Protocol of the Session on May 15, 2002

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Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 89. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gebe ich die Ergebnisse der gestern durchgeführten namentlichen Abstimmungen über die zusammen in der Aktuellen Stunde beratenen Dringlichkeitsanträge bekannt.

Dringlichkeitsantrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN betreffend „Mehr Zeit, Sicherheit und Handlungsspielräume für die Jugend“, Drucksache 14/9439: Mit Ja haben 58 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 85 Abgeordnete. Stimmenthaltungen gab es 3. Der Dringlichkeitsantrag ist abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 1)

Dringlichkeitsantrag der CSU-Fraktion betreffend „Wachsende Gewaltbereitschaft bei Kindern und Jugendlichen – Konsequenzen für Gesellschaft und Politik“, Drucksache 14/9440: Mit Ja haben 87 Abgeordnete gestimmt. Mit Nein niemand. Es gab 60 Stimmenthaltungen. Der Dringlichkeitsantrag ist damit angenommen.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 2)

Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion betreffend „Wachsende Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft – Konsequenzen für die Kinder- und Jugendpolitik“, Drucksache 14/9441: Mit Ja haben 147 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein niemand. Es gab 1 Stimmenthaltung. Der Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion ist damit wie der Dringlichkeitsantrag der CSU-Fraktion angenommen.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 3)

Ich rufe jetzt auf:

Tagesordnungspunkt 7

Mündliche Anfragen

Wir haben heute die lange Fragestunde mit 90 Minuten. Ich bitte zunächst Herrn Staatsminister Dr. Weiß um Beantwortung der ersten Fragen. Erster Fragesteller ist Kollege Dr. Kempfler.

Guten Morgen, Herr Präsident, guten Morgen Herr Staatsminister! Herr Staatsminister, unter welchen Voraussetzungen werden im Freistaat Bayern Verteidiger bei Zeugenvernehmungen durch die Polizei im Ermittlungsverfahren zugelassen?

Herr Staatsminister, bitte.

Herr Präsident, Hohes Haus! Während dem Verteidiger nach § 168 c Absatz 2 der Strafprozessordnung – StPO – bei einer richterlichen Zeugenvernehmung die Anwesenheit gestattet ist, hat der Verteidiger bei einer staatsanwaltschaftlichen oder polizeilichen Zeugenvernehmung – das sind die Paragraphen 161 a bzw. 163 a StPO– kein Anwesenheitsrecht; ihm kann aber die Anwesenheit bei der Zeugenvernehmung gestattet werden.

Die Staatsregierung hat zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen Verteidiger bei Zeugenvernehmungen durch die Polizei im Ermittlungsverfahren zugelassen werden, keine generellen Vorgaben getroffen. Insbesondere enthält die mit dem Staatsministerium der Justiz abgestimmte Bekanntmachung des Staatsministeriums des Innern vom 24. Januar 1986, betreffend polizeiliche Vernehmungen in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, hierzu keine Regelung.

Zusatzfrage: der Fragesteller. Bitte schön.

Herr Staatsminister, halten Sie es für zweckmäßig, dass den Zeugen vor der Vernehmung das Beweisthema bekannt gegeben wird?

Herr Kollege Dr. Kempfler, das ist so eine Sache. Einerseits soll sich der Zeuge vorbereiten und sich Gedanken machen. Das ist ganz klar. Andererseits aber will man verhindern, dass Absprachen stattfinden. In Nr. 64 der Richtlinien im Straf- und Bußgeldverfahren ist geregelt, dass bei der Zeugenladung der Name des Beschuldigten anzugeben ist, sofern es der Zweck der Untersuchung nicht verbietet. Darüber hinaus soll auf das Verfahren nur dann hingewiesen werden, wenn der Zeuge gewisse Unterlagen beibringen muss. Sicher wird es Fälle geben, bei denen es sinnvoll ist, wenn der Zeuge seine Unterlagen vor der Verhandlung sichtet. Gerade in Wirtschaftsprozessen kann das von Bedeutung sein. Man sollte das aber im Einzelfall entscheiden und keine generelle Regelung treffen.

(Dr. Kempfler (CSU): Vielen Dank!)

Damit ist Frage Nr. 1 erledigt. Der nächste Fragesteller ist Herr Kollege Dr. Hahnzog. Bitte schön.

Herr Staatsminister, wie viele Ermittlungsverfahren hinsichtlich § 131 Strafgesetzbuch – StGB – haben die bayerischen Staatsanwaltschaften eingeleitet, seitdem dieser Tatbestand seit 1973 auch „exzessive Formen von Gewaltdarstellung“ unter Strafe stellt – aufgeschlüsselt nach Jahren, zumindest seit 1998 – und wie endeten diese Ermittlungsverfahren?

Herr Staatsminister.

Herr Präsident, Hohes Haus! Die bundeseinheitlich gestaltete Geschäftsstatistik der Staatsanwaltschaften, in der die Zahl der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren und die Art ihrer Erledigung ausgewiesen werden, differenziert nicht nach einzelnen Straftatbeständen. Statistische Erkenntnisse zur Zahl der § 131 StGB betreffenden Ermittlungsverfahren liegen dem Staatsministerium der Justiz daher nicht vor.

Angegeben werden kann nur die in der so genannten Strafverfolgungsstatistik erfasste Zahl der Aburteilungen und Verurteilungen. Hierzu eine kleine juristische Erläuterung, die Herr Kollege Dr. Hahnzog selbstverständlich kennt. Ich füge sie aber für die Allgemeinheit an: Abgeurteilte im Sinne dieser Statistik sind Angeklagte, gegen die Strafbefehle erlassen wurden oder bei denen das Strafverfahren nach Eröffnung der Hauptverhandlung durch Urteil oder Einstellungsbeschluss endgültig oder rechtskräftig abgeschlossen wurde. Verurteilte sind die Abgeurteilten, gegen die Strafen verhängt oder – bei Jugendlichen bzw. Heranwachsenden – die Taten mit Zuchtmitteln oder Erziehungsmaßregeln geahndet wurden.

Bei der Aburteilung mehrerer Straftaten, die in Tateinheit oder Tatmehrheit begangen wurden, wird dabei nur die Straftat statistisch erfasst, die nach dem Gesetz mit der schwersten Strafe bedroht ist. Dies bedeutet, dass die nachfolgend genannten Zahlen die Fälle nicht enthalten, in denen der Täter neben § 131 StGB auch wegen einer schwereren Straftat abgeurteilt wurde.

Die Strafverfolgungsstatistiken für Bayern weisen seit der erstmaligen Erfassung des Straftatbestands der Gewaltdarstellung nach § 131 StGB im Jahr 1974 insgesamt 235 Aburteilungen und 119 Verurteilungen aus. Aufgeschlüsselt nach Jahren ergeben sich seit 1995 folgende Daten:

1995: 7 Abgeurteilte, davon 6 Verurteilte;

1996: 5 Abgeurteilte, davon 4 Verurteilte;

1997: 2 Abgeurteilte, kein Verurteilter;

1998: 12 Abgeurteilte, davon 10 Verurteilte;

1999: 7 Abgeurteilte, davon 5 Verurteilte;

2000: 8 Abgeurteilte, davon 6 Verurteilte.

Ich habe die Zahlen seit 1974 vorliegen, Herr Kollege. Ich kann sie Ihnen gerne zuleiten. Ich nehme aber an, Sie interessieren sich vor allem für die letzten Jahre. Die Zahlen für 2001 liegen noch nicht vor.

In den Jahren 1995 bis einschließlich 2000 wurden hiernach in Bayern – ohne die Fälle, in denen zugleich eine Aburteilung wegen einer schwereren Straftat erfolgte – 31 Straftäter wegen eines Vergehens nach § 131 StGB verurteilt. Zum Vergleich: Im gesamten Gebiet der früheren Bundesrepublik Deutschland – in den Beitrittsländern wird diese Statistik noch nicht flächendeckend geführt – waren es im selben Zeitraum 77 Verurteilun

gen. Bei uns waren es also 31, insgesamt hingegen 77 Verurteilungen. Das bedeutet, mehr als 40% aller einschlägigen Verurteilungen entfielen damit auf Bayern. Im Jahr 2000 waren es sogar 75%, nämlich 6 von bundesweit 8 Verurteilungen. Das zeigt, wie ernst gerade Bayern die Bekämpfung strafbarer Gewaltdarstellung nimmt.

Zusatzfrage: Kollege Dr. Hahnzog.

Herr Staatsminister, es war von Anfang an bekannt, dass diese Vorschrift Schwierigkeiten in der Praxis macht. Es gab auch verfassungsrechtliche Bedenken. Im Jahr 1992 gab es eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die ein Urteil des Landgerichts München I als verfassungswidrig aufhob. Hat die Staatsregierung, nachdem sich diese Schwierigkeiten zeigten, eine Initiative erwogen oder in die Tat umgesetzt, um § 131 StGB zu ändern? Nach meinem Wissen unternimmt die Staatsregierung immer wieder Initiativen zur Verschärfung von Strafgesetzen und neuen Vorschriften in der Strafprozessordnung.

Herr Staatsminister.

Herr Kollege Hahnzog, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass man bei § 131 des Strafgesetzbuches immer auch die Vorgaben der Verfassung berücksichtigen muss. Ich erinnere nur an die Freiheit der Kunst, die die Anwendung dieser Bestimmung auch einschränkt. Insofern gibt es Bereiche, bei denen wir auch mit einer Gesetzesänderung nichts erreichen könnten. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1992, welche Sie angesprochen haben, bezog sich darauf, dass den Menschen ähnliche Wesen vom Tatbestand des § 131 nicht erfasst sind. Hier müssen wir sehr genau differenzieren, damit wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.

Wenn ich vom Begriff des Menschen abgehe und auch alle bildlichen Darstellungen einbeziehe, würde wahrscheinlich jedes Mickymausheft von § 131 des Strafgesetzbuches erfasst werden. Es ist sicher auch äußerst problematisch, dass in diesen Heften Katzen, Hunde usw. gezerrt, gepresst oder durch die Luft geschleudert werden.

Selbstverständlich hat man sich überlegt, wie man diese Vorschrift erweitern kann, damit sie noch wirksamer wird, und gerade bei Gewaltakten wie zum Beispiel in Erfurt denkt man über solche Möglichkeiten immer wieder nach. Soweit es aber um derartige Darstellungen, wie eben erwähnt, geht, stoßen wir an verfassungsrechtliche Grenzen. Anders verhält es sich sicher mit Videound Computerspielen, aber diese sind nicht von § 131 des Strafgesetzbuches erfasst.

Kollege Dr. Hahnzog.

Ist diese Frage einmal auf einer Justizministerkonferenz oder in einer Arbeitsgruppe der Justizministerkonferenz behandelt worden?

Herr Staatsminister.

Ich bin seit zweieinhalb Jahren Justizminister. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass dieses Thema besonders problematisiert worden wäre.

Noch eine Zusatzfrage: Herr Kollege Dr. Hahnzog.

Halten Sie unabhängig von verfassungsrechtlichen Vorgaben eine Präzisierung dieses Tatbestandes für möglich, um diese Vorschrift besser anwenden zu können, nachdem das Bayerische Staatsministerium der Justiz im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht von 1992 die Ansicht vertreten hat, die Verurteilung sei verfassungsrechtlich unbedenklich?

Herr Staatsminister.

Selbstverständlich muss man über so etwas immer nachdenken. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht gewisse Grenzen vorgegeben hat, muss man sich überlegen, wo die Grenzen genau sind und ob man den Bereich nicht noch etwas mehr ausnützen könnte. Wir werden darüber nachdenken. Sicher wird es auch bei der Justizministerkonferenz eine sehr eingehende Debatte über dieses Thema geben. Nicht jeder ist aber bereit, diesen Bereich über eine problematische Grenze hinaus auszuweiten.