Protokoll der Sitzung vom 01.02.2000

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 33. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde, Ihre Zustimmung vorausgesetzt, erteilt.

Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich aus Anlass des „Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ vor dem Hohen Haus folgende Erklärung ab:

Am 27. Januar jährte sich zum 55. Mal der Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz.

(Die Anwesenden erheben sich)

Dieser Tag wurde im Jahre 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Dr. Roman Herzog zum „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ erklärt. Das Datum ist Anlass, die Erinnerung an die Verfolgung und Ermordung zahlloser Menschen durch die NS-Diktatur wach zu halten. Auschwitz und weitere Todeslager stehen für einen fundamentalen Bruch des Sittengesetzes der Menschheit, der in unserem Land kalt, rücksichtslos und auf unvorstellbare Weise geradezu „technologisch“-menschenverachtend vollzogen wurde. Wir denken in diesen Tagen an das Martyrium der jüdischen Kinder, Frauen und Männer, an die Häftlinge aus Deutschland und aus anderen Ländern, die wegen ihrer Herkunft oder ihrer Überzeugung in den Todeslagern ihrer menschlichen Würde beraubt und ermordet wurden, sowie an die Überlebenden der Konzentrationslager, die durch körperliche und seelische Qualen fürs Leben gezeichnet waren.

Der 27. Januar markiert nicht nur das lang ersehnte Ende einer Zeit des Schreckens. Er steht zugleich für einen politischen Neubeginn in Deutschland und Europa. Die Erfahrung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft stand den Männern und Frauen der ersten Stunde beim Neuaufbau als mahnendes und abschreckendes Beispiel vor Augen. Es spiegelt sich in der Präambel der Bayerischen Verfassung wider in den bis heute beeindruckenden Worten vom materiellen und moralischen „Trümmerfeld, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des Zweiten Weltkriegs geführt hat“.

Die mit Füßen getretene Würde der Opfer fordert uns auf, immer wieder von neuem das Erinnern – vor allem in den nachwachsenden Generationen – wach zu halten. „Wer aufrichtig sein will“ – so sagte Dr. Roman Herzog –, „muss sich seiner ganzen Geschichte stellen, der Geschichte, die im Guten wie im Bösen die Identität eines Volkes ausmacht“. Das ist der tiefere Sinn jedes Gedenkens. Im Besonderen gilt das für den 27. Januar. Er muss – über das bloße Datum und den flüchtigen Moment hinaus – fester Bestandteil unserer demokratischen Kultur bleiben. Zu ihrem Wesen gehört neben der Gestaltung des Heute und der Sorge um das Morgen das Nachdenken über die Lehren des Geschehenen.

(Schweigeminute)

Ich danke Ihnen für das Gedenken und bitte Sie, sich eines ehemaligen Kollegen zu erinnern. Am 14. Dezember 1999 verstarb Herr Leonhard Heiden im Alter von 80 Jahren. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1966 bis 1978 an und vertrat für die SPD den Stimmkreis Nürnberg-Süd. Leonhard Heiden engagierte sich in den Ausschüssen für Verfassungs-, Rechts- und Kommunalfragen sowie für Geschäftsordnung und Wahlprüfung. In der Kommunalpolitik verwurzelt, galt sein ganzer Einsatz den Menschen in der Nürnberger Region und der politischen Entwicklung des Freistaates Bayern. Der Bayerische Landtag wird dem Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren. – Sie sind zu Ehren des Toten stehen geblieben. Ich danke Ihnen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich darf nun noch eine Reihe von Glückwünschen aussprechen. Halbrunde Geburtstage feierten Frau Kollegin Elisabeth Köhler am 1. Januar 2000 und Herr Kollege Friedrich Odenbach am 13. Januar 2000. Runde Geburtstage feierten die Kollegen Christian Meißner am 18. Dezember 1999, Gerhard Eck und der Vorsitzende der CSU-Fraktion, Alois Glück, am 24. Januar 2000. Heute vollendet Herr Kollege Henning Kaul sein 60. Lebensjahr.

(Beifall)

Im Namen des Hohen Hauses und persönlich gratuliere ich der Kollegin und den Kollegen sehr herzlich und wünsche ihnen alles Gute und Gottes Segen für das neue Lebensjahr sowie Kraft und Erfolg bei der Erfüllung ihrer parlamentarischen Aufgabe.

(Beifall)

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 1

Erklärung des Leiters der Staatskanzlei, Staatsminister Huber, zum Thema „Nachhaltigkeit als Leitlinie bayerischer Politik – Schwerpunkte für das Jahr 2000“

Im Ältestenrat wurde vereinbart, dass die Beratung des Tagesordnungspunktes bis 15.30 Uhr abgeschlossen sein soll. Herr Staatsminister Huber wird voraussichtlich 30 Minuten sprechen. Damit verbleiben bei gleicher Redezeit den Fraktionen jeweils 20 Minuten. Das Wort hat nun Herr Staatsminister Huber. Bitte, Herr Staatsminister.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dieser Erklärung möchte ich Ihnen die Schwerpunkte der Regierungsarbeit im Jahr 2000 darstellen. Wir setzen um, was Herr Ministerpräsident Edmund Stoiber in seiner Regierungserklärung vom 29. Oktober 1998 angekündigt hat. Diese Themen werden vornehmlich Gegenstand von Debatten hier im Landtag sein. Ich bitte die Regierungsfraktion um Unterstützung und um die bewährte enge Zusammenarbeit und lade auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, dazu ein,

mit uns über die noch darzustellenden Themen zu diskutieren.

Meine Damen und Herren von der SPD und von den GRÜNEN, ich sage Ihnen jedoch vorweg: Es wird Ihnen nicht gelingen, die Staatsregierung von der Sacharbeit abzulenken oder mit Verdächtigungen zu überziehen.

(Beifall bei der CSU – Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wissen: Vertrauen in Staat und Politik kann man nur durch Glaubwürdigkeit und die Lösung von Zukunftsaufgaben erlangen.

(Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident Edmund Stoiber hat in der Sitzung des Bayerischen Landtags am 10. Dezember 1999 angekündigt – ich zitiere –:

Unsere schwierige und zugleich vordringliche Aufgabe ist die langfristige, nachhaltige Sicherung des sozialen, ökonomischen und ökologischen Wohlstands. Deshalb wird die Staatsregierung alle Bereiche der Landesentwicklung an dem Grundsatz der Nachhaltigkeit ausrichten.

Diese Ankündigung werden wir weiter konsequent umsetzen mit einer Politik für heute in Verantwortung für morgen. Wir müssen die ökologische, ökonomische und soziale Zukunftsfähigkeit unseres Landes sichern. Heute stellen wir fest:

Im Gegensatz zum nahezu grenzenlosen Optimismus der Wachstumsjahre nach dem Zweiten Weltkrieg, im Gegensatz aber auch zum technikfeindlichen Pessimismus der achtziger Jahre herrscht heute verhaltener Optimismus. Gerade die junge Generation sieht die Perspektiven neuer wissenschaftlicher und technischer Entwicklungen. Darin liegen große Chancen für die Gestaltungsmöglichkeiten der Politik.

Wir stehen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten aber vor großen demografisch begründeten Herausforderungen mit weit reichenden sozialen und gesellschaftlichen Folgen. Seit mehr als 20 Jahren stellen wir einen Geburtenrückgang fest. Unsere Gesellschaft wird älter.

In besonderer Weise stehen wir heute vor den Herausforderungen von Globalisierung, Internationalisierung und Digitalisierung. Wirtschaftliche, ökologische und soziale Entwicklungen hängen mehr als jemals zuvor zusammen. Entscheidungen wirken zunehmend über regionale und nationale Grenzen hinweg. So beeinflussen beispielsweise die Entwicklungen an den amerikanischen Börsen die Finanzmärkte weltweit, und das innerhalb von Augenblicken, auch mit weit reichenden Folgen für Unternehmen und Arbeitsplätze hierzulande. Nachhaltige Politik bedeutet deshalb mehr als je zuvor, Zusammenhänge und Wechselwirkungen zu berücksichtigen.

Schnelligkeit ist ein wesentliches Merkmal unserer Informations- und Kommunikationsgesellschaft. Sie ist bestimmt von rasanten technischen und ökonomischen Entwicklungen, von immer kürzeren Produkt- und Innovationszyklen, von strukturellem und gesellschaftlichem Wandel.

Symptomatisch dafür ist das Internet. So rechnet man damit, dass die Zahl seiner Nutzer innerhalb von weniger als zehn Jahren auf mehr als hundert Millionen ansteigen wird. Das Internet revolutioniert alle Lebensbereiche in einem nie da gewesenen Ausmaß. Das zwingt uns dazu, immer schneller zu reagieren und zu entscheiden. Aber viele kurzfristig getroffene Entscheidungen und Maßnahmen haben nach wie vor langfristige Auswirkungen bis zu unseren Nachkommen.

Nachhaltige Politik bedeutet deshalb mehr als je zuvor, langfristig zu denken, Perspektiven zu entwickeln und Verantwortung für die zukünftigen Generationen im Blick zu haben.

Die globalisierte Informations- und Kommunikationsgesellschaft ist vielfach auf Konsum fixiert. Unsere Wohlstands- und Anspruchsgesellschaft nimmt zu wenig Rücksicht auf das Morgen. Viele unserer Ressourcen werden im Übermaß in Anspruch genommen. Betroffen davon sind nicht nur unsere natürlichen Lebensgrundlagen, sondern im Besonderen die öffentlichen Haushalte und die sozialen Sicherungssysteme.

Was sich hier so abstrakt anhört, hat ganz konkrete Auswirkungen für jeden Einzelnen von uns: Es geht nicht nur um die Bewahrung der Ozonschicht, sondern um den Schutz jedes Einzelnen vor Hautkrebs. Es geht nicht nur um den ausgeglichenen Haushalt, sondern vor allem darum, dass auch in Zukunft noch eine ausreichende Zahl von Kindergartenplätzen finanziert werden kann. Es geht nicht nur um die Modernisierung der sozialen Sicherungssysteme, sondern darum, dass den Jungen nicht 25% an Beitragssätzen zur Rentenversicherung aufgebürdet werden.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Wilhelm (CSU))

Es geht nicht nur um Wettbewerb im weltweiten Maßstab, sondern ganz entscheidend darum, dass wir Arbeitsplätze in Bayern erhalten und schaffen.

Meine Damen und Herren, die Bayerische Staatsregierung zieht Konsequenzen. Nachhaltige Politik bedeutet für uns: Wir denken und handeln heute für morgen und übermorgen und nehmen damit unsere Verpflichtung gegenüber unseren Kindern und Enkeln ernst. Wir gehen mit unseren Rohstoffen, mit der Natur und mit Geld so um, dass die Generationen nach uns die gleichen Chancen haben wie wir heute. Wir treffen Vorsorge für die soziale Stabilität von morgen.

Ich fasse an dieser Stelle zusammen: Unsere Leitlinie ist eine verantwortungsbewusste und zukunftsorientierte Entwicklung für Bayern, die wirtschaftliches Wachstum und soziale Wohlfahrt mit dem dauerhaften Schutz unserer Lebensgrundlagen verknüpft.

Aus diesem Grundgedanken ergeben sich folgende Schwerpunkte für die Regierungsarbeit in diesem Jahr:

Erstens. Es geht uns um die Sicherung der Handlungsund Entscheidungsfähigkeit Bayerns. Mit einer Weltwirtschaft ohne Grenzen, im Zuge des Ausbaus einer globalen Informationsgesellschaft und der Integration Europas wächst die Bedeutung von Subsidiarität und Dezentralisierung. Die menschlichen Grundbedürfnisse nach Überschaubarkeit, nach Orientierung, nach sichtbarer Verantwortung und nach eigenen Entscheidungsräumen werden stärker.

Das Gewicht der Regionen und der regionalen Politik wächst. In einem zusammenwachsenden Europa hat Bayern dies schon frühzeitig erkannt. Gegen den damaligen Zeitgeist haben wir erfolgreich für die Stärkung der Regionen gestritten, wie das Subsidiaritätsprinzip in den Europäischen Verträgen, der Ausschuss der Regionen und der neue Artikel 23 des Grundgesetzes zeigen. Das sind Meilensteine in der Entwicklung des Regionalismus in Deutschland und in Europa, meine Damen und Herren.

„Denke global, handle regional und lokal“ – dieses Motto erhält zunehmend allgemeine Bedeutung. Auch deshalb brauchen wir eine Reform des Föderalismus in Deutschland insgesamt. Wir brauchen mehr Eigenverantwortung für die Länder. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Länderfinanzausgleich vom 11. November 1999 war ein historischer Meilenstein, der das Tor für die Weiterentwicklung eines wirksamen Wettbewerbsföderalismus in Deutschland geöffnet hat.

(Beifall bei der CSU)

Wir werden nicht nur die Chance zur Neuregelung des Länderfinanzausgleichs nutzen, sondern auch die Chance, insgesamt die Kompetenzen der Länder weiter zu stärken und damit mehr bürgernahe Entscheidungen zu ermöglichen. Ministerpräsident Edmund Stoiber wird vor der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz im März in einer Regierungserklärung die Vorstellungen der Staatsregierung zur Modernisierung unserer föderalen Ordnung darlegen.

Zweitens. Uns geht es darum, die natürlichen Lebensgrundlagen in Bayern zu bewahren. Kooperativer Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung waren und sind Markenzeichen bayerischer Umweltpolitik.

(Beifall bei der CSU – Zuruf von der SPD: Aber nachhaltig!)

Der Umweltpakt Bayern vom Oktober 1995 ist ein international anerkanntes und vielfach kopiertes Modell einer neuen Form des partnerschaftlichen Umweltschutzes. Staat und Wirtschaft tragen hier gemeinsam Verantwortung für den Erhalt unserer Umwelt. Dies ist erfolgreich. Wir haben Vertrauen in die Wirtschaft gesetzt. Dieses Vertrauen war und ist gerechtfertigt. Das zeigt der Anstieg der Teilnehmer am Umweltpakt von 60 Gründungsmitgliedern auf jetzt über 1000, die die übernommenen Verpflichtungen sehr ernst nehmen.

Meine Damen und Herren von der Opposition, um auf Ihre Zwischenrufe einzugehen: Sie hätten diesen Erfolg für den Umweltschutz in Bayern nicht erreicht.

(Beifall bei der CSU – Dr. Hahnzog (SPD): Es hat doch niemand gerufen! – Herbert Müller (SPD): Wer hat denn Ihre Rede gemacht?)

Ihr grundsätzliches Misstrauen gegenüber Kooperation im Umweltschutz, der Glaube von Rot-Grün, alles sei mit Sanktionen oder Ökosteuern zu regeln, schafft kein Mehr an Umweltschutz, sondern nur ein Mehr an Staatsverdrossenheit, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CSU)