Protokoll der Sitzung vom 10.11.2000

Ich habe das Schreiben auf dem Tisch, ich kann es nicht anders formulieren. Auf der einen Seite fordern wir, dass die Berglandwirtschaft unterstützt wird, auf der anderen Seite wird sie alleine gelassen. Deshalb sage ich mit aller Deutlichkeit, dass Landwirtschaft und Tourismus heute zusammengehören. Ich bin dankbar dafür, dass hochkarätige Touristiker in keinem Referat mehr den Hinweis darauf auslassen, dass wir auf die Berglandwirtschaft, aber auch auf die Landwirte in den Tälern dringend angewiesen sind.

Ohne sie gibt es keine Pflege der Naturlandschaft.

Ich könnte mengenweise solche Touristikexperten zitieren. Erst letzte Woche hat einer von ihnen zu mir gesagt, wir sollen mehr für die Landwirte tun, ansonsten leidet der Tourismus. Man will den Tourismus nicht unbedingt ausbauen, aber man will das erhalten, was man hat, um den Menschen, die in diesen Tälern wohnen, ein Einkommen zu sichern. Ich habe vorhin schon gesagt, bevor der Tourismus kam, war das das Armenhaus der Nation. Wir wollen, dass auch das Einkommen der jungen Generation gesichert ist und dass sie nicht ihre Heimat verlassen und in die Städte abwandern muss.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage in aller Deutlichkeit, mich stört – auch in den Anträgen der SPD gibt es entsprechende Ansätze –, dass immer die Fremden bestimmen sollen. Lassen wir doch die Menschen vor Ort handeln, die die Natur besser kennen. Ich habe vorletzte Woche erfahren – es stimmt, ich habe es nachgelesen –, dass zum Beispiel Gerstruben, eine der ältesten Ansiedlungen im Allgäu auf fast 1250 Meter Höhe seinen Ortsnamen deshalb bekommen hat, weil dort Mitte des letzten Jahrtausends Gerste angebaut worden ist. In den letzten 300 bis 400 Jahren ist die Gerste nicht mehr ausgereift, weil die Temperaturen abgenommen haben. Auch Obstanbau war dort üblich, aber das Obst ist nicht mehr ausgereift. Infolgedessen hat man den Anbau aufgeben müssen. Das heißt, eine so genannte Wärmeperiode hat

es in Mitteleuropa schon einmal im letzten Jahrtausend gegeben. Ich glaube, das muss man in dieser Diskussion auch einmal ansprechen.

Ich komme zur Erschließung und zum Tourismus. Ich hoffe, wir sind uns alle einig, wir können den Tourismus nicht ohne bestimmte Entwicklungen fortsetzen. Es gibt Beispiele, bei denen sich Tourismusgemeinden konkret auf Natur und Kultur konzentriert haben.

(Frau Lück (SPD): Hindelang hat deshalb einen Zuwachs!)

Nein, das stimmt nicht. Sagen wir es offen, Hindelang hat nur deshalb einen Zuwachs, weil es den Bau eines Hotels mit 400 Betten zugelassen hat, die zu 65% ausgelastet sind. Sie müssen sich die Zahlen schon näher ansehen, bevor Sie Behauptungen aufstellen, die nicht stimmen.

Ich bin selbstverständlich dafür, dass man Kultur und Landschaft in den Tourismus einbindet. Das ist einer der wichtigsten Punkte. Aber man kann nicht sagen, dass man nur damit Gäste anzieht. Wenn es darum geht, jüngere Gäste anzuziehen, haben andere Länder offensichtlich das bessere Angebot.

Ziel der Alpenkonvention ist es, einigermaßen gleichwertige Wettbewerbsverhältnisse im alpinen Raum zu schaffen. Diese gibt es heute nicht. Ich sage offen, ich bin den Tirolern, den Vorarlbergern, den Schweizern und den Südtirolern nicht gram, denn sie haben noch schwierigere Verhältnisse als wir. Das ist keine Frage. Zu manchem Bergdorf in Südtirol würden wir Bayern heute sagen, dort kann man keine Siedlung bauen, aber die Orte stehen schon ein paar Hundert Jahre. Deswegen muss man akzeptieren, dass auch das Heimat ist. Ich lege auch Wert darauf, dass diese Menschen in ihrer Heimat bleiben können. Die Bedingungen dafür müssen wir auch mit dem Schutz des Berggebietes in Europa schaffen.

Ich will nicht näher auf den Erosions- und Lawinenschutz eingehen. Er ist in Bayern sicher vorbildlich. Eines ist klar: Die Lawine gehört ebenso zur Natur wie zum Beispiel ein Baum. Herr Kollege Sprinkart hat vorhin den Bergwald angesprochen. Warum haben wir denn die Probleme? – Die Probleme haben wir vor allem deswegen, weil der Bergwald überaltert ist.

(Frau Paulig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Warum ist er überaltert?)

Warum ist er überaltert? – Weil wir jahrelang nicht die Möglichkeit geschaffen haben, gewisse Mindesterschließungen zuzulassen, um eine vernünftige Forstwirtschaft betreiben zu können.

(Lachen bei der SPD – Zurufe vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich sage ganz offen, der zweite Grund dafür ist, dass es jahrelang überzogen große Mengen von Wild gegeben hat. Das sind zwei Gründe. Nur zu sagen, das eine wäre schuld, ist nicht richtig. Sie sehen heute im Allgäu kaum

mehr Rotwild, es sei denn, Sie gehen zu einer Wildfütterung. Auch das ist ein Verlust, den wir unseren Gästen nicht zumuten wollen.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Starzmann.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Aktualität der Diskussion sehe ich einzig und allein darin, dass mit dem Verkehrsprotokoll das letzte Protokoll der Alpenkonvention unterzeichnet wurde. Ansonsten tue ich mir schwer, von Aktualität zu sprechen, wenn ein Thema seit 1989 diskutiert wird und leider nicht vorankommt. Für die Aktualität spricht allenfalls, dass die heutige Diskussion dazu dienen kann, dass wir ein Stück weiter vorankommen. Deswegen danke ich für den Vorschlag des Themas.

Herr Zeller, Sie sagen, Sie seien den Österreichern und Südtirolern nicht gram. Ich bin ihnen schon gram, nicht deswegen, weil sie sich vor Hunderten von Jahren in Bergdörfern angesiedelt haben, sondern wegen dem, was sie aus diesen Bergdörfern gemacht haben. Sehen Sie sich manche Entwicklungen in österreichischen oder Südtiroler Dörfern an und sehen Sie sich auch unsere eigene Ortsentwicklung an, dann werden Sie merken, dass man durch die Alpenkonvention viel lernen kann. Die Alpenkonvention soll auch nicht dazu dienen, Wettbewerbsverzerrungen auszugleichen, indem wir es machen wie die Österreicher oder Südtiroler, sondern indem die Österreicher und Südtiroler dazulernen, dass sie nicht weiter so erschließen dürfen, wie sie es bisher bedenkenlos getan haben.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben aber auch keinen Grund, uns auf die Schulter zu klopfen, wie Sie es getan haben, indem Sie gesagt haben, wir hätten unsere Hausaufgaben gemacht. Sollten wir sie da und dort gemacht haben – hier stimme ich Ihnen zu –, besteht kein Grund für einen guten Schüler, nicht noch besser zu werden.

Die Rahmenkonvention dient einer Angleichung auf höherem Umweltstandard in allen Ländern. Man sollte nicht auf diejenigen schielen, die noch mehr Fehler machen. Dort, wo wir schlecht sind, sollten wir besser werden, und dort, wo die anderen schlecht sind, sollten sie sich verpflichten, besser zu werden.

Ich möchte einige Anmerkungen zur nachhaltigen Entwicklung der Alpen machen. Das Wort „Nachhaltigkeit“ ist inzwischen zum Lieblingswort der CSU geworden. Nachhaltige Entwicklung heißt, nichts zu zerstören, sondern die vorhandenen Ressourcen der Natur zu nutzen. Das bedeutet zum Beispiel im Hinblick auf das Papier zur Bevölkerung und zur Kultur die Erhaltung und Förderung der kulturellen und gesellschaftlichen Eigenständigkeit. Aus Zeitgründen kann ich für Bayern nur ein Thema herausgreifen.

Mir liegt die Baukultur in Bayern am Herzen, denn ich glaube, unsere Alpendörfer werden nicht schöner. Hierfür gibt es zwei Gründe, auf die die CSU Einfluss hat. Sie hat die Grundlage dafür geschaffen, dass es keine Kreisbaumeister mehr geben muss. Wir müssen zusehen, wie Stellen für Kreisbaumeister abgebaut werden. Das ist nicht im Sinne einer Steigerung unserer Baukultur. Außerdem ist die CSU gerade dabei, den Denkmalschutz im Baurecht einzuschränken. Das heißt, man muss sich beim Bauen unter denkmalschützerischen Gesichtspunkten nicht mehr an die Umgebung halten. Ich kann Sie im Sinne der Alpenkonvention nur bitten: Tun Sie das nicht.

Zur Raumplanung schlage ich vor, dass wir uns in Bayern eine eigene alpine Umweltverträglichkeitsprüfung vornehmen. Wir sollten sagen, unter dem Gesichtspunkt der Forderungen der Alpenkonvention wollen wir eine eigene Umweltverträglichkeitsprüfung. Ich möchte Vorschläge dafür bekommen, wie wir in Bayern Wohnbebauung und Gewerbebebauung flächenschützend betreiben können.

Von dem Papier über die Luftreinhaltung ist in erster Linie der Verkehr betroffen. Ich möchte nur kurz ein Beispiel aus meiner Heimat bringen. Seit ich im Bayerischen Landtag bin, sind alle Parteien – unter welcher Bundesregierung auch immer – für den Ausbau der Bahnstrecke München – Mühldorf – Salzburg, um den Güterverkehr auf die Schiene zu bringen. Die Strecke ist bis heute nicht gebaut. Ich mache meiner wie Ihrer Regierung den Vorwurf, nicht die Grundlagen dafür geschaffen zu haben. Aber wegen Ihrer Verfehlungen auf diesem Gebiet in 16 Jahren Regierungszeit spricht man heute über einen weiteren Fahrstreifen der Autobahn München – Salzburg. Das, was Sie hier tun, verstößt gegen die Alpenkonvention.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein weiteres Papier ist das Papier zum Bodenschutz. Ich möchte Vorschläge aus Bayern, wie wir eine nachhaltige Entwicklung der alpinen Dörfer ohne Versiegelung des Bodens erreichen können. Bayern könnte hier seine Hausaufgaben machen und anderen zeigen, wie das geht. Damit ich auch etwas Positives sage, stelle ich fest, es gibt sehr gute Vorschläge zur Dorfentwicklung aus Bayern. Ich kann Ihnen zustimmen, auf diesem Gebiet hat Bayern gut gearbeitet und Vorschläge gemacht, die andere möglicherweise übernehmen können. Es gibt genügend Tagungen bis hinein nach Südtirol, auf denen Bayern seine Vorschläge einbringen kann.

Im Wasserbau haben wir unsere Hausaufgaben gemacht, allerdings mit großem Aufwand. Ich sage Ihnen, hier wäre ich ein Musterschüler und würde nachmittags Fußball spielen, denn meine Hausaufgaben hätte ich längst erledigt. Die Hausaufgabe war die Frage, wie baut man die Salzach aus. Ganz einfach: Man tut es nicht. Es gab vier Gutachten, einen Rahmenvertrag mit Österreich, lange Diskussionen und große Seminare. Am Schluss kam heraus, wir sollen sie nicht ausbauen.

Dieses Ergebnis hätte ich Ihnen vor zwanzig Jahren für 1.50 Mark liefern können.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun zum nächsten Punkt: Der Wasserhaushalt. Wir sollten ein bayerisches Programm für den landwirtschaftlichen Einzugsbereich an Seen und stehenden Gewässern auflegen. Dort haben wir nach wie vor Probleme. Es gibt ein Programm, aber das reicht noch nicht aus. Wir sollten hier Hausaufgaben machen und zu Musterschülern werden, um den anderen zu zeigen, wie man es macht.

Aus Zeitgründen möchte ich nur noch zu dem Thema Bergwald etwas sagen. Herr Zeller, in diesem Punkt war das Niveau Ihrer Rede besonders tief. Wenn Sie sagen, der Bergwald ist veraltet, weil man nicht erschlossen hat, dann ist das falsch. Wenn Sie gesagt hätten: „Weil man nicht genutzt hat“, dann hätte ich noch mit Ihnen diskutiert. So aber bin ich sehr froh, dass andere Leute für den Bergwald zuständig sind und nicht Sie. Ich muss vor diesem Hintergrund auch sagen, ich bin froh, dass Sie nicht mehr im Finanzministerium sind.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Am Ende hätten Sie sonst nämlich Ihren Chef im Finanzministerium bei seiner Idee unterstützt, aus dem Wald mehr herauszuholen, um zu mehr Geld zu kommen, anstatt den Wald nach den in der Alpenkonvention festgeschriebenen Prinzipien zu nutzen.

Jetzt ein Schulterklopfen: Die Bayerische Staatsregierung hat es inzwischen gelernt: Ja, zur Schutzwaldsanierung. Herr Ach ist leider nicht da. Er hat gesagt, das Geld sei herausgeschmissen. Dabei hat er aber falsch gedacht. Das Geld wäre dann hinausgeschmissen, wenn Bayern zur Sanierung des Bergwaldes den Wildabschuss nicht forcieren würde.

(Zeller (CSU): Zwischenfrage!)

Herr Präsident, wenn die Frage nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, habe ich nichts dagegen. Das geht nicht? Nun gut.

Wenn Sie mit mir der Auffassung sind, die billigste Art der Bergwaldsanierung ist eine vernünftige Jagd, dann wären wir ein gutes Stück weitergekommen.

Tourismus und Freizeit: Ich gebe Ihnen auch Recht, wir sind keine Tourismusgegner, schließlich fahren wir alle selbst gerne einmal fort. Sie, Herr Zeller und ich, wir fliegen aber nicht nach Südostasien, sondern wir bleiben in unserer Heimat und machen einen tollen Urlaub in Bayern. Deshalb wollen wir auch, dass es bei uns schön aussieht. Auch Inzell, meine Heimat, war ein armer Ort, bevor es den Tourismus gab. Was mir aber fehlt, ist eine gemeinsame Alpenwerbung. Man sollte Oberbayern nicht gegen das Allgäu ausspielen. Besser wäre es, wenn wir für die Alpen eine gemeinsame Werbung machen würden. Dabei denke ich an ein Entwicklungs

konzept für sanften Tourismus in Bayern. Was ist sanfter Tourismus? Wo ist ein bayerisches Fortschrittsprogramm für den sanften Tourismus? Das wären Fragen, die wir uns stellen müssten. Oder ich denke an eine Ortsentwicklung, eine Raumentwicklung, die einen Wettlauf der Hallenbadbauer verhindert.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und beim BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Besser wäre es, solche Angebote zu konzentrieren, anstatt die Landschaft kaputtzumachen.

Noch ein Wort zum Thema Verkehr. Wir sind gerade dabei, den örtlichen öffentlichen Personennahverkehr zu stärken. Doch Sie, die Bayerische Staatsregierung, die hier zuständig ist, bringt es nicht fertig, ein drittes Gleis zwischen Salzburg und Freilassing zu bauen, damit sich dort endlich ein öffentlicher Schienenpersonennahverkehr entwickeln kann. Das Gebiet zwischen Salzburg und Freilassing ist eine typische Alpenregion und die Orte Salzburg und Berchtesgaden sind beides Orte der Konventionsverabschiedung. Dennoch bringen sie das dritte Gleis nicht fertig, um den Individualverkehr auf der Straße zu ersetzen. Dabei wäre das doch nun wirklich eine gute Sache.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, zusammenfassend möchte ich sagen: Ganz so schlecht ist es in Bayern um den Vollzug der Alpenkonvention nicht bestellt. Das gebe ich zu.

(Beifall des Abgeordneten Zeller (CSU))

Zum Schulterklopfen besteht aber auch in Bayern kein Anlass, Herr Zeller. Wir sollten die Unterzeichnung sämtlicher Protokolle zum Anlass nehmen, in diesem Haus auch mit der Staatsregierung darüber zu diskutieren, was diese Staatsregierung, sozusagen als für die Alpen in Deutschland zuständige Regierung mehr tun kann, um die Alpenkonvention in die Praxis umzusetzen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Nächster Redner ist Herr Kollege Steinmaßl.