Protocol of the Session on December 1, 2009

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Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 35. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Der Tagesordnungspunkt 1 entfällt, nachdem die FDPFraktion auf ihr Vorschlagsrecht für die Ministerbefragung verzichtet hat. Ich befürchte deshalb, dass wir heute die Tagesordnung nicht bis 22.30 Uhr füllen können.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 GeschO auf Vorschlag der SPD-Fraktion "Berliner Steuerpläne - nein im Bundesrat! Haushaltsrisiken für Bayern minimieren"

In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion erhält einer ihrer Redner bis zu zehn Minuten Redezeit; dies wird auf die Anzahl der Redner der jeweiligen Fraktion angerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Zahl der Redner dieser Fraktion zu sprechen. Erster Redner ist heute für die SPD-Fraktion Herr Kollege Rinderspacher. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! "Ihr habt sie doch nicht alle". Diese Worte stammen nicht von mir, sondern von dem Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins, Peter Harry Carstensen.

(Beifall bei der SPD)

Diese Worte sagte er bei einem Treffen der Union-Ministerpräsidenten und der Kanzlerin.

(Harald Güller (SPD): Wo er recht hat, hat er recht!)

"Ihr habt sie doch nicht alle". Das sagt der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Damit meinte er auch seinen Kollegen im Süden, Horst Seehofer.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen heute nicht über den rüden Umgangston in der schwarz-gelben Koalition reden. Wir wollen nicht über die tiefen Gräben, über das Gezeter, das Gezänk und die vergiftete Atmosphäre, die der "Focus" beschrieben hat, reden. Wir kennen dieses schwarz-gelbe Klima aus Bayern, dieses Gemisch aus gegenseitiger Abneigung und nach außen hin geheuchelter Zuneigung.

(Beifall bei der SPD)

Einen Punkt halte ich jedoch für bemerkenswert: Peter Harry Carstensen geht es offensichtlich nicht um parteipolitische Geländegewinne. Der Wahnsinn der Berliner Steuerpläne trifft alle Bundesländer, insbesondere Bayern. Ich zitiere den Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein: Das ist ein Geschäft, das ich mir nicht leisten kann. Und das ist auch der Grund, weshalb ich den Finger hebe und sage: Da müssen wir eine andere Lösung finden.

Das trifft selbstverständlich ebenfalls für die deutschen Länder im Süden zu.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, das sind Worte schierer Verzweiflung, die eine neue Dimension der Zerstrittenheit des gesamten schwarz-gelben Lagers beschreiben. Der Ministerpräsident des Saarlands, Peter Müller, sagt: Nein. Der CDU-Ministerpräsident von SachsenAnhalt, Wolfgang Böhmer, sagt: Nein. Ein Nein kommt ebenfalls von Christine Lieberknecht, CDU-Regierungschefin in Thüringen. Ein Geschäft, das man sich nicht leisten kann. Bayern sieht das offensichtlich anders. Offensichtlich ist, dass der Ministerpräsident sich in eine Sache verrennt, aus der er nicht mehr herauskommt.

(Beifall bei der SPD)

Im Übrigen wird Peter Harry Carstensen von seinem FDP-Kollegen, Wolfgang Kubicki, unterstützt. Der FDPSprecher, Christian Albrecht, in Schleswig-Holstein sagt: Wir sind für Steuererleichterungen, aber dieses Gesetz ist nicht wachstumsfördernd.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir begrüßen, dass die FDP vom Gebot der Steuererleichterungen Abstand nimmt. Man hat den Eindruck, auf jedes politische Problem, das sich ergibt, gibt es immer wieder die gleiche Antwort. Konjunkturelle Probleme: Steuererleichterungen; Arbeitslosigkeit; Steuererleichterungen; Steuersenkungen immer und überall. Am Ende wird sogar noch die Frage nach der Schweinepest damit beantwortet: Ja, wir sind für Steuererleichterungen. Das kann nicht sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Das Versprechen des Wachstums glaubt Ihnen in der Bevölkerung keiner mehr. Selbst der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat mit Nachdruck vor den Steuerentlastungsplänen gewarnt. Laut ZDF-Politbarometer sind 58 % der Deutschen dagegen, und 78 % der Deutschen erwarten, dass es keine Entlastungen geben wird. So

weit zur Frage, wie unglaubwürdig Ihre Politik in der Bevölkerung ist, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Das vorgesehene Mehrwertsteuerprivileg für die Hotellerie ist Klientelpolitik in Reinstform, ein Steuergeschenk in Höhe von 945 Millionen Euro. Bei der Expertenanhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages haben 15 von 16 geladenen Fachvertretern - ich zitiere - diesen Unsinn zerpflückt, wie ich das noch nie im Falle einer Regierungsvorlage erlebt habe. Das sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Manfred Kolbe. Zusammenfassend sagt er: Ein fauler Apfel verdirbt den ganzen Korb.

360 Millionen Euro fehlen 2010 im bayerischen Staatshaushalt. 126 Millionen Euro fehlen bei den Kommunen. Hinzu kommen das Landesbank-Desaster und die Hypo Group Alpe Adria: 1,7 Milliarden Euro Kaufpreis, 1,1 Milliarden Euro frisches Kapital aus München, 3,3 Milliarden Euro Kredite von der BayernLB und jetzt noch mal 1,5 Milliarden Euro Kapitalbedarf, um die Bank zu retten. Meine Damen und Herren, Bayern hat sich von den Österreichern vorführen lassen.

(Beifall bei der SPD)

Das war die schlimmste Schmach seit Cordoba, seit dem 2 : 3 von Hans Krankl. Dem bayerischen Steuerzahler bleibt nur noch die bittere Erkenntnis des damaligen Fußballreporters, der sagte: I werd narrisch.

(Heiterkeit bei der SPD)

Meine Damen und Herren, der damalige österreichische Reporter wollte Rüdiger Abramczik abbusseln, weil dieser den Ball ins Aus geschossen hat. Diejenigen, die jetzt von den Kärntnern abgebusselt werden, sitzen in den Reihen der CSU. Unser Finanzminister ist ebenfalls derjenige, der die Küsse aus Österreich erhalten muss, weil er das Geld dorthin verschoben hat. Die Kärntner sagen: Vielen Dank. Das ist sehr schön.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, der beliebteste Politiker in Kärnten sitzt hier auf der Regierungsbank. Noch nie hat in der bisherigen Geschichte eine neugewählte Bundesregierung einen solch imposanten Fehlstart hingelegt. Eine Steuerentlastungsorgie wird auf Kosten der Länder und Kommunen zelebriert, ohne eine solide Gegenfinanzierung bereitzuhalten. Stimmen Sie am 18. Dezember mit Schleswig-Holstein und anderen Bundesländern mit Nein. Angesichts der Lage der öffentlichen Haushalte besteht für die geplanten Steuervergünstigungen kein Raum. Selbst mit dem besten bayerischen Auto kann man nicht mehr weiterfahren,

wenn der Tank leer ist. Leisten Sie Ihren Beitrag, damit am Ende nicht Peter Harry Carstensen recht behält, wenn er Ihnen zuruft: "Ihr habt sie doch nicht alle".

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Als nächsten Redner darf ich Herrn Erwin Huber für die CSU-Fraktion ans Rednerpult bitten.

(Unruhe bei der SPD)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eine pauschale Polemik gegen Steuersenkungen hilft in dieser Form nicht weiter. Stattdessen muss der Gesetzentwurf eingesehen werden. Der Gesetzentwurf des Wachstums-beschleunigungsgesetzes regelt den Kinderfreibetrag und die Anhebung des Kindergeldes um 20 Euro im Monat. In diesem Punkt sieht man, wie unsozial die SPD ist.

(Lachen bei der SPD - Beifall bei der CSU)

Die SPD will den Familien im Lande diese Verbesserung zum 1. Januar vermiesen.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Wer hat das Kindergeld ab 1998 erhöht?)

Wer für dieses Wachstumsgesetz ist, der ist sozial, da er die Kaufkraft gerade in den Familien stärkt.

(Widerspruch bei der SPD)

Die Haltung der SPD in Steuerfragen ist ein Schlingerkurs. Der Hauptteil dessen, was am 1. Januar in Kraft tritt, ist in der Großen Koalition mit 14 Milliarden gemeinsam beschlossen worden.

(Zuruf des Abgeordneten Markus Rinderspacher (SPD))

Wer den 14 Milliarden Euro zugestimmt hat, jedoch den Rest von 8 Milliarden Euro verteufelt, obwohl das Kindergeld den Hauptteil stellt, dem kann ich eine pragmatische und nachvollziehbare Steuerpolitik wirklich nicht bescheinigen.

(Beifall bei der CSU)

Die SPD ist in einem katastrophalen Zustand und mit einer nachgeholten Wahlkampfrede, Herr Kollege, können Sie die Sache auch nicht aus der Welt schaffen.

Der SPD-Parteitag hat ferner eine Erhöhung der Vermögensteuer beschlossen. Die SPD ist für eine Anhebung der Einkommensteuer - als Reichensteuer ausgeschmückt - und damit sind die Fronten im Hause klar: Die SPD ist für Steuererhöhungen und wir sind für Steu

ersenkungen, weil wir für die Normalverdiener etwas tun wollen, weil wir Investitionen fördern wollen, weil wir damit Arbeitsplätze schaffen wollen und weil wir aus der wirtschaftlichen Krise herauskommen wollen.

(Beifall bei der CSU)

Wir sind in der größten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit und diese Krise ist leider nicht vorbei. Das Produktionsvolumen ist in diesem Jahr um 25 % gesunken. Alle Sachverständigen gehen davon aus, dass die Arbeitslosigkeit im Winter zunehmen und die Zahl der Insolvenzen steigen wird. Das bedeutet, wir müssen weiterhin etwas tun. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz hilft neben den Verbesserungen beim Kindergeld den bedrängten Unternehmen in Deutschland durch Korrekturen bei der Unternehmensteuerreform, Erleichterungen für den Mittelstand, eine Verbesserung der Abschreibung bei geringwertigen Wirtschaftsgütern, Verbesserungen beim Verlustvortrag und Verbesserungen bei der Zinsschranke. Die SPD sagt Nein, sie will nichts tun, sie verweigert sich, sie geht in eine Totalopposition: wir dagegen handeln, weil wir die Krise bewältigen wollen.