Eberhard Irlinger
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Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es ist uns viel Papier mit vielen Worten vorgelegt worden. Frau Ministerin, wir sind enttäuscht von dieser Vorlage, insbesondere was den Schwerpunkt Integration der behinderten Kinder in den Regelschulen angeht. Das ist eigentlich nicht das, was vom Recht der Kinder her notwendig ist, was von den privaten Wünschen der Eltern her das Notwendige wäre und was auch pädagogisch konsequent wäre. Wir können den Verbänden und insbesondere der Landesbehindertenbeauftragten Frau Stein nur zustimmen, die diese Vorlage übereinstimmend sehr skeptisch beurteilt haben. Wir folgen dieser Ablehnung und sagen: Wenn sich in der Diskussion im Ausschuss, die Sie sich jetzt gewünscht haben, nicht konsequent etwas verändert und inhaltlich deutlich auf das zugegangen wird, was die Kollegin Goertz, was die Fraktion erst unlängst vorgelegt hat, nämlich das Grundrecht auf Integration an unseren Regelschulen, werden wir diese Vorlage ablehnen.
Es ist viel zu viel hineingeschrieben worden, was in unseren Schulen ohnehin längst Usus war. Wir bedauern es, dass Sie die Chance nicht wahrgenommen haben, viel dringlicher auf die notwendigen Dinge der inneren Schulreform zuzugehen und sie auch festzuschreiben.
Unsere Schulen brauchen eine pädagogische Reform, brauchen eine konsequente Weiterentwicklung in Richtung mehr Qualität. Hier wäre eine Chance gewesen, dies auch umzusetzen.
Kolleginnen und Kollegen, vielleicht haben Sie Verständnis dafür, dass das vermutlich meine letzte Rede an diesem Pult sein wird. Ich weiß nicht, wie man diese Reden nennt. Jungfernreden nennt man die ersten.
Ich verabschiede mich ja nicht aus der Politik,
Eine Übergangsrede? Das ist ein gutes Wort. Es ist eine Übergangsrede. Der Herr Präsident ist wie immer der Weiseste unter uns. Er hat genau das Wort gefunden. Es ist kein Abschied aus der Politik, was Herr Knauer und ich jetzt vorhaben, sondern ein Übergang in eine weitere interessante Aufgabe.
Ich wollte die Gelegenheit nutzen, ein paar Dinge zu sagen, die sich in meiner zwölf-jährigen Abgeordnetentätigkeit mit dem Schwerpunkt Schule in der gebotenen Kürze darlegen lassen. Ich will das zunächst in drei Punkten machen: Kinder brauchen Bildung, Kinder brauchen individuelle Förderung und Kinder brauchen Chancengerechtigkeit.
Kinder brauchen Bildung. Darüber wird sehr viel diskutiert. Insbesondere die letzten Ergebnisse vergleichbarer internationaler Studien haben uns dies aufgezeigt. Kinder brauchen Bildung für sich selbst, für ihre Zukunftschancen, aber auch deswegen, weil wir international in einem immer schärfer werdenden Wettbewerb stehen und Bildung auch dafür entscheidend ist, wie dieser Wettbewerb ausgeht.
Dazu muss ich sagen: Die zwölf Jahre meiner Abgeordnetentätigkeit waren dadurch geprägt, dass wir den Kindern eigentlich nicht das an Förderung und an Bildung gegeben haben, was sie notwendig gehabt hätten. Sie waren davon geprägt, dass wir immer mehr reduziert haben, immer mehr abgebaut haben.
Ich kann Ihnen das genau sagen. Die Klassenstärken sind erhöht worden. Immer mehr Unterrichtsstunden wurden gekürzt. Der Unterrichtsausfall ist dramatisch. Andere Staaten haben gerade in den Neunzigerjahren verstärkt in ihre Bildungssysteme investiert. Die Mehrheit in diesem Hause hat aber an der Bildung und damit an den Chancen für unsere Kinder gespart und hat den Kindern nicht zukommen lassen, was ihnen zusteht. Herr Bernhard, Sie werden feststellen: Wir haben im Vergleich zu anderen Staaten abgebaut.
Wir haben bei der Breitenbildung keine Spitzenwerte. Wir sind auch nicht an der Spitze, was die Gymnasiasten betrifft. Wir haben bestenfalls einen Mittelfeldplatz. Wir müssen zulegen. Wir haben das in den zurückliegenden Jahren immer wieder gepredigt. Im Grunde genommen könnte ich sagen: Ich verlasse die Schulpolitik und habe gerade durch die Diskussion des letzten halben Jahres, durch die Pisa-Studienergebnisse in allen Punkten Recht bekommen.
Herr Bernhard, wir haben in allen Punkten Recht bekommen: was die Qualität der Schulen angeht, was die Forderung nach kleineren Klassen angeht, was die Forderungen nach individueller Förderung und nach weniger Bürokratie angeht,
damit wir die Schule verbessern können. Herr Bernhard, Sie haben diese Diskussion verschlafen. Geben Sie doch auch einmal etwas zu. Wenn in diesem Hause alles so gut wäre, wie Sie in Ihren Zwischenrufen sagen,
dann bräuchte Ihre Fraktion keine Arbeitsgruppe PisaStudie und bräuchte Herr Schneider nicht zu sagen: Wir müssen alles anschauen, auf den Tisch legen und überprüfen. Wenn alles so gut wäre, müssten Sie in diesem Hause überhaupt nichts überprüfen.
Für mich ist das ein Zeichen, dass Sie Fehler gemacht haben. Sie müssen jetzt eingestehen, dass Sie Fehler gemacht haben und in Sachen Schule und Bildung vieles versäumt haben. Wir haben auch rechtzeitig darauf hingewiesen, dass wir mehr Wert auf die vorschulische Bildung legen müssen. Wir müssen eingestehen, dass es ein Fehler war, die vorschulische Ausbildung unserer Kinder aus dem Bildungsbereich herauszuziehen. Wir sehen deutlich, dass gerade diese Jahre entscheidend für das frühzeitige Wecken von Interessen und das Schaffen von Lernbereitschaft sind.
Ich hoffe, dass wir in kürzester Zeit Fortschritte schaffen.
Kinder brauchen individuelle Förderung; das brauche ich nicht einmal pädagogisch oder vom einzelnen Kind ausgehend zu begründen. Dass in unserem Lande immer mehr Nachhilfe nachgefragt wird und immer mehr kommerzielle Hilfen für die Kinder angeboten werden, zeigt deutlich, dass die Schule ihre eigentlich ureigenste Aufgabe versäumt, jedes Kind zu fördern, jedes Kind dort anzunehmen, wo es seine Schwächen hat und ihm zu helfen. In jedem Kind stecken Begabungen, stecken Fähigkeiten. Wir müssen sie nützen, um für uns als Gesellschaft den Vorteil einer breiten Bildungsschicht herauszuarbeiten. Natürlich gilt dies auch für das einzelne Kind. Deswegen brauchen wir für diese Förderarbeit mehr Zeit. Die Lehrer brauchen mehr Zeit und mehr Entlastung. Die großen Klassen sind nicht geeignet, diese individuelle Förderungsarbeit umzusetzen. Der Lehrer, die Lehrerin braucht Zeit, auf jedes Kind zuzugehen, es einzeln oder in Gruppen herauszunehmen, um ihm das zu geben, was es aufgrund seiner Herkunft notwendig hat. Aus den letzten Bildungsstudien wissen wir auch, wie wichtig ein förderndes Schulklima ist, wie wichtig Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer sind, die auf die Kinder zugehen können, die jedes einzelne Kind annehmen können. Ich denke, dass es entscheidend sein wird, unsere Schulen so umzugestalten, dass sie Lernstuben und Lebensräume werden, die jedem Kind individuelle Förderung zukommen lassen.
Kinder brauchen Chancengerechtigkeit. Ich denke, ein ganz entscheidender Punkt in den jüngsten Studien ist, dass die frühe Auslese versäumt, unseren Kindern Entwicklungszeit zu geben, Begabungszeit zu geben. Das heißt, wir verschleudern Talente und Begabungen;
wir verschleudern die individuellen Entwicklungschancen jedes einzelnen Kindes durch den frühen Druck und die frühe Auslese. Das müssen Sie zugestehen. Wir müssen deutlich machen, dass die Kinder Zeit zur Entfaltung brauchen. Alle Länder, die in der Pisa-Studie vor
uns liegen, haben mindestens sechs Jahre gemeinsame Schulzeit, manche sogar neun oder zehn Jahre, haben also diese Zeit zur Entfaltung, Zeit zur individuellen Förderung und haben andere Rahmenbedingungen.
Ich sage ein Weiteres: Diese Länder haben in der Regel auch Ganztagsschulen, entweder im System selber oder zumindest als Angebot für jene, die es notwendig haben. Ich glaube, wenn wir nicht schnell genug zu der Erkenntnis kommen, dass Ganztagsschulen sozial benachteiligten Kindern helfen, dass Ganztagsschulen ausländischen Kindern helfen, dass sie aber auch hochbegabten Kindern helfen, weil ihnen zusätzliche Entwicklungschancen geboten werden, dann werden wir einen weiteren Rückschritt machen, anstatt aufzuholen, was andere Länder uns vormachen. Wir haben in Sachen Chancengerechtigkeit einiges aufzuholen. Wir können es uns nicht leisten, 10% Schulabgänger ohne jeglichen Abschluss zu haben. Wir brauchen nicht wie heute über Armut junger Menschen zu diskutieren, wenn wir schon in der Schule diese Armut vorbereiten, indem wir den Kindern keinen Abschluss mitgeben.
In diesem Sinne war meine Arbeit geprägt. Auch aufgrund meiner beruflichen Herkunft sage ich: Ich bin froh, dass jetzt endlich der Blick auf die Grundschule gelegt wird. Ich war Grundschullehrer und weiß, wie prägsam dort die Kinder sind, wie sehr man alle Fähigkeiten ganzheitlich, sowohl musisch, sportlich als auch kreativ, entwickeln kann. Deswegen müssen wir einmal in Ruhe nachdenken, ob es richtig ist, erst in den ganz späten Jahren der Jugend pro Schüler so viel zu investieren. Warum investieren wir die großen Gelder nicht schon in die Vorschule und insbesondere in die prägende Grundschule?
Ich hoffe, dass dieses Haus auch diesbezüglich umdenken kann.
Mein Ziel in diesen zwölf Jahren war, die Qualität der Schule zu verbessern, damit die Leistung zu optimieren und die Chancengleichheit sicherzustellen. Über allem stand letzten Endes – ich bin in dieser Zeit bis heute auch Kinderbeauftragter gewesen –: die Würde der Schülerinnen und Schüler zu beachten. Vorhin bei dem wirklich hochernsten Thema Kinderarmut ging es immer auch um die Würde unserer Kinder; denn Armut und das Hineinfallen in Armut und damit in einen Teufelskreis bezüglich der Zukunftschancen ist nicht mit dem vereinbar, was wir unter Würde der Menschen verstehen. Ich verstehe unter „die Würde der Schülerinnen und Schüler in unseren Schulen beachten“ stichwortartig gesagt, sich auf Kinder unterstützend einzulassen, die Unterschiedlichkeit der Kinder anzuerkennen, individuelles Lernen zu ermöglichen, miteinander zu lernen, in Gruppen, in altersgemischten Klassen ganzheitlich zu lernen, lernen mit allen Sinnen – wir vergessen allzu oft, dass wir nicht nur einen Kopf, sondern auch viele, viele Sinne haben –, das Selbstwertgefühl der Kinder zu festigen, sie zum Verstehen, zum Helfen und zum Leben in Solidarität anzuregen und mit ihnen Demokratie einzuüben.
Ich habe in all diesen Jahren versucht, dies schulpolitisch umzusetzen. Dies war nicht leicht. Häufig war es wegen der Mehrheitsverhältnisse nicht möglich. Darüber jammere ich aber nicht. Das ist Demokratie. Ich sage es noch einmal: Wir haben bei vielen Themen, die wir angesprochen haben, Recht bekommen. Ich könnte Ihnen alle unsere Schriften und Reden zeigen. Deshalb habe ich ein gutes Gefühl, wenn ich jetzt dieses Haus verlasse, weil ich weiß, dass ich Recht gehabt habe.
In den letzten drei Jahren war ich Ausschussvorsitzender. In dieser Zeit hat der Ausschuss sehr konstruktiv gearbeitet. Ich bedanke mich dafür bei meinem stellvertretenden Ausschussvorsitzenden, Herrn Kollegen Knauer. Dieser Dank gilt auch allen Kolleginnen und Kollegen, die trotz differierender Meinungen immer wieder bereit waren, aufeinander zuzugehen und einiges gemeinsam in die Wege zu leiten. Wir haben über vieles diskutiert und vieles auf den Weg gebracht. Wir haben auch vieles bewegt. Allerdings gibt es noch sehr viel zu tun. Dafür wünsche ich allen das nötige Fingerspitzengefühl.
Ich wünsche den Mitgliedern dieses Hohen Hauses Gottes Segen, gute Entscheidungen für unser Land Bayern, seine Menschen und insbesondere für unser Kinder. Die Kinder haben ein Recht auf Bildung und bestmögliche Förderung.
Frau Staatssekretärin, zu welcher Einschätzung der Sachlage kommt die Bayerische Staatsregierung vor dem Hintergrund der kürzeren Verweildauer von Patienten in bayerischen Fachkliniken im Hinblick auf eine von Fachleuten befürchtete Unterversorgung suchtkranker Menschen in Bayern und deren Folgen sowie konkrete Maßnahmen zur Abhilfe?
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Frau Staatssekretärin.
Frau Staatssekretärin Görlitz (Verbraucherschutzmi- nisterium): Herr Kollege Irlinger, die Verkürzung der Therapiezeiten für Suchtkranke ist vor dem Hintergrund der Sparvorgaben des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 26.09.1996 zu sehen. Mit dem WFG sollte die Beitragslast sowohl für die Arbeitnehmer als auch für die Arbeitgeber durch verschiedene Einsparmaßnahmen, die auch den Bereich der Rehabilitation betreffen, in tragbaren Grenzen gehalten werden. Die für die Kostentragung der Rehabilitation Suchtkranker vorrangig zuständigen Träger der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung waren angesichts dieser Situation gezwungen, die Therapiedauer durch Entwicklung neuer Strukturen und Konzepte zurückzuführen. Die Behandlungsdauer beträgt bei Alkoholabhängigen nunmehr in der Regel bis zu 16 Wochen; bei Drogenabhängigen wurde sie von zwölf auf zehn Monate verkürzt. Je nach Therapielage sind aber weiterhin im Einzelfall auch längere Behandlungen möglich.
Nach den Erkenntnissen der Kostenträger haben die Therapieerfolge unter der verkürzten Behandlungsdauer nicht gelitten. Darüber hinaus ist eine Fortführung der stationären Rehabilitation durch eine ambulante Behandlungsform auch über die genannten Zeitgrenzen hinaus für den Fall vorgesehen, dass dies zur Sicherung des Therapieerfolgs erforderlich ist.
Ich darf betonen, dass eine Unterversorgung suchtkranker Menschen in Bayern derzeit nicht festzustellen ist. Angesichts der bedrohlichen Prognose für die unbehandelten Suchterkrankungen ist es dringend geboten, den Ausstieg aus der Sucht möglichst früh zu erleichtern und zu beschleunigen. Dazu gibt es sowohl stationäre als auch ambulante Entwöhnungsangebote sowie weitere Betreuungsformen. Die seit Jahren erfolgreichen Ansätze von Streetwork und Beratung, die Eröffnung von niederschwelligen Kontaktläden und Notschlafstellen sind hilfreiche Maßnahmen, mit denen zunächst das Leben von schwerst Drogenabhängigen gesichert werden kann. Von Staatsregierung, Bezirken und Leistungsträgern – das sind die Kranken- und die Rentenversicherungen – sind hier die Voraussetzungen für eine umfassende Beratung und medizinisch-therapeutisch orientierte Therapie geschaffen worden.
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Zusatzfrage: Herr Irlinger.
Da sich mein Anliegen vor allen Dingen auf den Sachverhalt bezieht, dass die Akutbehandlung zum Beispiel in den Fachkliniken der bayerischen
Bezirkskrankenhäuser stattfindet, wo festgestellt wird, dass statt drei Wochen Akutbehandlung, die wirklich als Erstbehandlung notwendig wären, auf Druck der Kassen höchstens 14 Tage Behandlung gewährt werden, meistens – auf Druck anderer Kassen – noch weniger Zeit für die Behandlung zur Verfügung steht, so dass ein Drehtüreffekt entsteht – die Patienten kommen nach kurzer Zeit wieder in diese Fachkliniken, was zum einen bedeutet, dass die Chance für echte Genesung von der Alkoholkrankheit geringer wird, und zum Zweiten, volkswirtschaftlich gesehen, dass das Ganze auch teurer wird –, frage ich, wie Sie zu diesem Sachverhalt stehen.
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Frau Staatssekretärin.
Frau Staatssekretärin Görlitz (Verbraucherschutzmi- nisterium): Man muss natürlich den Ärzten, die die Behandlung vornehmen, zugestehen, dass sie einordnen können, wie lange diese Behandlung erforderlich ist, und danach muss man sich richten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass hier generell Regeln vorgegeben werden, die nicht zum Erfolg führen. Wir haben gesichert, dass verschiedene zusätzliche Möglichkeiten der ambulanten Behandlung und Betreuung in die Therapie einbezogen werden. Man muss dies dem Arzt überlassen, der das begutachten und auch entsprechend anordnen muss.
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Weitere Zusatzfrage: der Fragesteller.
Frau Staatssekretärin, nachdem mir gerade die Fachärzte das Gegenteil berichten, nämlich dass nach gesetzlicher Grundlage die erste Akutbehandlung Alkoholkranker in den Fachkliniken drei Wochen dauern soll, aber auf Druck der Kassen höchstens noch 14 Tage genehmigt werden – andere wollen nur noch fünf Tage genehmigen –, entsteht eben der Effekt, dass wir eine Unterversorgung dieser kranken Menschen zu verzeichnen haben, mit der Folge, dass für die Patienten außerhalb der Kliniken alles schlimmer wird und im Grunde genommen auch gesellschaftlich und volkswirtschaftlich gesehen letzten Endes alles teurer wird.
Frau Staatssekretärin Görlitz (Verbraucherschutzmi- nisterium): Man muss berücksichtigen, dass es zum einen um die körperliche Entgiftung und zum anderen um die Therapie geht. In diesem Zusammenhang muss man das sehen. Wie lange eine Entgiftung erfolgt, die in den Bezirkskrankenhäusern vorgenommen wird, muss man dem Arzt überlassen. Die Therapie muss daran anschließen und entsprechend fachlich fortgeführt werden.
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Letzte Zusatzfrage: Herr Irlinger.
Ich frage noch einmal konkret: Frau Staatssekretärin, wenn Sie mir zustimmen würden, dass
eine dreiwöchige Akutbehandlung der Alkoholkranken in den Fachkliniken notwendig wäre, würden Sie dann auch Druck auf die Kassen ausüben, diese Behandlung zu gestatten, statt im Gegenteil die Patienten nur fachlich unzureichend ein paar Tage behandeln zu lassen?
Frau Staatssekretärin Görlitz (Verbraucherschutzmi- nisterium): Wenn Sie mir die Fälle mit Namen angeben, bei denen entsprechend Druck ausgeübt wurde, bin ich gerne bereit, dies nachzuverfolgen und dann daraus Rückschlüsse für die weitere Arbeit zu ziehen.
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Ich bitte nun den Herrn Staatssekretär für Unterricht und Kultus um die Beantwortung der weiteren Fragen. Herr Kollege Sackmann hat seine Frage zurückgezogen. Ich rufe nun Herrn Maget auf und bitte ihn, seine Frage zu stellen.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen. Bei Herrn Dr. Waschler hat sich wieder gezeigt, was auch bei den übrigen CSU-Rednerinnen und Rednern und auch bei Frau Hohlmeier über weite Strecken deutlich wurde. Eigentlich hätte ich mir in der Vorweihnachtszeit gewünscht, dass Sie redlich argumentieren, dass Sie die Wahrheit suchen und sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von dieser Seite, Sie haben Recht gehabt mit Ihren bildungspolitischen Botschaften der vergangenen Jahre. Unsere Botschaften waren: Mehr Bildungsqualität durch innere Schulreform; mehr Unterrichtsqualität durch Hilfen; Fortbildung; kleinere Klassen und mehr Zeit für Kinder und Lehrer; mehr Individualisierung und mehr Chancengleichheit durch mehr Förderung. Das waren unsere Botschaften. Sie stehen in dieser Studie, aber Sie wollen sie einfach nicht wahrhaben.
Es wäre noch nicht zu spät für Änderungen. Ansätze dazu gab es in den Beiträgen von Herrn Nöth und von Herrn Schneider. Aber die anderen gehen mit ungebrochener Selbstbeweihräucherung ans Mikrofon. Sie sind unfähig für nötige Analysen und unwillig zur Selbsterkenntnis. Gerade Selbsterkenntnis wäre aber der erste Schritt zur Besserung. Wo ist denn der erste Schritt der Besserung? Die CSU schreibt in ihren Antrag hinein:
Gleichwohl bestätigen die vorliegen Daten, dass der in Bayern eingeschlagene schulpolitische Weg richtig ist...
Wozu müssen wir dann noch debattieren, wenn alles richtig ist? Dann brauchen wir doch nicht mehr über die Pisa-Studie zu reden wie andere aus Ihren Reihen, die auch plötzlich gemeint haben, reden zu müssen.
Herr Knauer, ich wäre mit dem Wort „Gesamtschule“ im Zusammenhang mit Waterloo ein bisschen vorsichtiger. Haben Sie die Pisa-Studie denn nicht gelesen, in der steht, dass die Mehrheit aller Länder, die besser sind als wir, Gesamtschulsysteme hat? Sie sollten das endlich zur Kenntnis nehmen und ein bisschen redlich argumentieren. Sie sollten in dieser Debatte wirklich ein bisschen leiser sein; denn Ihre Schulpolitik ist sitzen geblieben, wie sich in allen in der Pisa-Studie herausgefilterten Kriterien zeigt. Es gibt für Sie kein Vorrücken in die Elitestufe oder gar in die Spitzenklasse. Dies wird auch der Juli 2002 zeigen; denn es ist nicht einmal Mittelmaß vorzuweisen.
Wie meine Kolleginnen und Kollegen bereits gesagt haben, liegen die Missstände nicht erst seit der Pisa-Stu
die, sondern schon seit der OECD- und der Tims-Studie längst auf der Hand. Sie sind mit Ihrem Latein, mit Ihrem Bekenntnis am Ende, das heißt: Eine frühe und starke Auslese bringt zugleich die richtige und spitzenmäßige schulische Leistung. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, dies ist nicht so. Sie haben es immer für unerlässlich und unumstößlich gehalten, dass frühes Auslesen, die frühe Bildung homogener Lerngruppen und eine leistungsorientierte Selektion qualitätssichernd seien. Dies waren Ihre Behauptungen, und darauf haben Sie Ihre Schulpolitik aufgebaut. Doch die Befunde von Tims und Pisa widersprechen den Grundlagen Ihrer Politik; denn die Mehrheit der Länder, die uns in ihren Leistungen übertreffen, liest erst sehr spät aus und lässt die Kinder lange Jahre eine gemeinsame Schulzeit verbringen.
Es zeigt sich ferner, dass Kinder anregungsreiche Milieus brauchen und nicht so früh in homogene, gleichmäßige und schulformbezogene Gruppen eingeteilt werden sollen, weil zum Beispiel Schüler mit gleichen Fähigkeiten in einer niederen Schulform weniger lernen und weniger Leistung bringen als in einer höheren Schulform. Wir müssen von homogenen Leistungsgruppen wegkommen.
Erwähnt werden muss des Weiteren die Tatsache, dass in Bayern durch das Auslesesystem – da ist Bayern führend – die soziale Schere wahrscheinlich deutlich wird. Soziale Ungleichheiten sind in einer demokratischen Schule nicht hinnehmbar. Ihr Antrag ist schon deswegen nicht akzeptabel, weil Sie kein einziges Wort zu den sozialen Scheren und zu den ungleichen Entwicklungen für Kinder aus bildungs- oder sozialschwachen Schichten sagen. Das ist heute ein Grundproblem. Wir haben immer darauf hingewiesen, dass die Auslese eine größere Ungleichheit hervorruft und wie wichtig die Förderung der elementaren Primarstufe ist, um diese sozialen Fehlentwicklungen zu vermeiden. Sie aber geben der Grundschule einen zu kurzen Zeitraum, haben viele Stunden gekürzt – es fehlen Förderstunden – und die Grundschule unterfinanziert. Auch darüber wird künftig zu reden sein.
Ich kann dem CSU-Antrag nicht zustimmen, weil Sie sich auf der einen Seite beweihräuchern, indem Sie sagen, sie machten alles richtig. Auf der anderen Seite hätte man eine klare Analyse und Aussage dazu erwartet, was Sie eigentlich wollen. Sie aber fordern im Antrag zu berichten, ob und welche Konsequenzen aus der PisaStudie zu ziehen sind. Wir fordern Konsequenzen und werden dafür kämpfen.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, Ihre Rede hätten Sie sich eigentlich sparen können, denn sie hat hauptsächlich aus dem nochmaligen Verlesen Ihrer Presseerklärung bestanden. Es wäre besser gewesen, Sie wären auf die überzeugenden Argumente der Rednerinnen und Redner der
Opposition eingegangen. Dann hätte die Aktuelle Stunde einen Sinn gehabt. Die bildungspolitische Debatte ist wieder abgelaufen, wie wir es kennen, nämlich nach dem Schema, dass die CSU die Regie übernimmt und erklärt, wir hätten entweder auf das falsche Pferd gesetzt oder säßen im falschen Zug bzw. seien zu dumm, die Sache zu begreifen, oder sollten die SPD-regierten Länder ansehen. Frau Ministerin Hohlmeier, so etwas zeugt von phantasieloser Rhetorik. Wenn Ihnen in solchen Debatten die Argumente ausgehen, beginnen Sie, uns herabzusetzen.
Herr Unterländer, Sie reden zum Beispiel von den abfahrenden Zügen. In meinen Augen ist es besser, auf Züge rechtzeitig aufzuspringen, als die Abfahrt der Züge zu verschlafen, wie es die CSU macht.
Das Verschlafen will uns dagegen Herr Schneider vorhalten, der sagt, wir seien immer auf dem falschen Pferd gesessen. Herr Schneider, ich respektiere Ihre Kompetenz in Sachen Schulpolitik, aber sehen Sie sich doch die Situation an: Es war immer so, dass die CSU zehn Jahre später mit Vorschlägen kam, die wir schon lang vorher auf den Tisch gelegt hatten. Sehen Sie sich doch Ihr Kreuther Papier von 1998 an. Sie haben alles das abgeschrieben, was wir in den neunziger Jahren in die Debatten eingebracht haben und was Sie abgelehnt haben, ob es um die Lehrerbildung ging, um die selbstständige Schule oder um die Bürokratie. Vieles, vieles haben Sie übernommen und als Ihre Idee verkauft. Ich prophezeie Ihnen, bei der Ganztagsschule wird es genauso werden. In wenigen Jahren wissen die Leute draußen, dass wir dieses Schulangebot brauchen, und wir werden es auch installieren.
Ich weiß, dass ich in dieser Debatte gescheite Argumente habe. Die Argumente von anderen will ich hier nicht beurteilen. Ich sage Ihnen nur eines: Herr Unterländer, das Gerede von der Arbeitszeitverlängerung ist doch – beinahe hätte ich gesagt – Krampf. Schauen Sie doch einmal hin, wenn die Kinder um 14 Uhr mit dem Bus von der Schule nach Hause kommen. Dann geht es erst los mit zwei Stunden Hausaufgaben und einer Stunde Nachhilfeunterricht. So läuft die jetzige Schule. Reden Sie doch einmal über die Problematik der jetzigen Schule.
Mit der Ganztagsschule würden wir das Ganze entzerren. Wir würden zusätzlich zur Arbeitszeit, die sich nicht verlängert, Ruhephasen, Spielphasen, Gemeinschaftserfahrungen und musische Phasen einbauen, die kindgerechter sind und eine bessere Entwicklung garantieren.
Genauso dumm ist es, immer wieder zu behaupten, wir wollten alle Schulen zu Ganztagsschulen machen. Wir wollen ein Angebot daraus machen; zunächst einmal vier Fünftel der Schulen, das wäre ein richtiger erster Schritt. Wir wollen dieses Angebot auch flächendeckend einführen. Für jeden, der für sein Kind eine Ganztagsschule haben will, soll sie auch erreichbar sein.
Unredlich ist auch Ihr Argument, wir würden die Kinder der Familie wegnehmen. Das Gegenteil wird der Fall sein. In der Ganztagsschule ist alles abgedeckt, was die Schule betrifft. Die Kinder kommen entspannt nach Hause, und die Eltern brauchen sich nicht mehr in den Krieg der Hausaufgaben zu stürzen. Die Eltern werden in ihrer Freizeit und in ihrem Umgang mit den Kindern mehr Qualität haben. Auch das ist ein Vorteil der Ganztagsschule.
Frau Hohlmeier, Sie verkaufen Ihr Publikum regelmäßig für dumm. Sie haben heute zum wiederholten Male behauptet, Bayern würde mehr tun in Sachen Ganztagsangebote. Verdammt noch einmal! Lesen Sie doch einfach die Zahlen, die jedem von uns vorliegen. NordrheinWestfalen hat 635 Ganztagsschulen, davon alleine über 50 an Realschulen und Gymnasien. Sie brauchen nicht den Kopf zu schütteln, Sie müssen nur lesen. Niedersachsen hat 144 Ganztagsschulen, das kleine Rheinland-Pfalz wird bald 300 haben. Das kleine Thüringen hat 115 Ganztagsangebote, Baden-Württemberg 243 und Hessen 169. Schauen Sie doch einmal auf diese Länder, diese haben Vorleistungen erbracht. Wenn wir genauso handeln würden wie die kleinen Länder, müssten wir 1000 Ganztagsschulen haben und nicht nur windige 23.
Sie vertun eine wichtige Chance. Das werfen nicht nur wir Ihnen vor. Das werfen Ihnen zum Beispiel auch die Wirtschaft, die Kirchen und der Städtetag vor. Unsere Schulen müssen europatauglich werden, so sagen diese Verbände. Wir haben die wenigsten Schüler mit Hochschulreife, wir haben die niedrigsten Abiturientenzahlen,
wir haben eine sehr hohe Zahl von Abgängern ohne Abschluss. Diese Zahlen werden künftig im Wettbewerb ausschlaggebend sein, das ist auch für Bayern eine Standortfrage. Die Halbtagsschule kann hier nicht entscheidend weiterhelfen, weil gerade sie diese Probleme geschaffen hat. Auch das Betreuungskonzept der CSU kann hier nicht weiterhelfen. Es ist ein Aufbewahrungskonzept. Die Schüler werden dadurch nicht gebildeter und nicht klüger, und sie werden auch in ihrer Persönlichkeit nicht mehr gestärkt, so dass sie alles das in ihrem späteren Berufsleben nicht umsetzen können.
Frau Stewens, Sie vernachlässigen auf fahrlässige Weise die notwendige Betreuung der Kinder. Sie predigen ständig, wir sollten uns mehr um die Kinder kümmern. Schauen Sie sich doch die heutige Kindheit an. Sie ist geprägt durch ständige Medieneinflüsse, durch zerrüttete Familienstrukturen, durch zu wenig Zeit für die Kinder und zu wenige Spielflächen in der Umgebung. Die Kinder können nicht mehr so aufwachsen, wie wir es uns wünschen. Die Schule muss, ob sie es will oder nicht, dieses Vakuum, das in den Familien entstanden ist, auffüllen. Das kann aber die Halbtagsschule nicht schaffen. Erst die Ganztagsform wird ein Mehr an Miteinander schaffen. Erst die Ganztagsschule wird mehr individuelle Förderung, mehr Verantwortung und mehr Lernen ermöglichen.
Frau Stewens, es ist doch wirklich frech, wenn Sie behaupten, die Ganztagsschule mache die Sportangebote und die Musikschulen kaputt, in welche heute schon weniger Kinder hineingehen. Wir wollen doch zunächst einmal nur für 20% der Schüler Ganztagsangebote schaffen.
Ich wollte nur sagen, es bleiben noch genügend Kinder übrig für die Musikschulen und für die Sportvereine. Es gehen doch ohnehin nicht alle Kinder in eine Musikschule.
Herr Präsident, ich will zum Schluss kommen und einen völlig unverdächtigen Zeugen, den Herrn CSU-Oberbürgermeister Deimer zitieren.
Er sagte, aus ideologischen Überzeugungen habe die Staatsregierung die Zeichen der Zeit nicht erkannt. In der fachlichen Diskussion habe sich gezeigt, dass die durchgängige Ganztagsschule die wesentlich bessere Antwort auf die heutigen Anforderungen sei als die Halbtagsschule mit Nachmittagsaufbewahrung. Wenn aber finanzielle Erwägungen den Ausschlag geben sollten, dann hätte eine kurzsichtige Finanzpolitik Vorrang vor der Schulpolitik.
Noch ein Schlusssatz, wie ich ihn hätte besser nicht machen können: Es bleibt nur zu hoffen, dass die Ganztagsschule weitere starke Verfechter bekommt.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen.
Wo fließen unsere Steuern hin? – Neue Lehrer sind nicht drin.
Bleiben unsere Kinder dumm, dann schaut man sich nach Indern um.
So dichteten Kinder vor wenigen Tagen im Rahmen eines Schulstreiks zusammen mit ihren Eltern an einer Münchner Grundschule. Es war exemplarisch für die Situation an Bayerns Schulen: Seit Wochen sind Lehrkräfte krank, Klassen verwaist; und es ist keine mobile Reserve dafür vorhanden. Die Eltern weisen überall auf die negativen Folgen der Klassenzusammenlegungen und des Nachhauseschickens von Kindern hin und betonen, dies beeinflusse die Entwicklung der Kinder negativ.
Für mich war an diesem Tag in München auch exemplarisch – und für mich noch dazu stillos – das Verhalten der Schulbehörde, praktisch Ihres Vertreters, des Herrn Freller, der sich vor die Eltern hinstellte und das Hohe Lied von Bayerns Schulpolitik sang, wie viele Lehrerstunden es gebe. Aber kein Wort hatte er übrig für die Ängste und Sorgen der Eltern und kein Wort für die Situation der Schüler, die um ihre Zukunft bangen. Das wichtigste für mich an diesem Tag war, dass die Eltern Ihnen dieses selbstlose und Hohe Lied nicht mehr abnehmen. Es hat sich ausgesungen, wollte ich sagen, Frau Ministerin – leider ist sie nicht da; also muss ich es zum Herrn Freller sagen –, es hat sich ausgesungen, denn es ist nicht mehr zu verbergen: Bayerns Schulen sind zum Notstandsgebiet geworden.
Sie können die Pflichtunterrichtsversorgung nicht sicherstellen. Es ist schlimm: Für Bayerns Schulen gibt es keine Unterrichtsgarantie, Bayerns Schulen brauchen Hilfe. Aber die Hilferufe verhallen ohne stützende Antwort und ohne Problemlösung, wenn Eltern um Hilfe rufen, zum Beispiel wegen des drastischen Unterrichtsausfalls, der an einzelnen Schulformen bis zu 10% ausmacht, wegen der fehlenden Lehrerreserven, obwohl die
Ministerin Verstärkung versprochen hat, und wegen der fehlenden Pflichtstundenzuweisung. Die mangelnde Unterrichtsversorgung, zum Beispiel an den Fachoberschulen und den Berufsoberschulen, war in diesem Schuljahr ein Skandal; wir haben das hier schon beschrieben. Sie werden die Löcher auch nicht mit den wenigen Planstellen stopfen können, die Sie jetzt wieder einmal angekündigt haben.
Die Eltern protestieren wegen des Einsparungsmodells und der Budgetierung an den Gymnasien, weil sie sehen, dass dort die Unterrichtsqualität sinkt. So wird es dann auch fast täglich in Petitionen an uns ausgedrückt. Zum Beispiel haben wir ein Schreiben aus dem Volksschulbereich: „In unserem Landkreis besteht ein massiver Lehrermangel im Bereich der Grund- und Hauptschulen; dieses lässt sich damit belegen, dass insgesamt 20 Klassen täglich wegen Krankheitsausfällen nicht versorgt werden können.“ Oder ein Schreiben aus einem Gymnasium: „Die Lehrersituation an unserem Gymnasium ist zu Beginn dieses Schuljahrs für den Elternbeirat und für viele Eltern ein Skandal; es kann doch nicht angehen, dass sich der Leiter eines Gymnasiums und die Eltern der Schüler selbst auf die Suche nach Lehrkräften machen müssen. Und: Lehrermangel bei gleichzeitig üppiger Warteliste erweckt bei den betroffenen Eltern den Eindruck einer ziemlich planlosen und perspektivlosen Bildungspolitik.“ Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.
Die Proteste werden deutlicher und die Kommentare härter. Ich denke, sie sind berechtigt. Kritik kommt im Übrigen von allen Betroffenen, weil sie endlich eine Trendwende in der Schulpolitik wollen, die zum einen immer angekündigt, zum anderen aber nicht umgesetzt wird. Es wird eine echte Schulreform verlangt, und es kommt Kritik von den Schülern, die sich fragen, ob sie denn das nötige Rüstzeug für die Zukunft mitbekommen. Es kommen Proteste von den Eltern, die es leid sind, weil die Schule vielerorts ihren Auftrag nicht mehr erfüllen kann. Es kommen Hilferufe der Lehrer, die schon zucken, meine Damen und Herren, wenn etwas angekündigt wird, weil jede Ankündigung der Ministerin neue Arbeit und zusätzliche Belastung bedeuten.
Ich hoffe, Sie haben die Studie aus der Uni Erlangen zur Kenntnis genommen – hoffentlich ziehen Sie aus ihr auch die richtigen Konsequenzen –, in der bestätigt wird: Der Stress im Klassenzimmer wirft immer mehr bayerische Lehrer aus der Bahn. Es gibt heute keine andere Möglichkeit mehr als die Frühpensionierung, weil die Lehrer unter Erschöpfungs- und Burn-out-Syndromen, Depressionen und psychosomatischen Störungen leiden. Die Lehrer werden – das hört man, wenn man in die Schulen geht – allein gelassen wie übrigens auch die Schulleiterinnen und Schulleiter,
die doch der Motor der Reform sein sollten, wie Sie immer wieder betonten, auf die man aber zum Beispiel im Volksschulbereich immer mehr Aufgaben und immer mehr Arbeiten ablädt, die sie zeitlich zusätzlich belasten. So darf es nicht weitergehen, wenn man die Schulreform ernst meint.
Diese Missstände und Notstände, meine Damen und Herren, sind das Ergebnis bayerischer Schulpolitik, die Sie in der CSU zu verantworten haben. In den letzten Jahren ist nichts besser, aber vieles schlechter geworden. Ich meine, die Frau Ministerin ist mit den Aufgaben überfordert, die sich in der Schule in diesen Jahren stellen.
Diese Situation macht mich so wütend, weil ich gleichzeitig Ihre Sonntagsreden im Ohr habe und nur noch den Kopf schütteln kann, wenn es heißt: Wir brauchen mehr Kinder, wir müssen noch mehr für die Kinder tun, wir müssen kinderfreundlicher werden. Ja, meine Damen und Herren, Sie haben in der CSU im Kultusministerium seit zehn Jahren die Chance, Kinderfreundlichkeit zu praktizieren, weil die Schülerzahlen doch steigen. Wir haben also den Kindersegen in Bayern. Was aber tun Sie? Sie bestrafen diesen Kindersegen in Bayern.
Sie hatten und haben nur Grausamkeiten übrig: weniger Zeit, größere Klassen, weniger Förderung, mehr Auslese, weniger Schulsport, weniger Musik und viele andere Dinge.
Dann aber schämen Sie sich nicht, von der Bundesregierung zu verlangen, pro Kind 1200 DM monatlich sozusagen für unsere Kinder im Lande auszugeben. Ich sage Ihnen, Herr Freller – sagen Sie es bitte der Ministerin weiter! –: Wären Sie bereit gewesen, pro Schüler nur annähernd so viel zusätzlich für die Bildung auszugeben, dann bräuchten wir heute keine Notstandsdebatte zu führen.
Nichts ist besser geworden; dies ließe sich für alle Schularten verdeutlichen. Aus Zeitgründen nenne ich nur ein paar Beispiele; es folgen ja noch Redner, die das deutlicher machen können.
Am Gymnasium wird der Protest immer kräftiger; ich sage Ihnen nur, was zum Beispiel die Landeselternvereinigung zur Situation am Gymnasium schreibt:
Die Situation an unseren Gymnasien ist derzeit kritisch und droht zu einer akuten Notlage zu werden, wenn weiterhin wie in den letzten acht Jahren an Bildung gespart wird. Bereits bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat das Gymnasium auf über 17000 Lehrerwochenstunden verzichten müssen. Dies widerspricht unseres Erachtens den Interessen unseres Landes. Die jetzigen starken Jahrgänge müssen mit weniger Lehrerstunden, weniger Wochenstunden, in größeren Lerngruppen ihre Gymnasialzeit hinter sich bringen.
Das ist kein sozialdemokratisches Papier, das ist das Papier der Landeselternvereinigung vom Mai 2001.
Oder gehen wir zu Ihrem Lieblingskind, den Realschulen und der R 6. Da verzeichnen wir doch eine geradezu dramatische Entwicklung. Diese Schulform hat die größten Klassen. Weit über die Hälfte der Kinder geht in Mammutklassen. Es fehlen Räumlichkeiten, es fehlt die Entlastung der Lehrkräfte, es fehlt die Entlastung durch Verwaltungsangestellte. Dort sind Unterrichtsausfall und Stundenkürzungen zu verzeichnen.
Selbst von Insidern und selbst in Ihrem Haus wird dann einmal erwähnt, dass alles – R 6 sage ich – viel schlimmer geworden ist, als es die Opposition prophezeit hat.
Da rächt sich – wir brauchen gar nicht zu triumphieren; es geht schließlich um die Kinder, und diese tun uns leid – Ihre Vollmundigkeit, die Sie an den Tag gelegt haben, als Sie gesagt haben: Diese Reform wird fast nichts kosten; wir werden sie im Interesse der Kinder umsetzen können. Die Schüler leiden jetzt unter Ihrer unvernünftigen Reform.
Besonderes Notstandsgebiet sind die Förderschulen. Ich nenne dazu nur eine Zahl; sonst läuft mir die Zeit davon. Noch 1990 gab es pro Förderschüler 3,20 Lehrerstunden. Inzwischen ist es schlecht geworden: 1999 gab es nur noch 2,53 Lehrerstunden. Auch hier hat sich die Situation dramatisch verschlechtert.
Die Amtszeit der Ministerin ist gekennzeichnet durch hektischen Aktionismus, wo Handeln angesagt wäre, Propagandawellen, wo Substanz notwendig wäre, und Ankündigungen ohne Ende, wo die Unterstützung von Betroffenen in der Schularbeit notwendig wäre. Ich möchte das deutlich machen.
Mir wird das Ende meiner Redezeit angedeutet; ich habe aber noch keine zehn Minuten gesprochen.
Nach meiner Uhr allerdings nicht.
Ich will nur noch in wenigen Sätzen deutlich machen, Herr Präsident, dass selbst die bayerische Wirtschaft – keine sozialdemokratische Klientel – darstellt, was in der Schulreform an bayerischen Schulen alles fehlt: die Vermittlung von Kern- und Methodenkompetenzen. Die unterschiedlichen Bildungsinstitutionen seien zu undurchlässig,
der erzieherische Auftrag des Staates müsse bekräftigt werden, und die Investitionen in den Bildungsbereich seien zu niedrig. „Wir brauchen eine inhaltliche und organisatorische Bildungsrevolution“ – das ist das Fazit der bayerischen Wirtschaft.
Das ist mein Schlusssatz. Frau Ministerin, Sie haben vor einiger Zeit deutlich gemacht, dass die am meisten Gewinn bringende Investition die in Kinder sei. Wir nehmen Sie beim Wort und hoffen, dass Sie unseren bayerischen Schulen endlich Hilfe bringen.
Herr Staatssekretär! Wie bewertet die Staatsregierung die Aussage des Leiters der Volksschulabteilung im Kultusministerium in der Zeitschrift „BiB“
1/2001, dass in Mittelfranken zu viele Schülerinnen und Schüler an Förderschulen als Förderort beschult würden; welche Schlüsse und welche Konsequenzen wurden daraus gezogen?
Herr Staatssekretär, da Sie – ich glaube jedenfalls, dass Sie es waren – bei der aktuellen Debatte zur Bildungspolitik heute die Bemerkung haben fallen lassen, die Staatsregierung meine, dass zu viele Schülerinnen und Schüler den Förderort Förderschule besuchen würden, frage ich, ob mit der Äußerung von Herrn Dr. Wittmann eine Art Notbremse gezogen werden soll, da wir wissen, dass die Förderschulen einfach nicht so ausgestattet werden können, wie sie ausgestattet werden müssten, um den Namen Förderschulen und Schulen für individuelle Lernförderung tatsächlich zu verdienen.
Ich habe noch keine Wertung abgegeben, sondern nur nach den Gründen gefragt. Deshalb möchte ich noch einmal nachhaken und Sie fragen, ob Sie mit mir einer Meinung sind, dass die steigende Zahl der Überweisungen an die Förderschulen damit zusammenhängt, dass die Rahmenbedingungen an den Regelschulen nicht mehr stimmen. In Zeiten großer Klassen und gekürzter Unterrichtszeiten ist es doch eine Entlastung, Kinder, die mehr Förderung brauchen, schneller an
eine Förderschule zu überweisen, wenn diese Kinder in der Regelklasse nicht gefördert werden können.
Herr Staatssekretär, nachdem die Staatsregierung angekündigt hat, einige Gymnasien und Hauptschulen als Ganztagsschulen zu führen, frage ich, ob, wann und unter welchen Rahmenbedingungen die Hauptschule Spardorf bei Erlangen – ehemals staatliche Ganztagsschule – damit rechnen kann, wieder als Ganztagsschule installiert zu werden.
Wenn vor der Sommerpause ein Konzept erstellt werden soll, muss es doch ein paar Grundgedanken geben und nach denen frage ich jetzt. Wird es Hauptschulen als Ganztagsschulen geben? Wird es so genannte staatliche Schulen geben, die nicht im Rahmen der Jugendhilfe oder der kommunalen Unterstützung nachmittägliche Betreuung anbieten? Hat damit eine Hauptschule wie Spardorf, die im Brennpunkt liegt
und seinerzeit schon sozial schwache, benachteiligte Jugendliche aufnahm, Chancen, aufgenommen zu werden?
Nachdem Sie jetzt nichts Konkretes sagen können, bestenfalls vor der Sommerpause mit einem Konzept zu rechnen ist, andererseits Schulträger und das Umfeld Zeit zur Vorplanung und Vorarbeit haben müssen, gehe ich davon aus, dass Sie es genau so sehen wie ich, dass dann für das neue Schuljahr wohl nichts mehr drin ist mit Ganztagsschulen in Bayern.
Steht mir noch eine zu?
Ich denke, der Herr Staatssekretär ist mit mir einer Meinung, dass sich ein Abgeordneter des Bayerischen Landtags mit dieser Antwort nicht zufrieden geben kann, die im Grunde genommen keine Antwort war. Deshalb bitte ich, in kurzen Worten doch noch einmal deutlich zu sagen, wann und mit welchem Status die bayerischen Schulen mit der Deckung ihres Bedarfs an Ganztagsangeboten rechnen können.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Knauer, Ostern steht vor der Tür. Ich habe mir überlegt, Ihnen eine neue CD zu schenken, damit Sie nicht stets die alte Platte auflegen müssen, wenn Sie ans Rednerpult treten.
Wir kennen diese Platte seit fünf Jahren: Bayern ist am besten; die anderen sind schlecht. Warum sind dann die Zeitungen jeden Tag voll mit Kritik an Ihrer Schulpolitik?
Da muss doch etwas nicht stimmen.
Wir diskutieren heute in der Tat über ein weiteres schwarzes Kapitel im unsäglichen Drehbuch mit dem Titel „Unterrichtsnotstand in Bayern“.
Ich weiß, du bist neidisch.
Das Gesundbeten und Sich-selbst-immer-wieder-Bestätigen, Herr Kollege Knauer, wie gut die CSU in Bayern ist, nützt nichts mehr.
Die Grausamkeiten, die Sie den Schulen anbieten, gehen weiter. Andere Kapitel in dem schlimmen Drehbuch heißen „Mammutklassen“ und damit weniger Lernchancen für unsere Kinder und
„Unterrichtsausfall“ bis zu 10%. Damit sind die Lehrer und Schüler einem ungeheuren Druck ausgesetzt. Weitere Kapitel heißen „Stundenkürzungen“, die die Unterrichtsqualität mindern, und zum Beispiel auch „ungeheuerlicher Nachhilfeboom“, weil unsere Schulen den Lernerfolg nicht mehr sichern können. Das Schlimmste ist, dass diese Kapitel nie abgeschlossen werden und immer weiter gehen.
Die jetzige Situation mit dem Ausdruck „Lehrermangel“ zu beschreiben, geht am Kern des Problems vorbei. Sie stellen den Lehrermangel dar, als wäre er etwas Schicksalhaftes, quasi vom Himmel Gefallenes. Nein, der jetzige Notstand ist hausgemacht, weil Sie Ihre Pflicht, an den bayerischen Schulen den Unterricht zu garantieren, nicht erfüllen, was von Ihnen so gewollt war und politisch
so geregelt wurde. Wir haben keinen Lehrermangel, sondern Sie haben mangelnden Einstellungswillen.
Hätten Sie in den neunziger Jahren eingestellt, wie wir es jährlich vorgeschlagen haben, hätten wir keinen Unterrichtsnotstand. Die Kinder waren da. Wir wussten das. Sonst wird tagtäglich beklagt, dass es zu wenig Kinder gebe in diesem Lande. Die Kinder waren da, aber Sie haben die Schulen nicht dementsprechend ausgestattet. Hätten Sie das geregelt, wie wir es wollten, hätten wir jetzt nicht in allen Schularten den Unterrichtsnotstand. Die Eltern bräuchten nicht auf die Barrikaden zu gehen, die Schulleiter nicht zu resignieren, und man könnte der Pensionierungswelle gelassen entgegensehen. Auch das ist zum Thema „Lehrermangel“ zu sagen, Frau Ministerin: Was Sie in diesem Zusammenhang geboten haben, ist mit „fehlendem Fingerspitzengefühl“ sehr zurückhaltend beschrieben. Sie gehen nach Österreich, um Lehrer zu holen, obwohl bei uns Tausende auf der Warteliste stehen. Bei uns gibt es Tausende von Lehrern, denen in den letzten Jahren die Schultüre vor der Nase zugeschlagen wurde, und bei uns gibt es noch Hunderte, denen Sie „Sklavenverträge“ angeboten haben – im Februar eingestellt, und im Juli wieder ausgestellt. Hier hätten Sie etwas tun können. Ich gebe der Kollegin Münzel Recht, Sie müssten einstellen und die Wartelisten abräumen.
Sie haben – so will ich das jetzt nennen – ziemlich professionell das „Brandstiftersystem“ entwickelt. Sie zündeln und feiern sich anschließend als Feuerlöscher und Retter. Das Feiern ist Ihnen nach der jüngsten Meldung ziemlich schnell vergangen, weil – wie wir gestern lesen durften – in den Ministerien der Rechennotstand ausgebrochen ist. TIMSS schlägt in Bayern voll zu: Sind es 100 neue, sind es 120 neue oder gar 220 neue Stellen? Liebe Frau Ministerin, das Papier war schon in dem Moment nichts mehr wert, als die Meldung gedruckt wurde.
Auch wenn es bei 220 zusätzlichen Lehrerstellen zum neuen Schuljahr bleiben sollte, ist das dennoch nur eine Farce. Liebe Kollegin Münzel, das kann man doch nicht als „erste Hilfe“ bezeichnen. Damit beleidigt man die Erste-Hilfe-Teams im Lande. Das ist nicht einmal ein kleines Kinderpflasterchen, das Sie auflegen. Die 100 Stellen, die von den 220 Stellen vielleicht den Gymnasien zugute kommen, reichen nicht. Vor einem Monat sagte der Vorsitzende des Bayerischen Philologenverbandes, Herr Rupp, die Gymnasien bräuchten mindestens 180 Stellen in diesem Schuljahr und danach jährlich 1200 neue Lehrerinnen und Lehrer.
Zum September 2001 sind 8500 zusätzliche Schülerinnen und Schüler an unseren Schulen. Um den steigenden Bedarf auf dem Niveau des letzten Schuljahres zu bewältigen, bräuchten wir 500 neue Lehrkräfte. Nicht einmal das schaffen Sie.
Ihre Lösung stopft nicht einmal die Löcher, die Sie in den letzten Jahren aufgerissen haben. Zu Beginn des letzten Schuljahrs haben Sie nicht einmal genügend Lehrerinnen und Lehrer für die Erfüllung des Pflichtstundenkatalogs der Gymnasien zur Verfügung stellen können. Jetzt müssen Sie im Nachhinein ein paar Lehrkräfte bereitstellen. Das ist eine Farce, weil Sie den Gymnasien zwar ein paar Lehrkräfte geben, ihnen aber mit den Anrechnungsstunden wieder etwas nehmen. Mit einer Hand geben Sie, und mit der anderen nehmen Sie es sich wieder. Das ist Ihre Schulpolitik.
Mit dem „Brandstiftersystem“ haben Sie an den Fachoberschulen und den Berufsoberschulen im letzten Jahr einen ungeheuren Brand gelegt, weil diese Schulen einen Unterrichtsnotstand zu verzeichnen hatten wie noch nie. Kürzung durch Budget, fehlende Lehrkräfte und reihenweise Pflichtstundenausfälle waren die Folge. Durch Ihr fahrlässiges Verhalten haben Sie den Schulen viel zugemutet. Im Landtag wurde einhellig gesagt, dass es im nächsten Schuljahr besser werden müsse. Ob mit den 20 Lehrkräften, die man ihnen jetzt zugesteht, etwas besser wird, wage ich zu bezweifeln.
Ich meine, Sie müssten zusammen mit Ihrem – oder unserem – Ministerpräsidenten
im Büßergewand auftreten, denn Sie haben Ihre Versprechen nicht gehalten, Frau Kultusministerin. Die Hauptschule wurde erwähnt. Sie haben bei den Hauptschullehrkräften gut Wetter gemacht und ihnen im Juli 2000 gesagt, sie bekämen 1300 neue Kollegen, um die Hauptschulreform durchführen zu können, die Sie beim Volksbegehren herausgestellt haben, als es um die sechsstufige Realschule ging. Jetzt sagen Sie zu diesen Schulen: Ätsch, ihr könnt mich mal, wir haben kein Geld und keine Lehrer. – So wird mit den Hauptschullehrern umgegangen!
Zu dem Versprechen, Ganztagsschulen einzuführen: Sie haben das Thema entdeckt, und Sie haben auch die Familie entdeckt. Nun sagen Sie, wir bräuchten Ganztagsschulen. Sie haben das nicht nur den Gymnasien, sondern allen Schularten – was richtig ist – versprochen. Heute müssen Sie erklären, dass Sie für die Ganztagsschulen nicht einen Pfennig haben. Man kann mit den Leuten nicht in der Weise umgehen und sagen, dass es zwar Bedarf gebe, aber kein Geld vorhanden sei.
Ein weiteres Kapitel in diesem Unterrichtsnotstandsbuch ist die Art, wie Sie mit den Grundschulen umgegangen sind. Auch hier haben Sie Ihr Versprechen nicht gehalten. Als Sie die Wochenstundenzahl in den vier Schul
jahren in dramatischer Weise von 107 auf 99 senkten, sagten Sie: Wir geben diese Stunden zurück, weil sie bedeuten, dass die Schüler in vier Jahren über ein Vierteljahr weniger Unterricht haben. Trotzdem stoppen Sie jetzt die Rückgabe, die Sie versprochen haben, weil Sie hier einfach in Ihrem eigenen Notstand hängenbleiben und die Grundschulen in dieser misslichen Lage zurücklassen.
Zur Realschule. Wir könnten jetzt genüsslich nachsehen, was aus der Reform geworden ist. Es wird alles schlimmer, als es je gesagt wurde. Das sagt nicht nur die Opposition, sondern das sagen auch Leute, die in der Verwaltung sitzen und wissen, wohin der Hase läuft. Die Grundschule wird ohnehin immer mehr Druck bekommen. Die Teilhauptschulen sterben.
Aber das Wichtigste ist: Sie haben die sechsstufige Realschule versprochen, eine neue Struktur geschaffen, aber nicht daran gedacht, dass man dort auch die richtigen Rahmenbedingungen braucht. Die Realschule steuert auf Rahmenbedingungen zu, die für die Schülerinnen und Schüler unannehmbar sind. Die Realschulen haben schon jetzt die höchsten durchschnittlichen Klassenstärken. Das heißt, fast die Hälfte der Jugendlichen geht in Mammutklassen mit über 30 Schülerinnen und Schülern. Der Unterrichtsausfall ist enorm. Wenn ein Lehrer krank wird – das gilt auch für die Prüfungsklasse –, dann wird er nicht ersetzt und man lässt den Unterricht einfach ausfallen. Lehrerstellen geben Sie den Schulen nicht; die stehen nicht zur Verfügung.
Aber jetzt kommt noch das I-Tüpfelchen. Sie machen eine Realschulreform und fangen schon mit Stundenkürzungen an. Die fünfte und die sechste Klasse kriegen statt 30 nur noch 28 Wochenstunden. Das heißt, es muss in den Kernfächern Deutsch, Mathematik und Englisch gekürzt werden. Ich halte es für einen Skandal, was man den Kindern damit zumutet.
Deshalb sage ich: Es muss Schluss sein mit dem Bildungsdiebstahl.
Ich bin beim letzten Satz. Es muss Schluss sein mit dem Bildungsdiebstahl. Es muss Schluss damit sein, mit immer weniger Geld immer mehr Schüler besser ausbilden zu wollen. Das schaffen Sie nicht. Sie müssen deshalb mehr in die Bildung investieren. Ich hoffe, dass wir Ihnen das noch zumuten können.
Das ist auch meine Frage gewesen. Ich habe gehört, dass Herr Minister Sinner antwortet, weil es
um Prävention geht. Wir müssen alle noch lernen, merke ich. Wir haben ein neues Ministerium und dort geht es um Prävention. Ich denke, wir werden auch in der Antwort hören, warum das dort gelandet ist.
Herr Staatsminister, wie werden Modellversuche von Kindergärten, Kindertagesstätten oder Kinderhorten im Rahmen des Projektes „Spielzeugfreier Kindergarten“ bewertet? Hat es beispielsweise staatliche Förderungen gegeben oder gibt es diese noch und werden oder wurden diese Modellversuche durch Fortbildungen und Studien begleitet?
Herr Staatsminister, habe ich das richtig aufgenommen, dass dieses Projekt „Spielzeugfreier Kindergarten“ sehr positiv bewertet wird und daher aus dem Modellversuch heraus praktisch allen Kindertagesstätten empfohlen wird, ein solches Projekt zumindest einmal anzugehen und eventuell auch an Fortsetzungen zu denken?
Ich gehe davon aus, dass Sie oder die Fachabteilungen auch wissen, dass dieses Projekt von einigen wenigen Menschen sehr kritisch begleitet wird, manchmal auch mit ein bisschen wissenschaftlichem Touch dabei. Dabei hat es unter anderem auch Unterstellungen gegeben wie die, durch den Entzug von Spielzeug würde so etwas wie „Kindesmissbrauch“ stattfinden. Wie bewertet die Staatsregierung eine solche Gegnerschaft?
Okay.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte in meine Anrede eigentlich auch die Frau Ministerin einbeziehen. Vielleicht weiß das Präsidium, wo sie ist.
Der Stellvertreter des stellvertretenden Ministerpräsidenten.
Kolleginnen und Kollegen! Es gab zu diesem Thema in der letzten Zeit viele Zeitungsüberschriften. Eine lautete: „Ministerin Hohlmeier geht in Österreich auf Lehrersuche“. Dabei sind mir ein paar Bilder eingefallen. Geht sie jetzt von Schultür zu Schultür? Geht sie vielleicht im Büßergewand nach Österreich?
Warum, das ist die Frage. Warum sollte sie im Büßergewand gehen? Weil sie, ihr Vorgänger und auch die CSU sich eingestehen müssen, dass sie eine falsche Politik betrieben haben: amateurhaft verschleiernd, ohne Konzept, was die langfristige Personalentwicklung angeht.
Einen weiteren Grund gibt es, um Buße zu tun. Früher wäre es undenkbar gewesen, dass ein Bayer/eine Bayerin in ein anderes Land ging. Es wurde immer gesagt: Wir in Bayern haben doch ein ganz anderes Niveau. Da wurden Mauern um Bayern herum aufgebaut, wenn es um die Lehreranstellung ging.
Mit ist noch ein Beispiel von vielen in Erinnerung. Da ging es darum, dass eine nordrhein-westfälische Lehrerin in Nürnberg angestellt werden wollte, um Sportunterricht zu erteilen. Man hat sie nicht nach Bayern hereingelassen,
weil ihr ein klitzekleiner Nachweis, der Skigrundschein gefehlt hat.
Vielleicht trägt die Frau Ministerin – denke ich mir in meinem Bild – neben dem Büßergewand auch noch Schamesröte im Gesicht, weil ihr klar sein muss, dass der Lehrernotstand hausgemacht ist. Sie wissen seit Jahren, welche Probleme wir im Berufsschulbereich haben, darauf komme ich noch näher zu sprechen. Wir wissen seit Jahren, dass in zwei, vielleicht drei Jahren kein Musikunterricht mehr erteilt werden kann, weil die Lehrer dafür fehlen, ebenso im Kunstbereich. Wir haben drastische Maßnahmen unternommen, um im Sport die Lehrerinnen und Lehrer auszugrenzen, und wir haben die Warnungen nicht ernst genommen, was zum Beispiel den Mathe- und den naturwissenschaftlichen Unterricht angeht. Schamesröte wäre Ihnen gut angestanden – der Staatssekretär ist jetzt da –, weil Sie in all diesen Fällen, in denen sich diese Entwicklung abgezeichnet hat, eigene, zurechtgerückte Zahlen herausgebracht und die Entwicklung ignoriert haben.
Natürlich sind die Probleme hausgemacht. Mir ist aufgefallen, dass die Ministerin über lange Zeit, noch bis ins letzte Jahr hinein den Lehrermangel dementiert hat und erst vor einigen Monaten plötzlich einen eklatanten Lehrermangel erkannt hat.
Dabei sind, so muss man feststellen, Meldungen über den Unterrichtsnotstand in fast allen Schularten an der Tagesordnung. Die Berufsschulen – ich habe es erwähnt – haben schon lang Warnung gegeben, aber die Ministerin sagte noch Ende 1999, im Schuljahr 1999/2000: Es gibt einen ausgeglichenen Markt, die Zahl der Bewerber reicht aus. Auch im Ausschuss, als wir den Antrag stellten, war sie noch sehr zögerlich. Erst jüngst meint sie, es sei doch ein eklatanter Lehrermangel an den Berufsschulen festzustellen. Diese Situation hätte längst bekannt sein müssen, und man hätte dieses Problem längst angehen müssen, denn diese Problemsituation wird sich, wenn nicht noch drastisch umgesteuert wird, negativ auf das gesamte duale System auswirken. Wir haben jetzt schon einen Mangel, und die großen Pensionierungswellen werden erst kommen.
Auch im gymnasialen Bereich ist mehrfach, aus dem Verband und von den Betroffenen, vor den Folgen eines sich abzeichnenden Lehrermangels gewarnt worden. Man machte darauf aufmerksam, dass man bestimmte
Fächer nicht mehr wird halten können und dass man angesichts der Schülerströme, die jetzt erst ins Gymnasium kommen, den Unterricht nicht mehr wird bewältigen können.
Auch bei Ihrem Lieblingskind, Herr Freller, den Realschulen – die lange Zeit in ihrem Verhalten gegenüber der Staatsregierung brav waren, es ging ja um eine strukturelle Reform –, wird gesagt, dort zeichne sich für die nahe Zukunft ein ganz erheblicher Lehrermangel ab. Der Verband spricht von einem bedenklichen Trend und befürchtet für die Zukunft Schwierigkeiten und Hemmnisse für die geplante Qualitätsentwicklung an den Realschulen aufgrund des Personalmangels. Die Schülerzahlen, so heißt es, werden steigen, gleichzeitig werden mehr Lehrkräfte altersbedingt aussteigen und in den Ruhestand gehen.
So könnte man mit den Schularten fortfahren. Ich nenne die Hauptschulen. Wir kennen das Problem. Dieses Lehramt ist nicht attraktiv genug. Die Leute arbeiten mehr, unter schwierigeren Bedingungen, kriegen weniger Geld, haben keine Beförderung, und dadurch wird dieses Lehramt auch weniger studiert.
Besonders eklatant ist der Unterrichtsnotstand seit langem an den Förderschulen, und wir erleben leider keine Gegensteuerung.
Wie wir jüngst der „Süddeutschen Zeitung“ entnehmen mussten, haben sich sogar Förderlehrer nach Hessen gemeldet, weil sie dort mehr materielle Sicherheit bekommen.
Wir haben bereits im Bildungsausschuss darüber diskutiert, dass die Fachoberschulen mit denselben Merkmalen wie an vielen anderen Schularten den Schulnotstand ausgerufen haben: Ignoranz der Situation, es werden keine zusätzlichen Lehrerstellen zur Verfügung gestellt mit der Folge einer eklatanten Mangelsituation. Wir mussten es in der Vergangenheit oft erleben und konnten auch gestern in der Zeitung lesen, dass an der Fachoberschule die Lehrkräfte fehlen und dass Stellen nach Pensionierungen nicht wieder besetzt werden.
Auch die 10prozentige Budgetkürzung trägt zu einem massiven Unterrichtsausfall bei. Hinzu kommen untragbare Klassenstärken von durchschnittlich 30 Schülern in Klassenzimmern, die für 25 Schüler gebaut wurden. Auch dies gehört zur Mangelsituation. Diese Berichte über die Lage und die Mangelsituation an Schulen sind eine Bankrotterklärung der Schulpolitik der CSU.
Sie haben es versäumt, die Personalentwicklung seriös und wissenschaftlich nachhaltig zu gestalten. Sie haben sich immer Ihre eigenen Prognosen zurechtgebastelt und nicht auf den Ruf der Wissenschaftler, schon gar nicht auf Professor Klemm aus Essen, Nordrhein-Westfalen – das ist sowieso suspekt – gehört, der seit Jahren auf den zu Beginn der 2000er Jahre kommenden Lehrermangel hingewiesen hat. Wir bräuchten unabhängige Prognosen von Profis. Es stünde uns nicht schlecht an, einen Lehrstuhl für Bildungsforschung und -ökonomie zu
schaffen, damit wir dieses Thema nicht amateurhaft und dilettantisch angehen. Sie haben jedes langfristige Konzept abgelehnt und von der Hand in den Mund gelebt. Sie haben auch, und dies stellt sich als schlimmer Fehler heraus, jedes Jahr am Lehrerpersonal neue Einsparungen getätigt, die Lehrer draußen gelassen, nicht eingestellt, nicht verjüngt und im Grunde das Lehrerdasein immer belastender gemacht, was mit den heute diskutierten Konsequenzen davor abschreckt, das Lehramt zu studieren.
Meine Damen und Herren von der CSU, das heißt, Sie sind von der Unterrichtsgarantie weiter weg denn je. Dies ist eine schlimme Konsequenz Ihrer verfehlten Politik.
Ihre verfehlte Politik nimmt immer deutlichere Konturen an. Letztlich gefährden Sie auch den Wirtschaftsstandort Bayern. Wenn über viele Jahre hinweg Unterricht in Mangelsituationen gehalten wird und Unterrichtsnotstand diese Situation prägt, wird die Ausbildungsqualität sinken und Folgen für die Wirtschaft haben.
Erst heute Vormittag haben wir mit Wirtschaftsleuten diskutiert. Diese sagen uns deutlich: Gute Bildung ist ein Wirtschaftsfaktor und eine humane Ressource. Die Wirtschaftsfachleute fügen hinzu: Die Ausbildung ist einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft. Dies sollten Sie sich endlich an die Brust schreiben und umsteuern.
Es hätte anders laufen können. Die SPD hat seit den Neunzigerjahren bis heute immer gemahnt und die nötigen Initiativen ergriffen. Wir haben jedes Jahr deutlich gemacht: Wir brauchen mehr Lehrerinnen und Lehrer, um nicht die Qualität zu senken, um die steigenden Schülerzahlen zu bewältigen, um die Unterrichtsversorgung zu sichern und in die Lehrerkollegien Verjüngung zu bringen und gleichzeitig ein Signal zu geben, dass das Lehrerstudium nicht an Anziehungskraft verliert.
Wir fordern seit Jahren einen entsprechenden personalen Entwicklungsplan, ein langfristiges Konzept und eine langfristige Bedarfsplanung. Zuletzt haben wir vor zwei Jahren zur Steigerung der Qualität den nötigen Bedarfsplan zur Lehrereinstellung gefordert; Sie haben dies abgelehnt. Wir haben Anträge gestellt, dem Lehrermangel in der Berufsschule zu begegnen – Sie haben dies abgetan, als wäre es kein ernstes Thema.
Wir haben deutlich darauf hingewiesen, dass uns auch die Lehrerüberlastungspolitik einholen wird, nämlich immer schwierigere Situationen, immer größere Klassen, mehr schwierigere Kinder, mehr Arbeitszeit durch das Arbeitszeitkonto und andere Maßnahmen, aber auch mehr Erwartungsdruck an die Lehrerinnen und Lehrer. Dies macht den Beruf nicht attraktiv, sondern schreckt letzten Endes ab. Die politische Spitze und die Staatsministerin haben sich von den ständigen Wiederholungen „Wir sind die Besten“ blenden lassen.
Gleichzeitig sind Sie in Bayern in den Unterrichtsnotstand und in die beschriebene Mangelsituation geschlittert. Doch die Ministerin begeht den nächsten Fehler und legt ihren Aktivitätenschwerpunkt in das Reden und in Ankündigungen von Schulentwicklungen. Sie setzt damit eine Propaganda und Papierflut in Gang. Aber wenn sie es wirklich ernst meint, die Schulentwicklung in Gang zu bringen, gestatten Sie mir die Anmerkung: Wer soll diese Schulentwicklung umsetzen? Die Lehrerinnen und Lehrer an der Basis in den einzelnen Schulen. Aber diese Lehrkräfte und Schulleiter sind überlastet und können nicht mehr, weil sie durch die verschlechterten Rahmenbedingungen so viel an den Hals bekommen und gerade noch ihre Alltagsarbeit bewältigen können. Doch zur eigentlich notwendigen Schulentwicklung und inneren Schulreform fehlt vor Ort die Kraft.
Was ist zu tun? Wir haben in unserem Dringlichkeitsantrag auch deutlich gemacht, wohin die Richtung gehen muss. Es geht darum, auf keinen Fall eine Flickschusterei zu betreiben, sondern die Frage der mittel- und langfristigen Lehrerversorgung profihaft und konzeptionell in zwei Richtungen anzugehen. Natürlich müssen wir sehen, wo der Mangel zutrifft und wo im Moment zu wenig Lehrkräfte zur Verfügung stehen, etwa in Mathematik und in naturwissenschaftlichen Fächern, weil diese Lehrkräfte abgewandert sind und der Beruf den Lehrkräften zu wenig Attraktivität geboten hat. Wir müssen aber auch sehen, wo die Mangelsituation auf fehlenden politischen Willen und auf fehlende Einstellungspraxis zurückzuführen ist. Einstellen, dies ist unsere erste Forderung. Es gilt einzustellen, was der Markt hergibt. Nach wie vor stehen Tausende von Lehrkräften auf der Straße. Wir haben Tausende von Arbeitslosen und im letzten Jahr von 10000 nur 5000 Lehrkräfte eingestellt. Es gibt die zur Behebung der Mangelsituation notwendigen Lehrkräfte, und Sie müssen bald mehr einstellen.
Doch Ihre Haushaltspolitik hat andere Ziele, als die Bildungsqualität effektiv zu steigern.
Sie verkaufen das als Bildungsoffensive. Sie haben aber gerade in diesem Schuljahr ein Rekordergebnis an arbeitslosen, nicht eingestellten Lehrern; Herr Müller, schauen Sie sich die Zahlen einmal an.
Sie verkaufen das Ganze draußen noch als Offensive.
Zweitens müssen wir natürlich Flexibilität zeigen. Wir müssen für eine bestimmte Übergangszeit Lehrer sicher auch fachfremd und schulübergreifend unterrichten lassen und einsetzen und das Dienst- und Laufbahnrecht flexibler machen. Wir müssen Weiterbildungsbausteine entwickeln, um Fächer, bei denen ein kurzfristiger Mangel besteht, auch belegen zu können.
Drittens brauchen wir ein wirklich langfristiges Personalkonzept zur Bedarfsplanung. Ich weiß, dass dies schwie
rig ist. Um so wichtiger ist es, dass ein jährlich fortzuschreibendes Konzept entwickelt wird, in dem auf die Schülerzahlenentwicklung, auf die Bedarfe und auf die Zielvorstellungen bei der Schulausstattung eingegangen wird. Bisher haben Sie unsere diesbezüglichen Initiativen immer abgelehnt.
Viertens brauchen wir, denke ich, ein länderübergreifendes Konzept. Wir brauchen so etwas wie einen bundesweiten Arbeitsmarkt, der transparent ist, für jeden Lehrer in jedem Fach überschaubar ist und auf dem das kleinstaatliche Nebeneinander und das kleinstaatliche Grenzen-Aufmachen, worin wir in Bayern ja Weltmeister waren, endlich der Vergangenheit angehört.
Natürlich müssen wir die Attraktivität des Lehrerberufs, die gesellschaftliche Anerkennung erhöhen. Wir wissen, dass es im Moment einen Trend gibt, nach dem für jede Fehlentwicklung in der Gesellschaft die Lehrerinnen und Lehrer verantwortlich gemacht werden. Das trägt nicht zur Motivation bei. Wir müssen die Überlastung abbauen. Wir müssen materielle Sicherheit schaffen. Ich bin dafür, darauf zu drängen, zum Beispiel die Referendariatsgehälter zu erhöhen, da diese gegenwärtig für den Berufsschul- und den Gymnasialbereich eine Demotivation darstellen.
Wir müssen auch deutlich machen, dass der Lehrerberuf ein zwar schwieriger, aber letzten Endes auch ein Freude schaffender Beruf sein kann, der die nötige Anerkennung erfordert. Wir brauchen als Signal eine Einstellungspolitik, die gerade den jungen Lehrerinnen und Lehrern zeigt, dass sie gebraucht und angestellt werden.
Schließlich ein Wort an die nicht anwesende Schulministerin. Morgen gibt es das Zwischenzeugnis. Allein für die Mangelsituation, die ich beschrieben habe, muss es die Note „mangelhaft“ geben, meine ich; denn – ich wiederhole mich und meine das sehr ernst – wir sind in Bayern von der Unterrichtsgarantie weit entfernt.
Unterrichtsausfall findet statt, weil Personal nicht vorhanden ist. In vielen Schulen können über das ganze Jahr hinweg bestimmte Fächer nicht gehalten werden. Sie betreiben Bildungsdiebstahl.
Das ist Bildungsdiebstahl, weil Sie den jungen Menschen etwas wegnehmen, was ihnen der Staat zu geben versprochen hat, nämlich Bildungsqualität. Sie bauen diese Bildungsqualität in Bayern ab. Es ist auch keine Besserung in Sicht, denke ich, weil Sie unseren Antrag wahrscheinlich ablehnen werden. Den Schulen und den Kindern wäre geholfen, wenn unsere Maßnahmen greifen könnten. Frau Stewens ist auch nicht da; sie spricht im Moment sehr oft von Kinderfreundlichkeit. Ob Herr Dinglreiter oder wer sonst; jeder in der CSU redet im Moment von Kinderfreundlichkeit. Ich meine, dass doch
Sie die Gestaltenden sind. Wir brauchen nicht Ihre Reden über Kinderfreundlichkeit – wir brauchen endlich Taten.
Dazu gehört in meinen Augen auch, dass man die Kinder der jetzigen Generation, der neunziger Generation, des Jahres 2000 und des Jahres 2001 nicht dafür bestraft, dass es im Moment sehr viele Kinder gibt. Sie sagen doch immer: Alle Kinder zu uns; wir sind froh, dass es Kinder gibt. Sie bestrafen sie; weil jetzt viele Kinder in den Schulen sind, werden ihnen die schlechtesten Bedingungen gestellt. Keine zusätzlichen Lehrer werden eingestellt. Dies ist ein Teil Ihrer verfehlten Politik.
Ein letztes Stichwort: Ich habe das Wortspiel an Rinder und Kinder gedacht. Heute lesen wir, dass 600 Millionen DM zur Bewältigung der BSE-Krise vom Herrn Ministerpräsidenten als eine der größten Investitionen der letzten Jahre in Bayerns Politik genannt werden. Sie tun nichts anderes – daraus können Sie lernen –, als zu versuchen, Versäumtes jetzt nachzuholen. Sie können daraus mit Blick auf die Schulpolitik lernen: Vorbeugen ist besser, als irgendwann einmal nachhaken zu wollen.
Deshalb sage ich: Wenn es um die Kinder geht, ist es mindestens genauso wichtig, endlich zu erkennen, dass wir Investitionen benötigen, um die Situation zu verbessern. Dazu gehört natürlich auch, die Frage des Notstands an unseren Schulen zu klären.
Herr Staatssekretär, in welcher prozentualen Verteilung wird von den Hauptschülerinnen und Hauptschülern im laufenden Schuljahr zwischen Kunst und Musik gewählt, wie bewertet die Staatsregierung die Situation und welche Konsequenzen werden eventuell gezogen?
Herr Staatssekretär, da in allen unseren Präambeln zu den Lehrplänen steht, wir wollen eine ganzheitliche Erziehung und eine umfassende Bildung unserer jungen Menschen, zu denen natürlich auch eine intensive musische Bildung gehört, frage ich Sie: Kann dann eine Entwicklung im Interesse des verantwortlichen Kultusministeriums sein, die darauf hinläuft, dass unsere jungen Menschen in den restlichen drei bis vier Hauptschuljahren praktisch nur noch 10% des Musikunterrichts haben?
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Staatssekretär Feller, bitte schön.
Der Hauptschullehrplan war auch ein Mittel der Stundenkürzung, sonst hätten wir das Dilemma nicht. Ich frage aber auch aufgrund der mir genannten Zahlen. Müsste man nicht wirklich sagen: Die Ausbildung in den musischen Fächern Kunst und Musik ist so wichtig, dass sie unseren Schülerinnen und Schülern möglichst lange in beiden Bereichen und Fächern der ästhetischen Erziehung zugute kommt? Müsste man jetzt nicht in Ihrem Hause überlegen, die Fächer Musik und Kunst bis zum Ende der Hauptschulzeit wieder verpflichtend einzuführen? Ich will nicht beide Fächer gegeneinander ausspielen, sondern beide Fächer stärken.
Herr Präsident, meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren über den Einzelplan 05, und dabei geht es natürlich um mehr als um Geld und Zahlen. Es geht auch darum, welche
Inhalte sich hinter den Millionensummen verbergen, welche Ziele damit verfolgt werden, welche Wege dabei eingeschlagen werden, ob die Analyse der gegenwärtigen Situation richtig ist und vor allem, ob die richtigen Schlüsse daraus gezogen werden. Heute gilt es auch, über die Bildungs- und Schulpolitik der CSU-Staatsregierung Bilanz zu ziehen und Alternativen aufzuzeigen. Dazu muss man aber erst einmal nachdenken oder vielleicht sogar umdenken.
Dazu sage ich Ihnen gleich etwas. Das Aufwachsen unserer Kinder hat sich doch geändert. Die Familien haben sich verändert. Wir haben es gestern aus Ihren Mündern so deutlich wie noch nie gehört. Ich erwähne nur die Zunahme der Zahl der Einzelkinder, berufstätiger Eltern oder der Scheidungskinder. Ein Umdenken ist aber auch deswegen nötig, weil sich ein grundlegender Wandel in der Arbeitswelt vollzieht.
Der grundlegende Wandel in der Arbeitswelt verlangt von unseren jungen Menschen ganz andere Qualifikationen. Sie brauchen soziale Kompetenz und vor allem Schlüsselqualifikationen. Zu Recht stellt sich deshalb die Frage nach der Qualität der Schule. Dabei sind wir alle miteinander durch ein paar Zahlen aufgerüttelt worden. Ich denke nur an die TIMSSStudie, die uns gezeigt hat, wie weit wir mit dem Mathematik-Unterricht zurückliegen. Ich denke auch an die OECD-Studie, die uns gezeigt hat, wie sehr unsere Bildungsausgaben im Mittelmaß liegen. Schließlich denke ich auch an den Schock, als uns die IT-Fachkräfte ausgegangen sind.
Zu allen diesen Herausforderungen haben Sie, Frau Ministerin, gesagt, in Bayern sei die Schulwelt in Ordnung, und deshalb seien Sie darauf gut vorbereitet. Wer hätte auch etwas Anderes erwartet? Diese Lobhudelei, die Sie vorgebracht haben, kann ich einfach nicht mehr hören.
Ihre Ausführungen zeigen von einem Realitätsverlust. Ich frage mich, welches Bild Sie von unseren Schulen haben. Ich kann es verstehen, wenn die Regierung sagt, was gut ist, ist auch gut. Das erkennen wir als Opposition auch an. Sie können aber nicht behaupten, von A bis Z sei an unseren bayerischen Schulen alles in bester Ordnung. Das ist Lobhudelei, das glauben Ihnen nicht einmal Ihre eigenen Mitarbeiter mehr.
Das schöne Bild einer rundum optimalen bayerischen Schule wird ja schon aus Ihren eigenen Reihen angekratzt. Ich brauche dazu nur aus dem Bildungsausschuss zu zitieren. Ein Ministerialrat gab zu, dass sich die Fachoberschulen und die Berufsoberschulen in einer sehr schwierigen Situation befänden. Ein anderer Ministerialbeamter bestätigte, die Situation an den Förderschulen sei schlimmer geworden. Und Ihr Staatssekretär räumt in Sachen Schulsport ein, Fehler gemacht und Missstände nicht erkannt zu haben. Also ist im bayerischen Bildungsland doch nicht alles eitel Sonnenschein.
Noch mehr Schatten fallen natürlich auf Ihr schöngezeichnetes Bild, wenn man sich Fakten anschaut, die überhaupt nicht zu Ihrem Ruhme taugen, sondern zur Beeinträchtigung der Lebenschancen unserer Kinder und Jugendlichen beitragen. Bayern hat die höchsten Klassenteilungsgrenzen in der Bundesrepublik. Es gibt noch viel zu viele große Klassen, ja sogar Mammutklassen. Ihre Taktik zu dieser Frage habe ich schon vor langem erkannt. Sie erwähnen immer nur, dass der Anteil großer Klassen an den Volksschulen 2,9% beträgt. Aber auch das sind 33000 Kinder, die sich in Mammutklassen befinden, und das ist schon zu viel.