Protokoll der Sitzung vom 25.09.2012

(Beifall bei der CSU, der FDP und der Staatsre- gierung)

Nachdem wir heute schon über Bildung diskutiert haben, rede ich jetzt nicht mehr über Ganztagsangebote und all diese Dinge.

(Harald Güller (SPD): Dreimal hat die Staatsregierung applaudiert! Herr Rohde, das müssten selbst Sie mal merken!)

- Bitte?

(Harald Güller (SPD): Das war an Herrn Rohde gerichtet!)

- Okay. Wenn Sie fertig sind, mache ich weiter.

(Harald Güller (SPD): Herr Rohde denkt jetzt mal über die Geschäftsordnung nach!)

Noch eine Anmerkung zu der Diskussion über das Betreuungsgeld: Ich kann nichts Nachteiliges darin er

kennen, wenn eine Gesellschaft, vertreten durch die Parlamente, entscheidet: Wer Familienleistungen in Anspruch nimmt, hat auch eine Bringschuld gegenüber der Gesellschaft, etwa was Kindervorsorgeuntersuchungen anbetrifft. Denn die Vernachlässigung eines Kindes kann sehr wohl von einem Arzt registriert werden. Wenn wir uns darauf verständigen könnten, wäre das ein Fortschritt, weil Kindervorsorgeuntersuchungen dem Kindeswohl dienen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Wir sind ein freiheitlicher, liberaler Staat. Was spricht im Ernst dagegen, der Mutter, die das Betreuungsgeld in Anspruch nehmen will, zu sagen: Du kannst dieses Geld, vielleicht mit einem Zuschlag von zehn Prozent versehen, in Deine individuelle Altersvorsorge einzahlen.

Ich wäre sogar bereit gewesen - der Vorschlag ist leider nicht weiterverfolgt worden; vielleicht taucht er wieder auf -, einem Ansatz zuzustimmen, der es ermöglicht hätte, anstelle der Auszahlung des Betreuungsgeldes in bar eine Bildungsversicherung für das Kind abzuschließen, damit es nach Erreichen der Volljährigkeit schon ein gewisses finanzielles Polster für seine weitere Ausbildung hat.

Liebe Freunde, sind wir schon so planwirtschaftlich, dass wir die ganze Gesellschaft bevormunden müssen nach dem Motto, nur dieses und nichts anderes? Oder sollte nicht auch innerhalb des Betreuungsgeldes ein Stück weit eine freiheitliche Entscheidung des Bürgers darüber möglich sein, ob er das Geld für die Bildung oder die eigene Altersversorgung verwendet? Trauen wir das den Menschen denn nicht mehr zu?

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Jetzt zur Wahlfreiheit: Frau Gottstein, glauben Sie im Ernst, dass ein Elternteil seine Berufstätigkeit aufgibt, damit er an das Betreuungsgeld - anfänglich 100 Euro - herankommt?

(Zuruf von der SPD: In Thüringen - ja!)

Das wird in der Praxis nicht erfolgen.

Frau Gottstein, ich habe wirklich die Bitte, dass wir über die Realität in unserem Land reden, und diese ist sehr vielschichtig. Wir wissen, dass in Bayern zwei Drittel der jungen Familien ihre Berufstätigkeit unterbrechen. Das ist ihre freie Entscheidung. Da hat bisher noch niemand von Bevormundung gesprochen. Dieses Thema setzt bei mir alles in Bewegung, was es an menschlichen Gefühlen gibt. Liebe Frau Kollegin, wir sollten bitte mit dieser arroganten Diskussion aufhören, dass die Bezieher von niedrigen Einkom

men nicht in der Lage wären, ihre Kinder zu erziehen. Liebe Freunde, wo sind wir denn eigentlich?

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Ich spreche gar nicht über die Gegenwart. Wir waren viele Kinder zuhause. Mein Vater war Arbeiter, meine Mutter war zuhause. Wir mussten jede D-Mark umdrehen. Ich musste am Freitag zum Lohnbüro gehen, damit sichergestellt war, dass das Geld nach Hause kam. Aus meiner Erfahrung, die Millionen anderer Leute auch gemacht haben, sage ich Ihnen: Es gibt auch bei kleinen Verhältnissen eine Mutterliebe.

(Beifall bei der CSU und der FDP - Volkmar Halb- leib (SPD): Was Sie hier erzählen, finde ich unter aller Kanone!)

Wie kommen wir auf diese Idee, dass beim Bauarbeiter die Kindererziehung nicht funktioniert, sie aber bei einem Chefarzt gewährleistet sei? Das müssen wir einmal aus den Köpfen herausbringen. Meine herzliche Bitte wäre, dass wir uns gegenseitig zubilligen, dass wir es bei unseren unterschiedlichen Denkansätzen gut meinen.

(Volkmar Halbleib (SPD): Das ist ein inakzeptabler Auftritt.)

- Herr Halbleib, ich könnte zu heute Nachmittag auch vieles sagen. Seien Sie sehr konzentriert.

Warum können wir uns gesellschaftspolitisch nicht verständigen? Wir haben eine Heterogenität in der Gesellschaft mit Alleinerziehenden, Berufstätigen, Menschen, die zuhause sind, Menschen, die vorübergehend zuhause sind usw. Warum können wir uns nicht darauf verständigen, für die Biografien, die die Menschen leben, ein Angebot zu machen und es den Leuten zu überlassen, welches Angebot sie wählen? Wir dürfen nicht die Mütter oder die Väter, die die Kindererziehung mit Berufstätigkeit verbinden, als Rabenmütter oder Rabenväter abstempeln. Die meisten müssen berufstätig sein. Wir dürfen aber auch nicht umgekehrt die Mütter oder die Väter, die sich entscheiden, in den ersten Lebensmonaten beim Kind zuhause zu bleiben, als "nicht auf der Höhe der Zeit" bezeichnen. Das dürfen wir nicht tun.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Lassen Sie mich noch eines sagen: Wir brauchen gerade in den ersten zwei bis drei Jahren für die Familien eine deutlich bessere Gestaltung der Strukturen in der Wirtschaft im Hinblick auf die Familienfreundlichkeit. Hier ist die Gestaltungsmacht der Politik sehr begrenzt.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Meine größere Tochter hat gerade eine Master-Arbeit in Kopenhagen geschrieben. Sie sagt: Du musst dir vorstellen, dass hier eine Mutter um halb zwei Uhr nach Hause geht. Sie muss sich dafür gar nicht rechtfertigen, weil das die Betreuungs- und Schließungszeiten der Kinderkrippen und Kindergärten so erfordern. Das ist dort gesellschaftlicher Standard. Dies müssen wir noch gemeinschaftlich leisten. Das gehört zu einer echten Wahlfreiheit.

Wir brauchen die Frauen als fachlich qualifizierte Kräfte in der Wirtschaft. Deshalb werden wir und wird es die Wirtschaft begreifen müssen, dass wir die Abläufe in der Wirtschaft stärker auf die Familien abstimmen müssen.

(Lang anhaltender lebhafter Beifall bei der CSU und der FDP)

Herr Ministerpräsident, bitte bleiben Sie noch am Pult. Mir liegen die Wünsche nach zwei Zwischenbemerkungen und zwei weitere Wortmeldungen vor. Der Herr Innenminister möchte offensichtlich ermahnt werden, dass er nicht von der Regierungsbank Beifall spenden darf. Herr Kollege Kreuzer macht es vorbildlich und applaudiert aus dem Publikum heraus.

Zunächst haben wir die Zwischenbemerkung von Frau Kollegin Ackermann abzuarbeiten.

Herr Ministerpräsident, Sie haben von Wahlfreiheit gesprochen. Ich beziehe mich auf eine junge Mutter mit wenig Geld. Können Sie mir bitte erklären, warum diese Mutter für den Besuch ihres Kindes in der Kinderkrippe 300 bis 400 Euro bezahlen muss, während sie, wenn sie die Kinderkrippe nicht in Anspruch nimmt, 150 Euro bekommt? Wie wird sich diese Frau entscheiden? Wo ist ihre Freiheit? Sie zwingen sie durch diesen Bonus dazu, sich gegen die Krippe zu entscheiden.

Anders gefragt: Herr Ministerpräsident, wo ist die Wahlfreiheit, wenn sich eine junge Mutter für die Kinderkrippe entscheiden möchte, es aber in ihrem Umkreis keine Kinderkrippe gibt, in die sie ihr Kind schicken kann?

Herr Ministerpräsident.

Bayern hat dem Rechtsanspruch auf eine Kinderkrippe ebenfalls zugestimmt. Dieser Rechtsanspruch wird noch einigen Beine und Tempo machen. Wir dürfen nicht so tun, als ob der Bayerische Landtag die Kinderkrippenplät

ze bauen würde, mit Ausnahme seines Betriebskindergartens. Dieser Rechtsanspruch wird sehr viel Tempo machen, weil es sich die Leute nicht gefallen lassen werden, einerseits einen Rechtsanspruch zu haben, andererseits aber keine Möglichkeit.

Ich bin ein glühender Verfechter der Position, dass den Familien, die solche Plätze brauchen, diese Plätze angeboten werden sollen. Die soziale Zugänglichkeit und Verträglichkeit muss Schritt für Schritt realisiert werden. Würden wir gar nichts tun, hätte ich Ihre Frage verstanden. Wir befreien die Familien dort, wo es unerlässlich ist, nämlich im dritten Kindergartenjahr, von der Kindergartengebühr. Darauf bin ich stolz. Diese Entscheidung war innerhalb der Koalition nicht leicht.

Die Wünsche der Abgeordneten und des Ministerpräsidenten sind immer etwas größer als das, was realisiert werden kann. Wir wollen einen generationengerechten Haushalt und keine Verschuldung. Wir wollen Bildungseinrichtungen, Ganztagsschulen, eine gute Ausstattung der Hochschulen usw. Wir dürfen der Bevölkerung nicht den Eindruck vermitteln, das alles wäre gleichzeitig zu machen. Wir beginnen jedoch. Wir beginnen die soziale Zugänglichkeit zu Bildungseinrichtungen mit dem dritten Kindergartenjahr. Darüber haben wir innerhalb der Koalition eine harte Schlacht ausgefochten. Sie sehen, dass wir auch harte Themen gut entscheiden können.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Frau Ackermann, glauben Sie, dass gerade diese Frau ihre Berufstätigkeit aufgibt? Da hängt doch mehr dran, zum Beispiel die Altersversorgung und die Krankenversicherung. Sie stellen in den Raum, eine Frau müsste ihre Berufstätigkeit aufgeben, um an dieses Geld zu kommen. Das ist nicht die internationale Erfahrung, weder in Amerika noch sonstwo. Offensichtlich brauchen Sie dieses Argument für die politische Schlacht. Frau Ackermann, lassen Sie uns doch so diskutieren: Wir müssen alle Möglichkeiten ausreizen, um zusätzliche Kinderkrippenplätze zu schaffen. Lassen Sie uns die Dinge genau verfolgen, wie sie in der Praxis ablaufen. Wenn es Handlungsbedarf gibt, werden wir nachjustieren. Wir sind doch keine Ideologen.

Ich habe bewusst mit dem Bundesverfassungsgericht begonnen, weil ich gesagt habe: Mir passiert es nicht mehr, dass Verfassungsrichter sagen, was in Deutschland geschehe, stünde nicht mit dem Grundgesetz im Einklang. Wenn wir voraussehen könnten, wie die Menschen in der Praxis reagieren, wäre Politik eine schöne Arbeit. Eines möchte ich nicht, nämlich dass Politiker und Politikerinnen, auch wenn sie die Politik als Beruf ausüben, als Vormund für die Bevöl

kerung auftreten. Die Bevölkerung soll entscheiden, was sie will. Wir müssen es ihr ermöglichen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Ich erteile Herrn Kollegen Werner von der SPD-Fraktion das Wort zu einer Zwischenbemerkung.

Herr Ministerpräsident, wir beide stammen offensichtlich aus den gleichen Verhältnissen, nur habe ich am Freitag nicht ums Geld gehen müssen. Mein Vater hat am Freitag die Lohntüte selbst heimgebracht.

Aus eigener Anschauung kann ich Ihnen zum Thema Mutterliebe und zur Fähigkeit der kleinen Leute, ihre Kinder zu erziehen, nur recht geben. Vielleicht sind wir beide positive Beispiele. Ich kann Ihre Äußerungen aber nicht nachvollziehen, die damit zu tun haben, dass irgendjemand kritisiert, dass die kleinen Leute ihre Kinder nicht erziehen könnten. Von uns hat niemand diesen Vorwurf erhoben. Ich kenne genauso viele wohlhabende Menschen, die bei der Erziehung der Kinder versagt haben, wie ich auch sogenannte kleine Leute kenne, die versagt haben.

Unterlassen Sie es also bitte, uns etwas vorzuwerfen, was wir niemals in den Raum gestellt haben!

(Beifall bei der SPD)