, die das deutlicher machen können.

Am Gymnasium wird der Protest immer kräftiger; ich sage Ihnen nur, was zum Beispiel die Landeselternvereinigung zur Situation am Gymnasium schreibt:

Die Situation an unseren Gymnasien ist derzeit kritisch und droht zu einer akuten Notlage zu werden, wenn weiterhin wie in den letzten acht Jahren an Bildung gespart wird. Bereits bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat das Gymnasium auf über 17000 Lehrerwochenstunden verzichten müssen. Dies widerspricht unseres Erachtens den Interessen unseres Landes. Die jetzigen starken Jahrgänge müssen mit weniger Lehrerstunden, weniger Wochenstunden, in größeren Lerngruppen ihre Gymnasialzeit hinter sich bringen.

Das ist kein sozialdemokratisches Papier, das ist das Papier der Landeselternvereinigung vom Mai 2001.

Oder gehen wir zu Ihrem Lieblingskind, den Realschulen und der R 6. Da verzeichnen wir doch eine geradezu dramatische Entwicklung. Diese Schulform hat die größten Klassen. Weit über die Hälfte der Kinder geht in Mammutklassen. Es fehlen Räumlichkeiten, es fehlt die Entlastung der Lehrkräfte, es fehlt die Entlastung durch Verwaltungsangestellte. Dort sind Unterrichtsausfall und Stundenkürzungen zu verzeichnen.

Selbst von Insidern und selbst in Ihrem Haus wird dann einmal erwähnt, dass alles – R 6 sage ich – viel schlimmer geworden ist, als es die Opposition prophezeit hat.

(Beifall bei der SPD)

Da rächt sich – wir brauchen gar nicht zu triumphieren; es geht schließlich um die Kinder, und diese tun uns leid – Ihre Vollmundigkeit, die Sie an den Tag gelegt haben, als Sie gesagt haben: Diese Reform wird fast nichts kosten; wir werden sie im Interesse der Kinder umsetzen können. Die Schüler leiden jetzt unter Ihrer unvernünftigen Reform.

Besonderes Notstandsgebiet sind die Förderschulen. Ich nenne dazu nur eine Zahl; sonst läuft mir die Zeit davon. Noch 1990 gab es pro Förderschüler 3,20 Lehrerstunden. Inzwischen ist es schlecht geworden: 1999 gab es nur noch 2,53 Lehrerstunden. Auch hier hat sich die Situation dramatisch verschlechtert.

Die Amtszeit der Ministerin ist gekennzeichnet durch hektischen Aktionismus, wo Handeln angesagt wäre, Propagandawellen, wo Substanz notwendig wäre, und Ankündigungen ohne Ende, wo die Unterstützung von Betroffenen in der Schularbeit notwendig wäre. Ich möchte das deutlich machen.

Mir wird das Ende meiner Redezeit angedeutet; ich habe aber noch keine zehn Minuten gesprochen.

Die zehn Minuten sind schon vorüber.

Nach meiner Uhr allerdings nicht.