Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, lassen Sie mich Ihnen, bevor ich mich sehr wohl kritisch mit Ihrer Regierungserklärung auseinandersetze, vorab ein Kompliment aussprechen.
Die Bayerische Staatsregierung schafft es immer wieder, Berlin den Weg zu weisen oder zuvorzukommen. Während die Bundeskanzlerin und amtierende EU-Ratspräsidentin erst morgen früh um 9 Uhr im Deutschen Bundestag ihre Regierungserklärung zur Europapolitik abgibt, tun Sie das 18 bzw. 19 Stunden vorher, damit Frau Merkel rechtzeitig weiß, was Frau Müller will.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich aber ein klein wenig Essig in den Wein gießen. Sie, Frau Ministerin, haben sehr viel Wichtiges gesagt, aber wenig Neues, viel Altes, Bekanntes zu Altbekanntem. Warum es dazu aber eigens einer Regierungserklärung bedarf, entzieht sich meinem Verständnis. Vieles von dem, was Sie ausgeführt haben, fi ndet aber unsere volle Zustimmung. Ich verweise zum Beispiel auf Ihre Ausführungen zu den Anforderungen eines Verfassungsvertrages, zur Stärkung der nationalen Parlamente, zur Rolle der Regionen, zum Subsidiaritätsfrühwarnsystem, zur Stärkung des Ausschusses der Regionen, zur Ausführung der Entscheidungen mit qualifi zierter Mehrheit im Rat, zur Erfüllung der Beitrittskriterien und nicht zuletzt zur konsequenten Fortsetzung der Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung usw. All das ist in diesem Hause aber schon x-mal und auch beinahe schon von jedem gesagt worden, auch von uns beiden, Frau Ministerin.
Ähnliches gilt für Ihre Ausführungen zu Bulgarien, Rumänien und der Türkei. Wenn Sie uns hier schon keine neuen Impulse präsentieren wollen, so ersparen Sie uns doch bitte die traditionellen Wiederholungen Ihrer altbekannten Forderung nach verschlossenen Türen für die Türkei und
Als hier vor einigen Wochen ein Dringlichkeitsantrag der CSU zu dieser Thematik behandelt wurde, haben sich einige von uns in der Fraktion noch gedacht, dass Sie an diesem Tag einfach Probleme hatten, ein gutes Thema für einen Dringlichkeitsantrag zu fi nden und deswegen dieses Thema gebracht haben. Da Sie nun aber schon wieder damit ankommen, haben wir das Gefühl, dass Sie sich partout weigern wollen, einige Fakten zur Kenntnis zu nehmen. Der Modus für diese Fragen ist klar geregelt und auf dem Weg. Der Prozess des Monitorings läuft, die Verhandlungen laufen ergebnisoffen. Bayern kann anmahnen, muss es aber nicht. Mit Blick auf unseren Gast, den bulgarischen Generalkonsul, mit dem ich vor ein paar Tagen ein sehr interessantes Gespräch zu diesem Thema führen durfte, kann ich nur anmerken: Diese verbalen Attacken bringen uns nicht wirklich weiter,
weder hinsichtlich Bulgarien und Rumänien noch im Fall von Siemens noch im Fall der Türkei. Hierzu möchte ich anmerken, dass Ihr Parteikollege Ramsauer nach seinem Türkeibesuch ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass man die Verhandlungen unbedingt weiterführen soll und muss, weil sonst in der Türkei ein Rollback zugunsten der islamistischen Fundamentalisten und zum Schaden Europas drohen würde. Ich will mich hier aber nicht wiederholen – das ist alles in den Landtagsprotokollen längst nachzulesen. Ich will deswegen auch nicht weiter darauf eingehen.
kein Wort zur aktuell größten Gefahr für einen Erfolg der deutschen EU-Ratspräsidentschaft; kein Wort zur gegenwärtig größten Gefährdung der EU durch die Androhungen eines polnischen Vetos. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie Klartext sprechen.
Da mich auch der Herr Ministerpräsident gerade sehr kritisch angesehen hat: Wir Bayern können das doch tun. Sie haben doch sonst auch keine Hemmungen, der Bundesregierung zu sagen, wo die Politik entlanggehen soll.
In diesem Fall geht es um eine klare Arbeitsteilung; denn ich meine, Sie müssen nicht so diplomatisch zurückhaltend sein wie die immerhin noch amtierende EU-Ratspräsidentin.
Und deshalb sage ich, um auf die Dramatik dieser Situation zurückzukommen: Wer wie die polnische Spitze
schwadroniert – Zitat – „Es ist wert, für die Quadratwurzel zu sterben“, redet aus meiner Sicht nicht nur absoluten Stuss, sondern handelt historisch unverantwortlich.
Diese Frage ist keine Kleinigkeit, meine sehr verehrten Damen und Herren. Der frühere Präsident des Europaparlaments, Dr. Klaus Hänsch, hat gestern sinngemäß gesagt: Wenn die Reform an Polen scheitert – und die Gefahr ist gegenwärtig nicht gering –, dann droht ein Auseinanderfallen der EU. Das, sehr verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf einfach nicht passieren.
Ich komme nun zum Stichwort „Verfassungsprozess“ und zu einem weiteren Punkt, der mir sehr wichtig erscheint. Die Überarbeitung des Verfassungsvertrags, wie sie beispielsweise Sarkozy und Blair vorschreiben, darf in keinem Fall so aussehen, dass die Elemente des Vertrags, welche die soziale Dimension Europas defi nieren, unter den Tisch fallen. Wer einen solchen Versuch unternimmt, der wird nicht nur auf den hartnäckigsten Widerstand der Sozialdemokratie stoßen, sondern der hat nicht begriffen, dass damit jede Chance auf eine Akzeptanz des Vertrags in der Bevölkerung schwindet. Wir brauchen aber die Zustimmung der Bevölkerung mehr denn je, wenn wir die EU zukunftsfähig machen wollen. Deshalb hätte ich heute und hier zu dieser zentralen Frage gerne bayerische Impulse gehört und verspürt.
Wenn die Dinge, die Sie als die Parameter für das Soziale an Europa defi nieren und bei denen wir mit Ihnen übereinstimmen, ausreichen sollen, dann können wir uns für die Diskussion um das, was Sie in Ihrer Rede „Nizza plus“ genannt haben, auf einiges gefasst machen. Dieses Thema ist vom gleichen Charakter wie viele Politikfelder und europapolitisch relevante Fragen geprägt, die Sie angeschnitten haben: Sie verharren schon fast ein wenig im Allgemeinen, werden wenig konkret und scheinen sich damit zufriedenzugeben, hier eine Aneinanderreihung von Allgemeinplätzen zum Besten zu geben, denen kaum einer – das muss ich dazusagen, auch wir nicht – widersprechen kann.
Sie hätten aber heute hier im Plenum in Ihrer Erklärung gerade für die Diskussion um das soziale Europa wirkliche Impulse für Europa geben können. Doch dafür, Frau Ministerin, hätten Sie über Ihren Schatten springen und auch solche Themen wie die Notwendigkeit einer europaweiten Mindestbesteuerung von Unternehmen und die dafür erforderliche Schaffung einer einheitlichen Bemessungs- und Erfassungsgrundlage diskutieren müssen.
Außerdem hätte mich interessiert, was Sie davon halten, dass zum Beispiel in Deutschland 2,5 Millionen Menschen für Löhne arbeiten, die nicht einmal ausreichen, um sich selbst und die eigene Familie über die Runden zu
bringen. In 20 der 27 Mitgliedstaaten der EU gibt es gesetzliche Mindestlöhne, auch in Staaten, die in den letzten 15 Jahren eine rasante ökonomische Entwicklung erlebt haben wie Irland oder Spanien oder sämtliche neuen EUStaaten. Aus den betroffenen Ländern sind uns so gut wie keine Stimmen bekannt, die dafür plädieren würden, diese Regelungen wieder abzuschaffen. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, spricht nichts gegen die Einführung branchenbezogener Mindestlöhne im Sinne einer umfassenden Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes auch in Deutschland.
Wenn wir eine EU mit Dienstleistungsfreiheit und Arbeitnehmerfreizügigkeit wollen – und das wollen wir –, dann brauchen wir einen fairen Wettbewerb in diesen Bereichen und nicht den Wettlauf um die niedrigsten Löhne und schlechtesten Arbeitsbedingungen.
Leider gibt mir auch das, was Sie zum Thema „Klimaschutz, Energiepolitik und Nachhaltigkeit“ gesagt haben, nur wenig Anlass zu Euphorie. Dabei kann ich nicht abstreiten, dass die Dinge, die Sie in diesem Zusammenhang gesagt haben, oftmals richtig sind; aber hier von bayerischen Impulsen für Europa zu sprechen, kommt dem Versuch gleich, eine Mücke mit einem Elefanten zu vergleichen.
Dass Klimaschutz nur gemeinsam und multilateral gelingen kann und alle großen Akteure eingebunden werden müssen, wenn es gelingen soll, ein vernünftiges Nachfolgeprotokoll zum Kyoto-Protokoll zu verabschieden, weiß mittlerweile fast jedes Kind. Wir fragen uns an dieser Stelle, ob wir in Bayern wirklich alles dafür tun, um aktive Klimapolitik zu fördern und nachhaltig zu handeln. Nutzen wir in Bayern wirklich alle Ressourcen und Möglichkeiten, von denen wir hier eine größere Fülle haben als andere Bundesländer? – In meiner Heimatstadt Augsburg wird an der neuen Universität gerade ein neues Informatikgebäude mit einer riesigen Dachfl äche errichtet. Ich frage mich, warum man diese Dachfl äche nicht mit einer Solarthermieanlage ausstattet und so Heizkraft und Warmwasser eigenständig und regenerativ erzeugt. Warum legt die Staatsregierung kein Programm auf, das die Installation von Solarthermie- oder Photovoltaikanlagen auf allen Gebäuden des Freistaates zur Selbstversorgung und Netzeinspeisung vorsieht, die neu errichtet, grundlegend umgebaut oder saniert werden? Die SPD-Fraktion fordert dies schon seit Jahren, fordert ein energetisches Sanierungsprogramm der freistaatlichen Liegenschaften. Darauf haben in der vorangegangenen Aktuellen Stunde die Kollegen Frau Biedefeld und Wörner hingewiesen.
Glücklicherweise tut sich in Bayern einiges in Sachen Photovoltaik, Kraft-Wärme-Kopplung, Nutzung von Biomasse und Wasserkraft. Meistens bleiben die Impulse dafür aber privaten Initiativen überlassen und kommen nicht von der Staatsregierung. Wir sollten dabei nicht vergessen, dass Klimaschutz nicht an den Grenzen aufhört. Warum fördert der Freistaat nicht in größerem Ausmaß grenzüberschreitende Projekte zum Klimaschutz von
Kommunen und Landkreisen? – Mir fällt spontan das Dreiländereck Westallgäu/Vorarlberg/Aargau rund um den Bodensee ein, das ich von einer Informationsreise, die ich zusammen mit dem Europaabgeordneten Wolfgang Kreissl-Dörfl er gemacht habe, kenne. Dort gibt es viele separate Projekte, deren Betreiber in der Fläche viel effi zienter und erfolgreicher arbeiten könnten. Damit würde es auch gelingen, grenzüberschreitend Wissen und Forschungsergebnisse zu nutzen, etwa aus dem Energieinstitut Vorarlberg in Dornbirn. Forschung und Entwicklung sind ohnehin der Schlüssel zur Entwicklung, von der Sie immer behaupten, dass Sie sie wollen, die Sie aber oft nur halbherzig unterstützen.
Frau Müller, Sie haben zu Recht gesagt, dass Forschung und Entwicklung zentral für die Zukunftschancen unserer Kinder sind. Warum fördern Sie dann nicht intensiver einen der besten Cluster, den wir in Bayern haben, nämlich die Umwelttechnologie?
Zukunftsfähige Forschung und Entwicklung gehen weit über das hinaus, was wir bisher im klassischen Sinn darunter verstehen. In Zukunft wird es immer wichtiger sein, die Entwicklung von Maschinen, Verfahren und Produktionsweisen zu forcieren, die weniger Energie verbrauchen. Wenn man alleine den Energieverbrauch zur Erzeugung von Lebensmitteln in Bayern betrachtet, dann stehen einem schnell die Haare zu Berge. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, das zwar extrem ist, aber das ich bezeichnend fi nde: Eine Fabrik in Parsberg bei München stellt tiefgefrorene sogenannte Burritos her. Der eine oder andere von Ihnen kennt sie vielleicht aus mexikanischen Restaurants; es ist nicht die mexikanische Variante der Weißwurst, sondern es ist eine mexikanische Spezialität. Bis ein einziger dieser Burritos in die Verpackung gelangt, werden 60 Liter Wasser verbraucht. Die Fabrik stellt an einem Tag fast 500 000 Burritos her, verbraucht also mehr als sechs Milliarden Liter Wasser pro Jahr für die Herstellung eines Tiefkühlproduktes, das man sicherlich nicht dringend braucht, auch wenn es dem einen oder anderen sehr wohl schmecken mag. In den anderen Staaten wird mit einer enormen Geschwindigkeit und viel Mitteleinsatz geforscht und entwickelt, sodass wir unsererseits die Anstrengungen verstärken müssen, wenn wir nicht die Führungsstellung Bayerns verlieren wollen. Machen wir uns nichts vor: Wenn wir genau hinsehen, dann erkennen wir, dass wir sie in manchen Bereichen fast schon verloren haben. Beispielsweise haben deutsche Hersteller den weltweiten Trend hin zu Dieselfahrzeugen mit Rußpartikelfi lter und generell zu kraftstoffsparenden Modellen nicht früh genug erkannt,
Hier muss mit allen Mitteln geforscht, entwickelt und müssen Produkte zur Marktreife gebracht werden, auch um bayerische Arbeitsplätze zukunftssicher zu machen.
Energieeffi zienz und Energieverbrauch sind existenzielle Themen, bei denen es nicht ausreicht, einige unverbindliche Aussagen zu machen, wie wir sie heute schon in der Aktuellen Stunde gehört haben.
Wer sich mit dem Thema beschäftigt, wird feststellen, wie unsinnig und kontraproduktiv es ist, die öffentliche Daseinsvorsorge dem Markt uneingeschränkt zu öffnen, wie es leider einige EU-Abgeordnete aus den Reihen der Union wollen. Ich möchte positiv festhalten – man kann schließlich auch einmal die Gemeinsamkeiten betonen –, dass in diesem Hause Konsens darüber besteht, dass die Trinkwasserversorgung nicht privatisiert wird. Schauen Sie sich beispielsweise die Situation in London an; rein private Unternehmen investieren so gut wie nichts in die Infrastruktur. Die Folge ist, dass in London das Wasser knapp wird, wenn es zwei Wochen lang nicht regnet, auch deshalb, weil die Leitungen so porös sind, dass durchschnittlich 57 % des geförderten Trinkwassers versickern. Zum Vergleich: Hier in München gehen auf dem Weg zum Endkunden durchschnittlich 5,7 % verloren. Glücklicherweise ist die Statistik so, dass ich es leicht ausrechnen kann; das ist gerade einmal ein Zehntel der Menge, die in London verloren geht.
Bei Gas- und Stromleitungen sieht es nicht viel besser aus. Lassen wir also die Verantwortung für die öffentliche Daseinsvorsorge da, wo sie am besten aufgehoben ist: bei den Kommunen.
Aber die Staatsregierung und die CSU fokussieren sich lieber darauf – wie wir es heute zum Beispiel auch vom Kollegen Pschierer gehört haben –, immer wieder längere Restlaufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke mit der Begründung zu fordern, dass sie quasi CO2-neutral und deshalb wichtig für den Klimaschutz seien. Wer so etwas behauptet, möchte entweder die Öffentlichkeit bewusst hinters Licht führen oder weiß es schlicht nicht besser. Das ist etwa so, wie wenn man in Bezug auf die Atomkraft sagen würde: Zigaretten sind ungefährlich, nur der Rauch macht uns krank.