Protokoll der Sitzung vom 10.11.2000

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die 50. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Diese wurde wie üblich erteilt.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich noch einen Glückwunsch aussprechen. Heute feiert Herr Kollege Josef Ranner seinen Geburtstag. Ich gratuliere ihm im Namen des Hohen Hauses und persönlich sehr herzlich und wünsche ihm für das neue Lebensjahr alles Gute, vor allem Gesundheit und viel Erfolg bei der Erfüllung seiner parlamentarischen Aufgaben. In der Diplomatenloge darf ich zwei Gäste begrüßen: Herrn Konsul Schwarz aus der Republik Österreich und unseren früheren Kollegen, Hans Kolo, langjähriger Stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Landesentwicklung und Umweltfragen. Herr Kollege Kolo musste natürlich zum Thema „Alpenschutzkonvention“ kommen.

(Allgemeiner Beifall)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 7

Aktuelle Stunde

Für die heutige Sitzung ist die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN für die Aktuelle Stunde vorschlagsberechtigt. Ihr Thema ist die „Umsetzung der Alpenkonvention in Bayern“.

Die einzelnen Redner dürfen grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion kann einer ihrer Redner zehn Minuten sprechen; dies wird auf die Gesamtredezeit der jeweiligen Fraktion angerechnet. Wenn ein Mitglied der Staatsregierung kraft seines Amtes das Wort ergreift, wird diese Redezeit nicht mitgerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung für mehr als zehn Minuten das Wort, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder die Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Dauer der Aussprache zu sprechen. Der erste Redner, Herr Kollege Sprinkart, spricht zehn Minuten und nimmt auf die Franken und Oberbayern etwas Rücksicht.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, auf die Franken Rücksicht zu nehmen, allerdings setze ich voraus, dass die Oberbayern meinen Dialekt verstehen, wie ich auch ihren Dialekt verstehe. Mit der Unterzeichnung des Verkehrsprotokolls am 31.10. dieses Jahres in Luzern ist der Weg für die Ratifizierung der neun Protokolle, die die Alpenkonvention mit Leben erfüllen sollen, endlich frei. Die Unterzeichnung dieses sehr lange umstrittenen Verkehrsprotokolls kann in der fast 50-jährigen Geschichte der Alpenkonvention durchaus als Meilenstein gesehen werden, angefangen mit der Gründung der Alpenkonvention CIPRA 1952 bis zur Beauftragung der EU-Kommission mit der Erarbeitung eines Entwurfs

zum Schutz des Alpenraumes durch das Europäische Parlament im Jahr 1988.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bezeichnenderweise waren wohl die Erdrutschkatastrophen in den Alpen 1987 der Auslöser dafür, weil es häufig Katastrophen bedarf, damit die Notwendigkeiten im Umweltbereich erkannt werden; daran hat sich bis heute wenig geändert. Es folgte 1989 die erste Alpenkonferenz der Umweltminister in Berchtesgaden und schließlich 1991 die Unterzeichnung der Alpenkonvention. Als neuntes Ausführungsprotokoll wurde nach zähem Ringen jetzt das Verkehrsprotokoll beschlossen. Die Tatsache, dass bisher die meisten Initiativen zur Umsetzung der Alpenkonvention von Nicht-Regierungs-Organisationen ausgegangen sind, zeigt die Notwendigkeit politischen Handelns.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die neun Ausführungsprotokolle müssen in den acht Alpenstaaten nicht nur ratifiziert, sondern die darin aufgestellten Forderungen müssen auch umgesetzt werden.

Bayern hat als einziges Bundesland einen flächenhaften Anteil an dieser Landschaftsregion und damit eine besondere Schutzverpflichtung, die Vielfalt der Naturausstattung zu erhalten und zu sichern. Angesichts der großen Bedeutung der Alpen für die Natur und die Landschaft muss bei allen Planungen die Begrenztheit, Unvermehrbarkeit und Verletzbarkeit des Raumes und der natürlichen Lebensgrundlagen im Vordergrund stehen.

Dieses Zitat stammt aus der Begründung zum Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Bayerischen Naturschutzgesetzes vom März 1998.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Theoretisch klappt es schon ganz gut, aber in der Praxis hapert es noch. Grundsätzlich müssen die Forderungen des Protokolls Eingang in die Fortschreibung des Landesentwicklungsprogramms finden. Wie sehr es an der konkreten Umsetzung noch mangelt, zeigt das aktuelle Beispiel Bergwald; der in dieser Woche vorgestellte Waldzustandsbericht macht Defizite deutlich. Im Durchführungsprotokoll zum Bergwald wird unter anderem gefordert, neben der Schutzfunktion des Bergwaldes auch seine Nutzfunktion und seine ökologischen und sozialen Funktionen zu erhalten. Dies ist in Bayern fehlgeschlagen. Insbesondere in den Alpen ist es in den letzten 15 Jahren nicht gelungen, die durch Schadstoffeintrag bedingten Waldschäden in den Griff zu bekommen. Ich darf Landwirtschaftsminister Miller zitieren, der bei der Vorstellung des Waldzustandsberichts am Mittwoch dieser Woche ausführte: „Leider können derzeit 12800 Hektar und damit 9% unserer Schutzwälder ihre Schutzaufgaben nur bedingt erfüllen. 4800 Hektar Bergwald sind in ihrer Schutzfunktion sogar erheblich beeinträchtigt.“ Dass der Bergwald seine Schutzfunktion nur noch bedingt erfüllt, haben wir bei den Hochwasserkatastrophen in diesem Sommer, vor allem im letzten Jahr und aus etwas mehr Distanz in diesem Herbst in Norditalien leidvoll erfahren müssen. Wenn wir bei der Luftrein

haltung nicht schnell zu einer Umkehr kommen, war das, was wir im Aosta-Tal gesehen haben, noch lange nicht der „worst case“.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der gestrigen Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge sagt uns Landwirtschaftsminister Miller auch, was wir besser machen müssen. Eine Verringerung des Stickstoffeintrags aus dem Verkehr sei zwingend notwendig, so Staatsminister Miller.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit hat er einen Teil der Schadwirkung des Verkehrs genannt. Zum direkten Schadstoff kommen die durch Kohlendioxid bedingten Klimaveränderungen, damit werden diese in doppelter Weise schädlich: erstens durch die Schädigung des Bergwaldes, zweitens durch die Zunahme von extremen Niederschlägen. Leider hat uns Landwirtschaftsminister Miller verschwiegen, wie er das machen will.

Mit noch mehr Straßen und noch mehr Individualverkehr werden wir es ganz sicher nicht schaffen. Einen kleinen Wink gibt uns wieder der Waldzustandsbericht. Hier ist ganz am Schluss zu lesen – ich zitiere –: „Auch die allmähliche Verknappung und Verteuerung der fossilen Energieträger erhöhen die Wertschätzung für Wald- und Forstwirtschaft.“ Zitat Ende. Man könnte fortfahren: und sind geeignet, die Schadstoffbelastungen durch den Autoverkehr zu reduzieren. Das ist das Besondere an der Alpenkonvention und ihren Durchführungsprotokollen. Hier greift alles ineinander. Hier findet vernetztes Denken statt. Dem muss vernetztes Handeln folgen.

So wird im Verkehrsprotokoll eine Verkehrsbeeinflussung zugunsten umweltverträglicher Verkehrsmittel gefordert. Wo bitte findet das in Bayern statt? Öffentlicher Verkehr wird doch bestenfalls als Ergänzung praktiziert, im Zweifel bleibt es beim Grundsatz „Freie Fahrt für freie Bürger“ – und dies gerade auch in den Alpen. Ansonsten ist viel Show abgelaufen, wenn ich nur an die HybridBusse im südlichen Oberallgäu denke, die Millionen gekostet haben, aber mehr schlecht als recht genau so lange gefahren sind, wie staatliche Mittel geflossen sind.

Im Verkehrsprotokoll stehen aber auch noch so unerhörte Forderungen, wie zum Beispiel die, dass externe Kosten und Infrastrukturkosten dem Verursacher anzulasten sind. Zu den externen Kosten gehören zum Beispiel die Kosten für die Beseitigung der Waldschäden, die durch den Autoverkehr verursacht wurden. Um solche Forderungen zu erfüllen, muss sich die Staatsregierung gedanklich noch mächtig entwickeln.

Sie sehen auch hier das Ineinandergreifen der verschiedenen Forderungen. Das gilt auch für das Tourismusprotokoll, welches verlangt, dass die Anliegen des Naturschutzes und der Landschaftspflege in die Tourismusförderung einzubeziehen sind. Die Realität ist anders. Natur- und Landschaftsschutz werden in Bayern in der Regel den touristischen Projekten untergeordnet. Bei der Ausweisung neuer Schipisten und Beschneiungsanlagen zieht die Natur regelmäßig den Kürzeren. Bei

spiele dafür gibt es genug. Ich nenne nur die großflächige Beschneiung am Fellhorn oder die jetzt geplante Beschneiung am Oberjoch. Bei der Kandahar-Abfahrt schreckte man nicht einmal davor zurück, für den Wasserteich den Bergwald zu roden. Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir hier an dieser Stelle darüber diskutiert. Gerade in den letzten Jahren hat sich in den Alpen ein hemmungsloser Wettbewerb um Marktanteile im Tourismus entwickelt. Die Belange der Natur blieben dabei vielfach auf der Strecke. Thomas Loster von der Münchner Rückversicherung – ich meine, ein unverdächtiger Zeuge – warnte im letzten Monat auf einem Workshop der Universität Innsbruck davor, dass es gerade in den Regionen, in denen Massentourismus zugelassen wurde, nur noch eine Frage der Zeit ist, wann Lawinen oder Muren abgehen.

Sehen Sie, auch hier schließt sich wieder der Kreis. Das Protokoll zum Naturschutz und zur Landschaftspflege sieht letztendlich umfassende Bestandsaufnahmen vor. Was ist in Bayern passiert? Die Alpenbiotop-Kartierung wurde 1991 begonnen. Als Kostenrahmen wurden 7,5 Millionen DM ermittelt. Nach fast zehn Jahren ist nicht einmal die Hälfte der Fläche kariert. Das bayerische Umweltministerium hat diese Kartierung nach allen Regeln der Kunst ausgebremst, weil es sich weder gegenüber dem Staatsforst noch gegenüber den großen Privatwaldbesitzern durchsetzen konnte.

Bei der Ausweisung der FFH-Gebiete und der EU-Vogelschutzgebiete fehlen in der bayerischen Meldung die vom Bundesamt für Naturschutz aus nationaler Sicht erforderlich erachteten Gebiete wie zum Beispiel die Rotwand oder die Hang- und Schluchtwälder im Raum Bad Reichenhall.

Meine Damen und Herren, an wenigen Punkten habe ich zu zeigen versucht, was Sie in Bayern tun müssen, um die Forderungen der Durchführungsprotokolle der Alpenkonvention umzusetzen und die Alpen als dauerhaften Lebens-, Arbeits- und Erholungsraum zu erhalten. Wir GRÜNE werden darauf achten, dass die Alpenkonvention nicht nur geduldiges Papier bleibt, welches bestenfalls bei Sonntagsreden aus der Schublade geholt wird. Wir werden darauf achten, dass die darin enthaltenen Forderungen auch umgesetzt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nächster Redner ist Herr Kollege Zeller.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Sprinkart, heute könnten wir im Allgäuer Dialekt weiterreden. Nur würden die anderen nichts verstehen. Wenn ich einen typischen Allgäuer energiepolitischen Beitrag leisten würde, könnte er wie folgt lauten: Am after Maetag dr‚no gong i uf Bollederre und hohl á Zuinde vool Waase! – Er weiß, was ich damit meine, aber die meisten wissen es nicht.

(Allgemeine Heiterkeit – Kaul (CSU): Der Stenograph streikt!)

Für den Stenographen – das heißt: Am Dienstagnachmittag gehe ich auf den Dachboden und hole einen Korb voll Torf.

Aber nun Spaß beiseite. Meine verehrten Damen, meine Herren, ich möchte eingangs mit aller Deutlichkeit Folgendes feststellen: Zu allen Forderungen zur Alpenkonvention und zu allen Diskussionen, die über Jahre hinweg darüber geführt wurden, könnte man aus bayerischer Sicht sagen: Wir waren in der praktischen Umsetzung und im Schutz unserer alpinen Bereiche Vorreiter. 2,9% der gesamten Fläche Deutschlands ist alpiner Bereich, und dieser Bereich befindet sich weitestgehend in Bayern. Der Anteil der Bevölkerung, die im alpinen Bereich lebt, beträgt 3,4%.

Wir haben mit dem Alpenerschließungsplan als erste in Europa Grenzen dafür gesetzt, was noch erschlossen werden kann. Es ist einfach, Gesetze und Verordnungen in München, in Berlin, in Bonn oder sonst wo zu formulieren, wenn die Menschen in den Tälern allein gelassen werden. Ich darf hierzu meinen Vater zitieren, der immer wieder gesagt hat: Bevor der Tourismus ins Allgäu kam, waren wir das Armenhaus der Nation. Das gilt genauso für Tirol, für Südtirol, für die Schweiz und für die französischen Alpen.

(Starzmann (SPD): Und auch für Teile Oberbayerns!)

Selbstverständlich für ganz Bayern, also auch für Oberbayern.

Mit aller Deutlichkeit muss aber auch darauf hingewiesen werden, dass eines der Grundziele der Alpenkonvention lautet: Es müssen gleich hohe Umwelt- und Naturschutzstandards im europäischen Alpenraum geschaffen werden. Dabei sind wir ganz gewaltig im Hintertreffen. Lieber Kollege Sprinkart, schauen wir uns doch einmal die Beschneiungsanlagen an. In Bayern haben wir jahrelang gesagt, dass Beschneiungsanlagen nicht in Frage kommen. Bis zum heutigen Tage haben wir die Förderung ausgeschlossen. Andere Gebiete, wie zum Beispiel Südtirol, die heute 40% der gesamten Pistenflächen künstlich beschneien können, sind mit europäischen Mitteln gefördert worden.

Unlängst war ich auf der Tagung der Naturschutzreferenten im Deutschen Alpenverein. Als dort groß und schwulstig darüber geredet wurde, was im Alpenraum noch alles gemacht werden muss, habe ich darauf hingewiesen, dass diese Forderungen für Österreich und für Südtirol zutreffen – dabei möchte ich diesen Regionen gar keine Vorwürfe machen –, dass wir in Bayern diese Aufgaben und Forderungen aber erfüllt haben.

Im Alpenerschließungsplan haben wir viele Einschränkungen vorgenommen. Frau Lück, ich denke zum Beispiel nur an Balderschwang. Dort gibt es eine Schipiste, die mit 50 Metern in die Ruhezone C hineinragt. Obwohl diese Schipiste für den gesamten Schibetrieb einen unwahrscheinlich positiven Aspekt darstellen würde und sie angelegt werden könnte, ohne dass die Natur mehr beeinträchtigt würde, sind diese 50 Meter nicht angelegt worden. Wenn wir einen solchen Plan ausgewiesen haben, können wir ihn auch nicht jeden Tag verändern.

Dazu stehe ich. Daran sieht man, dass wir in Bayern unsere Hausaufgaben gemacht haben.

Zur Berglandwirtschaft. Ich bin darauf gespannt, was die SPD zu diesem Thema sagen wird. Ich könnte es auch anders formulieren, aber ich formuliere es sehr vorsichtig: Wenn zum Beispiel ein Maisbauer im Jahr 2000 eine Ausgleichsleistung von 927 DM bekommt,

(Hofmann (CSU): Das ist auch richtig!)

ein Bergbauer mit Flächen auf einer Höhe zwischen 800 und 1000 Metern im Extremfall aber nur 350 DM bekommt, dann halte ich das für einen kleinen Skandal.

(Starzmann (SPD): Dann müssen Sie nächste Woche dem Antrag von Frau Lück zustimmen!)

Lieber Kollege Starzmann, fragen Sie aber den bayerischen Landwirtschaftsminister. Er wird Ihnen bestätigen, dass er sich bei den Plan-AG-Sitzungen in Berlin nicht durchsetzen konnte.

(Widerspruch des Abgeordneten Starzmann (SPD))

Ich habe das Schreiben auf dem Tisch, ich kann es nicht anders formulieren. Auf der einen Seite fordern wir, dass die Berglandwirtschaft unterstützt wird, auf der anderen Seite wird sie alleine gelassen. Deshalb sage ich mit aller Deutlichkeit, dass Landwirtschaft und Tourismus heute zusammengehören. Ich bin dankbar dafür, dass hochkarätige Touristiker in keinem Referat mehr den Hinweis darauf auslassen, dass wir auf die Berglandwirtschaft, aber auch auf die Landwirte in den Tälern dringend angewiesen sind.